BT-Drucksache 17/109

Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt durchsetzen

Vom 1. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/109
17. Wahlperiode 01. 12. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus
Barthel, Willi Brase, Ulla Burchardt, Michael Gerdes, Klaus Hagemann, Christel
Humme, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf, Thomas
Oppermann, Florian Pronold, René Röspel, Marianne Schieder (Schwandorf),
Swen Schulz (Spandau), Andrea Wicklein, Dagmar Ziegler, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die anhaltenden Proteste der Schülerinnen und Schüler und Studierenden müs-
sen als Zeichen für den bestehenden Reformbedarf im deutschen Bildungssys-
tem ernst genommen werden. Die jungen Menschen demonstrieren und protes-
tieren für bessere Lehr- und Lernbedingungen und für mehr Chancengleichheit
in der Bildung – und damit für die Stärkung ihres Menschenrechts auf Bildung.
Das verdient Anerkennung, Respekt und die Unterstützung des Deutschen Bun-
destages.

Der akademische Bildungsbereich bildet gegenwärtig den Schwerpunkt der
Protestaktionen. Die jungen Menschen kritisieren insbesondere die Umsetzung
der großen Studienreform im Zuge des Bologna-Prozesses sowie die in einigen
unionsgeführten Ländern erhobenen Studiengebühren. Sie fordern bessere Stu-
dienbedingungen und eine verbesserte Studienfinanzierung sowie die Erhö-
hung der Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).
Die jungen Menschen fordern damit nur das ein, was ihnen auch zusteht: eine
qualitativ gute und ihren Fähigkeiten und Talenten entsprechende Ausbildung
und Lehre. Es bleibt Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, die Bedin-
gungen dafür zu schaffen, dass die jungen Menschen ihr Recht auf Bildung
wahrnehmen können.

Wie kaum ein zweiter Bereich ist die Hochschul- und Wissenschaftspolitik seit
nunmehr elf Jahren Gegenstand umfangreicher Reformanstrengungen und För-
derinitiativen von Bund und Ländern. Insbesondere die rot-grüne Koalition von
1998 bis 2005 hat die Stagnation der vorherigen schwarz-gelben Regierung be-
endet und mit der großen Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes
sowie den Hochschulreformen, der Einführung der Juniorprofessur und der Ex-

zellenzinitiative für die universitäre Spitzenforschung einen neuen Aufbruch an
den deutschen Hochschulen ausgelöst. Das richtige Ziel war und ist es, mehr
junge Menschen zu einer akademischen Ausbildung zu motivieren, die Stu-
dienanfängerquote Schritt für Schritt zu steigern und dem wissenschaftlichen
Nachwuchs bessere Berufs- und Karriereperspektiven zu eröffnen. In der gro-
ßen Koalition der CDU/CSU und SPD konnte neben einer weiteren deutlichen
BAföG-Erhöhung auch mit den Ländern der Hochschulpakt 2020 auf Grund-

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lage des von der SPD erstrittenen neuen Artikels 91b des Grundgesetzes (GG)
vereinbart werden. Dieser sieht vor, bis 2010 zunächst 90 000 und dann bis
2015 weitere 275 000 zusätzliche Studienanfänger an den deutschen Hochschu-
len zu ermöglichen. Damit sollten die Hochschulen angesichts der erfreulicher-
weise steigenden Studierendenzahlen sowie der beginnenden Doppelabiturjahr-
gänge aus der Schulzeitverkürzung auf G8 weiter für alle offengehalten
werden, die ein Studium aufnehmen wollen und können. Schließlich hat der
Bund erfolgreich darauf hingewirkt, dass die Länder einen bundesweit einheit-
lichen und breiteren Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte vereinbart ha-
ben und so die Durchlässigkeit der Hochschulen für ein Studium ohne Abitur
künftig steigern werden. Die vor wenigen Tagen veröffentlichten Rekordzahlen
sowohl zu Studienanfängern wie auch zur Studienanfängerquote bestätigen
diese Politik für offene Hochschulen, wenn diese auch größtenteils auf die stei-
genden Abiturientenabschlusszahlen und Doppelabiturjahrgänge zurückgehen.

