BT-Drucksache 17/10220

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Ottmar Schreiner, Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD - Drucksache 17/8459 - Erosion der Tarifvertragssysteme stoppen - Sicherung der Allgemeinverbindlichkeitsregelung von Tarifverträgen b) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 17/8148 - Tarifsystem stabilisieren c) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksache 17/4437 - Tarifvertragssystem stärken - Allgemeinverbindliche Tariflöhne und branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern

Vom 2. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10220
17. Wahlperiode 02. 07. 2012

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

a) zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Kramme, Ottmar Schreiner,
Josip Juratovic, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/8459 –

Erosion der Tarifvertragssysteme stoppen – Sicherung der
Allgemeinverbindlichkeitsregelung von Tarifverträgen

b) zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/8148 –

Tarifsystem stabilisieren

c) zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke,
Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/4437 –

Tarifvertragssystem stärken – Allgemeinverbindliche Tariflöhne und
branchenspezifische Mindestlöhne erleichtern

A. Problem
Zu Buchstabe a

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann unter zwei Voraussetzun-
gen Tarifverträge auf Antrag der Tarifparteien für allgemeinverbindlich erklä-
ren. Eine davon ist, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber in diesem Bereich
mindestens die Hälfte aller unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallen-
den Personen beschäftigen (50-Prozent-Quorum). Diese Voraussetzung wird
nach Auffassung der Fraktion der SPD in Zukunft kaum noch zu erfüllen sein.

Drucksache 17/10220 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der europäische Vergleich zeige zudem, wie unverhältnismäßig hoch die Hürde
für die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) in Deutschland sei.

Zu Buchstabe b

Die Antragsteller kritisieren, dass sich der Niedriglohnsektor in Deutschland
ausweite und die Tarifbindung zurückgehe. Immer mehr Beschäftigte müssten
sich mit einem niedrigen Lohn begnügen, immer weniger würden tariflich ent-
lohnt. Zu den wesentlichen Ursachen dafür gehöre der Rückgang der für all-
gemeinverbindlich erklärten Tarifverträge.

Zu Buchstabe c

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht ebenfalls die kontinuierlich
abnehmende Bedeutung tarifpolitischer Regelungen geltend. Die Zahl der tarif-
vertragsfreien Branchen und Gebiete nehme stetig zu. Mittlerweile sei die Zahl
der von Tarifverträgen geschützten Beschäftigten von über 80 Prozent im Jahr
1980 auf rund 62 Prozent zurückgegangen. Als eine Konsequenz habe der
Niedriglohnsektor eine beachtliche Dimension erreicht. In den meisten west-
europäischen Ländern sei die Tarifbindung in den vergangenen Jahren dagegen
stabil geblieben.

B. Lösung

Zu Buchstabe a

Die SPD-Fraktion fordert zur Lösung dieser Probleme, das Tarifvertragssystem
zu reformieren und eine neue Rechtsgrundlage für die AVE von Tarifverträgen
zu schaffen, um die Funktionsgrundlage des Tarifvertragssystems sicherzustel-
len. Das 50-Prozent-Quorum müsse durch das Kriterium der Repräsentativität
ersetzt werden. Darüber hinaus müsse ein allgemeiner Mindestlohn eingeführt
und das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgeweitet werden.

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/8459 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN.

Zu Buchstabe b

Die Fraktion DIE LINKE. hält es für notwendig, als untere Haltelinie für das
Entlohnungsgefüge in Deutschland einen flächendeckenden gesetzlichen Min-
destlohn einzuführen. Darüber hinaus müsse man das Tarifvertragssystem auf
gesetzlichem Wege stabilisieren, indem die Allgemeinverbindlicherklärung von
Tarifverträgen erleichtert werde. Zur Konsolidierung des Tarifgefüges solle zu-
dem u. a. die Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Bran-
chen ausgeweitet werden.

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/8148 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN.

