BT-Drucksache 17/11171

Sachstand zur Förderung der Einfachen Sprache in Deutschland

Vom 24. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11171
17. Wahlperiode 24. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Oliver Kaczmarek, Dr. Hans-Peter
Bartels, Klaus Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Siegmund Ehrmann, Petra
Ernstberger, Michael Gerdes, Iris Gleicke, Klaus Hagemann, Christel Humme,
Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf, Caren Marks,
Thomas Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Marianne Schieder
(Schwandorf), Ulla Schmidt (Aachen), Swen Schulz (Spandau), Dr. h. c. Wolfgang
Thierse, Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Brigitte Zypries, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Sachstand zur Förderung der Einfachen Sprache in Deutschland

Die Studie „leo. – Level-One“ hat 2010 im Auftrag des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung als erste Studie in Deutschland die Größenordnung des
Analphabetismus unter der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und
64 Jahren untersucht. Seit Anfang 2011 wissen wir, dass 7,5 Millionen Menschen
in diesem Alter mindestens als funktionale Analphabeten eingestuft werden
müssen. Das sind 14,5 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren.

Darüber hinaus ist aber auch zu beachten, dass weitere 13,3 Millionen Menschen
nur langsam und/oder sehr fehlerhaft lesen und schreiben können sowie das
Lesen nach Möglichkeit generell vermeiden. Das sind rund 26 Prozent der
erwerbsfähigen Bevölkerung. Sie kommen über das in der „leo. – Level-One“-
Studie zu Grunde gelegte Alpha Level 4 nicht hinaus. Neben Analphabetinnen
und Analphabeten im engeren Sinne und funktionalen Analphabetinnen und
Analphabeten bilden diese Menschen eine weitere Gruppe, für die entsprechende
Angebote geschaffen werden müssen, um sie ansprechen bzw. erreichen zu
können.

Eine Möglichkeit liegt in dem Angebot der Einfachen Sprache (Leichte Spra-
che). Unter dem Begriff „Einfache Sprache“ versteht man gut verständliche ein-
fache Texte in einer Sprache, die Fremdwörter vermeidet und kurze Sätze bein-
haltet. Durch solche niederschwelligen Leseangebote wird die Scheu vor dem
Lesen überwunden. Die Lesematerialien mit dem passenden Sprachniveau er-
möglichen den Aufbau von Selbstvertrauen. Die Lesefähigkeit wächst und es
kann eine positive „Lesespirale“ entstehen. Im besten Fall führt dies dazu, dass
diese Menschen aus der Einfachen Sprache herauswachsen und auf einem höhe-
ren Niveau lesen lernen. Mit diesem Zugang zur Literalität kann die Erweite-

rung der gesellschaftlichen Teilhabe und der Aufbau von Weiterbildungs- und
Beschäftigungsfähigkeit einhergehen. Einfache Sprache kann auch dort einen
Beitrag leisten, wo Verwaltungshandeln oder der Wille des Gesetzgebers in
komplexer Amtssprache verklausuliert ist. Einfache und adressatenorientierte
Bescheide und Stellungnahmen sind ein Beitrag zu Transparenz und Nachvoll-
ziehbarkeit politischen und administrativen Handelns unabhängig von der Lese-
kompetenz.

Drucksache 17/11171 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

In anderen Ländern, wie z. B. in den Niederlanden oder in Schweden, wird die
Einfache Sprache neben der Leichten Sprache gezielt gefördert, um allen Men-
schen mit oder ohne Behinderung und Schwächen im Lesen und Schreiben zu
helfen, ein ausreichendes Literalitätsniveau zu erreichen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welcher wissenschaftlichen Definition von Einfacher Sprache im Vergleich
zur Leichten Sprache folgt die Bundesregierung?

2. Welche wesentlichen Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zum sozia-
len, beruflichen und bildungsbiographischen Hintergrund von lese- und
schreibschwachen Menschen (Alpha Level 4) vor?

3. Plant die Bundesregierung Forschungsprogramme, um diese Gruppe von
lese- und schreibschwachen Menschen ähnlich der der funktionalen An-
alphabetinnen und Analphabeten genauer zu untersuchen?

4. Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen mangelnder Lese- und
Schreibkompetenz auf die Partizipation insbesondere am Erwerbsleben und
an demokratischen Prozessen ein?

5. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass vor dem Hintergrund des
Fachkräftemangels eine Ansprache und gezielte Förderung dieser Ziel-
gruppe von Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwächen im wirt-
schaftlichen Interesse Deutschlands liegt?

6. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten des Einsatzes von Ein-
facher Sprache ein, um die Literalität von Menschen zu erhöhen und sie so-
mit besser in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft zu integrieren?

7. Unterstützt die Bundesregierung aktuell Forschungsprojekte, die sich mit
der Bedeutung, den Möglichkeiten und der Akzeptanz der Einfachen
Sprache befassen?

Wenn ja, welche und in welchem Umfang?

Wenn nicht, ist die Bundesregierung bereit, im Rahmen einer erweiterten
Nationalen Strategie gegen Analphabetismus auch Forschungsprojekte, die
sich mit der Bedeutung und den Möglichkeiten der Einfachen Sprache be-
fassen, zu fördern?

8. Liegen der Bundesregierung Forschungsergebnisse von Studien in anderen
europäischen Staaten zu diesem Thema vor?

9. Sind der Bundesregierung Initiativen und Instrumente in anderen europäi-
schen Ländern zur Ansprache und Weiterbildung von Betroffenen mit
schwachen Lese- und Rechtschreibkompetenzen bekannt?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus diesen für ihre
Politik?

10. Ist die Bundesregierung bereit, neben der aktuellen Öffentlichkeits-
kampagne zum Thema funktionaler Analphabetismus auch eine Kampagne
zur Ansprache der rund 13,3 Millionen Menschen mit starken Schreib- und
Leseschwächen zu initiieren und zu fördern?

11. Sind der Bundesregierung Verlage oder Initiativen bekannt, die in Deutsch-
land Erzeugnisse (Zeitungen, Magazine, digitale Medien) in Einfacher
Sprache anbieten bzw. fördern?

12. Welche Möglichkeiten der Förderung solcher Initiativen/Verlage sieht die
Bundesregierung durch den Bund, die Länder, die Kommunen und andere

Träger in Wirtschaft und Zivilgesellschaft, damit die Einfache Sprache als
Instrument zu mehr Literalität breiter eingesetzt werden kann?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11171

13. Plant die Bundesregierung eigene Initiativen in der Verantwortung des
Bundes, und auf welche Bereiche und Maßnahmen richten sich diese Ini-
tiativen?

14. Sind der Bundesregierung Bestrebungen öffentlicher Verwaltungen bzw.
Behörden oder auch privater Unternehmen bekannt, die Einfache Sprache
verstärkt zu nutzen, um Menschen mit geringer Literalität zu erreichen?

15. Wie schätzt die Bundesregierung die Möglichkeiten und den Aufwand ein,
ein regelmäßiges Informationsangebot des Bundes in Einfacher Sprache zu
entwickeln, zum Beispiel bei der Information und Präsentation der
Regierungsarbeit auf den Homepages und in den Printmedien der Bundes-
ministerien und des Bundeskanzleramtes?

16. Welche Möglichkeiten der Einbeziehung Einfacher Sprache in Bescheide
und Stellungnahmen der Bundesregierung, die zu Petitionen abgegeben
werden, erwägt die Bundesregierung, um diese verständlich und adressa-
tenorientiert zu gestalten?

17. Unterstützt die Bundesregierung das Ziel, dass Zeitungen und andere
Publikationen in Einfacher Sprache in Behörden und Ämtern (z. B. auch in
Jobcentern und Arbeitsagenturen) flächendeckend angeboten werden soll-
ten?

18. In welcher Form kann sich die Bundesregierung die Unterstützung einer
solchen Zielsetzung vorstellen?

Welche Initiativen wird die Bundesregierung zur Unterstützung dieser Ziel-
setzung ergreifen?

19. Unterstützt die Bundesregierung die Entwicklung eines Qualitätssiegels für
Leseprodukte in Einfacher oder Leichter Sprache, und in welcher Form ist
die Bundesregierung gegebensfalls bereit, eine solche Entwicklung zu un-
terstützen?

20. Ist der Bundesregierung bekannt, wie groß die Zahl der Fachleute in
Deutschland ist, die die notwendige Ausbildung und Qualifikation auf-
weisen, um normal verfasste Schriftstücke in die Einfache oder in die
Leichte Sprache zu übersetzen?

21. Welche Einrichtungen, Vereinigungen oder sonstigen Träger von Angebo-
ten zur Ausbildung und Qualifkation solcher Fachleute sind der Bundes-
regierung in Deutschland bekannt?

22. Hält die Bundesregierung die Zahl, die Qualifikation und die Strukturen zur
Aus- und Weiterbildung solcher Fachleute gegenwärtig für ausreichend,
und welche Erfordernisse sieht die Bundesregierung für die Zukunft?

Berlin, den 24. Oktober 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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