BT-Drucksache 17/10533

Unterstützung der Bundesregierung für gewaltfreie und gewaltbereite syrische Oppositionsgruppen

Vom 22. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10533
17. Wahlperiode 22. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Annette Groth,
Harald Koch, Niema Movassat und der Fraktion DIE LINKE.

Unterstützung der Bundesregierung für gewaltfreie und gewaltbereite syrische
Oppositionsgruppen

Seit Ende Juli 2012 finden in den syrischen Metropolen Damaskus und Aleppo
heftige Kämpfe zwischen der Syrischen Armee und Oppositionsgruppen statt,
die im Verlauf des Konflikts eine immer bessere Bewaffnung und Koordination
aufweisen. Die Gefechte im Wirtschaftszentrum Aleppo, das lange von Ausein-
andersetzungen verschont geblieben war, sollen nach Einschätzung der UNO
innerhalb von 48 Stunden 200 000 Menschen in die Flucht getrieben haben.
Am 18. Juli 2012 wurden bei einem Anschlag auf den Nationalen Sicherheitsrat
u. a. der syrische Verteidigungsminister, Assef Schaukat, ein Schwager des Prä-
sidenten, Hassan Turkmani, der Krisenkoordinator der syrischen Regierung
und der syrische Geheimdienstchef getötet. Einen Höhepunkt hatten die Aus-
einandersetzungen davor u. a. am 13. Juli 2012 in Tremseh gefunden, wo Me-
dien von bis zu 250 Toten nach Gefechten zwischen der Syrischen Armee und
der Freien Syrischen Armee berichteten. Kurz darauf bewertete das Internatio-
nale Rote Kreuz die Situation in Syrien als nichtinternationalen bewaffneten
Konflikt.

Es ist davon auszugehen, dass die Unterstützung der NATO für den Nationalen
Übergangsrat in Libyen die Hoffnungen auch in Syrien und unter syrischen
Exilanten verstärkt hat, durch eine militärische Eskalation des Konflikts und
militärische Unterstützung durch das Ausland einen schnellen Sieg über die un-
geliebte Regierung unter Baschar al-Assad erringen und die neue Regierung
Syriens stellen zu können. Der Syrische Nationalrat etwa erhob früh die Forde-
rung nach einer internationalen Intervention und seiner Anerkennung als legiti-
mer Vertreter des syrischen Volkes.

Die Freie Syrische Armee war zwar zunächst vor allem mit dem Versprechen
angetreten, die Zivilbevölkerung vor Übergriffen der Armee und staatlicher
Sicherheitskräfte zu schützen, hat jedoch zunehmend zur Eskalation und
Militarisierung des Konflikts beigetragen und spätestens mit ihrem Bekenntnis
zum Attentat auf den syrischen Sicherheitsrat und ihren Offensiven in Damas-
kus und Aleppo eine militante Strategie angenommen, die Gefechte weiter in
die Städte trug und somit auch ihrerseits die Gefahr ziviler Opfer erhöhte. Ne-

ben der Freien Syrischen Armee gibt es mittlerweile Dutzende weitere bewaff-
nete Gruppen, die das Ziel verfolgen, die Regierung unter Baschar al-Assad zu
stürzen oder Syrien zu destabilisieren, darunter auch nach Angaben der Bun-
desregierung „al-Qaida nahe Organisationen oder jihadistischen Gruppierun-
gen“ (Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion
DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/10333).

