BT-Drucksache 17/11008

Patientenrechte wirksam verbessern

Vom 16. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/11008
17. Wahlperiode 16. 10. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer, Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner, Bärbel
Bas, Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Angelika Graf (Rosenheim),
Ute Kumpf, Steffen-Claudio Lemme, Hilde Mattheis, Thomas Oppermann,
Mechthild Rawert, Dr. Carola Reimann, Ewald Schurer, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Patientenrechte wirksam verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bundeskabinett hat am 23. Mai 2012 den Entwurf eines Patientenrechte-
gesetzes beschlossen. Entgegen Ankündigungen von Seiten der Koalitionsfrak-
tionen der CDU/CSU und FDP, des Bundesministeriums für Gesundheit und des
Patientenbeauftragten der Bundesregierung fehlen wesentliche Regelungen zum
Schutz und zur Interessenvertretung von Patientinnen und Patienten. So sind
keine spezifischen Regelungen enthalten zur Einführung eines Härtefall- oder
Entschädigungsfonds, der von vielen Patientenorganisationen, Medizinrechtlern
und -anwälten, Verbraucherschutzorganisationen und den Bundesländern gefor-
dert wird. Es fehlen außerdem Regelungen zur Sicherstellung einer ausreichen-
den ärztlichen Haftpflichtversicherung, zur besseren Aufklärung der Patienten
bei individuellen Gesundheitsleistungen und zur Stärkung kollektiver Patienten-
rechte. Der Gesetzentwurf kodifiziert lediglich die bereits von den Gerichten
praktizierte Rechtsprechung. Er stellt keinen Fortschritt für die Patientinnen und
Patienten dar. Es steht sogar zu befürchten, dass die Weiterentwicklung der
Rechtsprechung im Sinne der Patientinnen und Patienten durch den Gesetzent-
wurf blockiert wird.

Die Fraktion der SPD hat bereits im März 2010 einen Antrag „Für ein modernes
Patientenrechtegesetz“ eingebracht (Bundestagsdrucksache 17/907). Darin for-
dern wir u. a. ein verbessertes Risikomanagement und Fehlermeldesysteme,
eine Stärkung der Opfer von Behandlungsfehlern, bessere Beteiligungsrechte
für Patientenorganisationen in Gremien, die Stärkung der Patientenrechte ge-
genüber Sozialleistungsträgern und Leistungserbringern und die Optimierung
der Leichenschau.

Darüber hinaus hat die Fraktion der SPD Anträge eingebracht zur Eindämmung
individueller Gesundheitsleistungen (Bundestagsdrucksache 17/9061), für „Mehr

Sicherheit bei Medizinprodukten“ (Bundestagsdrucksache 17/9932) und einen
Gesetzentwurf zum Schutz von Hinweisgebern (Bundestagsdrucksache 17/8567).

Drucksache 17/11008 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

An unseren Forderungen halten wir fest und ergänzen diese um die folgenden
Punkte:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen neuen Gesetzentwurf vorzulegen, der über die Kodifizierung
des geltenden Rechtes hinausgeht. Dabei sind auch die folgenden Grundsätze zu
beachten:

1. Patientinnen und Patienten erhalten nach jedem Eingriff einen Patientenbrief
mit allgemein verständlichen Informationen über die durchgeführte Opera-
tion, die angewandten Techniken, ggf. verwendete Hilfsmittel und Implan-
tate, den Verlauf und darüber, ob und zu welchen Komplikationen es gekom-
men ist. Der Patientenbrief senkt die Zahl unnötiger Klagen, die auf der
Grundlage von Intransparenz angestrengt werden. Gleichzeitig erhöht er die
Wahrscheinlichkeit, dass die Patientinnen und Patienten bei einem tatsäch-
lichen Fehler entschädigt werden.

2. Es soll ein Härtefallfonds aufgelegt werden, der nach folgenden Maßgaben
eintritt: Der Härtefallfonds tritt ein, wenn

– es keinen sicheren Nachweis der Schadensursache oder des Verschuldens
gibt oder

– eine seltene oder bislang unbekannte Komplikation auftritt, die die betrof-
fene Person erheblich schädigt, oder

– die Durchsetzung des Schadensersatzanspruches unzumutbar lange dau-
ern würde und

– eine finanzielle Hilfe aus sozialen oder anderen Gründen geboten er-
scheint.

