BT-Drucksache 17/10199

zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksache 17/7847 - Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung

Vom 28. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10199
17. Wahlperiode 28. 06. 2012

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping,
Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 17/7847 –

Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung

A. Problem

Nach § 22a des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) können die Bun-
desländer Kreise und kreisfreie Städte ermächtigen, angemessene Kosten der
Unterkunft (KdU) für Hilfebedürftige für ihr Gebiet zu bestimmen oder dafür
eine monatliche Pauschale festzusetzen. Außerdem können nach geltendem
Recht Hartz-IV-Beziehende nach einem halben Jahr zur Senkung ihrer Wohn-
kosten bzw. zu einem Umzug aufgefordert werden, wenn ihre Miete die gesetz-
lich vorgesehene Höhe überschreitet.

B. Lösung

Die gesetzlichen Regelungen zu beiden Bereichen sollen nach der Forderung
der Antragsteller so geändert werden, dass u. a. konkrete Mindeststandards für
kommunale Satzungsregelungen für angemessene KdU und Heizung festgelegt
werden. Die Möglichkeit zur Pauschalisierung dieser Kosten solle aufgehoben
werden. Darüber hinaus werden Maßnahmen zur Vermeidung von Zwangsum-
zügen vorgeschlagen.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und FDP gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
C. Alternativen

Annahme des Antrags.

D. Kosten

Kostenrechnungen werden nicht angestellt.

Drucksache 17/10199 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 17/7847 abzulehnen.

Berlin, den 27. Juni 2012

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Katja Kipping Thomas Dörflinger
Vorsitzende Berichterstatter

8. Februar 2012 aufgenommen und die Durchführung einer zung mit Pauschalen für Bedarfe der Unterkunft und Hei-

öffentlichen Anhörung von Sachverständigen beschlossen.
Diese fand in der 102. Sitzung am 7. Mai 2012 statt.

Die Teilnehmer der Anhörung haben schriftliche Stellung-

zung (KdU) zu erlassen, sei absehbar kaum relevant. Zudem
hätten leistungsberechtigte Personen bereits das Recht, in
ihrem gewählten Wohnraum zu bleiben, solange ein wirk-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10199

Bericht des Abgeordneten Thomas Dörflinger

I. Verfahren

1. Überweisung

Der Antrag auf Drucksache 17/7847 ist in der 150. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 16. Dezember 2011 an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Bera-
tung sowie an den Innenausschuss und den Haushaltsaus-
schuss zur Mitberatung überwiesen worden.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Innenausschuss und der Haushaltsausschuss haben
den Antrag auf Drucksache 17/7847 in ihren Sitzungen am
27. Juni 2012 beraten und dem Deutschen Bundestag
gleichlautend mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP gegen die Stimmen der Fraktion DIE
LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Ablehnung des Antrags
empfohlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

Die im Zuge der Umsetzung des Verfassungsgerichtsurteils
vom Februar 2010 beschlossene Regelung für die Kosten
der Unterkunft (KdU) im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) räumt u. a. den Bundesländern die Möglichkeit
ein, Kreise und kreisfreie Städte zur Pauschalierung der
KdU zu ermächtigen oder eine angemessene Höhe dieser
Kosten in ihrem Gebiet zu bestimmen. Solche Pauschalen
sind nach der Argumentation der Antragsteller schon recht-
lich nicht umsetzbar. Um die Vorgaben des Bundesverfas-
sungsgerichtsurteils umzusetzen, müssten die Pauschalen in
jedem Fall bedarfsdeckend angesetzt werden – damit wür-
den sie so hoch ausfallen, dass dies dem Wirtschaftlichkeits-
gebot von § 22a SGB II zuwiderlaufe. Die Möglichkeit zur
Pauschalierung solle aus dem SGB II gestrichen werden.
Darüber hinaus müssten Mindestanforderungen für solche
kommunalen Satzungen festgelegt werden.

Zu den außerdem geforderten Maßnahmen zur Vermeidung
von Zwangsumzügen gehört etwa, dass bestimmte Per-
sonengruppen wie Schwangere, Schwerkranke und langjäh-
rige Mieter von dieser Maßnahme ganz ausgenommen wer-
den. Die Fristen, in denen die Wohnkosten von Hartz-IV-
Beziehenden vollständig übernommen werden, sollten ver-
längert werden. Bei unvermeidbaren Wohnungswechseln
seien den Leistungsbeziehenden doppelte Mietzahlungen
und die unmittelbaren Umzugskosten sowie Renovierungs-
maßnahmen zu erstatten.

