BT-Drucksache 17/10782

Berufsqualifikation - Mobilität erleichtern, Qualität sichern

Vom 25. September 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10782
17. Wahlperiode 25. 09. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Nadine Schön (St. Wendel), Thomas
Bareiß, Veronika Bellmann, Erich G. Fritz, Dr. Michael Fuchs, Michael
Grosse-Brömer, Dr. Matthias Heider, Rudolf Henke, Ernst Hinsken, Robert
Hochbaum, Dieter Jasper, Andreas Jung (Konstanz), Dr. Stefan Kaufmann,
Dr. Rolf Koschorrek, Andreas G. Lämmel, Ulrich Lange, Stephan Mayer (Altötting),
Dr. h. c. Hans Michelbach, Dr. Mathias Middelberg, Stefan Müller (Erlangen),
Dr. Philipp Murmann, Dr. Georg Nüßlein, Franz Obermeier, Rita Pawelski, Ulrich
Petzold, Eckhardt Rehberg, Dr. Heinz Riesenhuber, Albert Rupprecht (Weiden),
Anita Schäfer (Saalstadt), Tankred Schipanski, Uwe Schummer, Jens Spahn,
Christian Freiherr von Stetten, Stephan Stracke, Lena Strothmann, Antje Tillmann,
Andrea Astrid Voßhoff, Kai Wegner, Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin),
Heinz Lanfermann, Claudia Bögel, Christine Aschenberg-Dugnus, Klaus Breil,
Birgit Homburger, Manfred Todtenhausen, Rainer Brüderle und der Fraktion
der FDP

Berufsqualifikation – Mobilität erleichtern, Qualität sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt die Überarbeitung der Richtlinie 2005/36/EG
über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verordnung über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarktinformationssystems.
Sie ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das europäische Fachkräfte-
potential optimal genutzt und die Freizügigkeit in Europa verbessert werden
kann.

Unverzichtbares Element des europäischen Binnenmarktes ist die Möglichkeit
zum möglichst reibungslosen beruflichen Wechsel für alle Bürgerinnen und
Bürger bzw. zur Dienstleistungserbringung von einem europäischen Land in ein
anderes. Grundsätzlich begrüßt wird daher die Zielrichtung des Richtlinienvor-
schlags, durch transparente und effiziente Verfahren die Anerkennung von

Berufsqualifikationen und die berufliche Mobilität in Europa zu erhöhen. Eine
höhere Mobilität trägt zur Belebung des Dienstleistungsbinnenmarktes bei und
kann bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa helfen. Als Ele-
ment der aktuellen Wachstumsstrategie zur Flankierung der Maßnahmen aus
dem europäischen Fiskalpakt kommt letzterem eine besondere Bedeutung bei.
Deutsche Unternehmen wiederum profitieren von einfacheren Anerkennungs-

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verfahren bei der Anstellung von Fachkräften oder beim Export von Dienstleis-
tungen.

Zusätzliche Chancen auf berufliche Mobilität bzw. auf grenzüberschreitenden
Dienstleistungshandel dürfen allerdings nicht zu Lasten bestehender und be-
währter beruflicher Qualifikationsniveaus gehen. Vor diesem Hintergrund muss
sichergestellt sein, dass dem in Deutschland seit Jahrzehnten bewährten, qua-
litativ hochwertigen und hervorragend funktionierenden dualen Ausbildungs-
system ebenso wie dem in Deutschland bestehenden hohen Qualifikations-
niveau bei der Überarbeitung angemessen Rechnung getragen werden. Das
duale Ausbildungssystem darf durch den Richtlinienvorschlag nicht gefährdet
werden.

Das duale Berufsbildungssystem gewährleistet einen im internationalen Ver-
gleich sehr hohen Bildungsstand der Gesamtbevölkerung. 84 Prozent der Er-
wachsenen in Deutschland besitzen mindestens einen Abschluss der Sekundar-
stufe II (Bezugsjahr 2009, OECD-Durchschnitt: 82 Prozent). Leider steht bei
internationalen Vergleichsstudien allzu oft nur die Akademiker-Quote im Blick-
punkt. Regelmäßig wird kritisiert, dass die deutsche Abschlussquote von
29 Prozent (2009) deutlich unter dem Schnitt der Organisation für wirtschaft-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 39 Prozent liege.

