BT-Drucksache 17/10939

Ausbleibende Unterstützung für den Zug der Erinnerung durch die Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG

Vom 8. Oktober 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10939
17. Wahlperiode 08. 10. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Heidrun Dittrich, Dr. Lukrezia
Jochimsen, Sabine Leidig, Frank Tempel und der Fraktion DIE LINKE.

Ausbleibende Unterstützung für den Zug der Erinnerung durch die
Bundesregierung und die Deutsche Bahn AG

Das erinnerungspolitische Projekt „Zug der Erinnerung“ verfügt derzeit über
keine Planungssicherheit, weil es größte Schwierigkeiten hat, die von der Deut-
schen Bahn AG (DB AG) verlangten Entgelte für Trassen- und Stationsnutzung
zu bezahlen. Der „Zug der Erinnerung“ dient dem Gedenken an Menschen, die
von der Deutschen Reichsbahn auf Geheiß der Nazis deportiert worden waren.
Hatte die Reichsbahn schon für die Deportationen Geld kassiert, hält nun auch
die Deutsche Bahn AG bei der Erinnerung daran die Hand auf.

In Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. hatte die
Bundesregierung nicht erkennen lassen, dass sie bereit ist, in ihrer Rolle als
Vertreterin des Alleinaktionärs Bund der DB AG eine Änderung dieses Zustan-
des herbeizuführen (Bundestagsdrucksache 17/9331). Auch eine Änderung der
Gesetzeslage lehnt sie ab. Stattdessen führt sie aus, eine Spende an den Verein
sei „nach wie vor die beste Lösung“.

Jedoch weigert sich die DB AG bislang, dem „Zug der Erinnerung“ die abver-
langten Gebühren für das Gedenken an die NS-Opfer zurückzuspenden. Nach
Kenntnis der Fragesteller hält die DB AG an dieser Weigerung trotz mehrerer
Vermittlungsversuche jüdischer Organisationen und überlebender Reichsbahn-
Opfer fest. Nachdem diese Weigerung im Frühjahr 2012 Gegenstand von Me-
dienberichten wurde, kündigte ein Sprecher der DB AG an, der Konzern werde
„künftig alle Einnahmen, die ihm durch den Zug entstehen, der Stiftung Erinne-
rung, Verantwortung, Zukunft (EVZ) spenden“ (DER TAGESSPIEGEL, 27. April
2012). Die DB AG gebe außerdem zu, dass sie vom „Zug der Erinnerung“ seit
Sommer 2009 einen Betrag von mindestens 30 000 Euro eingezogen habe, der
noch nicht weitergespendet worden sei, dies solle aber nun geschehen.

Jedoch haben die Fragesteller von der Stiftung EVZ erfahren, dass dort weder
eine Spende eingetroffen ist noch habe die DB AG entsprechende Ankündigun-
gen gemacht hat. Die Repräsentanten des „Zuges der Erinnerung“ haben sich
bereits im Juni 2012 an die DB AG gewandt und um Einzelheiten der beabsich-
tigten Spendenregelungen gebeten, bis heute haben sie – wie gegenüber den

Fragestellern mitgeteilt – keine Antwort erhalten.

Doch selbst wenn nach Kenntnis der Fragesteller die DB AG ihre Ankündigun-
gen umsetzen würde, wäre eine Rückzahlung der dem „Zug der Erinnerung“
abverlangten Gelder nicht sichergestellt. Denn die Stiftung EVZ ist schon aus
finanzrechtlichen Gründen nicht in der Lage, als bloße Durchlauforganisation
für Spenden zu dienen und diese umstandslos von der DB AG an den „Zug der
Erinnerung“ weiterzureichen. Vor diesem Hintergrund muss der Eindruck ent-

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stehen, dass die DB AG ihre angebliche Rückzahlungsbereitschaft weder um-
setzt noch eine Zuwendung an den „Zug der Erinnerung“ wirklich beabsichtigt,
womöglich nicht einmal eine Zuwendung an die EVZ. Kritiker interpretieren
das Verhalten der DB AG vielmehr als Affront gegen den „Zug der Erinne-
rung“ und dessen Engagement zum Gedenken an die Massendeportationen der
Reichsbahn.

Im Übrigen weisen die Fragesteller die Behauptung der Bundesregierung (Ant-
wort zu Frage 4 auf Bundestagsdrucksache 17/9331), es sei „davon auszuge-
hen, dass alle mit Hilfe der Reichsbahn Deportierten Entschädigungsleistungen
nach den genannten Gesetzen erhalten haben“, zurück. Ein sehr großer Anteil
der Deportierten wurde nicht entschädigt, sondern ermordet. Die Mitwirkung
der DB AG an diesen Verbrechen darf aus Sicht der Fragesteller nicht kleinge-
schrieben werden.

Auch von den Überlebenden der Massendeportationen mit der Reichsbahn hat
nur ein kleiner Personenkreis Entschädigungsleistungen erhalten, da die mil-
lionenfache Beihilfe der Reichsbahn zu den Verschleppungsverbrechen in den
okkupierten Staaten („Umvolkung“ in Polen, Ukraine usw.) niemals entschädigt
worden ist.