III. Öffentliche Anhörung von
Sachverständigen

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat die Beratung des
Antrags auf Drucksache 17/7847 in seiner 90. Sitzung am

Folgende Verbände, Institutionen und Einzelsachverstän-
dige haben an der Anhörung teilgenommen:

• Bundesagentur für Arbeit (BA)

• Statistisches Bundesamt

• Deutscher Landkreistag

• Deutscher Städtetag

• Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge
e. V.

• Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)

• Sachverständiger Dr. Andy Groth, Schleswig

• Sachverständige Alexandra Frank-Schinke, Nürnberg

• Sachverständiger Dr. Stefan Schifferdecker, Berlin

• Sachverständiger Dr. Joachim Rock, Berlin

• Sachverständiger Holger Gautzsch, Dortmund

• Sachverständige Gisela Tripp, Dortmund.

Eine pauschalierte Leistungserbringung ist nach den Erfah-
rungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) generell geeig-
net, Verwaltungsaufwand und damit auch Verwaltungskos-
ten zu reduzieren sowie die Rechtmäßigkeit des Verwal-
tungshandelns zu erhöhen. Eine pauschalierende Regelung
im Sinne des § 22a Absatz 2 SGB II erscheine darüber hin-
aus geeignet, die Eigenverantwortung der Leistungsberech-
tigten zu fördern und diesen zumindest im Einzelfall einen
größeren Spielraum bei der Organisation der persönlichen
Lebenssituation zu eröffnen. Zudem könnten pauscha-
lierende Regelungen geeignet sein, der allgemein zu beach-
tenden Entwicklung, dass sich – unabhängig vom tatsäch-
lichen Marktwert der Wohnung – die Miethöhe generell an
den kommunalen Mietobergrenzen orientiert, entgegenzu-
wirken.

Das Statistische Bundesamt verweist darauf, dass die amt-
liche Statistik keine Daten zu Mindeststandards bei der An-
gemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung
erhebt. Auch würden keine Erhebungen durchgeführt, die
geeignet wären zu überprüfen, ob existierende Mindest-
standards eingehalten würden. Aus den Daten des Mikro-
zensus ergäben sich aber u. a. signifikante Unterschiede
zwischen Haushalten mit Hartz-IV-Beziehenden und sol-
chen ohne etwa zur Höhe der Miete. So zahlten Hartz-IV-
Haushalte beispielsweise zwischen 25 und 34 Eurocent
Miete je Quadratmeter weniger als Haushalte ohne Hartz-
IV-Empfänger.

Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag
lehnen die vorgeschlagenen Änderungen ab. Die Anforde-
rungen an kommunale Satzungen seien in § 22a ff. SGB II
detailliert geregelt. Weitergehende Standards ließen örtliche
Unterschiede unberücksichtigt. Die Möglichkeit, eine Sat-
nahmen abgegeben, die in der Ausschussdrucksache
17(11)888 zusammengefasst sind.

sames Nutzungsrecht (Mietvertrag etc.) bestehe. Die dafür
anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung würden in

Drucksache 17/10199 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

angemessener Höhe übernommen. Auch die Kosten einer
energetischen Sanierung seien von den KdU bereits inso-
weit umfasst, als sie über die Miete auf den Mieter umgelegt
würden. Warmwasser- und Betriebskosten seien in den KdU
ebenfalls enthalten bzw. würden als Mehrbedarfe übernom-
men. Eine Mehrbelastung der Landkreise als zuständige
kommunale Träger werde abgelehnt.