Zu Buchstabe c

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert ebenfalls eine Reform der
AVE von Tariflöhnen. Unter anderem solle das Quorum von bisher 50 auf 40 Pro-
zent gesenkt werden. Als weitere Schritte zur Stärkung des Tarifvertragssystems

sollten darüber hinaus mehr branchenspezifische Mindestlöhne erlassen und das
Arbeitnehmer-Entsendegesetz sollte auf alle Branchen ausgedehnt werden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10220

Ablehnung des Antrags auf Drucksache 17/4437 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der
Fraktion der SPD.

C. Alternativen

Annahme eines Antrags oder mehrerer Anträge.

D. Kosten

Kostenrechnungen wurden nicht angestellt.

Drucksache 17/10220 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

a) den Antrag auf Drucksache 17/8459 abzulehnen;

b) den Antrag auf Drucksache 17/8148 abzulehnen;

c) den Antrag auf Drucksache 17/4437 abzulehnen.

Berlin, den 27. Juni 2012

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Katja Kipping Jutta Krellmann
Vorsitzende Berichterstatterin

Technologie und der Ausschuss für Tourismus haben den Voraussetzungen der AVE bestehender Tarifverträge ge-

Antrag auf Drucksache 17/4437 in ihren Sitzungen am
27. Juni 2012 beraten und dem Deutschen Bundestag
gleichlautend mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/

richtlich überprüfen zu lassen. Darüber hinaus gelte: Indem
das Quorum lediglich auf der Tarifgebundenheit auf Arbeit-
geberseite basiere, verschiebe sich das Kräfteverhältnis
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10220

Bericht der Abgeordneten Jutta Krellmann

I. Verfahren

1. Überweisung
Der Antrag auf Drucksache 17/8459 ist in der 155. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 26. Januar 2012 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Bera-
tung und an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie zur Mitberatung überwiesen
worden.

Der Antrag auf Drucksache 17/8148 ist in der 152. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 19. Januar 2012 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Bera-
tung und an den Rechtsausschuss sowie an den Ausschuss
für Wirtschaft und Technologie zur Mitberatung überwiesen
worden.

Der Antrag auf Drucksache 17/4437 ist in der 117. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 30. Juni 2011 an den Aus-
schuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung
und an den Rechtsausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie sowie den Ausschuss für Tourismus zur
Mitberatung überwiesen worden.

1. Voten der mitberatenden Ausschüsse
Zu Buchstabe a

Der Rechtsausschuss und der Ausschuss für Wirtschaft
und Technologie haben den Antrag auf Drucksache 17/
8459 in ihren Sitzungen am 27. Juni 2012 beraten und dem
Deutschen Bundestag gleichlautend mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der
Fraktionen SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des
Antrags empfohlen.

Zu Buchstabe b

Der Rechtsausschuss hat den Antrag auf Drucksache 17/
8148 in seiner Sitzung am 27. Juni 2012 beraten und dem
Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen
SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den
Antrag auf Drucksache 17/8148 in seiner Sitzung am
27. Juni 2012 beraten und dem Deutschen Bundestag mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen
die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Ablehnung des Antrags empfohlen.

Zu Buchstabe c

Der Rechtsausschuss, der Ausschuss für Wirtschaft und

haltung der Fraktion der SPD die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlagen

Zu Buchstabe a

Die Fraktion der SPD verweist darauf, dass das Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unter zwei
Voraussetzungen Tarifverträge auf Antrag der Tarifparteien
für allgemeinverbindlich erklären könne. Erstens stelle das
BMAS ein öffentliches Interesse an dem Tarifvertrag fest.
Zweitens müssten die tarifgebundenen Arbeitgeber mindes-
tens die Hälfte aller unter den Geltungsbereich des Tarifver-
trages fallenden Personen (50-Prozent-Quorum) beschäf-
tigen. Die Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) sei seit
langem fester Bestandteil des europäischen und des deut-
schen Sozialmodells.

