BT-Drucksache 17/1050

Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten - Schutz und Pflege des Ökosystems für heutige und künftige Generationen

Vom 16. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1050
17. Wahlperiode 16. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Petra Crone, Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, Iris
Gleicke, Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Ute Kumpf, Dr. Matthias Miersch,
Thomas Oppermann, Holger Ortel, Heinz Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Frank
Schwabe, Kerstin Tack, Ute Vogt, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD

Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Ökosystems
für heutige und künftige Generationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Etwa ein Drittel der Landesfläche Deutschlands ist mit Wald bedeckt. Mit einer
Waldfläche von 11,1 Mio. Hektar und einem Holzvorrat von 3,4 Mrd. Kubik-
metern besitzt Deutschland die vorratsreichsten Wälder Europas. In der Forst-
und Holzwirtschaft arbeiten deutschlandweit rund 570 000 Menschen. Die
sozioökonomische Bedeutung des Forst-Holz-Sektors ist in einigen struktur-
schwachen ländlichen Räumen, wie z. B. dem Hochschwarzwald oder dem
Hochsauerland, besonders wichtig.

Die Bedeutung der Wälder für unsere Gesellschaft geht weit über das Wirt-
schaftliche hinaus. Die Begriffe der Nachhaltigkeit und Multifunktionalität wur-
den nicht zufällig erstmals in der Forstwirtschaft gebraucht. Wälder haben neben
ihrer Nutzfunktion Einfluss auf das regionale Klima. Sie sind am Temperatur-
und Luftausgleich beteiligt und fungieren als Kohlenstoffspeicher und -senken.
Sie sind ein Puffer- und Filtersystem, weshalb 65 Prozent der Trinkwasser-
einzugsgebiete in Wäldern liegen. Sie dienen ca. 4 300 Pflanzen- und Pilzarten
und mehr als 6 700 Tierarten als Lebensraum. Wälder sind kein statisches, son-
dern ein dynamisches Ökosystem. Die natürliche Vielfalt der Waldlebensräume
ist Voraussetzung für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Daraus ergibt sich die
Notwendigkeit, dass auch in Wirtschaftswäldern die Lebensraumfunktion der
Wälder erhalten und gefördert wird.

Wälder besitzen neben dem Schutz für Mensch und Umwelt eine wichtige
Erholungs- und Freizeitfunktion. Sie rückten in den letzten Jahren verstärkt ins
Blickfeld der Umweltbildung. Das Bewusstsein für und das Wissen um die Be-
deutung der Wälder für den Erhalt der biologischen Vielfalt, das Klima und die

Versorgung mit dem umweltfreundlichen Rohstoff Holz müssen in der Gesell-
schaft weiter steigen, damit die Wertschätzung für den Wald mit all seinen Funk-
tionen auch in der Zukunft gesichert ist.

Obwohl in den vergangenen Jahren Anstrengungen hinsichtlich der Schadstoff-
reduzierung unternommen wurden, sind die Wälder nach wie vor hohen Belas-
tungen ausgesetzt. Hier ist vor allem die Belastung mit Stickstoffverbindungen
aus der Landwirtschaft und aus dem Verkehr zu nennen. Sowohl der private als

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auch der öffentliche Wald stehen unter wachsendem Nutzungsdruck. Holz ist ein
begehrter Rohstoff. Er wird nicht nur zur stofflichen Nutzung, sondern auch als
nachwachsender Rohstoff zur Energiegewinnung eingesetzt.

Es ist nicht zuletzt durch die Expertenanhörung im September 2008 deutlich ge-
worden, dass eine nachhaltige und naturnahe Waldnutzung ohne Kahlschläge,
mit einem gut durchmischten, überwiegend standortheimischen Baumarten-
bestand ökonomisch sinnvoll ist und im Sinne der Sicherung der biologischen
Vielfalt und der Anpassung an sich verändernde Klimabedingungen unerlässlich
ist. Praxisbeispiele belegen, dass ein Wald langfristig umso profitabler ist, je
höher das eigene Anpassungs- und Verjüngungspotential des jeweiligen Waldes
ist. Grundvoraussetzung dafür sind an die Ziele der nachhaltigen Waldbewirt-
schaftung angepasste Wilddichten sowie die Einhaltung ökologischer Mindest-
standards bei der Waldbewirtschaftung. Ein modernes Bundeswaldgesetz darf
nicht den aktuellen Stand des Wissens über die ökologischen und ökonomischen
Zusammenhänge im Wald und in der Forstwirtschaft ignorieren. Es muss die Er-
kenntnisse aus diesem Gebiet aufgreifen und ihnen einen allgemeingültigen
rechtlichen Rahmen geben.

