BT-Drucksache 17/10398

Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Organismen

Vom 23. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10398
17. Wahlperiode 23. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Oliver Krischer,
Undine Kurth (Quedlinburg), Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Sylvia Kotting-Uhl,
Stephan Kühn, Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verunreinigungen durch gentechnisch veränderte Organismen

Im Mai 2011 wurde die absolute Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene
gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in Futtermitteln von einer „tech-
nischen Lösung“ abgelöst, die eine Verunreinigung von Futtermitteln mit der-
artigen GVO unter bestimmten Voraussetzungen bis zu einer Höhe von 0,1 Pro-
zent toleriert.

Der für diesen Bereich zuständige EU-Kommissar für Gesundheit und Ver-
braucherpolitik, John Dalli, hat angekündigt, auch für Lebensmittel die bisher
geltende absolute Nulltoleranz für nicht zugelassene GVO lockern zu wollen.

Als Begründung für diese Aufweichung der Nulltoleranz führen die Europä-
ische Kommission, aber auch Verbände im Bereich der Futter- und Lebensmit-
telwirtschaft immer wieder eine hohe Zahl von Kontaminationsfällen bzw.
große Mengen kontaminierter Ware an, die aufgrund der Nulltoleranzregel zu-
rückgewiesen oder gar vernichtet werden müssen.

Wir fragen die Bundesregierung

1. Welche Fälle von Verunreinigungen von Lebens-, Futtermitteln und Saatgut
mit nicht in der EU zugelassenen GVO sind der Bundesregierung aus
Deutschland bzw. Europa (unter Einbeziehung des Europäischen Meldesys-
tems) aus den letzten fünf Jahren bekannt (bitte nach Jahr, Produkt, Menge
in Tonnen, geplanter Verwendung, Art der Verunreinigung, Zeitpunkt der
Analyse – vor/nach Import –, Exportland/Herkunft der verunreinigten Roh-
ware, Maßnahmen/Verbleib der kontaminierten Ware aufschlüsseln), und
welche Maßnahmen haben die Bundesregierung und nach ihrer Kenntnis die
Landesregierungen im Einzelnen getroffen, um auf diese Situation zu rea-
gieren?

2. Woraus resultierten nach Kenntnis der Bundesregierung die jeweiligen Ver-
unreinigungen, und welche Größenordnungen hatten sie, also beispielsweise

wie viele Schiffsladungen (inkl. Menge in Tonnen), Aussaatflächen (inkl.
Gesamtfläche in Hektar) sowie Mengen (in Tonnen) an Lebensmitteln waren
betroffen?

Drucksache 17/10398 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Wie viele gesicherte Fälle sind der Bundesregierung aus den letzten fünf
Jahren bekannt, in denen eine Schiffsladung tatsächlich

a) zurückgeschickt oder

b) vernichtet

werden musste (bitte wie in Frage 1 aufschlüsseln), weil nach Eintreffen im
Zielhafen eine Verunreinigung mit nicht in der EU zugelassenen GVO fest-
gestellt wurde und die Ware deshalb nicht verwertet werden konnte?

4. Inwieweit wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass im Rahmen
der Bund-Länder-Arbeitgsgruppen regelmäßig auch die Herkunft der kon-
taminierten Chargen dokumentiert und ausgewertet wird, um auf dieser
Grundlage, Probenahmen möglichst gezielt und risikoorientiert ausrichten
zu können?

5. Welche Schritte hat die Bundesregierung seit 2009 unternommen, um das
im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP festgelegte Ziel einer
„praktikablen Anwendung der im Gemeinschaftsrecht der EU festgelegten
Nulltoleranz für nicht in der EU zugelassene GVO“ zu erreichen, und
welche Fortschritte wurden seitdem in Bezug auf die Definition der damals
vorgesehenen einheitlichen Probenahme- und Messverfahren erzielt?

6. Inwieweit verfolgt die Bundesregierung noch das damals im Eckpunkte-
papier formulierte Vorhaben, diese einheitlichen Probenahme- und Mess-
verfahren (angelehnt an die Regelung, die vom Bundesministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – BMELV – mit der
Wirtschaft und dem Vorsitzland der Länderagrarministerkonferenz für Im-
port von Leinsamen aus Kanada abgesprochen wurde) und die aus einer
positiven Testung resultierenden Maßnahmen in einer Allgemeinen Verwal-
tungsvorschrift festzulegen, und wie stehen bzw. standen die Betroffenen
(Wirtschaft, Überwachungsbehörden) nach Kenntnis der Bundesregierung
zu diesem Vorhaben?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung das Problem steigender Kosten vor allem
für kleine und mittelständische Lebensmittelproduzenten, wenn infolge der
Einführung eines Schwellenwerts einfache qualitative Analysen nicht mehr
ausreichen, sondern deutlich kostenintensivere quantitative Analysen not-
wendig werden, um den Grad möglicher Verunreinigungen und damit die
Verkehrsfähigkeit der betroffenen Ware zu ermitteln?