Mit dem dualen System verfügen Deutschland und andere Länder neben dem
Hochschulsystem über ein hervorragendes Berufsausbildungssystem, das nicht
zuletzt auch eine hochwertige Ausbildung in den Gesundheits- und Erzieherbe-
rufen sowie im Handwerk sicherstellt. Insbesondere wegen der durch die Praxis-
nähe gewonnenen Handlungskompetenz sind die Absolventen auf dem Arbeits-
markt begehrt. Nicht zuletzt wegen des sogenannten Klebeeffekts ist die Jugend-
arbeitslosigkeit deutlich geringer als im OECD- oder EU-Durchschnitt. Nach
der aktuellen EU-Statistik (Juni 2012) sind in Deutschland lediglich 7,9 Prozent
der jungen Leute arbeitslos. In Ländern mit weniger stark ausgeprägtem Berufs-
bildungssystem ist die Jugendarbeitslosigkeit hingegen viel höher: Spanien
51,5 Prozent, Frankreich 22 Prozent. Eine Ausbildung im dualen System ist für
viele Schulabgänger attraktiv. Neben den pädagogischen Vorteilen („Lernen im
Arbeitsprozess“) fällt aus volkswirtschaftlicher Sicht zudem ins Gewicht, dass
die Kosten der Ausbildung nicht vom Steuerzahler, sondern traditionell zu
einem Großteil von der Wirtschaft übernommen werden, die auf diese Weise
ihren Fachkräftebedarf sichert. Dabei gilt der Grundsatz: Kein Abschluss ohne
Anschluss. Mit einem Abschluss des Berufsbildungssystems stehen in der Regel
vielfältige Möglichkeiten der Weiterqualifizierung offen, entweder im Berufs-
bildungssystem (z. B. Meister, Techniker, Fachwirte) oder im Hochschulsystem
(Bachelor, Master, Promotion).

Viele der beruflichen Bildungsgänge sind akademischen Ausbildungen im In-
und Ausland gleichwertig. Dies wird jetzt auch durch die Zuordnung der
Abschlüsse zu den Niveaustufen des Deutschen bzw. des Europäischen Qua-
lifikationsrahmens auf der Grundlage von kompetenzbezogenen Deskriptoren
hinreichend dokumentiert.

Folgende Punkte des Richtlinienvorschlags sind im Zusammenhang mit der
Überarbeitung für den Deutschen Bundestag von besonderer Bedeutung:

a) Notare

Der Beruf des Notars sollte nicht in den Anwendungsbereich der Berufs-
qualifikationsrichtlinie aufgenommen werden, da die Zielsetzung der Richt-
linie mit den Grundprinzipien der vorsorgenden Rechtspflege, wie sie in der
Mehrzahl der Mitgliedstaaten verankert sind, schwer vereinbar ist und die
Kompetenz für die Errichtung und Ausgestaltung eines Systems der vorsor-

genden Rechtspflege bei den Mitgliedstaaten liegt.

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b) Krankenpflege- und Hebammenausbildung