3. Ziel ist es, dass der Fonds zu einem späteren Zeitpunkt alle Patientinnen und
Patienten unterstützt, unabhängig davon, in welchen Einrichtungen oder von
welchen Gesundheitsberufen sie behandelt wurden. Beginnen soll der Härte-
fallfonds, indem er eintritt für diejenigen Patientinnen und Patienten, die in
einem nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zugelassenen Kran-
kenhaus einen Schaden erleiden. Bei Durchsetzung eines Schadenersatzan-
spruches ist bis zur Höhe der dabei erhaltenen Entschädigung die seitens des
Härtefallfonds erbrachte Zahlung an diesen zurückzuzahlen. Der Härtefall-
fonds kann geschädigte Patientinnen oder Patienten dazu verpflichten, die
gerichtliche Durchsetzung ihres Schadensersatzanspruches zu betreiben, und
sie dabei unterstützen. Bei eindeutiger Beweislage und problemlos erschei-
nender Durchsetzbarkeit des Schadenersatzanspruches tritt der Härtefall-
fonds nicht ein. Nach drei Jahren soll geprüft werden, ob der Härtefallfonds
alle zu regelnden Sachverhalte abdeckt oder zu einem Entschädigungsfonds
ausgebaut werden sollte.

4. Die Kosten für einen Härtefallfonds werden in Anlehnung an den Wiener
Härtefallfonds und nach Hochrechnung auf deutsche Verhältnisse auf höchs-
tens 60 Mio. Euro im Jahr geschätzt. Sie sind durch ein Mischmodell von den
Haftpflichtversicherern der Leistungserbringer, aus den bereits zu erbringen-
den Zuzahlungen der gesetzlich Versicherten zum Krankenhausaufenthalt,
durch eine analoge Abgabe der PKV-Versicherten (PKV = private Kranken-
versicherung) sowie aus Steuermitteln zu erbringen. Um den Steueranteil
aufkommensneutral finanzieren zu können, soll der Steueranteil aus dem lau-
fenden Bundeszuschuss finanziert werden.

5. Es soll ein besonderes Mediations- und Schiedsverfahren für Fälle der Arzt-

bzw. Krankenhaushaftung eingeführt werden. Dieses Verfahren wird bei ein-
zurichtenden Schlichtungsstellen durchgeführt, in denen Ärzte, Vertreter der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/11008

Krankenkassen und der Patienten vertreten sind. Ein Mitglied der Schlich-
tungskommission muss die Befähigung zum Richteramt haben. Die Schlich-
tungsstelle betreibt zunächst die Sachverhaltsaufklärung bezüglich der Frage,
ob ein für den Schaden ursächlicher Behandlungsfehler vorliegt, und kann
dann auf Antrag des Patienten ein Vergleichsverfahren durchführen. Das Er-
gebnis dieses Schlichtungsverfahrens entspricht in der Wirkung einem ge-
richtlichen Vergleich und kann vollstreckt werden.

6. Als Ergänzung zum geltenden Recht, wonach eine Beweislastumkehr nur bei
schweren Behandlungsfehlern eintritt, soll es weitergehende Beweiserleich-
terungen für die Betroffenen geben. So z. B., wenn die Qualitätsberichte
eines Krankenhauses vergleichsweise hohe Komplikationsraten bei bestimm-
ten Eingriffen belegen.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

auf die Länder einzuwirken,

1. damit diese eine gemeinsame Regelung treffen, mit der alle Ärztinnen und
Ärzte verpflichtet werden, in regelmäßigen Abständen nachzuweisen, dass
sie über eine Haftpflichtversicherung verfügen, die den gesamten Umfang
ihrer Tätigkeit umfasst und in ausreichendem Maße abdeckt. Verstöße gegen
diese Pflicht werden sanktioniert;

2. damit diese in ausreichendem Maße flächendeckend Spezialkammern für
Arzthaftungsrecht bei den Landgerichten einrichten und dafür Sorge tragen,
dass diese mit medizinisch und juristisch speziell qualifizierten Richtern be-
setzt sind.

Berlin, den 16. Oktober 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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