Mit dem 50-Prozent-Quorum sehe das deutsche Recht eine
Voraussetzung vor, die immer schwerer zu erfüllen sei und
in Zukunft kaum noch zu erfüllen sein werde. Grund hierfür
seien langfristige Trends wie die Entwicklung hin zur
Gültigkeit konkurrierender Tarifverträge innerhalb eines
Betriebs und die sinkende Tarifbindung auf Arbeitgeber-
seite. Außerdem sinke die Tarifbindung in Deutschland seit
den 90er-Jahren beständig und im Vergleich zu anderen eu-
ropäischen Staaten dramatisch. Während in Deutschland
mit sinkender Tendenz noch 63 Prozent aller Arbeitsver-
hältnisse von einer Tarifbindung erfasst seien, verfügten
andere europäische Staaten über eine Abdeckung von
70 Prozent in Portugal bis zu 99 Prozent in Österreich. Nur
Großbritannien und Luxemburg wiesen eine niedrigere
Tarifbindung auf als Deutschland. Wesentliche Erkenntnis
eines Vergleichs der nationalen Regelungen: Die Stufe der
Tarifbindung hänge nicht vom gewerkschaftlichen Organi-
sationsgrad ab, sondern von den gesetzlichen Rahmen-
bedingungen des nationalen Tarifvertragssystems. Die EU-
Mitgliedstaaten knüpften die AVE an unterschiedliche Vor-
aussetzungen, wobei die Anforderungen in Deutschland am
strengsten seien. Länder wie Frankreich und Polen stellten
ausschließlich auf die Repräsentativität der Gewerkschaften
ab. Länder wie die Niederlande, Spanien oder Belgien hät-
ten zusätzliche Anforderungen an die Arbeitgeberverbände,
wobei einzig die Niederlande mit einer Quote von
55 Prozent eine ähnliche Hürde angesetzt hätten, wie sie das
deutsche Recht vorsehe. Der europäische Vergleich zeige,
wie unverhältnismäßig hoch die deutsche Hürde für die
AVE sei.

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssten so geändert
und erweitert werden, dass wieder deutlich mehr Tarifver-
träge für allgemeinverbindlich erklärt werden könnten. Nur
so lasse sich der Ausbau der Flächentarife verbessern. Die
gegenwärtige Regelung lade dazu ein, die Einhaltung der
CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimment-

zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite nachträglich
und kraft Gesetzes zugunsten der Arbeitgeber.

Drucksache 17/10220 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zu Buchstabe b

Die Fraktion DIE LINKE. begründet ihren Antrag u. a. da-
mit, dass mittlerweile 6,8 Millionen Menschen gezwungen
seien, zu Löhnen unterhalb der Niedriglohnschwelle zu ar-
beiten. Um das zu stoppen, müsse endlich ein gesetzlicher
Mindestlohn eingeführt werden. Dadurch werde das Entloh-
nungsgefüge vor einem weiteren Abrutschen geschützt.
Gleichzeitig müssten das Tarifsystem stabilisiert und eine
weitere Erosion der Tarifbindung gestoppt werden. Derzeit
seien in Deutschland noch lediglich 1,5 Prozent der Tarif-
verträge nach dem Tarifvertragsgesetz (TVG) für allgemein-
verbindlich erklärt. Anfang der 90er-Jahre seien es noch
über 5 Prozent gewesen. Nur vier Branchen würden momen-
tan auf regionaler Ebene von einem allgemeinverbindlichen
Entgelttarifvertrag abgedeckt. Eine gewisse Gegenentwick-
lung sei im Bereich der AVE nach dem Arbeitnehmer-Ent-
sendegesetz zu erkennen. Auf diesem Wege seien mittler-
weile zehn Branchenmindestlöhne eingeführt worden. Hier
würden bisher allerdings in der Regel lediglich Mindest-
löhne festgesetzt und nicht komplette Entgelttabellen für
allgemeinverbindlich erklärt.

Der niedrige Anteil von AVE sei vor allem auf die restrik-
tive Haltung der Spitzenverbände der Arbeitgeber zurück-
zuführen. Da diese im für die AVE zuständigen Tarifaus-
schuss ein Vetorecht hätten, würden kaum mehr Tarifver-
träge nach dem Tarifvertragsgesetz für allgemeinverbind-
lich erklärt.