Der Deutsche Verein für öffentliche und private Für-
sorge e. V. begrüßt die Forderung nach einer Einschränkung
des § 42a SGB II, wonach bei der Gewährung einer Miet-
kaution als Darlehen keine Verpflichtung zum vorrangigen
Einsatz von Schonvermögen bestehe. Die darüber hinausge-
henden Vorschläge zur Änderung der Regelungen zu den
KdU würden als entbehrlich erachtet. Auch einer Änderung
der Anforderungen an kommunale Satzungen bedürfe es
nicht; denn der Satzungsgeber könne nicht hinter die Vorga-
ben des vom Bundessozialgericht entwickelten schlüssigen
Konzepts zurückfallen. Eine Notwendigkeit zur Abschaf-
fung der Regelungen des § 22a Absatz 2 SGB II werde
nicht gesehen. Zudem würden die KdU bereits in ange-
messener Höhe übernommen. Auch eine Verlängerung der
Bestandsschutzfrist für die Übernahme unangemessener
Wohnkosten über die Dauer von sechs Monaten hinaus
werde nicht befürwortet.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) spricht sich für
die Einführung bundeseinheitlicher Mindeststandards bei
der Festsetzung der Angemessenheit von Unterkunfts- und
Heizungskosten aus. Die Ausgestaltung eines Teils des vom
Bund zu garantierenden Existenzminimums den Kommu-
nen frei zu überlassen, widerspreche dem Verfassungsprin-
zip der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Sie-
ben Jahre nach dem Start des Hartz-IV-Systems existierten
bundesweit sehr unterschiedliche Regelungen zur Ange-
messenheit von Unterkunftskosten, die nicht durch örtliche
Gegebenheiten begründbar seien, sondern auf politischen
Entscheidungen der Kommunen beruhten. Teils würden
schon geringe Überschreitungen der ohnehin uneinheit-
lichen Höchstbeträge zum Anlass genommen, Hilfeempfän-
ger zum Umzug zu zwingen. Ein besonderes Problem stelle
sich in Fällen, in denen Hilfeempfänger Teile ihres Regelbe-
darfs darauf verwenden (müssten), ihren angeblich unange-
messenen Unterkunftskostenbedarf zu decken. Dies be-
schneide die Möglichkeiten zur Deckung des notwendigen
Lebensunterhalts gerade für Familien weiter. Nach wie vor
seien auch Streitigkeiten um die Übernahme der Unter-
kunftskosten ein Schwerpunkt bei Widerspruchs- und Kla-
geverfahren. Explizit lehnt der DGB auch eine Pauschalie-
rung der KdU ab. Auch eine Aufforderung zum Umzug
dürfe nur ergehen, wenn die Kommunen die Existenz von
entsprechenden Wohnungen zu angemessenen Bedingungen
nachweisen könnten.

Nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. Andy Groth
bedarf die Ermächtigung zum Erlass von Angemessenheits-
satzungen nach § 22a Absatz 1 SGB II keiner Änderung.
Die bundesgesetzlichen Vorgaben gäben kommunalen Sat-
zungen einen verlässlichen Rahmen und trügen den Grund-
rechten der leistungsberechtigten Personen Rechnung. Dar-
über hinaus seien angemessen im Sinne des § 22 Absatz 1
SGB II Wohnungen, die Bezieher unterer Einkommen typi-

an. Das schließe es aus, für kommunale Satzungen mindes-
tens auf die örtliche Durchschnittsmiete abzustellen. Zudem
sei die Ermächtigung zum Erlass von Pauschalierungs-
satzungen verfassungsgemäß. Wegen der hohen Anforde-
rungen an Pauschalierungssatzungen würden voraussicht-
lich nur wenige Länder entsprechende Ermächtigungs-
grundlagen schaffen und sehr wenige Kommunen Pauscha-
lierungsatzungen erlassen. In Einzelfällen, wie einem sehr
homogenen Wohnungsmarkt, könne eine Pauschalierung
dennoch sinnvoll sein.

Die Sachverständige Alexandra Frank-Schinke sieht die
Regelungen in § 22 ff. SGB II schon jetzt als umfangreich
und komplex an. Zu § 22 SGB II gebe es mittlerweile ein
Vielzahl an Rechtsprechung. Dadurch könnten mittlerweile
viele offene Fragen geklärt werden. Jede zusätzliche Rege-
lung würde weitere Rechtsunsicherheit und Streitigkeiten
produzieren. Grundsätzlich sei festzuhalten, dass die Erfor-
dernisse der Übernahme von KdU und die Anforderungen
an kommunale Satzung im SGB II in ausreichendem Maße
geregelt seien. Den Kommunen müsse aufgrund des Rechts
auf kommunale Selbstverwaltung auch ein gewisser Spiel-
raum zur eigenständigen Ausgestaltung und Ermittlung der
Unterkunftskosten in ihrem Zuständigkeitsbereich verblei-
ben. Die eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten sollten der
bereits existierenden regionalen Vielfalt an Verwaltungsvor-
schriften Rechnung tragen. Eine Modifizierung sei jedoch
für § 42 a SGB II überlegenswert, da er keinen Ermessens-
spielraum für Rückforderungen von Darlehen belasse und
damit eine Berücksichtigung individueller Anforderungen
von Bedarfsgemeinschaften unmöglich mache. Zumindest
für Darlehen, die kommunale Leistungen beträfen, wie
Mietkaution und Mietschuldenübernahme, solle es eine
Ermessensregelung geben.

