BT-Drucksache 17/1028

Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern

Vom 16. März 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/1028
17. Wahlperiode 16. 03. 2010

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel, Hans-Josef
Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Uwe Kekeritz,
Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Ingrid Nestle, Dr. Hermann Ott, Tabea Rößner,
Dorothea Steiner, Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Anbau von gentechnisch veränderter Kartoffel Amflora verhindern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Kommission ließ Anfang März 2010 die gentechnisch veränderte Kar-
toffel Amflora für den Anbau sowie zur Verwendung als Futtermittel zu. Da-
rüber hinaus wurden Lebens- oder Futtermittel zugelassen, in denen Amflora
bis zu einer Grenze von 0,9 Prozent zufällig oder aufgrund technischer Unver-
meidbarkeit vorhanden ist. Dies ist die erste Anbauzulassung seit 1998.

Für Deutschland ist bisher der kommerzielle Anbau von Amflora in Mecklen-
burg-Vorpommern für das Jahr 2010 auf einer Fläche von 20 ha angemeldet.

Der Anbau von Amflora kann in Deutschland zu unabsehbaren Schäden für
Umwelt und Verbraucher sowie die gentechnikfreie Landwirtschaft führen,
weil die von der EU-Kommission in der Zulassung geforderten Schutzmaßnah-
men nicht eingehalten werden können. Die notwendige komplette Trennung
von Anpflanzung, Anbau, Ernte, Transport, Lagerung und bei der Handhabung
in der Umwelt ist in der Praxis unrealistisch. Ebenso kann nicht garantiert wer-
den, dass alle Kartoffeln ausschließlich in staatlich gemeldeten speziellen Stär-
keherstellungsbetrieben landen. Die wiederholten Verschmutzungsskandale mit
gentechnisch veränderten Produkten bei Reis, Leinsaat, Mais u. a. beweisen,
dass die Agrogentechnik-Konzerne die praktische Anwendung dieser Techno-
logie nicht im Griff haben.

Der damalige Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, Horst Seehofer, stimmte im EU-Agrarministerrat am 16. Juli 2007 den
Beschlussvorlagen der EU-Kommission für eine Zulassung von Amflora unter
der Bedingung zu, dass Maßnahmen zur guten fachlichen Praxis in Deutsch-

land entwickelt werden müssten, die eine Trennung zwischen Speisekartoffeln
und Industriekartoffeln ermöglichen. Nichts dergleichen ist geschehen.

Hinzu kommt, dass mit Amflora eine Stärkepflanze in Verkehr gebracht und
mit einer Verschmutzungslizenz für Futter- und Lebensmittel ausgestattet wer-
den soll, die nicht einmal eine Zulassung als Lebensmittel hat.

Amflora ist ein völlig veraltetes Produkt.

Drucksache 17/1028 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Kartoffel enthält ein Resistenzmarker-Gen, das unter anderem für eine
Resistenz gegen die Antibiotika Kanamycin und Neomycin codiert, die in der
Humanmedizin – u. a. laut Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) und der EU-Arzneimittelbehörde EMEA – von therapeutischer Bedeu-
tung sind. Solche Antibiotikaresistenzen dürfen nach den geltenden rechtlichen
Bestimmungen der EU-Freisetzungsrichtlinie aus guten Gründen überhaupt
nicht mehr zugelassen werden.

Außerdem gibt es bessere Alternativen: Bereits 2005 wurde von der nieder-
ländischen Firma AVEBE eine konventionell gezüchtete Kartoffel auf den
Markt gebracht, die einen Anteil von 99 Prozent Amylopektin hat. Seit 2009
baut die Firma Bio Plant/Emsland Group ebenfalls eine nicht gentechnisch ver-
änderte Kartoffel für industrielle Zwecke an.

Wenn Amflora wirklich in Deutschland angebaut würde, wäre das ein Kniefall
vor BASF und ein erneuter Beweis für die rein auf die Interessen ihrer eigenen
Wirtschaftslobby ausgerichtete Klientelpolitik der Regierungskoalition der
CDU, CSU und FDP.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

● die Ausbringung von Pflanzgut der gentechnisch veränderten Kartoffel Am-
flora in Deutschland zu verhindern, weil de facto kein Schutz gegen die Ver-
unreinigung der Lebens- und Futtermittelkette gewährleistet wird und wer-
den kann;

● die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass ein Anbau von Amflora auf-
grund sozioökonomischer Kriterien in Deutschland grundsätzlich verboten
werden kann;

● Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Entscheidungen der
Kommission zu erheben;

● die Voraussetzung für verbindliche gentechnikfreie Regionen in Deutsch-
land zu schaffen, in denen der Anbau von gentechnisch veränderten Pflan-
zen zum Schutz der gentechnikfreien Produktion verboten ist. Dies ist kom-
patibel mit EU-Recht möglich;

● die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass die Kosten für die Verhinderung
von Verunreinigungen mit gentechnisch veränderten Organismen vom Ver-
ursacher und nicht der gentechnikfrei produzierenden Wirtschaft getragen
werden müssen.