Nicht zuletzt die anhaltenden Studierendenproteste zeigen, dass die Herausfor-
derungen für eine zukunftsoffene Hochschulpolitik nicht geringer geworden
sind. Bund und Länder tragen gemeinsam weiter Verantwortung für die deut-
sche Hochschullandschaft. Der Bund trägt dabei Verantwortung, nicht zuletzt
mit seiner Steuerpolitik die Länder und Kommunen in die Lage zu versetzen,
dass diese ihre Aufgaben in Bildung und Forschung angemessen erfüllen und
finanzieren können. Breite Steuersenkungen, wie sie von der Bundesregierung
geplant werden, gefährden diese Handlungsfähigkeit und drohen die Spiel-
räume für Mittelsteigerungen für Bildung und Forschung zu zerstören. Für eine
kontinuierliche und verlässliche Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist es
unverzichtbar, dass Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104b GG für den ge-
samten Bildungsbereich wieder ohne Einschränkungen möglich sind. Daher ist
das dort enthaltene Kooperationsverbot etwa für den Schulbereich zu streichen.

Zur erfolgreichen Sicherung der Leistungsfähigkeit und Offenheit der deut-
schen Hochschulen, der Qualität von Lehre und Forschung und der Chancen-
gleichheit in der Bildung ist es unverzichtbar, dass Bund und Länder konstruk-
tiv und kontinuierlich zusammenarbeiten. Weder der Bund, der mit seinen
Rahmenrechtsnovellen Anfang dieses Jahrhunderts den Bologna-Prozess erst
möglich gemacht hat, noch die Länder und Hochschulen, die den Prozess seit-
dem maßgeblich gestalten, können und dürfen sich aus ihrer Verantwortung für
den Erfolg der Studienreformen stehlen. Mit der Angleichung der Studienstruk-
turen sollten die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen und die Mobilität
von Studierenden verbessert und damit die Berufsperspektiven junger Men-
schen erweitert werden. Dieses Ziel bleibt richtig und darf bei aller berechtigter
Umsetzungskritik nicht aus dem Blick geraten.

Zur Lösung dieser Herausforderungen müssen Bund und Länder den Weg einer
kooperativen Hochschulpolitik fortsetzen und mit einem „Pakt für Studienqua-
lität und gute Lehre“ eine gemeinsame Initiative jetzt durchsetzen. Nach dem
Ausbau der Studienplätze mit dem Hochschulpakt und der Stärkung der Hoch-
schulforschung mit der Exzellenzinitiative braucht Deutschland diesen „Stu-
dienpakt“ als dritten gemeinsamen Schritt von Bund und Ländern. Das für eine
spürbare Verbesserung der Studienbedingungen notwendige Volumen ist so-
wohl von der Hochschulrektorenkonferenz wie auch vom Wissenschaftsrat mit
jährlich rund 1,1 Mrd. Euro beziffert worden. Die notwendigen Mittel sind über
die Umsetzung der Bund-Länder-Vereinbarung von Dresden bereitzustellen,
derzufolge bis 2015 die Aufwendungen in Deutschland für Bildung und For-
schung auf 10 Prozent des BIP gesteigert werden sollen. Der Bund hat dabei
dafür Sorge zu tragen, dass insgesamt 10 Mrd. Euro pro Jahr zusätzlich in
Bildung und Forschung investiert werden. Aus diesen Mehrmitteln sind
mindestens 3 Mrd. Euro für drei Jahre für die Finanzierung des hier vorgeschla-

genen Studienpaktes vorzusehen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/109

