BT-Drucksache 17/10445

Geplanter Bau einer Kampfstadt im Gefechtsübungszentrum in der Colbitz-Letzlinger Heide

Vom 8. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10445
17. Wahlperiode 08. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Harald Koch
und der Fraktion DIE LINKE.

Geplanter Bau einer Kampfstadt im Gefechtsübungszentrum in der
Colbitz-Letzlinger Heide

In dem insgesamt 232 Quadratkilometer großen Gefechtsübungszentrum (GÜZ)
auf dem Truppenübungsplatz Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide finden
die Vorbereitungen der Soldaten des Heeres auf unterschiedlichste Auslandsein-
sätze (Afghanistan, Kosovo etc.) statt. Der Betrieb des GÜZ als „modernste
Ausbildungsstätte Europas“ wurde einem privaten Betreiber übergeben. An-
fänglich war dies die Serco GmbH. Seit 2008 wird das GÜZ von Rheinmetall
Defence betrieben.

Große Teile der Übungsgefechte werden per Lasertechnik simuliert. Truppenbe-
wegungen, Schüsse und Treffer werden per EDV kontrolliert und ausgewertet.
Um den Soldaten aber dennoch ein „realistisches“ Kampfgefühl zu vermitteln,
wird Pyrotechnik eingesetzt. Anwohner/-innen berichten, dass sie am Rauch
und Knallen jeweils deutlich sehen und hören können, wann „geübt“ wird.

Bereits jetzt existieren auf dem Areal des Truppenübungsplatzes sechs kleinere
Siedlungen beziehungsweise Stadtkulissen, unter anderem „Plattenhausen“ mit
17 Gebäuden, „Salchau“ (im ehemaligen Ortskern des 1936 verwüsteten Dorfes
Salchau) und das Übungsdorf „Stullenstadt“. Diese sind afghanischen und
kosovarischen Dörfern nachempfunden. Ende 2012 ist der erste Spatenstich für
die mehr als 6 km2 große Übungsstadt „Schnöggersburg“ geplant, die komplexe
Großstadtstrukturen abbildet. Der Bau soll bis 2016 abgeschlossen sein.
„Schnöggersburg“ ist eine urbane Übungslandschaft, die alles hat, was zu einer
modernen Großstadt gehört: Autobahnausfahrten, Hochhaussiedlungen, Sakral-
bauten, ein Sportstadion, Industrieanlagen, Elendsviertel, Kanalisation und eine
U-Bahn. Besonders Letzteres macht klar, dass hier für keine der derzeit existie-
renden Einsatzgebiete geübt werden soll, sondern Bundeswehrsoldaten auf neue
Einsatzszenarien vorbereitet werden.

Es handelt sich bei der Kampfstadt „Schnöggersburg“ um eine Gesamtfläche
von 1,5 Kilometer mal 2,5 Kilometer, auf der etwa 520 Gebäude und weitere
städtische Infrastruktur entstehen sollen. Darüber hinaus wird ein früherer
Flugplatz mit einer 1 700 Meter langen Graspiste als Behelfslandebahn akti-

viert.

Das GÜZ ist auch wichtig für die integrierten multinationalen Kampfverbände
Nato Response Force (NRF) und die EU-Battle-Groups. Deren Einsatzfähigkeit
wird auf dem GÜZ zertifiziert. Das GÜZ wird sehr intensiv genutzt – auch von
Soldaten aus anderen Ländern. Das widerspricht jedoch dem völkerrechtlich
verbindlichen 2+4-Vertrag, dessen Artikel 5 eindeutig regelt, dass „Ausländi-
sche Streitkräfte […] in diesem Teil Deutschlands weder stationiert noch dorthin
verlegt“ werden dürfen.

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Das Gelände der Colbitz-Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt ist eine wertvolle
Kulturlandschaft und gehört mit einer Fläche von ca. 60 000 ha zu den größten
„unbesiedelten Flächen“ in Mitteleuropa. Dieses Gelände wurde von der Wehr-
macht und der Roten Armee und wird seit 2000 (Vorbereitung bereits seit 1995)
von der Bundeswehr genutzt. Aufgrund seiner hohen ökologischen Bedeutung
und seiner Artenvielfalt ist das Gelände im Landesentwicklungsplan geschützt;
so sind z. B. ca. 48 Prozent der Fläche des Naturparkes Vorranggebiet für die
Wassergewinnung.