Berlin, den 15. März 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Die Kartoffel Amflora der Firma BASF wurde gentechnisch so verändert, dass
sie von einer bestimmten Stärkesorte (Amylopektin) mehr produziert. Amylo-
pektin wird vor allem in der Papier-, Garn- und Klebstoffindustrie benötigt.
Weiterhin trägt Amflora ein Gen, das sie gegen die Antibiotika Kanamycin und
Neomycin resistent macht. Diese Antibiotika sind laut Einschätzung der WHO
und der EU-Arzneimittelbehörde EMEA von großer therapeutischer Bedeu-

tung.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/1028

Artikel 4 Absatz 2 der Freisetzungsrichtlinie schreibt die schrittweise Einstel-
lung der Verwendung von Antibiotikaresistenzmarkern (AR-Gene) in gentech-
nisch veränderten Organismen vor, die schädliche Auswirkungen auf die
menschliche Gesundheit oder die Umwelt haben können. Diese Einstellung
musste für das Inverkehrbringen bis Ende 2004 und für Freisetzungen bis Ende
2008 erfolgen. Alle Experten des EFSA-GMO-Panels sind sich darin einig, dass
es noch eine Reihe von Unsicherheiten gibt hinsichtlich einer möglichen Aus-
breitung und damit schädlicher Auswirkungen solcher AR-Gene. Die Mehrheit
der EFSA jedoch setzte sich bei der Zulassung von Amflora über die Bedenken
hinweg und erklärte, dass grundsätzlich nicht von einer Gefährdung durch die
AR-Gene auszugehen sei. Dies ist eine eklatante Verletzung des Vorsorgeprin-
zips. Zwei der EFSA-Experten waren nicht bereit, sich dieser Einschätzung an-
zuschließen. Auf Bundesebene wurde die Bundesregierung im Rahmen der Ge-
nehmigungen für großflächige Freisetzungsexperimente mit Amflora in den
letzten Jahren regelmäßig vom Bundesamt für Naturschutz auf die möglichen
Risiken durch AR-Gene hingewiesen.

Eine Klage der Bundesregierung gegen die Entscheidungen der Kommission ist
nach Artikel 263 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union
(AEUV) zulässig. Danach kann ein Mitgliedstaat Klage vor dem Europäischen
Gerichtshof erheben, um Handlungen der Kommission auf ihre Rechtmäßigkeit
überprüfen zu lassen. Als vollprivilegierter Kläger bedarf es hierzu keines be-
sonderen Rechtsschutzbedürfnisses des Mitgliedstaates (Artikel 263 Absatz 2).

Die Entscheidung zu Amflora ist vermutlich rechtswidrig, da eine Genehmi-
gung über das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen
nicht erteilt werden darf, wenn er schädliche Auswirkungen auf die mensch-
liche Gesundheit und die Umwelt hat (Artikel 4 der Freisetzungsrichtlinie). Die
Schädlichkeit der Amflora ist weiterhin nicht auszuschließen. Eine Zulassung
zum Inverkehrbringen ist daher nicht möglich. Weiterhin sind die in der Ent-
scheidung der Kommission geforderte räumliche Trennung von Amflora-Kar-
toffeln mit konventionellen Kartoffelarten sowie eine Stärkeherstellung in
räumlich getrennten geschlossenen Systemen praktisch nicht möglich.

Die Zulassung der Amflora-Kartoffel als Futtermittel ist skandalös. Futtermittel
aus gentechnisch veränderten Organismen darf keine nachteiligen Auswirkun-
gen auf die Gesundheit von Mensch und Tier oder die Umwelt haben, Artikel 16
Absatz 1 der Food-/Feed-Verordnung. Auch dies ist weiterhin zweifelhaft. Eine
Zulassung durfte nicht erfolgen.

Die Zulassung wurde von EU-Ländern wie Italien, Frankreich, Österreich oder
Griechenland sowie von zahlreichen Umwelt- und Verbraucherverbänden, aber
auch von der stärkeverarbeitenden Industrie kritisiert.