Zu Buchstabe c

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN begründet ihren
Antrag mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt. Mit dem
Wandel in der Erwerbsarbeit entstünden immer mehr un-
sichere Arbeitsverhältnisse und eine steigende Zahl von Be-
schäftigten könne nicht mehr von ihrem Erwerbseinkom-
men leben. Durch den Trend zu atypischen und prekären
Beschäftigungsverhältnissen entstünden Unsicherheit und
Angst vor Arbeitsplatzverlust, die bis weit in die Mitte der
Gesellschaft reichten. Vermehrte Befristung, Leiharbeit und
Minijobs schwächten die Gewerkschaften und höhlten die
Tarifautonomie aus. Diese Erosion des Tarifvertragssystems
werde durch die steigende Zahl betrieblicher Vereinbarun-
gen, die Gründung von sogenannten OT-Verbänden (Mit-
gliedschaft eines Arbeitgebers ohne Tarifbindung in einem
Arbeitgeberverband) und die Tarifflucht zahlreicher großer
Arbeitgeber verstärkt. Neben notwendigen politischen Maß-
nahmen, um den Trend zu atypischen und prekären Be-
schäftigungsverhältnissen zu stoppen, und der Einführung
eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns müssten das
Tarifvertragssystem gestärkt und Maßnahmen zur Erhöhung
der Tarifbindung eingeleitet werden.

III. Öffentliche Anhörung von Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung des
Antrags auf Drucksache 17/8459 in seiner 88. Sitzung am
27. Januar 2012 aufgenommen, für den Antrag auf Druck-
sache 17/8148 in der 86. Sitzung am 20. Januar 2012 und
für den Antrag auf Drucksache 17/4437 in der 79. Sitzung
am 26. Oktober 2011. Für alle drei Vorlagen wurde die
Durchführung einer öffentlichen Anhörung von Sachver-

Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stel-
lungnahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
17(11)766(neu) zusammengefasst sind.

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverstän-
dige haben an der Anhörung teilgenommen:

• Deutscher Gewerkschaftsbund

• Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände

• Zentralverband des Deutschen Handwerks

• Institut für Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsforschung

• Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsinstitut

• Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung

• Professor Dr. Ulrich Preis, Köln

• Professor Dr. Ralf Wank, Bochum

• Professor Franz-Josef Düwell, Weimar

• Dr. Torsten Schulten, Düsseldorf

• Dr. Florian Rödl, Frankfurt am Main

• Dr. Reinhard Bispinck, Düsseldorf.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht in den Anträgen
richtig aufgenommen, dass das Tarifsystem stabilisiert und
seine Funktionsfähigkeit abgesichert werden müsse. Hierzu
bedürfe es politischer Entscheidungen. Heute gehe es um die
Stabilisierung der Allgemeinverbindlicherklärung (AVE)
und deren weiteren Ausbau. In der aktuellen Diskussion um
Zumutbarkeit und Lohndumping/Mindestlohn rücke die
AVE wieder in den Vordergrund. Um Tarifautonomie und
Tarifverträge zu stärken, seien die Anwendungen der AVE
auszubauen und die Voraussetzungen der Erteilung der AVE
zu erleichtern. Zusätzlich sei die Ausweitung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen notwendig. Auch
regionale Erstreckungen sollten möglich werden.

Die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände
sieht die Zielsetzung des Antrags der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN mit den vorgeschlagenen Änderungen als
nicht erreichbar an. Im Gegenteil: Nicht nur ein gesetzlicher
Mindestlohn, sondern auch eine Ausweitung der AVE
schwäche die Tarifautonomie. Es müsse weiterhin aus-
schließlich Sache der Tarifvertragsparteien bleiben, die
Arbeitsbedingungen ihrer Branchen zu regeln. Auch eine
Absenkung des 50-Prozent-Quorums sowie eine Auswei-
tung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) sei abzu-
lehnen.