Die Zugangsvoraussetzungen zur Krankenpflege- und Hebammenausbil-
dung müssen bei einer zehnjährigen allgemeinen Schulausbildung bleiben
und dürfen nicht auf eine zwölfjährige allgemeine Schulausbildung angeho-
ben werden. In Deutschland müssen auch zukünftig die – auf der Grundlage
des mittleren Bildungsabschlusses zugelassenen – dreijährig an den Pflege-
schulen ausgebildeten Pflegefachkräfte die stärkste Säule im Berufsfeld der
Pflege bilden. Diese Pflegefachkräfte müssen auch zukünftig in den Genuss
der automatischen Anerkennung ihres Berufsabschlusses innerhalb der Euro-
päischen Union kommen. Eine Anhebung der Zugangsvoraussetzungen
würde hingegen gravierende Auswirkungen auf den deutschen Arbeitsmarkt
haben. Rund 50 Prozent eines heutigen Ausbildungsjahrgangs in der Gesund-
heits- und Krankenpflege würden dann von der Ausbildung ausgeschlossen.
Die sehr hohe Fachkraftquote, die ein wesentliches Qualitätsmerkmal der
deutschen Gesundheitsversorgung ist, könnte dann nicht mehr aufrechterhal-
ten werden. Eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege und der
Geburtshilfe muss auch Schulabgängern mit einem mittleren Bildungs-
abschluss möglich bleiben, denn auch solche Berufsausbildungen sind für die
niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland verantwortlich. Diese Erwä-
gungen müssen bei der Ausgestaltung der Richtlinienmodernisierung Be-
rücksichtigung finden. Dabei muss der Fokus sowohl auf die Gewährleistung
von Mobilität im Binnenmarkt als auch auf die Qualitätssicherung gerichtet
werden. Maßgebend müssen auch in Zukunft die durch die Ausbildung er-
worbenen beruflichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Kompetenzen sein und
nicht in erster Linie die Anzahl der besuchten Schuljahre als Zulassungs-
voraussetzung zur Ausbildung.

c) Apotheker

Anders als in anderen Mitgliedstaaten besteht in Deutschland für Apotheker
Niederlassungsfreiheit. Deshalb ist eine Streichung der Regelung, die die Mit-
gliedstaaten nicht verpflichtet, Ausbildungsnachweise anderer EU-Staats-
angehöriger für die Errichtung von neuen (bis zu drei Jahre alten) öffent-
lichen Apotheken zuzulassen, nicht akzeptabel. Artikel 21 Absatz 4 der
Richtlinie ist weiterhin erforderlich, um Marktverzerrungen durch Aus-
weichbewegungen von Apothekern aus Mitgliedstaaten mit Beschränkung
der Niederlassungsfreiheit für Apotheker vorzubeugen.

d) Neue Kompetenzen für die Kommission bei Ausbildungsinhalten/delegierte
Rechtsakte

Die vorgeschlagene tiefergehende Kompetenzübertragung der Europäischen
Kommission etwa durch delegierte Rechtsakte ist zur Koordinierung der
Mindestanforderungen an die Ausbildungen nicht erforderlich und greift in
die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Bereich der beruflichen Bil-
dung ein. Diese Zuständigkeit der Mitgliedstaaten muss gewahrt werden. Es
dürfen keine tiefergehenden Kompetenzen an die Europäische Kommission
übertragen werden.

e) Sprachkenntnisse

Die Sprachkompetenz ist für die Integration einer Fachkraft im Aufnahme-
land in vielen Fällen von entscheidender Bedeutung. Sie ist Grundvorausset-
zung u. a. für die Qualität der erbrachten Dienstleistungen, für den Schutz der
Verbraucher und für die Sicherheit von Patienten. Die Bestimmungen über
die sprachlichen Anforderungen für Berufe, insbesondere im Gesundheits-

bereich müssen daher für ausgewählte Berufe Sprachkenntnisprüfungen

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durch das Aufnahmeland erlauben und deren Ausgestaltung auch diesem
überlassen.

Die Regelung zur Feststellung der Sprachkenntnisse in Artikel 53 Absatz 2
ist in diesem Zusammenhang problematisch. Insbesondere stellt sie einseitig
auf die Sprachprüfung durch eine Behörde ab und bietet zu wenig Flexibilität
bei Nachprüfungen. Hier sollte nachgebessert werden.

f) Europäischer Berufsausweis

Die Einführung eines Europäischen Berufsausweises, mit dessen Hilfe die
Mobilität in der EU erleichtert werden soll, ist grundsätzlich positiv zu be-
werten. Die abschließende Entscheidung über die Anerkennung der Qua-
lifikation muss jedoch letztendlich dem Aufnahmeland vorbehalten bleiben.
Hinsichtlich der Auswahl der Berufe, für die der Berufsausweis ausgewählt
werden soll, muss eine hinreichende Beteiligung der Mitgliedstaaten vorge-
sehen werden.

g) Vorwarnmechanismus

Bei Berufen, die die Patientensicherheit berühren, ist eine schnelle Informa-
tion der zuständigen Stellen über ein gegenüber einem Angehörigen eines
Gesundheitsberufs verhängtes Berufsausübungsverbot zum Schutz von Pa-
tienten unerlässlich.