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Daneben existieren zahlreiche weitere Strukturen und Gruppen, welche gewalt-
frei für Reformen bzw. gegen die syrische Regierung demonstriert haben und
teilweise bis heute protestieren. Auch von diesen lehnen viele, aber nicht alle,
Verhandlungen mit Baschar al-Assad, die meisten jedoch auch eine auslän-
dische Intervention, ab. Über die Unterstützung dieser Gruppen durch die Bun-
desregierung ist jedoch bislang nichts bekannt. Bekannt wurde jedoch mittler-
weile, dass die Bundesregierung sich die Forderung, Baschar al-Assad müsse
zurücktreten, zu eigen gemacht hat, in der Gruppe der „Freunde Syriens“ eng
mit Regierungen zusammenarbeitet, die den bewaffneten Widerstand in Syrien
unterstützen, und selbst mit dem Syrischen Nationalrat, der Freien Syrischen
Armee und den Vereinigten Arabischen Emiraten Pläne für Syrien nach einer
Machtübernahme durch den Syrischen Nationalrat erarbeitet hat („Bundes-
regierung erarbeitet Marshallplan für Syrien“, faz.net, 18. Juli 2012).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann und zu welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung die syrische
Regierung dazu aufgerufen, ihre Gewalt gegen die Opposition einzustellen
oder ihre Sicherheitskräfte aus bewohnten Gebieten zurückzuziehen?

2. Wann wurde der Bundesregierung erstmals bekannt, dass auch Anhänger der
Opposition sich bewaffnet haben bzw. bewaffnete Angriffe auf Institutionen
oder Anhänger der Regierung durchgeführt haben?

3. Wann und zu welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung die Opposi-
tion dazu aufgerufen, ihre Waffen niederzulegen, ihre bewaffneten Angriffe
einzustellen oder sich aus bewohnten Gebieten zurückzuziehen?

4. Wie positioniert sich die Bundesregierung zu der von manchen Regierungen
aufgebrachten Frage, ob die bewaffnete Opposition in Syrien finanziell und/
oder mit Waffen unterstützt werden sollte?

5. Wann und zu welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung die Nachbar-
staaten Syriens dazu aufgefordert, den Transfer von Waffen und Kämpfern
nach Syrien zu unterbinden?

6. Wie und in welcher Form hat die Bundesregierung sich öffentlich und nicht-
öffentlich gegenüber den Regierungen von Drittstaaten zu Überlegungen ge-
äußert, die Kräfte der syrischen Opposition zu bewaffnen bzw. Kämpfer der
bewaffneten Opposition zu finanzieren?

7. Wann und zu welchen Gelegenheiten hatten Vertreter der Bundesregierung
Kontakt zu welchen Vertretern der bewaffneten Opposition und des Syri-
schen Nationalrats, und wann hatten sie Kontakt mit Vertretern der syrischen
Opposition, die ein gewaltsames Vorgehen gegen die Assad-Regierung oder
eine ausländische Intervention explizit ablehnten?

8. Welche Formen der Kooperation sind aus diesen jeweiligen Kontakten her-
vorgegangen?

9. Welche Personen (sowohl aus Deutschland als auch aus Syrien und anderen
Ländern, bitte mit Angaben zu Funktion in bzw. Zugehörigkeit zu Regie-
rungsstellen, Nichtregierungsorganisationen, dem Syrischen Nationalrat
oder der Freien Syrischen Armee) haben nach Kenntnis der Bundesregie-
rung seit Januar 2012 an von der regierungsnahen und aus dem Bundeshaus-
halt mitfinanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) organisierten
Treffen u. a. im Gebäude der SWP teilgenommen, und in welcher Form
wurden diese Treffen „mit Geld, Visa und Logistik“ („Das neue Syrien
kommt aus Wilmersdorf“, www.zeit.de, 25. Juli 2012) durch die Bundes-
regierung oder mit ihrem Wissen durch von der Bundesregierung finanzierte

Organisationen unterstützt?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10533

10. Was ist der Bundesregierung über das angeblich geheime Projekt „Day
After“ der regierungsnahen und aus dem Bundeshaushalt mitfinanzierten
SWP und dem United States Institute of Peace (USIP) mit Unterstützung
des US State Departements (www.zeit.de, 25. Juli 2012) bekannt, und wel-
che Sicherheitsmaßnahmen wurden angesichts des Aufenthalts von Perso-
nen getroffen, die nach Angaben von „Zeit Online“ „aus dem islamisti-
schen Spektrum“ stammen und in die USA nicht hätten einreisen dürfen?

