BT-Drucksache 17/1114

Rechtlicher Status des Sanitätspersonals der Bundeswehr in Afghanistan

Vom 18. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1114
17. Wahlperiode 18. 03. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, Wolfgang Gehrcke, Inge
Höger, Andrej Hunko, Harald Koch, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Rechtlicher Status des Sanitätspersonals der Bundeswehr in Afghanistan

Gemäß dem humanitären Völkerrecht sind Verwundete, Kranke, Sanitätsperso-
nal und Sanitätstransportmittel jederzeit von den gegnerischen Kombattanten zu
schonen und zu schützen sowie unter keinen Umständen anzugreifen. So ge-
kennzeichnetes Personal genießt den Schutz solange es sich nicht an feindlichen
Handlungen beteiligt. Waffen dürfen von militärischem Sanitätspersonal nur
zum Selbstschutz getragen werden. Nicht entsprechend gekennzeichnetes mili-
tärisches Sanitätspersonal verwirkt diesen Schutz, da es von den regulären Kom-
battanten nicht mehr unterschieden werden kann. Gleiches gilt für nicht gekenn-
zeichnete Infrastruktur und Fahrzeuge des Sanitätsdienstes.

Das zivile – u. a. das Personal des Deutschen Roten Kreuzes oder des Roten
Halbmondes – wie das militärische Sanitätspersonal erwerben diesen Schutz-
status unter anderem durch das Tragen eines entsprechenden Schutzzeichens.
Für das militärische Sanitätspersonal sind allerdings gemäß dem humanitären
Völkerrecht auch Pflichten mit dem Führen des Schutzstatus verbunden: das
Tragen eines entsprechenden Schutzzeichens, das Mitführen der „Ausweiskarte
für das Sanitäts- und Seelsorgepersonal der Bundeswehr“ – dieser Personenkreis
ist zudem international mit Ausweisnummer registriert – und das Offentragen
der Dienstwaffe. Das Schutzzeichen kann nicht nach Belieben verwendet oder
abgelegt bzw. entfernt werden. Der Schutzstatus für das Sanitäts- und Seelsor-
gepersonal darf weder auf Befehl aufgehoben noch freiwillig abgelegt werden.
Nach den Genfer Abkommen ist ausschließlich das „Abtarnen“, d. h. das Verde-
cken, in bestimmten Situationen erlaubt, das Abnehmen nicht. Ein Missbrauch
von Schutzzeichen kann – auf die Situation Afghanistan bezogen – ggf. bereits
ein Kriegsverbrechen darstellen. Die besondere Stellung des militärischen Sani-
tätspersonals spiegelt sich im deutschen Recht u. a. dadurch wider, dass für die-
jenigen, die sich als Berufs- oder Zeitsoldaten freiwillig zum Sanitätsdienst in
der Bundeswehr verpflichtet haben, kein Rechtsschutzbedürfnis zur Stellung
des Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gesehen wird, da ihr
Dienst nicht als Kriegsdienst mit der Waffe gilt.

Obwohl auch in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten Bestimmungen
des humanitären Völkerrechts Anwendung finden, wie z. B. hinsichtlich der
Schutzzeichen für das Sanitätspersonal, und damit auch für das deutsche Ein-

satzkontingent in Afghanistan bindend sind, scheint die Bundeswehr nun dazu
überzugehen, genau diese Kennzeichnungspflicht für das Sanitätspersonal in
Afghanistan abzuschaffen. Dies könnte zu der Aushöhlung des humanitären
Völkerrechts und Schwächung der Bindungskraft der entsprechenden Konven-
tionen beitragen.

Drucksache 17/1114 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Steht das deutsche ISAF-Sanitätspersonal (ISAF – Internationale Sicher-
heitsunterstützungstruppe in Afghanistan) nach Einschätzung der Bundes-
regierung unter dem besonderen Schutz des Humanitären Völkerrechts, und
wenn nicht, wieso nicht?

2. Wie viel Sanitätspersonal ist im Rahmen des deutschen ISAF-Einsatzkon-
tingents in Afghanistan derzeit stationiert?

3. Trifft es zu, dass deutsches Sanitätspersonal der Bundeswehr in Afghanistan
ohne Schutzzeichen bei militärischen Operationen eingesetzt werden kann
bzw. als Teil der aktiven Kampftruppen eingesetzt werden kann, und wenn
ja, seit wann, in welchen Fällen, und auf welcher Rechtsgrundlage?

4. Gelten diese Regelungen auch für die in Afghanistan eingesetzten Militär-
seelsorger/Militärgeistlichen, die unter dem gleichen besonderen Schutz des
Humanitären Völkerrechts stehen wie das Sanitätspersonal?

5. Wird das weibliche Sanitätspersonal der Bundeswehr in Afghanistan bei
militärischen Operationen bzw. als Teil der aktiven Kampftruppe eingesetzt,
obwohl sie gemäß dem Grundgesetz nicht zu einem allgemeinen Wehr-
dienst an der Waffe verpflichtet werden dürfen, und wenn ja, seit wann, und
auf welcher Rechtsgrundlage?

6. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Einsatz von Sanitätsper-
sonal ohne Schutzzeichen als Teil der aktiven Kampftruppen einen „Kriegs-
dienst mit der Waffe“ darstellt und auch dem Sanitätspersonal das Recht auf
die Stellung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer
eingeräumt werden muss, und wenn nicht, mit welcher Begründung?