Der Zentralverband des Deutschen Handwerks lehnt die
Vorschläge ab. Schaffe der Staat selbst „angemessene“ Ar-
beitsbedingungen, sei der Abschluss von Tarifverträgen
letztlich überflüssig. Die Mitgliedschaft in einer Koalition,
sei es auf Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite, verliere für
den Einzelnen an Attraktivität und Bedeutung, da nicht
mehr die Koalitionen, sondern der Staat die „angemesse-
nen“ Arbeitsbedingungen setzten. Zwar sei die unmittelbare
Bindung der Unternehmen an Flächen- und Branchentarif-
verträge in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Dafür
steige aber die Zahl der Haus- bzw. Firmentarifverträge.
Zudem orientiere sich ein erheblicher Teil der nicht-tarif-
gebundenen Unternehmen an den bestehenden Flächen-
ständigen beschlossen. Diese fand in der 89. Sitzung am
6. Februar 2012 statt.

bzw. Branchentarifverträgen. Diese Aspekte zeigten, dass
Tarifverträge trotz aller Unkenrufe weiterhin das wichtigste

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/10220

Strukturelement für die Festsetzung von Entgelten, Arbeits-
bedingungen sowie weiterer beschäftigungsrelevanter Fra-
gen seien. Auch der immer wieder zitierte Anstieg der Zahl
von ALG-II-Aufstockern könne nicht als Rechtfertigung für
die staatliche Festsetzung von Löhnen herangezogen wer-
den. Auch die Forderung nach Ausdehnung des Arbeitneh-
mer-Entsendegesetzes auf alle Branchen sowie die Einfüh-
rung allgemeiner gesetzlicher Mindestlöhne wird abgelehnt.
Ausdrücklich begrüßt wird dagegen der Vorschlag der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit des Erlasses einer AVE gemäß § 5 TVG
oder des Erlasses einer Rechtsverordnung nach § 7 AEntG
ausschließlich den Arbeitsgerichten zuzuweisen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsfor-
schung verweist darauf, dass die Anträge der Fraktionen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, DIE LINKE. und der SPD
darauf abzielten, das System der AVE von Entgelttarifver-
trägen zu reformieren, um das Tarifvertragssystem zu stär-
ken. Der Vorschlag, das Arbeitnehmerentsendegesetz auf
alle Branchen auszuweiten, erscheine dabei nicht zweckmä-
ßig. Ein System, in dem für jede Branche – möglicherweise
mit zusätzlichen Differenzierungen nach Qualifikation bzw.
Regionen – eine andere Lohnuntergrenze gelte, dürfe auf-
grund seiner Komplexität nur äußerst schwer zu admi-
nistrieren sein. Ein einheitlicher gesetzlicher Mindestlohn
– ggf. differenziert nach Ost- und Westdeutschland und mit
besonderen Regelungen für Jugendliche und junge Erwach-
sene – hingegen, dessen Höhe mit Augenmaß festgesetzt
sei, könne das Tarifsystem als untere Grenze stützen und zu
einer Begrenzung des Niedriglohnsektors beitragen.

Das Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsinstitut lehnt die
Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindest-
lohns ab. Es sei schwer vorstellbar, dass der Gesetzgeber
dasjenige Niveau eines gesetzlichen Mindestlohns bestim-
men könne, dass eine Abwägung in gesellschaftlich opti-
maler Weise treffe. Allerdings sei ein flächendeckender ge-
setzlicher Mindestlohn aus ökonomischer Sicht keineswegs
schlechter als ein Netz branchenbezogener Mindestlöhne,
die über die schädliche Wirkung auf die Beschäfti-
gungschancen der ausgegrenzten Arbeitnehmer hinaus den
Wettbewerb auf den Produktmärkten verzerrten. Auch eine
Ausdehnung des AEntG auf alle Branchen wird abgelehnt.
Weder starke Konkurrenz aus dem Ausland noch der ange-
sprochene Konsens könnten in anderen Branchen als gege-
ben vorausgesetzt werden. Ohne diese Voraussetzungen sei
jedoch die Gefahr negativer Beschäftigungseffekte für hei-
mische Arbeitnehmer bei der Einführung von Mindest-
löhnen deutlich erhöht. Damit würde das Gesetz seine
potenziell negativen Auswirkungen auf Dritte, diesmal je-
doch auf heimische Arbeitnehmer, ausdehnen.