Ein Studienpakt muss sowohl direkt die Studienbedingungen und die Betreu-
ung der Studierenden und Studiengänge verbessern helfen wie auch einen Bei-
trag zur Senkung der Zugangshürden zu einer akademischen Ausbildung
leisten. Der Pakt muss eine bundesweit einheitliche Überarbeitung der
überfrachteten Bachelor-/Masterstudiengänge (BA/MA) sowie mehr Mobilität
sicherstellen, eine Personaloffensive für die Hochschulen initiieren sowie die
Bedeutung und Förderung für eine gute Lehre stärken. Nur bessere Studien-
bedingungen und gute studienbegleitende Betreuung und Beratung können
einen Beitrag zur Senkung der weiterhin hohen Studienabbrecherzahlen leisten.
Bei diesen Maßnahmen ist darauf zu achten, dass analog zu steigenden Studie-
rendenzahlen auch die sozialen Hochschulinfrastrukturen wie u. a. studen-
tischer Wohnraum, Mensen oder Betreuungseinrichtungen ausgebaut werden
können. Der steigende Refinanzierungsdruck auf die Studierendenwerke führt
direkt zu Leistungskürzungen oder indirekt zur Mehrbelastungen für die Stu-
dierenden. Im Rahmen des Studienpaktes muss auch ein belastbarer Weg aus
diesem Dilemma gefunden werden. Daneben ist die Durchlässigkeit für ein
Studium ohne Abitur weiter zu öffnen. Zumindest versuchsweise sollte eine
„Fernhochschule für Jedermann“ vereinbart werden, die nach dem Vorbild der
„open university“ in Großbritannien formale Zugangsvoraussetzungen absenkt
und auf die Bewährung im Studienverlauf setzt. Der Studienpakt sollte schließ-
lich die Zulassungsreform und die Einführung eines neuen, bundeseinheitlichen
und dialogorientierten Onlineverfahrens absichern und mit Nachdruck voran-
treiben. Dabei müssen die Länder darauf hinwirken, dass sich alle Hochschulen
mit allen Studiengängen an dem Bewerbungsmanagement beteiligen und die
Studierenden von Bürokratie und Kosten tatsächlich entlastet werden.

Im Rahmen der Bund-Länder-Vereinbarungen zum Studienpakt ist auch die
Stärkung der Chancengleichheit zu vereinbaren. Dazu gehört, dass die Länder
mit Studiengebühren diese abschaffen und das von Bundesministerin
Dr. Annette Schavan angekündigte Stipendiensystem in der vorgeschlagenen
Form nicht realisiert wird. Denn in der vorgeschlagenen Form gefährdet es die
Chancengleichheit zusätzlich und entscheiden am Ende private Geldgeber, wer
an welchem Studienort in welchem Fach überhaupt eine Chance auf ein Stipen-
dium erhält. Ein sozial gerechtes Stipendienprogramm sollte aber jeder und je-
dem Studierenden unabhängig von Studienort oder Studienfach die gleiche
Chance auf ein entsprechendes Stipendium gewährleisten und auch einen we-
sentlichen Beitrag zur Senkung der Zugangshürden zu einem Studium leisten.
Stattdessen sollte verbindlich vereinbart werden, dass die Förderung nach dem
BAföG nicht nur erhöht, sondern vor allem auf zusätzliche Einkommens- und
Fördergruppen erweitert wird, hierunter u. a. auch auf die Förderung von Ober-
stufenschülerinnen und -schülern aus einkommensschwachen Familien, die zu-
hause wohnen (Schüler-BAföG). Die Mittel für diese BAföG-Novelle müssen
außerhalb des Studienpaktes zusätzlich bereitgestellt werden.

Nur wenn die Maßnahmen des Studienpaktes ausgewogen beide Ziele in den
Blick nehmen, kann der Pakt eine vergleichbare positive Wirkung für die Hoch-
schulen und Studierenden in Deutschland erzeugen, wie das leistungsfähige
BAföG und der Hochschulpakt für Studienplätze bereits haben. Der Bildungs-
aufbruch im Hochschulbereich muss weitergehen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,

1. die Vereinbarung von Bund und Ländern vom 22. Oktober 2008, bis 2015
mindestens 10 Prozent des Bruttoinlandprodukts für Bildung und Forschung
aufzuwenden, wobei 7 Prozent auf Bildung und 3 Prozent auf Forschung
entfallen sollen;
2. die von Bund und Ländern vereinbarte Verlängerung sowohl der Exzellenz-
initiative für Spitzenforschung an den Hochschulen sowie des Hochschul-

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paktes 2020 für zusätzliche 275 000 Studienanfänger bis 2015 vom Juni
dieses Jahres.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. mit den Ländern in Verhandlungen zu einem „Pakt für Studienqualität und
gute Lehre“ einzutreten und darauf hinzuwirken, dass