Weiterer Modernisierungsbedarf besteht in der Abgrenzung der Begriffe „Agro-
forstsysteme“ und „Kurzumtriebsplantagen“ vom Waldbegriff, in der Definition
des Staatswaldbegriffes, in der Erleichterung der Regelungen zur Verkehrssiche-
rungspflicht sowie in der Erweiterung der Vermarktungsmöglichkeiten der forst-
wirtschaftlichen Vereinigungen. Dies ist Konsens zwischen allen Beteiligten.
Darüber hinaus müssen die Vorschriften zur Bundeswaldinventur an die Erfor-
dernisse eines modernen Waldmonitorings angepasst sowie mit europäischen
und internationalen Abkommen in Einklang gebracht werden. Eine Novelle des
Bundeswaldgesetzes ist also dringend notwendig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. einen Entwurf zur Novellierung des Bundeswaldgesetzes vorzulegen und da-
bei den gesetzlichen Bezug zu den Zielen der nationalen Strategie zur biolo-
gischen Vielfalt und zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie herzustellen und
damit Verbindlichkeit zu schaffen;

2. durch die Novelle eine ordnungsgemäße, nachhaltige und naturnahe Bewirt-
schaftung des Waldes nach den Grundsätzen der guten fachlichen Praxis
sicherzustellen, um die Biodiversität zu erhalten und die Nutz- und Erho-
lungsfunktion des Waldes auf Dauer gewährleisten zu können. Dabei sind
folgende Grundsätze im Bundeswaldgesetz zu verankern:

a) Langfristigkeit der forstlichen Produktion und Sicherung einer nachhalti-
gen Holzerzeugung nach Menge und Güte;

b) Erhaltung der Waldökosysteme als Lebensraum einer artenreichen heimi-
schen Pflanzen- und Tierwelt;

c) Aufbau naturnaher Wälder mit hinreichendem Anteil standortheimischer
Baumarten unter Ausnutzung geeigneter Naturverjüngung und Verwen-
dung geeigneten forstlichen Vermehrungsgutes bei Erhaltung der geneti-
schen Vielfalt;

d) bedarfsgerechte Walderschließung unter größtmöglicher Schonung von
Landschaft, Waldboden und -bestand;

e) Anwendung von bestands- und bodenschonenden Techniken, insbeson-
dere bei Verjüngungsmaßnahmen, Holznutzung und -transport;

f) Verzicht auf Entwässerungsmaßnahmen, die über das bisherige Maß

hinausgehen;

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g) Beschränkung des Einsatzes von Pflanzennährstoffen auf die Behebung
anthropogener Nährstoffmängel und Bekämpfung immissionsbedingter
Bodenversauerung;

h) Bevorzugung von Pflanzenschutzmaßnahmen im Sinne des integrierten
Pflanzenschutzes unter weitestgehendem Verzicht auf Pflanzenschutz-
mittel;

i) Verzicht auf Einbringung gentechnisch modifizierter Organismen in den
Wald;

j) Anpassung der Wilddichten an die natürliche Biotopkapazität der Wald-
ökosysteme;

k) Erhaltung von Alt- und Totholz in angemessenem Umfang;

l) Verzicht auf Kahlschläge;

3. unabhängig von der Novellierung des Bundeswaldgesetzes über die Ziele der
nationalen Biodiversitätsstrategie hinausgehende unbewirtschaftete Schutz-
gebietsflächen aus öffentlichem Waldbesitz dauerhaft zu sichern und als
öffentlichen Wald im Sinne des Gemeinwohls zu erhalten;

4. darüber hinaus innovative, den ökologischen Anforderungen gerecht wer-
dende Nutzungsstrategien für Waldbiomasse zu entwickeln, die den natur-
schutz- wie auch den klimaschutzfachlichen Belangen gleichermaßen gerecht
werden.

Berlin, den 15. März 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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