Der Sachverständige Dr. Stefan Schifferdecker sieht kei-
nen Konkretisierungsbedarf bei den gesetzlichen Rege-
lungen zur Bestimmung der Höhe der Aufwendungen von
Unterkunft und Heizung durch kommunale Satzung. Eine
Verlängerung der Frist zur Kostensenkung solle geprüft
werden. Sie solle jedoch abweichend vom vorliegenden An-
trag geregelt werden. Empfohlen wird, Darlehen an Leis-
tungsberechtigte für Mietkautionen nicht mit dem Regelsatz
aufzurechnen. Begrüßenswert sei der Vorschlag, Leistungs-
berechtigten verstärkt Zugang zu kostenlosen, unabhän-
gigen Mieterberatungen zur Überprüfung der Wohnkosten
zu ermöglichen. Im Übrigen sehe er keinen Änderungsbe-
darf in Bezug auf den beantragten Gesetzentwurf.

Der Sachverständige Dr. Joachim Rock lehnt die Pau-
schalierung von KdU ab. Sie widerspreche dem sozialrecht-
lichen Individualisierungs- und Bedarfsdekkungsgrundsatz,
der mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts gestärkt worden sei. Auch in der Verwaltung-
spraxis ergäben sich erhebliche Bedenken gegen eine Pau-
schalierung. Die Möglichkeit zur Pauschalierung in § 22a
Absatz 2 SGB II sei deshalb zu streichen. Darüber hinaus
sollten die bestehenden Regelungen, wonach Leistungs-
empfängerinnen und Leistungsempfänger im Rechtskreis
SGB II und XII in der Regel maximal ein halbes Jahr lang
mit einer Übernahme von die angemessenen Kosten über-
steigenden Wohnkosten rechnen könnten, über die beste-
scherweise anmieteten. Die höchstrichterliche Rechtspre-
chung sehe deshalb das untere Marktsegment als Referenz

hende Öffnungsklausel hinaus gelockert werden. Umzüge
sollten nur nach sorgfältiger Einzelfallprüfung gefordert

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/10199

werden können. Die in § 22 Absatz 1 SGB II normierte
Halbjahresfrist werde den Erfordernissen der Praxis auch
deshalb nicht gerecht, weil insbesondere die Heizkosten in
der Regel per Jahresrechnung bemessen würden. Auch des-
halb sei eine Lockerung der bestehenden Regelungen sinn-
voll. In diesem Zusammenhang sei außerdem auf den drin-
genden Handlungsbedarf zur Vermeidung von Strom- und
Gassperren in Haushalten im Rechtskreis des SGB II hinzu-
weisen. Aus der Beratungspraxis sei bekannt, dass die Job-
center Strom- und Gasschulden häufig nur zögerlich über-
nähmen.

Der Sachverständige Holger Gautzsch unterstützt die For-
derung nach Streichung der Pauschalierungsermächtigung.
Diese sei überflüssig, finanzpolitisch gefährlich und unver-
hältnismäßig streitträchtig. Zudem zeichne sich ein dringen-
der kommunaler Bedarf nicht ab. Über ein Jahr nach
Inkrafttreten der Gesetzesreform seien Landesgesetze mit
Satzungsermächtigung lediglich in Hessen, Berlin und
Schleswig-Holstein in Kraft getreten. Nur das hessische
Landesgesetz ermächtige auch zur Pauschalierung. Des
Weiteren resultiere aus der Verfassungsgarantie des sozio-
kulturellen Existenzminimum die Verpflichtung zur Finan-
zierung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Das Ange-
messenheitskriterium diene dabei der Wahrung der finan-
ziellen Interessen der Steuerzahler. Verfassungsrechtlich le-
gitimiert sei somit die Angemessenheitsgrenze im Hinblick
allein auf die Kostenhöhe und den Zeitraum in Form einer
Übergangsfrist, um überhöhte Kosten zumutbar zu senken.
Ausgeschlossen hierbei seien Motive, aus wohnungspoliti-
schen oder anderen Gründen darauf Einfluss zu nehmen,
wie und wo ein Hilfebedürftiger wohne. Derartige Auswir-
kungen könnten als faktische Auswirkungen bereits recht-
lich problematisch sein. Das Recht nach eigenen individuel-
len Vorstellungen zu leben und zu wohnen sei durch das
allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Freizügigkeit
geschützt. Eine wohnungspolitische Steuerung ohne Recht-
fertigung durch tatsächliche Kosteneinsparungen sei daher
rechtlich nicht möglich.