Das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung
warnt vor der Einführung eines flächendeckenden gesetz-
lichen Mindestlohns. Bei einem wettwerblich funktionieren-
den Arbeitsmarkt müsse man davon ausgehen, dass mit ge-
setzlichen Lohnuntergrenzen die Arbeitslosigkeit gerade für
die Problemgruppen auf dem Arbeitsmarkt zunehme. Tat-
sächlich erscheine gerade die in den letzten Jahren erreichte
Spreizung der Lohnstruktur als wirksamer Teil der mit den

Der Sachverständige Professor Dr. Ulrich Preis räumt ein,
dass durch verschiedene rechtliche und tatsächliche Ent-
wicklungen die Funktionsfähigkeit der Allgemeinverbind-
lichkeit in Gefahr gerate. Ein wesentlicher Grund hierfür
liege in § 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 TVG. Für allgemein-
verbindlich erklärt werden könne ein Tarifvertrag demnach,
wenn die tarifgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als
50 Prozent der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages
fallenden Arbeitnehmer beschäftigen. Mit abnehmender Ta-
rifbindung auf Arbeitgeberseite sinke die Chance, dass das
Quorum erfüllt werden könne; das Mittel der AVE laufe
zunehmend leer. Existierten dann noch in einer Branche
mehrere konkurrierende Tarifverträge, werde die Möglich-
keit der AVE weiter reduziert. Für die Ersetzung des starren
Quorums durch den flexibleren Begriff der Repräsentativität
spreche seine umfassende Verankerung in dem Recht der eu-
ropäischen Länder, die eine AVE kennen. Zum Mindestlohn
u. a.: Mindestlohnmodelle sollten nur dort greifen, wo die
Tarifvertragsparteien nicht mehr in der Lage seien, den Ar-
beitsmarkt angemessen zu ordnen. Wenn der Gesetzgeber
hier reagiere, werde die Tarifautonomie nicht beeinträchtigt.

Der Sachverständige Professor Dr. Ralf Wank weist u. a.
darauf hin, dass die AVE nach § 5 TVG keinen Auslandsbe-
zug habe – anders als das AEntG, das ausländischen Arbeit-
gebern den Zugang zum deutschen Markt erschwere. Nach
dem AEntG dürfe daher nur ein Mindeststandard gesichert
werden. Es sei daher nicht beliebig, welches Gesetz man
einer Gesetzesänderung zugrunde lege. Nach dem Grünen-
Antrag solle das Gesetz pauschal auf alle Branchen ausge-
dehnt werden. Das widerspreche dem Grundgedanken und
der Legitimation für einen Mindestlohn im Allgemeinen
und des AEntG im Besonderen. Würde das Gesetz pauschal
für alle Branchen gelten, bestünde keine staatliche Kon-
trolle mehr, ob die Voraussetzungen des Gesetzes vorliegen.
Dagegen bestünden verfassungsrechtliche Bedenken.

Der Sachverständige Professor Franz-Josef Düwell
stimmt der den Anträgen zugrunde liegenden These zu, dass
die Erosion des Tarifvertragssystems gestoppt werden
müsse. Gewerkschaften wie Arbeitgeberverbände litten seit
Mitte der 90er-Jahre unter starkem Mitgliederschwund. Die-
sen Schwund der mitgliedschaftlich oder vertraglich be-
gründeten Tarifbindung könnten im System des Tarifver-
tragsrechts nur die AVE nach § 5 TVG oder die Rechtsver-
ordnung nach § 7 AEntG ausgleichen. Diese theoretische
Erkenntnis habe auch praktische Bedeutung; denn die Ent-
wicklung laufe scherenartig auseinander. Korrespondierend
zu der Abnahme der Anzahl tarifgebundener Arbeitgeber
nehme auch die Zahl der allgemeinverbindlichen Tarifver-
träge seit langem ab. Es überrasche den Kenner nicht, dass
heute nur noch vier Entgelttarifverträge allgemeinverbind-
lich seien. In der Frage eines flächendeckenden branchen-
übergreifenden Mindestlohns weist der Sachverständige
u. a. darauf hin, dass für eine Einführung derzeit keine
Rechtsgrundlage bestehe. Sowohl MiArbG als auch TVG,
AEntG und AÜG gingen von der Geltung für einzelne Wirt-
schaftszweige aus. Zur Erfüllung dieser Forderung bedürfte
es eines neuen Gesetzes. Der Blick auf die Rechtsprechung
zeige aber, dass eine „Haltelinie nach unten“ bei den Löh-
nen notwendig sei.
Hartz-Reformen eingeleiteten Therapie gegen das Struktur-
problem der Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland.

