BT-Drucksache 17/11132

Erfahrungen mit dem "Aussteigerprogramm für Linksextremisten" des Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Jahr nach seinem Start

Vom 23. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11132
17. Wahlperiode 23. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Nicole Gohlke, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Erfahrungen mit dem „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“ des
Bundesamtes für Verfassungsschutz ein Jahr nach seinem Start

Im Oktober 2011 startete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ein Aus-
steigerprogramm für sogenannte Linksextremisten. Das Bundesamt vergibt die
Bezeichnung „Linksextremismus“ ausweislich seiner Jahresberichte an eine
Vielzahl linker, antifaschistischer und antikapitalistischer Vereinigungen.

In der Öffentlichkeit wurde das Aussteigerprogramm mit einiger Verwunderung
aufgenommen, weil seine Notwendigkeit in Frage steht. Die Bundesregierung
konnte bislang nicht darlegen, welche konkrete Bedarfslage ausstiegswillige
Linksextremisten hätten (vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/7734 zu Frage 4).

Von linken Gruppierungen in Deutschland ist nicht bekannt, dass ihre Mitglieder
oder Anhänger auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie diese verlassen wollen.
Weder über Fememorde an (ehemaligen) Linken noch Rachefeldzüge gegen sie
oder ihre Familien wurden nach Kenntnis der Fragesteller jemals berichtet. Das
ist nur einer von mehreren relevanten Unterschieden zwischen linken Gruppen
und neonazistischen Vereinigungen, die vom Erklärungsmodell des „Extremis-
musansatzes“ nicht berücksichtigt werden.

Den Fragestellern ist bekannt geworden, dass das Programm in linken Zusam-
menschlüssen einige Heiterkeit ausgelöst hat. So wurde bisweilen erwogen, ei-
nen Ausstiegswillen zu simulieren, um sich vom Verfassungsschutz die Kosten
für einen Umzug erstatten zu lassen. Das liegt aber erkennbar nicht in der Inten-
tion des Programms.

Die Fraktion DIE LINKE. hofft, dass nach einem Jahr Laufzeit die angesproche-
nen offenen Fragen geklärt werden können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Anrufe wurden beim „Aussteigerprogramm für Linksextremisten“
verzeichnet (bitte pro Monat angeben)?

a) Wie viele Anruferinnen und Anrufer wurden als grundsätzlich ausstiegs-

willig eingeschätzt?

b) In wie vielen Fällen erfolgte der Erstkontakt nicht durch die ausstiegswil-
lige Person selbst, sondern durch deren Umfeld bzw. Angehörige usw.?

c) Wie viele Anruferinnen und Anrufer wurden als unernst eingeschätzt
(Spaßanrufe usw.)?

Drucksache 17/11132 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

d) Welche Kriterien liegen einer Einschätzung der Seriosität der Anruferin-
nen und Anrufer zu Grunde?

2. Mit wie vielen Ausstiegswilligen gab es nach dem Erstkontakt noch weitere
Kontakte?

3. Wie viele Ausstiegswillige befanden sich zum Zeitpunkt der ersten Kontakt-
aufnahme im Gefängnis, und wie viele waren mit Ermittlungsverfahren kon-
frontiert?

4. Wie verteilen sich jene Personen, bei denen ein ernstzunehmender Ausstiegs-
wille angenommen wurde, auf

a) Männer,

b) Frauen,

c) die Altersgruppen unter 14 Jahre, 14 bis 16, 17 bis 18, 19 bis 21, 22 bis 24,
25 bis 30, 31 Jahre und älter,

d) die einzelnen Bundesländer,

e) Deutsche, EU-Ausländer, Drittstaatenangehörige?

5. Wie viele Personen mit zumindest gewissem Ausstiegswillen gehören nach
Kenntnis der Bundesregierung

a) Parteien (welchen),

b) eingetragenen Vereinen (welchen),

c) nicht eingetragenen Vereinen, die über ein gewisses Maß an Mitglied-
schaftsstrukturen verfügen (welchen),

d) linken Subkulturen (welchen Typus),

e) anderen Spektren (möglichst angeben)

an, und wie viele dieser Personen hatten nach Kenntnis der Bundesregierung
Führungsfunktionen in ihren jeweiligen Vereinigungen inne?

6. Wie viele (ehemalige) Linke sind bislang unterstützt vom BfV aus linken
Strukturen ausgestiegen, und wie teilt sich diese Anzahl nach Kenntnis der
Bundesregierung auf Parteien, eingetragene Vereine, nicht eingetragene Ver-
eine, Subkulturen (bitte jeweils konkret benennen) auf?

Wie viele dieser Personen hatten nach Kenntnis der Bundesregierung Füh-
rungsfunktionen in ihren jeweiligen Vereinigungen inne?

7. Wie verteilen sich die Aussteiger auf

a) Männer,

b) Frauen,

c) die Altersgruppen unter 14 Jahre, 14 bis 16, 17 bis 18, 19 bis 21, 22 bis 24,
25 bis 30, 31 Jahre und älter,

d) die einzelnen Bundesländer,

e) Deutsche, EU-Ausländer, Drittstaatenangehörige?