– die Überarbeitung der BA-/MA-Studienreform länderübergreifend ver-
gleichbar und mit dem Ziel erfolgt, die Studierbarkeit zu verbessern, die
Mobilität zu sichern und Berufsfähigkeit zu stärken. Dabei muss sicher-
gestellt werden, dass jede und jeder mit einem Bachelorabschluss, die
oder der ein Masterstudium anstrebt, auch einen Studienplatz erhalten
kann;

– als Hauptmaßnahme eine gemeinsame Personaloffensive erfolgt, die zu-
sätzliches Lehrpersonal bei Professoren, Juniorprofessuren und vor allem
im Mittelbau ermöglicht;

– ein breit angelegter gemeinsamer Wettbewerb „Gute Lehre für alle“ ge-
startet wird, mit dem die vorbildhafte Verbindung von guten Ausbil-
dungs- und Wissensvermittlungsleistungen mit dem gesellschaftlichen
Bildungsauftrag an Hochschulen prämiert wird;

– die Studienberatung und -betreuung deutlich ausgebaut und studienbe-
gleitend auf die Bedürfnisse der Studierenden ausgerichtet ist;

– die Durchlässigkeit zu einem Studium ohne Abitur weiter erhöht wird
und z. B. erfolgreiche Absolventen von Maßnahmen der beruflichen Auf-
stiegsfortbildung einen fachgebundenen Zugang zu im Bedarfsfall auch
berufsbegleitenden Masterstudienangeboten erhalten können. Für die
Entwicklung entsprechender zielgruppengerechter Studienangebote sol-
len die Hochschulen gefördert werden;

– Bund und Länder die gemeinsame Erprobung einer Fernhochschule für
Jedermann vereinbaren, die im Sinne des netz- und präsenzbasierten
„blendend learning“ qualitative Studienangebote macht;

– das verabredete dialogorientierte Zulassungsverfahren zügig umgesetzt
und anbei die Teilnahme aller Hochschulen mit allen Studiengängen so-
wie die Entlastung der Studierenden gesichert werden. Sollte die geplante
Einführung zum Wintersemester 2011/2012 allerdings erneut scheitern,
ist ein verlässliches, bundesweit einheitliches Zulassungsverfahren zur
Sicherung bundesweit vergleichbarer Lebensverhältnisse in bundes-
gesetzliche Regelungen zusammenzuführen;

– die Interessenvertretung der Studierenden in den Hochschulgremien
überprüft und – wo nötig – verbessert wird;

– die Zuschusskürzungen für die Studentenwerke gestoppt, kompensiert
und eine verlässliche Aufwuchsperspektive zur Sicherung ihrer Leis-
tungsfähigkeit geschaffen werden;

– Bund und Länder für diesen Studienpakt in einem ersten Schritt mindes-
tens 3 Mrd. Euro zusätzlich für drei Jahre zur Verfügung stellen;

2. zügig einen Gesetzentwurf für eine BAföG-Novelle vorzulegen, der neben
einer Erhöhung insbesondere auch die Erweiterung der Förderung enthält.
Dabei sind folgende Anforderungen zu berücksichtigen:

– Erhöhung der Altersgrenzen und der Einkommensfreibeträge,

– Einbeziehung berufsbegleitender Studiengänge,
– Ausweitung der elternabhängigen Schülerförderung auf zu Hause woh-
nende Oberstufenschülerinnen und -schüler;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/109

3. das von Bundesministerin Dr. Annette Schavan angekündigte „nationale
Stipendiensystem“ nicht umzusetzen, um die soziale Selektivität des
Bildungssystems nicht weiter zu verfestigen. Eine Verknüpfung des Stipen-
dienprogramms mit der BAföG-Novelle wird abgelehnt;

4. einen Gesetzentwurf zur Aufhebung des Kooperationsverbotes im Grund-
gesetz vorzulegen;

5. die von ihr geplanten Steuersenkungsvorhaben nicht umzusetzen, um die
Länder und Kommunen bildungs- und forschungspolitisch weiter hand-
lungsfähig zu halten.

Berlin, den 1. Dezember 2009

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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