Der Sachverständige Dr. Florian Rödl empfiehlt u. a.,
dass das 50-Prozent-Quorum der AVE durch eine flexible

Drucksache 17/10220 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Anforderung hinreichender Repräsentativität in Anlehnung
an § 7 Absatz 2 AEntG ersetzt werden sollte. Das bislang
zur Sicherung der Repräsentativität eines allgemeinverbind-
lichen Tarifvertrages gedachte starre Quorum passe nicht
mehr in eine Gegenwart, die von abnehmender Tarifbin-
dung und verstärkter Tarifkonkurrenz geprägt sei. Auch in
der praktischen Handhabung seien erhebliche Schwierig-
keiten aufgetreten. Eine Senkung des Quorums löse die
Probleme nur eingeschränkt. Zur Antragstellung auf AVE:
Diese sollte nur von beiden Tarifparteien gemeinsam
gestellt werden können. Im Gegenzug solle dem Tarifaus-
schuss nur mehr eine beratende Funktion zukommen. Für
die Erstreckung allgemeinverbindlicher Tarifnormen auf
Entsendearbeit: Die Aufnahme neuer Branchen sollte in
einem vereinfachten Verfahren durch Rechtsverordnung er-
möglicht werden.

Der Sachverständige Dr. Reinhard Bispinck betont, dass
sich die Politik mit den vorliegenden Anträgen zur Stabili-
sierung des deutschen Tarifvertragssystems zur ihrer Ver-
antwortung bekenne, die Funktionsfähigkeit der Tarifauto-
nomie sicherzustellen. Jenseits aller Unterschiede im Detail
zeichneten sich dabei durch alle Anträge hindurch die Kon-
turen eines gemeinsamen Reformprogramms ab, das im
Kern auf eine Weiterentwicklung des Instruments der AVE
zielt. Damit würde für Deutschland die Chance bestehen,
den bisherigen Erosionsprozess des Tarifvertragssystems
wieder umzukehren und bei der Tarifbindung auf west-euro-
päische Standards zurückzukehren.

Weitere Einzelheiten können den Stellungnahmen auf Druck-
sache 17(11)766(neu) und dem Protokoll der Anhörung ent-
nommen werden.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse im
federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratungen
über die Anträge auf Drucksachen 17/8459, 17/8148 und
17/4437 in seiner 107. Sitzung am 27. Juni 2012 abgeschlos-
sen und dem Deutschen Bundestag mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der
Fraktionen SPD und DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des
Antrags auf Drucksache 17/8459 empfohlen. Der Ausschuss
hat zudem mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen SPD und DIE
LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags auf Drucksache
17/8148 empfohlen und mit den Stimmen der Fraktionen der
CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen DIE
LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimment-
haltung der Fraktion der SPD die Ablehnung des Antrags
auf Drucksache 17/4437 empfohlen.

Die Fraktion der CDU/CSU betonte, man teile die pessi-
mistische Sicht der Anträge auf die Tarifbindung in
Deutschland nicht. Wenn man die Haustarifverträge einbe-
ziehe, komme man auf im europäischen Vergleich normale
Zahlen. Die Fraktion sei gegen die vorgeschlagenen Ände-
rungen. Grundsätzlich müssten Unternehmen auch die Frei-
heit haben, sich keinem Tarifvertrag zu unterwerfen. Eine
zwanghafte Tarifbindung dürfe es nicht geben. Ein einheit-

überlassungsgesetzes aber wegen der problematischen Aus-
wirkungen nicht. Das Quorum für die Allgemeinverbind-
licherklärung bilde das Mehrheitsprinzip gut ab. Daher solle
man es nicht in Frage stellen. Bleibe die große Frage der
Lohnuntergrenze. Dabei stärke die Koalition mit ihrem Vor-
schlag die Tarifautonomie.