7. Gelten für das Sanitätspersonal ohne Schutzzeichen dieselben „Rules of
Engagement“ wie für die übrigen im Rahmen von ISAF eingesetzten Ein-
heiten der Bundeswehr?

8. Wann ist dem deutschen Sanitätspersonal ohne Schutzzeichen der Einsatz
von Schusswaffen laut Taschenkarte für den ISAF-Einsatz erlaubt?

9. Darf das deutsche Sanitätspersonal in Afghanistan in Fällen fliehender re-
gierungsfeindlicher Kräfte, die ihre Waffen fallen gelassen haben, diese
kampfunfähig machen und ihnen in den Rücken schießen?

10. Dürfen bei dem Übergang eines Verteidigungsgefechtes in ein Verfolgungs-
gefecht bzw. Angriffsgefecht auch die Sanitätskräfte, inklusive Ärzte und
Rettungsassistenten, eingesetzt werden?

11. Welche anderen an ISAF beteiligten Staaten setzen ihr Sanitätspersonal
ohne Schutzzeichen bei militärischen Operationen ein?

12. Über wie viele Sanitätsfahrzeuge verfügt das deutsche ISAF-Einsatzkontin-
gent derzeit in Afghanistan?

13. Trifft es zu, dass die Schutzzeichen von diesen Sanitätsfahrzeugen entfernt
worden sind, und wenn ja, seit wann?

14. Welche anderen ISAF-Truppenstellerstaaten verfahren genauso?

15. Mit welchen ISAF-Staaten hat sich die Bundesregierung im Vorfeld ihrer
Entscheidung zur Aufhebung der Kennzeichnungspflicht und zum Einsatz
von Sanitätspersonal als Kombattanten abgestimmt?

16. Trifft es zu, dass die Sanitätsfahrzeuge neben der Entfernung des Schutz-
zeichens auch bewaffnet worden sind und damit den Status eines Gefechts-
fahrzeuges haben, und wenn ja, wie viele Fahrzeuge sind davon betroffen,

und durch welches Personal werden diese Waffen bedient?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1114

17. Hat sich die Bundesregierung vor der Entscheidung zur Aufhebung der
Kennzeichnungspflicht von Sanitätspersonal und -fahrzeugen mit dem In-
ternationalen Komitee des Roten Kreuzes abgestimmt, und wenn ja, wann,
und mit welchem Ergebnis?

Wenn nicht, warum nicht?

18. Auf welcher empirischen Grundlage ist das Bundesministerium der Ver-
teidigung zu der Einschätzung gekommen, dass es im Unterschied zu den
Vorjahren nun notwendig ist, sowohl die Fahrzeuge als auch das Sanitäts-
personal ohne Schutzzeichen einzusetzen?

19. Wie häufig wurden entsprechend deutlich gekennzeichnete Sanitätseinhei-
ten der Bundeswehr in den letzten acht Jahren bei einem Einsatz in Afgha-
nistan zur Evakuierung bzw. zum Transport von Verwundeten eingesetzt
(bitte nach Jahren aufgeschlüsselt)?

20. In wie vielen Fällen wurden dabei Sanitätseinheiten beschossen (bitte nach
Jahren aufgeschlüsselt)?

21. Wie häufig wurden entsprechend deutlich gekennzeichnete Sanitätsfahr-
zeuge (inkl. Hubschrauber) der Bundeswehr in den letzten acht Jahren bei
einem Einsatz in Afghanistan zur Evakuierung bzw. zum Transport von
Verwundeten eingesetzt (bitte nach Jahren aufgeschlüsselt)?

22. In wie vielen Fällen wurden diese Sanitätsfahrzeuge dort während der Eva-
kuierung bzw. dem Transport von Verwundeten beschossen (bitte nach
Jahren aufgeschlüsselt)?

23. Wie wird das Sanitätspersonal vor dem Einsatz in Afghanistan auf die neue
Rolle als Infanterist und aktive Kampftruppe vorbereitet?

24. Erachtet die Bundesregierung die derzeitige Ausbildung des Sanitätsperso-
nals für ausreichend für die neuen Aufgaben in Afghanistan?

25. Plant die Bundesregierung die Ausbildung für den Sanitätsdienst zu verän-
dern, um zu gewährleisten, dass das Sanitätspersonal besser auf die neue
Rolle als Teil der bewaffneten Einheiten vorbereitet ist, und wenn ja, wie?

26. Wer entscheidet in Afghanistan im konkreten Fall, ob das dortige Sanitäts-
personal mit oder ohne Schutzzeichen an einer militärischen Operation teil-
nimmt?

27. Wie viele in Gefechten verwundete mutmaßliche Angehörige der sogenann-
ten regierungsfeindlichen Kräfte wurden in den letzten acht Jahren von
deutschem Sanitätspersonal erstversorgt bzw. in eine medizinische Betreu-
ungseinrichtung gebracht (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

28. Wurde das Internationale Komitee des Roten Kreuzes über die Erstversor-
gung mutmaßlicher Angehöriger der sogenannten regierungsfeindlichen
Kräfte informiert?

Wenn ja, wann, und in wie vielen Fällen, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 18. März 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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