8. Inwieweit geht die Bundesregierung davon aus, dass die Europäische
Kommission bei ihren Vorschlägen zur Lockerung der Nulltoleranz bei Le-
bensmitteln für in der EU nicht zugelassene GVO analog zur sogenannten
technischen Lösung für Futtermittel verfahren wird, und wie begründet die
Bundesregierung ihre Einschätzung?

9. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich der von der Europä-
ischen Kommission beabsichtigten Lockerung der Nulltoleranz für in der
EU nicht zugelassene GVO in Lebensmitteln?

10. Inwiefern hat sich die Bundesregierung in der Diskussion um eine Locke-
rung der Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene GVO in Lebensmit-
teln aktiv dafür eingesetzt, andere Mitgliedstaaten der EU für ihre Positio-
nierung zu gewinnen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass die volumen- und
wertmäßig relevanten Fälle von Kontaminationen mit in der EU nicht zu-
gelassenen GVO in Lebensmitteln (LL-Reis, Leinsaat) der letzten Jahre
auch nach einer Einführung der „technischen Lösung“ analog zu den Futter-
mitteln für die betroffenen Branchen zu keinerlei Erleichterung geführt hät-

ten, weil die kontaminierenden GVO nicht nur in der EU, sondern weltweit
nirgendwo für den Lebensmittelbereich zugelassen waren?

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12. Inwieweit wird sich die Bundesregierung für eine Rücknahme der Aufwei-
chung der absoluten Nulltoleranz bei Futtermitteln einsetzen, nachdem die
Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Ilse Aigner, in ihrer Antwort auf ein Schreiben verschiedener Umweltver-
bände am 7. Juni 2012 explizit bestätigte, dass die 2011 für die Einführung
der „technischen Lösung“ angeführten Szenarien einer mangelnden Versor-
gungssicherheit mit nicht kontaminierter Ware mit der Realität nicht über-
einstimmten?

Wie begründet die Bundesregierung ihre Position?

13. Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich der vom euro-
päischen Umweltministerrat am 4. Dezember 2008 geforderten Einführung
eines Schwellenwerts hinsichtlich der Kennzeichnung von mit GVO ver-
unreinigtem Saatgut, und welche Entwicklungen auf europäischer Ebene
haben sich seit 2008 zu dieser Fragestellung ergeben?

14. Welche Auswirkungen auf den Saatgutmarkt und die Erzeugung gentech-
nikfreien Saatguts für den ökologischen Anbau und Anbau „ohne Gen-
technik“ hätte die Einführung eines solchen Schwellenwerts aus Sicht der
Bundesregierung?

15. Wie bewertet die Bundesregierung Funde von wildlebendem gentechnisch
verändertem (gv) Raps (GT73) entlang von Transportwegen durch das
Schweizerische Bundesamt für Umwelt – BAFU – (siehe Mitteilung des
BAFU vom 16. Dezember 2011) und Greenpeace (siehe Nachricht von
Greenpeace Deutschland vom 23. Mai 2012) – insbesondere vor dem Hin-
tergrund, dass dieser Raps in der Schweiz weder zum Anbau noch zum
Import zugelassen ist und nach Aussage der Europäischen Behörde für
Lebensmittelsicherheit (EFSA) nach Anlandung an europäischen Seehäfen
sofort so verarbeitet wird, dass er seine Keimfähigkeit verliert?

16. Gibt es vergleichbare Untersuchungen in Bezug auf das Vorkommen von
gv-Raps entlang der Transportwege und im Umkreis von Ölmühlen auch in
Deutschland (bitte nach Studie, Datum, Fundort, GVO/Event und ggf. ge-
troffenen Maßnahmen aufschlüsseln), und wenn nein, warum nicht?

17. Inwieweit hält die Bundesregierung die bisherigen Maßnahmen zur Ver-
meidung von GVO-Kontaminationen infolge von Importen von im Frei-
land überlebensfähigen gv-Pflanzen als Futter- oder Lebensmittel vor die-
sem Hintergrund noch für ausreichend?

18. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung vor diesem Hinter-
grund aus dem österreichischen Importverbot für gv-Raps, welches u. a.
mit der Gefahr von Transportverlusten und der Etablierung verwilderter
transgener Rapspopulationen begründet wird, und gibt es Überlegungen,
ein solches Importverbot auch für Deutschland auszusprechen, um der
flächendeckenden Verunreinigung mit gv-Raps vorzubeugen?

19. Wie bewertet die Bundesregierung Funde von wildlebender gv-Acker-
Schmalwand (Arabidopsis thaliana) im Umkreis mehrerer schweizer For-
schungsgewächshäuser durch das BAFU (siehe Mitteilung des BAFU vom
16. Dezember 2011) – insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich bei
der Acker-Schmalwand um eine weit verbreitete, heimische Pflanze der
Ackerbegleitflora handelt?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Wahr-
scheinlichkeit einer dauerhaften Persistenz rein zu Forschungszwecken
erzeugter gentechnischer Veränderungen in der mitteleuropäischen Um-
welt?

Drucksache 17/10398 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
21. Gibt es vergleichbare Untersuchungen im Umkreis deutscher Forschungs-
einrichtungen in Bezug auf das Entweichen von zu Forschungszwecken er-
zeugten GVO aus dem Labor bzw. Gewächshaus (bitte nach Studie, Datum,
Fundort, GVO, Ziel der gentechnischen Veränderung und ggf. getroffenen
Maßnahmen aufschlüsseln), und wenn nein, warum nicht?

22. Inwieweit hält die Bundesregierung die bisherigen Maßnahmen zur Ver-
meidung von GVO-Kontaminationen infolge von Freisetzungs- oder Ge-
wächshausversuchen mit gentechnisch veränderten Pflanzen vor diesem
Hintergrund noch für ausreichend?

23. Inwieweit bekennt sich die Bundesregierung zu dem „Gemeinsamen
Grundsatzpapier zum Monitoring der Umweltwirkungen von gentechnisch
veränderten Organismen“ des schweizerischen BAFU, des österreichischen
Umweltbundesamts und des deutschen Bundesamts für Naturschutz (BfN)
vom April 2011, in dem das Monitoring des (unbeabsichtigten) Vorhan-
denseins von GVO in der Landschaft als einer von drei Eckpfeilern eines
zukünftigen europäischen GVO-Monitorings beschrieben wird, und welche
Maßnahmen oder Aktivitäten plant die Bundesregierung ggf. auf nationaler
oder europäischer Ebene, um diesem selbst gesetzten Ziel gerecht zu wer-
den und ein entsprechendes Monitoring einzuführen?

24. Wie bewertet die Bundesregierung vor dem Hintergrund dieses gemeinsa-
men Grundsatzpapiers und der Funde von verwildertem gv-Raps in der
Schweiz die Tatsache, dass die EFSA und die Europäische Kommission bei
der Zulassung von gv-Raps für den Import in die EU bisher keinerlei be-
gleitendes Umweltmonitoring vorgesehen haben, weil dieses „nicht ange-
messen“ sei, und welche Position wird die Bundesregierung künftig bezüg-
lich der Notwendigkeit eines solchen Monitorings in Brüssel einnehmen?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass das Gremium für ge-
netisch veränderte Organismen (GMO Panel) der EFSA sich zwar „bewusst
ist, dass aufgrund der physischen Charakteristiken von Ölraps- Samen und
den Methoden des Transports ein versehentlicher Verlust unvermeidbar ist“
und deshalb empfiehlt, „geeignete Management-Systeme einzusetzen, um
den versehentlichen Verlust und das Verschütten von transgenen Ölraps-
Samen während des Transports, der Lagerung, des Handlings in der Um-
welt und der Verarbeitung zu minimieren“ (entnommen aus der Scientific
Opinion zu T45, The EFSA Journal (2008) 635, 1-22), die EFSA nach Ein-
schätzung der Fragesteller eine Überprüfung der Einhaltung dieser Empfeh-
lungen in der Praxis aber für unnötig erachtet?

26. Inwiefern, wann, und in welcher personellen Zusammensetzung wird der
„Gen-Gipfel“ unter Beteiligung des BMELV, des Bundesministeriums für
Bildung und Forschung (BMBF), des Bundesministeriums der Justiz (BMJ)
und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) (Mel-
dung im Magazin DER SPIEGEL vom 2. Juli 2012) stattfinden, und welche
Tagesordnungspunkte bzw. Themen sind für dieses Treffen bislang vorgese-
hen?

Berlin, den 9. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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