Die Fraktion der SPD kritisierte, dass Deutschland im EU-
Vergleich inzwischen zu den Ländern mit dem geringsten
Grad an Tarifbindung gehöre. Ein Grund dafür seien die be-
sonders scharfen Bedingungen für die Allgemeinverbind-
licherklärung von Löhnen. Kein anderes Land habe ver-
gleichbare Regelungen. Ein spezielles Problem liege im Ve-
torecht des Tarifausschusses, das letztlich ein Vetorecht der
Arbeitgeber bedeute. Was diese auch ausgiebig nutzten.
Mittlerweile sei nur rund ein Prozent der Verträge hierzu-
lande für allgemeinverbindlich erklärt – auch das sei ein Re-
kordwert nach unten. Auch das 50-Prozent-Quorum als Vor-
aussetzung der AVE sei immer problematischer geworden.
Die SPD-Fraktion wolle dieses nun durch das Prinzip der
Repräsentativität ersetzen.

Nach Einschätzung der Fraktion der FDP funktioniert die
Tarifautonomie in Deutschland gut. Das sei auch eine we-
sentliche Erklärung für die im internationalen Vergleich
gute Situation der Volkswirtschaft. Inzwischen bestehe ein
ausdifferenziertes System der Lohnfindung. Nach dem Ta-
rifvertragsgesetz würden aber ganze Tarifgitter für allge-
meinverbindlich erklärt. Dafür seien hohe Ansprüche ange-
bracht. Zu bedenken sei auch, dass starke staatliche Ein-
griffe die Mitgliedschaft bei einem der Tarifpartner weniger
attraktiv machten. Des Weiteren solle die Zusammen-
setzung des Tarifausschusses nicht – wie in den Anträgen
gefordert – verändert werden, um die gesamtgesellschaft-
liche Sicht in diesem Gremium nicht zu gefährden. Die
Fraktion der FDP lehne die drei Anträge ab.

Die Fraktion DIE LINKE. plädierte an die Fraktionen, ge-
meinsam dieses drängende Problem anzugehen. Man habe
gemeinsam das Problem der schwindenden Tarifbindung
und ihrer Folgen erkannt und müsse es jetzt gemeinsam
lösen. Daher werde die Fraktion den anderen vorliegenden
Anträgen trotz unterschiedlicher Auffassungen in Einzel-
fragen zustimmen. Eine Stärkung des Tarifvertragssystems
auf institutionelle Weise ist notwendig und mit Blick auf an-
dere europäische Länder auch möglich. Eine Stärkung des
Tarifvertragssystems erfordert eine Re-Stabilisierung der
gewerkschaftlichen Organisationsmacht aber auch des Ta-
rifvertragssystems auf politischem Wege. Bei Letzterem
komme neben der Einführung eines gesetzlichen Mindest-
lohns als Sicherung des unteren Lohnbereichs der Reform
der AVE eine wichtige Rolle zu.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plädierte
ebenfalls, dass Thema dringend anzugehen. Die Mehrzahl
der Sachverständigen habe bei der Anhörung daraufhin ge-
wiesen, dass das Tarifsystem in Deutschland nicht mehr
richtig funktioniere. Der Erosionsprozess dauere bereits seit
Mitte der 90er-Jahre an. In mittleren wie großen Betrieben
sei die Tendenz zu beobachten, Auseinandersetzungen um
Tarife und Arbeitsbedingungen auf die betriebliche Ebene
zu verlagern. In der Folge büßten die Beschäftigte teils Un-
terstützung in der Wahrnehmung ihrer Interessen ein. Die
licher Weg zur Allgemeinverbindlicherklärung werde dage-
gen positiv gesehen, eine Ausweitung des Arbeitnehmer-

Koalition schaue dieser Entwicklung tatenlos zu. Nur noch
1,5 Prozent der tariflichen Löhne seien für allgemeinver-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/10220

bindlich erklärt, bei 59 Prozent Tarifbindung. Die Regelun-
gen griffen immer weniger. Daher sei die Absenkung des
Quorums für die Allgemeinverbindlicherklärung so wichtig.
Außerdem müsse der Entgeltbegriff des Arbeitnehmerent-
sendegesetzes reformiert werden. Künftig sollten nur noch
Arbeitsgerichte die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifver-
trägen überprüfen.

Berlin, den 27. Juni 2012

Jutta Krellmann
Berichterstatterin

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.