8. Welche Schlussfolgerung zieht die Bundesregierung aus den in den Fragen 1
bis 7 abgefragten Daten?

9. Hat das Aussteigerprogramm auch Mitglieder der Partei DIE LINKE. erfasst,
die aus der Partei austreten wollten und dafür auf Hilfe des Verfassungs-
schutzes angewiesen zu sein glaubten, und wenn ja, welche konkrete Be-
darfslage haben diese Personen angegeben, und welche konkrete Hilfe hat

das BfV gegeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11132

10. Welche Angaben kann die Bundesregierung mittlerweile zur konkreten Be-
darfslage ausstiegswilliger Linker machen?

11. Welche finanziellen Mittel sind in den 12 Monaten seit Programmbeginn
für das Aussteigerprogramm verwendet worden (bitte die wichtigsten Aus-
gabenposten aufschlüsseln)?

12. Mit welchen konkreten Maßnahmen hat das BfV ausstiegswillige Linke
unterstützt (bitte möglichst vollständig Einzelmaßnahmen auflisten), und
welche Kosten sind dem Bund dabei jeweils entstanden?

13. Wie viel Arbeitszeit hat die Betreuung Ausstiegswilliger im BfV erfordert
(bitte möglichst in Stunden angeben), und über welche Qualifikation verfü-
gen die jeweiligen Betreuer?

14. Welche konkreten Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass Angehö-
rige „linksextremistischer“ Vereinigungen bei deren Verlassen sozialen
Schwierigkeiten gegenüberstehen, die über jene von Personen hinausgehen,
die beispielsweise aus einem Sportverein austreten wollen?

15. Hat die Bundesregierung mittlerweile konkrete Erfahrungen gesammelt,
inwiefern Personen, die linke Zusammenschlüsse verlassen wollen, einen
besonderen Bedarf an Schutz vor Angriffen und Verfolgung aus der linken
Szene haben, und wenn ja, welche?

16. Welche und wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen
Personen nach Verlassen linker Zusammenschlüsse Gewalt oder Gewalt-
drohungen durch ihre (ehemaligen) Genossinnen und Genossen ausgesetzt
waren, und welche Maßnahmen hat das BfV durchgeführt, um dieser Ge-
fahr zu begegnen?

17. Wenn der Bundesregierung keine solchen Erfahrungen oder Fälle bekannt
sind, wie kommt sie dann zur Annahme, Personen könnten beim Verlassen
linker Zusammenschlüsse staatlichen Schutz benötigen?

18. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass Personen, die linke
Gruppierungen verlassen möchten, aufgrund ihres Ausstiegs einen im Ver-
gleich zu anderen Wohnungssuchenden erhöhten Unterstützungsbedarf bei
der „Arbeitsplatz- und Wohnungssuche“ (Konzeption des BfV) haben?

a) Wie viele (ehemalige) Linke sind nach Kenntnis der Bundesregierung
während der Programmlaufzeit aufgrund ihres Ausstiegs obdachlos ge-
worden?

b) Wie viele ehemalige Linke sind infolge ihres Ausstiegs arbeitslos gewor-
den?

c) Hat das BfV praktische Unterstützung bei Wohnungssuche und Umzug,
in Form von Kistentragen, Anzeigenaufgaben, Vorsprache bei Vermie-
tern und Ähnlichem, geleistet, und wenn nein, warum nicht?

19. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass Personen, die linke
Zusammenschlüsse verlassen, aufgrund ihres Ausstiegs einen im Vergleich
zu anderen Personen erhöhten Bedarf an Beratung und Knüpfen von Kontak-
ten zu „Justiz, Behörden und Arbeitgebern“ (Konzeption des BfV) haben?

a) Worin besteht dieser Bedarf, und welche Unterstützung hat das BfV kon-
kret geleistet?

b) Wie viele Ausstiegswillige sowie letztlich Ausgestiegene waren zum
Zeitpunkt des Erstkontakts in Haft, und wie viele hiervon erhielten Straf-
nachlass oder Haftverschonung?

Drucksache 17/11132 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Welche Hinweise hat die Bundesregierung darauf, dass Personen, die linke
Zusammenschlüsse verlassen, aufgrund ihres Ausstiegs einen im Vergleich
zu anderen Personen erhöhten Bedarf an der „Vermittlung externer Hilfsan-
gebote, z.B. bei Alkohol- und Drogenproblemen oder Überschuldung“
(Konzeption des BfV) haben?

Worin besteht dieser Bedarf, und welche Unterstützung hat das BfV konkret
geleistet?

21. Welchen Beratungs- und Unterstützungsbedarf sieht das BfV für Familien-
angehörige und Freunde von Angehörigen ausstiegswilliger Linker?

a) Wie gestaltete sich die Tätigkeit der BfV-Beratungsstelle für Familien-
angehörige und Freunde von Linken?

b) Die Personen wie vieler (ehemaliger) Linker haben sich an diese Stelle
gewandt?

c) Welche konkreten unterstützenden Maßnahmen hat die Stelle unternom-
men oder veranlasst, und welche Kosten sind dabei entstanden (bitte die
wichtigsten Ausgabenposten nennen)?

d) Welche Gesamtkosten sind für diese Stellen entstanden (bitte wiederum
die wichtigsten Ausgabenposten aufgliedern)?

22. Welche Bilanz zieht die Bundesregierung aus der einjährigen Laufzeit des
Programms, und welche Konsequenzen zieht sie aus den bisherigen Erfah-
rungen?

Berlin, den 23. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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