Die Mehrheit der Menschen in der Region ist gegen den Betrieb des GÜZ. Sie
hoffte, dass nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1994 endlich der militä-
rische Übungsbetrieb eingestellt und die Heide für Anwohner und Touristen zu-
gänglich sein würde. 70 000 Unterschriften wurden für eine militärfreie Heide
gesammelt, der Landtag Sachsen-Anhalt und anliegende Kreistage plädierten
mit ihren Beschlüssen seit Anfang der 90er-Jahre für eine zivile Heide. Die
Gegner des Übungsbetriebs haben umfangreiche Konzepte für einen Naturpark
Colbitz-Letzlinger Heide und Untersuchungen zum Wirtschaftsfaktor Naturpark
vorgelegt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Soldaten wurden an wie vielen Übungstagen bisher auf internatio-
nale Einsätze, auf die Teilnahme an multinationalen Gefechtsverbänden oder
auf sonstige Einsätze vorbereitet (bitte nach Jahren und Art der Einsatzvor-
bereitung auflisten)?

Wie viele Soldaten haben sich dabei maximal gleichzeitig auf dem Truppen-
übungsplatz Altmark aufgehalten, und wie viele sind es durchschnittlich an
Übungstagen?

2. Wie viele Soldaten werden voraussichtlich zukünftig, nach Abschluss des
Baus der Kampfstadt, jährlich an wie vielen Übungstagen auf dem Truppen-
übungsplatz Altmark erwartet?

a) Wie viele Soldaten werden sich dabei maximal gleichzeitig auf dem
Truppenübungsplatz Altmark aufhalten, und wie viele werden es durch-
schnittlich an Übungstagen sein?

b) Werden für die gegebenenfalls steigendende Anzahl der Soldaten zusätz-
liche Unterkünfte und weitere Infrastruktur nötig sein?

Wenn ja, in welchem Umfang und mit welchen voraussichtlichen Kosten
ist hierdurch zu rechnen?

3. Welche Kosten verursachen die Errichtung, die Ausstattung und der Betrieb
des GÜZ?

a) Welche Kosten fielen bisher für die Errichtung von Infrastruktur auf dem
Gelände an?

b) Welche Kosten werden bis 2020 insgesamt erwartet (für die Errichtung
der Kampfstadt „Schnöggersburg“ und weitere bauliche Maßnahmen)?

c) Welche Kosten fielen bisher jährlich und insgesamt für die Bezahlung der
Betreiberfirmen an?

d) Wird die Kampfstadt „Schnöggersburg“ zukünftig auch von einem priva-
ten Unternehmen betrieben werden?

Mit welchen Kosten wird dabei während und nach der Fertigstellung der
Kampfstadt „Schnöggersburg“ gerechnet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10445

e) Deckt der Betreibervertrag sämtliche anfallenden Kosten für den Übungs-
betrieb ab, oder fallen eventuell zusätzliche Kosten an?

Wenn ja, in welcher Höhe und wofür?

4. Welche militärischen Szenarien und welche sicherheitspolitische Analyse
liegen der Konzeption der Kampfstadt „Schnöggersburg“ konkret zu Grunde?

a) Auf welche Grundlagendokumente der deutschen Verteidigungspolitik
(Verteidigungspolitische Richtlinien, Weißbuch, NATO- und EU-Strate-
gien) stützen sich die Übungsszenarien konkret?

b) Wird der Deutsche Bundestag in die Entscheidung über die Übungs-
szenarien eingebunden?

Wenn ja, wie?

c) Welchen Stellenwert haben so genannte friedenserzwingende Kampfein-
sätze in der Konzeption der Übungsmöglichkeiten?

d) In welchem Ausmaß werden zukünftig auch schwere Infanteriegefechte
im urbanen Raum geübt, und welche sicherheitspolitische Analyse liegt
hierbei zu Grunde?

e) Warum werden Kampfszenarien, die sich auf den Einsatz in modernen
Städten beziehen, geübt, obwohl dies nicht den Gegebenheiten in den bis-
herigen Einsatzgebieten entspricht?

f) Ermöglicht die Anlage der Übungsinfrastruktur auch die Vorbereitung
von Soldaten auf einen Einsatz im Innern?

5. In welchem Ausmaß werden der Luftraum über dem GÜZ und die Region um
das GÜZ in die Übungsszenarien integriert?

a) Wie häufig und in welchem Umfang wurde bisher der Luftraum über dem
GÜZ und den angrenzenden Regionen etwa für Evakuierungsübungen
oder verbundene Einsätze von Luftwaffe und Heer genutzt (bitte nach
Jahren, Anzahl und Art der eingesetzten Luftfahrzeuge und geübten Sze-
narien auflisten)?

b) Wie werden sich Art und Umfang der militärischen Nutzung des Luft-
raums über dem GÜZ und den angrenzenden Regionen nach der Fertig-
stellung von „Schnöggersburg“ verändern?

c) Wie häufig wird die 1 700 Meter lange Behelfslandebahn in der Heide
bisher genutzt?

d) Wie häufig und durch welche Luftfahrzeuge wird die Behelfslandebahn
in der Heide zukünftig genutzt werden?

e) Ist ein weiterer Ausbau der Behelfslandebahn geplant?

f) Wie häufig finden bisher Manöver oder sonstige Übungen statt, bei denen
die Region rund um das GÜZ einbezogen wird (bitte nach Jahren und Art
der Übung auflisten)?

g) Wie häufig sollen zukünftig Manöver oder sonstige Übungen stattfinden,
in denen die Region rund um das GÜZ einbezogen wird?