Daher ist ein Vorwarnmechanismus, wie er für die der automatischen Aner-
kennung unterliegenden Gesundheitsberufe im Richtlinienentwurf vorge-
schlagen wird, wichtig, bei dem alle Mitgliedstaaten und die Kommission
über die Untersagung der Ausübung der entsprechenden beruflichen Tätig-
keit unterrichtet werden. Der Mechanismus muss allerdings praktikabel sein.
Die vorgesehene Dreitagesfrist ist zwar sachlich gerechtfertigt, erscheint je-
doch kaum umsetzbar.

h) Gemeinsame Ausbildungsrahmen und -prüfungen

Eine Stärkung der automatischen Anerkennung durch gemeinsame Ausbil-
dungsgrundsätze ist wichtig. Dadurch können weitere, dafür geeignete Be-
rufe in die automatische Anerkennung überführt werden. Grundsätzlich kom-
men dafür auch weitere Gesundheitsberufe in Betracht. Wenn sich nicht alle
Mitgliedstaaten auf gemeinsame Ausbildungsrahmen einigen können, muss
es als Ultima Ratio möglich sein, dass eine große Gruppe von Mitgliedstaaten
voranschreitet. Allerdings muss es den Mitgliedstaaten freistehen, nicht an
den gemeinsamen Ausbildungsrahmen oder Qualifikationsprüfungen teil-
zunehmen. Eine Entscheidungskompetenz der Europäischen Kommission
über ein Opt-out ist hiermit nicht vereinbar.

i) Partieller Zugang

Das Prinzip des partiellen Berufszugangs ist problematisch, selbst bei einer
Verweigerungsmöglichkeit aufgrund eines zwingenden Grundes des Allge-
meininteresses wie die öffentliche Gesundheit. Ein partieller Zugang muss
zum Schutz von Verbrauchern und Patienten auf Einzelfälle beschränkt blei-
ben. Andernfalls droht eine Zersplitterung gewachsener Berufsbilder und er-
hebliche Rechtsunsicherheit. Das von der Kommission vorgeschlagene Her-
kunftslandprinzip hinsichtlich der Abtrennbarkeit eines Tätigkeitsfeldes als
eigenen Beruf würde zu einer Zersplitterungsspirale führen. Die Abtrennbar-
keit muss in jedem Fall objektiv bestimmt werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10782

j) Binnenmarkt-Informationssystem (IMI)

Eine Richtlinie, die den Mitgliedstaaten detailliert vorschreibt, wie IMI orga-
nisatorisch auszugestalten ist, geht über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
hinaus. Es muss genügen, die Kommunikationsform (Nutzung der Plattform
IMI) und das Zeitfenster für die Bearbeitung der Anfragen zu definieren.
Hierüber hinausgehende Anforderungen sind nicht erforderlich, um die Ziele
des Artikels 26 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) im Rahmen von IMI umzusetzen.

k) Elektronische Verfahren

Die Einführung von optionalen elektronischen Verfahren wie nach der
Dienstleistungsrichtlinie wird begrüßt. Solche Verfahren erleichtern grenz-
überschreitende Anträge und tragen der weit verbreiteten Verwendung digi-
taler Kommunikationsmittel Rechnung. Allerdings müssen erforderliche
Nachweise bei Zweifeln an ihrer Echtheit in Papierform vorgelegt werden
können, falls eine Nachprüfung über das Binnenmarkt-Informationssystem
IMI nicht möglich ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

diese Punkte in den laufenden Verhandlungen über den Vorschlag für eine Richt-
linie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie
2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen und der Verord-
nung über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinforma-
tionssystems zu berücksichtigen und sich für eine weitgehende Umsetzung die-
ser Punkte einzusetzen.

Berlin, den 25. September 2012

Volker Kauder, Gerda Hasselfeldt und Fraktion
Rainer Brüderle und Fraktion

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