11. Was ist der Bundesregierung bekannt über Kontakte des in Berlin eingerich-
teten und „mit zunächst 1,2 Millionen Euro ausgestattete[n] Sekretariat[s]“
(www.faz.net/aktuell/politik/ausland/assad-vor-dem-fall-bundesregierung-
erarbeitet-marshallplan-fuer-syrien-11824133.html) der Arbeitsgruppe Wirt-
schaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung zu Personen, die

a) dem Syrischen Nationalrat,

b) der Freien Syrischen Armee,

c) anderen Gruppen der bewaffneten Opposition und

d) Gruppen, die ein bewaffnetes Vorgehen und eine ausländische Interven-
tion explizit ausschließen,

angehören?

12. Aus welchen Mitteln des Bundeshaushalts und weiteren Finanzquellen
wird nach Kenntnis der Bunderegierung dieses Sekretariat finanziert, in
welchen Räumlichkeiten ist es untergebracht, was sind dessen konkrete
Aufgaben und bisherige Ergebnisse, und wie gestaltet sich die Zusammen-
arbeit und Kontrolle dieses Sekretariats mit bzw. durch die Bundesregie-
rung?

13. Welche Gruppen und Organisationen sind der Bundesregierung bekannt,
die

a) dem Syrischen Nationalrat angehören,

b) der Freien Syrischen Armee angehören,

c) sonstigen bewaffneten Gruppen angehören,

d) der Opposition angehören, ein gewaltsames Vorgehen jedoch ablehnen,

e) zu Verhandlungen mit Baschar al-Assad bereit wären, und

f) welche dieser Gruppen wurden von der Bundesregierung diplomatisch,
finanziell, logistisch oder durch die Vergabe von Visa unterstützt?

14. Welche Maßnahmen der syrischen Regierung sind der Bundesregierung
bekannt, mit denen Forderungen der Demonstranten und der Opposition
teilweise umgesetzt wurden?

15. Wann und bei welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung die syrische
Regierung und die Opposition zum Dialog aufgefordert, und ab wann und
aus welchen Gründen hat sie einen solchen Dialog als aussichtslos einge-
schätzt?

16. Was ist der Bundesregierung bekannt über Verhandlungen zwischen Ange-
hörigen der syrischen Regierung und Mitgliedern der syrischen Opposi-
tion, und wie bewertet sie diese?

17. Wann hat die Bundesregierung den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad
erstmals zum Rücktritt aufgefordert, bzw. geäußert, dass ein Syrien unter
Baschar al-Assad keine Zukunft hätte?

18. Welche Maßnahmen der syrischen Regierung hätten nach Auffassung der
Bundesregierung zu einer Aufhebung der Sanktionen der EU gegen die sy-

rische Führung führen können?

Drucksache 17/10533 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

19. Welche Maßnahmen der syrischen Regierung hätten nach Auffassung der
Bundesregierung dazu führen können, dass die Bundesregierung anhal-
tende Kampfhandlungen der Freien Syrischen Armee verurteilt?

20. Wie bewertet die Bundesregierung die Einhaltung des 6-Punkte-Plans des
früheren UN-Sondervermittlers Kofi Annan durch die Freie Syrische Ar-
mee und andere bewaffnete Kräfte der bewaffneten Opposition sowie
durch die syrische Regierung, und wann und zu welchen Gelegenheiten hat
sie sich hierzu in welcher Form öffentlich geäußert?

21. Wie hat die Bundesregierung auf verschiedene Gewaltandrohungen der
Freien Syrischen Armee, etwa infolge des Massakers von El-Houley
(www.fr-online.de/aegypten-syrien-revolution/massaker-in-syrien-syrische-
rebellen-stellen-assad-ultimatum,7151782,16148014.html) oder im Vorfeld
der Angriffe auf Aleppo (www.adoptrevolution.org/damaskus-ticker), rea-
giert?