6. Wie viele Armeeangehörige welcher Nationalitäten übten bisher in der
Colbitz-Letzlinger Heide (bitte nach Jahren auflisten)?

a) Wie wird sich diese Nutzung durch Armeeangehörige anderer Nationen
während der Bauphase und nach deren Abschluss entwickeln (bitte dabei
auch angeben, aus welchen Nationen dann Übungsteilnehmer erwartet
werden und wie viele dies maximal sein könnten)?

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b) Wie lange halten sich diese Soldaten normalerweise und wie lange
maximal im GÜZ auf?

c) Welche Gebühren wurden dabei für die Nutzung des GÜZ von den Ent-
sendenationen entrichtet (bitte nach Jahren, nach teilnehmenden Natio-
nen, die Gebühren entrichten mussten und solchen, bei denen dies nicht
der Fall war, auflisten)?

7. Wie lässt sich nach Auffassung der Bundeswehr diese internationale Nut-
zung des GÜZ mit dem 2+4-Vertrag vereinbaren, der in Artikel 5 klar
regelt, dass „Ausländische Streitkräfte […] in diesem Teil Deutschlands
weder stationiert noch dorthin verlegt“ werden dürfen?

8. Ist es geplant, auch Angehörigen der Bundespolizei (etwa der GSG 9) oder
Kommandos der Länderpolizeien in der Kampfstadt „Schnöggersburg“
Übungsmöglichkeiten einzuräumen?

a) Ist es beabsichtigt, die Kooperation zwischen militärischem Personal und
deutschen oder europäischen Polizeieinheiten zu üben?

b) Ist es geplant, die zivil-militärische Kooperation mit Angehörigen ande-
rer Verbände wie etwa dem Technischen Hilfswerk zu üben?

9. Wie ist die Nutzung des 1997 fertiggestellten öffentlichen Rad- und Wan-
derwegs „Jägerstieg“, der durch Teile des Truppenübungsplatzes führt, nach
Kenntnis der Bundesregierung geregelt?

a) Wie häufig war der Weg in den letzten fünf Jahren gesperrt (bitte nach
Jahren auflisten)?

b) Wie wird sich die Nutzung während des Baus und nach der Fertigstel-
lung der Kampfstadt gestalten?

Wie häufig wird der Weg dann in einem Jahr maximal gesperrt sein?

c) Wie können sich die Bevölkerung, Touristinnen und Touristen über Öff-
nungs- und Sperrzeiten des Weges informieren (Internet, Tafeln am
Wanderweg etc.)?

10. Welche Auswirkungen hat der Neubau einer mehr als 6 km2 umfassenden
Kampfstadt für die Umwelt und die Wasserversorgung in der Colbitz-
Letzlinger Heide?

a) Wie wurden beziehungsweise werden das Land Sachsen-Anhalt und die
betroffenen Kommunen konkret in den Genehmigungsprozess einge-
bunden (bitte die einzelnen bereits erfolgten und noch geplanten Maß-
nahmen auflisten)?

b) Ist durch die intensivere Belastung der Heide während des Bauverlaufs
und die anschließende gesteigerte Übungsnutzung eine Gefährdung der
Trinkwasserqualität zu befürchten, und wird dies überwacht?

c) Wurde überprüft, ob durch die Freisetzung von Schwermetallen aus der
eingesetzten Pyrotechnik das Grundwasser bzw. Trinkwasser belastet
wird?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, ist eine Prüfung geplant?

11. Welche Emissions- und Lärmbelästigung entsteht für die Anwohner durch
die derzeitige Nutzung (inklusive der Nutzung des Luftraums)?

a) Mit welcher Emissions- und Lärmbelästigung ist während der kommen-
den Bauphase, etwa durch zusätzliche Transporte, zu rechnen?

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b) Welche Transportwege werden während der Bauphase und zur Versor-
gung während des zukünftigen Übungsbetriebes genutzt (Straße,
Schiene, Luft)?

c) Wird die Emissions- und Lärmbelastung der Anwohner überwacht, be-
ziehungsweise ist eine solche Messung für die Zukunft vorgesehen?

Berlin, den 8. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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