Zweifelhaft ist zudem die Behauptung der Bundesregierung, nicht dem Verein
„Zug der Erinnerung“, sondern nur von diesem beauftragten Eisenbahnver-
kehrsunternehmen seien Trassen- und Anlagenentgelte sowie Stationsgebühren
in Rechnung gestellt worden. Den Fragestellern liegen Kopien von Rechnun-
gen vor, die von der DB AG ausdrücklich an den „Zug der Erinnerung“ gerich-
tet wurden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hat die DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung ihre öffentlichen
Ankündigungen, die vom „Zug der Erinnerung“ erhaltenen Gebühren an die
EVZ weiter zu spenden, nicht umgesetzt?

2. Warum hat die DB AG nach Kenntnis der Bundesregierung ihre öffentlichen
Ankündigungen, 30 000 Euro an den „Zug der Erinnerung“ zu spenden,
nicht umgesetzt?

3. Inwiefern hat sich in dieser Angelegenheit die Bundesregierung an die
DB AG gewandt und diese aufgefordert, die Gebühren zu spenden, und wie
hat die DB AG darauf reagiert?

4. Ist der Bundesregierung selbst und nach ihrer Kenntnis auch der DB AG be-
wusst, dass die EVZ aus rechtlichen Gründen nicht einfach Spenden der DB
AG an den „Zug der Erinnerung“ durchreichen kann, und wenn ja, aus wel-
chen Gründen erweckt die DB AG in ihren öffentlichen Äußerungen den
Eindruck, eine Spende an die EVZ sei gleichbedeutend mit der Rückerstat-
tung der dem „Zug der Erinnerung“ abverlangten Gebühren für das Geden-
ken an die NS-Deportierten?

5. Welche Position nimmt die Bundesregierung zu dieser Problematik ein, wel-
che Lösungsvorschläge hat sie hierzu entwickelt, und inwiefern sind diese
gegenüber der DB AG, der EVZ und dem „Zug der Erinnerung“ bereits
kommuniziert?

6. Inwiefern macht die Bundesregierung als Vertreterin des Alleinaktionärs
Bund ihren Einfluss geltend, Gebühren vom „Zug der Erinnerung“ an diesen
zurückzuspenden, und welche Schritte hat sie hierzu seit Fertigstellung ihrer
Antwort auf Bundestagsdrucksache 17/9331 konkret unternommen?

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7. Hält die Bundesregierung auch bereits eine Mitteilung, ob ihre Vertreter im
Aufsichtsrat die Problematik ansprechen und Anträge stellen, auf Gebühren
für den „Zug der Erinnerung“ zu verzichten oder diese in geeigneter Weise
zurückzuspenden, für einen Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht,
und wenn ja, warum?

Gilt dies auch für die Frage, ob die Bundesregierung ihre Vertreter im Auf-
sichtsrat anweist, diese Thematik anzusprechen, und wenn nein, hat die
Bundesregierung entsprechende Aufforderungen an ihre Vertreter erlassen?

8. Inwiefern ist die Bundesregierung selbst bereit, jene Gebühren, die die DB
AG nicht selbst an den „Zug der Erinnerung“ spendet, zu übernehmen und
zurückzuzahlen?

9. Inwieweit ist es nach Auffassung der Bundesregierung zutreffend, dass der
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in Absprache mit
dem Eisenbahn-Bundesamt sowie in Absprache mit der Regulierungsbe-
hörde des Bundes auch ohne gesetzliche Neuregelung befugt und imstande
ist, eine Ausnahmeregelung zur Befreiung von Trassen- sowie Stationsge-
bühren im Einzelfall zu erteilen?

10. Hat die Bundesregierung diesen oder einen anderen (ggf. welchen?) Lö-
sungsweg, der es ermöglichen würde, Initiativen wie den „Zug der Erinne-
rung“ von der Gebührenerhebung auszunehmen, in den vergangenen Jah-
ren geprüft, und wenn ja, mit welchem Ergebnis, wenn nein, warum nicht?

11. Ist das Verhalten der DB AG in Fragen des Gedenkens an die Reichsbahn-
Opfer nach Einschätzung der Bundesregierung geeignet, Verlauf und Aus-
gang der angekündigten internationalen Klagebegehren (Jüdische Allge-
meine, 5. April 2012), deren Gegenstand Milliardenforderungen wegen der
Reichsbahn-Beihilfe zum NS-Massenmord sind, zu beeinflussen, und wenn
ja, inwiefern hat sie darüber mit den Verantwortlichen der DB AG kommu-
niziert?

12. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um den angekün-
digten internationalen Klagebegehren durch eine umfangreiche, internatio-
nal wahrnehmbare Förderung des Gedenkens an die Deportationsopfer, in
Sonderheit durch umfangreiche finanzielle Förderung des „Zuges der Erin-
nerung“ zu entsprechen und so den Opfern entgegenzukommen?

Berlin, den 8. Oktober 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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