22. Wann und zu welchen Gelegenheiten hat die Bundesregierung ihre Kon-
takte zur Freien Syrischen Armee bzw. dem Syrischen Nationalrat, der sich
eng mit der Freien Syrischen Armee koordiniert und hierzu ein Verbin-
dungsbüro unterhält, genutzt, um diese aufzufordern, die Auseinanderset-
zungen mit den staatlichen Kräften nicht in (Groß-)Städte wie Damaskus
oder Aleppo zu tragen, um die Zivilbevölkerung zu schonen?

23. Welche Konsequenzen zog die Bundesregierung aus dem Bekenntnis der
Freien Syrischen Armee (www.zeit.de/politik/ausland/2012-07/syrien-
anschlag-gefechte-damaskus) zu dem Anschlag auf die Nationale Sicher-
heitsbehörde hinsichtlich ihrer Zusammenarbeit mit der Freien Syrischen
Armee?

24. Warum wurde dieser Anschlag von dem Bundesminister des Auswärtigen
Dr. Guido Westerwelle zunächst nicht wie etwa von der EU-Außenbeauf-
tragten Catherine Ashton („Statement by High Representative Catherine
Ashton on this morning’s bomb attack in Syria“, A 334/12) verurteilt, son-
dern hierzu lediglich festgestellt, dass „[d]ie Gewalt … nun dorthin zurück
[kehrt], wo sie ihren Ausgang genommen hat, nämlich ins Machtzentrum
des Assad-Regimes nach Damaskus“?

25. Welche Mittel haben die Bundesregierung und die Europäische Union bis-
lang (auch im Rahmen internationaler Programme) zur Unterstützung der
syrischen Opposition bereitgestellt, und welche Maßnahmen wurden dabei
im Einzelnen getroffen, um sicherzustellen, dass diese Mittel nur aus-
schließlich gewaltfreien Gruppen zugutekamen?

26. Welche Mittel haben die Bundesregierung und die Europäische Union bis-
lang (auch im Rahmen internationaler Programme) zur humanitären Hilfe
bereitgestellt, und welche Maßnahmen wurden dabei im Einzelnen getrof-
fen, um sicherzustellen, dass diese Mittel nur ausschließlich gewaltfreien
Gruppen zugutekamen?

27. Hat die Bundesregierung Hinweise auf eine Zusammenarbeit des türki-
schen Roten Halbmondes mit der Freien Syrischen Armee und anderen be-
waffneten Gruppen, und welche Konsequenzen hat die Bundesregierung
hieraus für ihre Zusammenarbeit mit dem türkischen Roten Halbmond ge-
zogen?

28. Welche Maßnahmen oder Stellungnahmen hat die Bundesregierung bislang
getroffen, die zur erhöhten Sichtbarkeit und Relevanz des gewaltfreien
bzw. unbewaffneten Widerstandes gegen die syrische Regierung hätten
beitragen können?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10533

29. Befürwortet die Bundesregierung nach einem möglichen Sturz oder Rücktritt
Baschar al-Assads eine womöglich zunächst nicht durch Wahlen legitimierte
Übergangsregierung, und welche Rolle sollten hierin nach Auffassung der
Bundesregierung welche Gruppen spielen, die sich gegen eine Bewaffnung
des Widerstands und eine internationale Intervention ausgesprochen haben?

30. Welche Vorkehrungen plant die oder hat die Bundesregierung getroffen,
damit (Bevölkerungs-)Gruppen, die sich nicht dem bewaffneten Wider-
stand oder dem Ruf nach einer internationalen Intervention angeschlossen
haben, bei der künftigen Machtteilung in Syrien nicht marginalisiert wer-
den?

31. Wie bewertet die Bundesregierung die von Gruppen der deutschen Frie-
densbewegung mitgetragene Initiative „Adopt a Revolution“ (www.adopt-
revolution.org), und in welcher Form wurden diese bzw. die von ihr unter-
stützten Lokalen Komitees bzw. die Studentenkomitees oder die Union
Freier Syrischer Studierender bislang von der Bundesregierung gefördert?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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