Einige EU-Länder wollen derzeit die Möglichkeit eines nationalen Anbauver-
bots für Amflora prüfen. Nach Artikel 23 der Richtlinie 2001/18/EG können
Mitgliedsländer jedoch derzeit nur aufgrund neuer oder zusätzlicher Informa-
tionen, die sie seit dem Tag der Zustimmung erhalten haben, den Einsatz und/
oder Verkauf eines gentechnisch veränderten Organismus in ihrem Hoheits-
gebiet vorübergehend einschränken oder verbieten. Diese Regelung findet in
§ 20 Absatz 2 des Gentechnikgesetzes seine Entsprechung auf nationaler
Ebene, wonach die zuständigen Bundesoberbehörden im Hinblick auf mögliche
Gefahren für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt die Schutzklausel in
Artikel 23 der EU-Freisetzungsrichtlinie in Anspruch nehmen können.

Schon seit einiger Zeit wird auf EU-Ebene auch darüber diskutiert, dass natio-
nale Anbauverbote nicht nur wie bisher aufgrund neuer wissenschaftlicher
Erkenntnisse, sondern auch aufgrund sozioökonomischer Kriterien wie z. B.
der hohen Kosten für die Vermeidung von Verunreinigungen nationale Anbau-

verbote verhängt werden können. EU-Kommissar John Dalli kündigte an, bis

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zum Sommer 2010 einen Vorschlag zu unterbreiten, wie ein gemeinschaftliches
Zulassungsverfahren kombiniert werden kann mit dem Recht der Mitglied-
staaten, selber zu bestimmen, ob in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet genetisch
veränderte Sorten angebaut werden können oder nicht (Pressemitteilung EU-
Kommission, IP/10/222, 2. Februar 2010).

Unabhängig von der abschließenden Klärung dieser Frage ist die Bundesregie-
rung nicht von den Vorsorgepflichten im Gentechnikgesetz zum Schutz von
Landwirten oder Wirtschaftsbetrieben wie zum Beispiel Stärke- und Lebens-
mittelproduzenten befreit, die eine Verunreinigung mit gentechnisch veränder-
ten Organismen vermeiden wollen.

Die Regelung von wirtschaftlichen Nutzungskonflikten, die infolge eines An-
baus oder einer Verarbeitung von gentechnisch veränderten Organismen ent-
stehen können, erfolgt nicht nach EG-Recht, sondern hierfür sind allein die
Mitgliedstaaten zuständig. Diese können schon nach geltendem EU-Recht
konkrete Schutzmaßnahmen erlassen, mit denen ein kommerzieller Anbau der
gentechnisch veränderten Kartoffel Amflora wegen der Gefahr der Verunreini-
gung gentechnikfrei wirtschaftender Betriebe untersagt werden kann.

Das Hauptrisiko für Kontaminationen bei einem Anbau und Inverkehrbringen
von Amflora liegt hauptsächlich darin, dass eine Verunreinigung der Futter-
und Lebensmittelkette praktisch kaum vermeidbar ist. Schon die Festlegung
eines Verunreinigungsschwellenwertes für den Lebensmittelbereich durch die
EU-Kommission zeigt, dass die Lebensmittelbranche mit Kontaminationen
durch den Anbau und die Weiterverarbeitung von Amflora zu rechnen hat. Dar-
auf verwies auch bereits die EU-Lebensmittelbehörde EFSA in ihrer Stellung-
nahme zur Verwendung von Amflora bei Lebens- und Futtermitteln (The EFSA
Journal – 2006 – 324, 1-20).

In Deutschland fehlen bisher konkrete Vorschriften hinsichtlich Anbau und
Verarbeitung von Amflora in der Verordnung zur guten fachlichen Praxis. Ins-
besondere gibt es keine Vorgaben, wie sicher vermieden werden kann, dass die
für industrielle Zwecke angebauten Kartoffeln zum Beispiel durch Aufsammeln
nach der Ernte („Stoppeln“) als Lebensmittel genutzt werden. In der Protokoll-
erklärung vom 16. Juli 2007 anlässlich der Abstimmung im Rat der EU (Land-
wirtschaft und Fischerei) über die Zulassung von Amflora hat der damalige
Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst
Seehofer, angekündigt, Deutschland werde „Regeln der Guten fachlichen
Praxis entwickeln, um in jedem denkbaren Fall beim Anbau die Koexistenz mit
nicht gentechnisch veränderten Kartoffeln zu sichern (…) sowie Kontamina-
tionen von Futtermitteln und Lebensmitteln in der weiteren Vermarktungskette
zuverlässig zu vermeiden.“

Dass dies bis heute nicht geschehen ist, zeigt: Ein Anbau von Amflora wider-
spricht dem Vorsorgeprinzip, ein ausreichender Schutz kann nicht gewährleistet
werden.

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