Die Sachverständige Gisela Tripp unterstützt das Anlie-
gen des Antrags der Fraktion DIE LINKE., mehr soziale
Sicherheit in der Wohnungsfrage für Hartz-IV-Bezieher her-
zustellen und Zwangsumzüge zu verhindern. Es bestehe die
Notwendigkeit der Festlegung von bundeseinheitlichen
Mindeststandards bei der Angemessenheit der KdU. Vor-
rangiges Ziel solle die Rücknahme der Satzungsermächti-
gung mit ihren Bestimmungen nach Festlegung der Ange-
messenheit der Höhe der KdU und der Festlegung monat-
licher Pauschalen sein. Wohnen brauche verlässliche Rege-
lungen, die die Lebenssituation von SGB-II-Beziehern in
den Blick nehme und den Anspruch verfolge, ihre hilfe-
bedürftige Lage zu verbessern. Die Verwaltungspraxis sei
dem anzupassen.

Weitere Einzelheiten können den Stellungnahmen auf Aus-
schussdrucksache 17(11)888 sowie dem Protokoll der Sit-
zung entnommen werden.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf

mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimm-
enthaltung der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN die Ablehnung des Antrags empfohlen.

Die Fraktion der CDU/CSU lehnte den Antrag ab. Die
Mehrzahl der erhobenen Forderungen sei schon nach heute
geltendem Recht erfüllt. Das gelte beispielsweise bei der
geforderten Übernahme zusätzlicher Leistungen bei einem
Wohnungswechsel. Diese könnten ausdrücklich bereits
übernommen werden. Ein Regelungsbedarf sei dementspre-
chend nicht erkennbar. Andere Forderungen würden bei Er-
füllung ein Gerechtigkeitsproblem gegenüber Familien mit
geringerem und mittleren Einkommen aufwerfen, die für
ihre Kosten selbst aufkommen müssten.

Die Fraktion der SPD könne einem Teil der Forderungen
zustimmen, anderen hingegen nicht. Die Frist für den Um-
zug bei zu hohen Wohnkosten müsse, wie gefordert, für be-
stimmte Personengruppen auf zwölf Monate verlängert wer-
den. Sechs Monate seien besonders für Ältere, Kranke und
Schwangere zu kurz. Zustimmen könne die Fraktion der
SPD auch den Forderungen nach einer besseren Mieterbera-
tung. Die Kritik an der Möglichkeit zur Satzungsermächti-
gung der Kommunen sei von einer Reihe von Sachverstän-
digen ausdrücklich nicht geteilt worden, weil die Kommu-
nen die Situation vor Ort besser einschätzen könnten. Die
Fraktion der SPD werde sich bei der Abstimmung der
Stimme enthalten.

Die Fraktion der FDP verwies darauf, dass viele der For-
derungen bereits durch das geltende Gesetz erfüllt würden.
Das gelte beispielsweise für die Berücksichtigung zusätz-
lichen Raumbedarfs und die Festsetzung der Wohnkosten.
Bei anderen Forderungen, wie der Festlegung angemesse-
ner, höherer Heizkosten durch einen Gutachter, stelle sich
die Frage der Realisierbarkeit. Natürlich müsse Bedürftigen
geholfen werden. Das müsse aber auch stets gegen die Inte-
ressen der Steuerzahler abgewogen werden. In diesem
Sinne habe sich die geltende Regelung bewährt.

Die Fraktion DIE LINKE. forderte, Zwangsumzüge künf-
tig zu verhindern. Das Recht auf Wohnraum habe Verfas-
sungsrang. Diesen Anspruch müsse man durch bundesweit
geltende Mindeststandards und einen bundeseinheitlichen
Rahmen sichern. Dieser würde zudem Rechtssicherheit
schaffen, an der es heute oft fehle, wie man etwa an der
hohen Erfolgsquote von Widersprüchen und Klagen sehen
könne. Diese zeigten den dringenden Regelungsbedarf.
Auch die Möglichkeit, die Höhe der KdU durch kommunale
Satzungen festzulegen, schaffe diese Rechtssicherheit nicht.
Das habe die Sachverständigenanhörung deutlich belegt.
Die gängige Praxis, eine bei Zwangsumzug fällig werdende
Mietkaution durch nachfolgenden Abzug von der Grund-
sicherung vom Leistungsberechtigten zahlen zu lassen,
führe regelmäßig zur Unterschreitung des verfassungsrecht-
lich geschützten Existenzminimums und sei daher nicht zu-
lässig. Die Fraktion bitte deshalb um Zustimmung zu dem
Antrag.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stimmte meh-
reren Forderungen des Antrags zu. Die Sachverständigen-
anhörung habe noch einmal die Beratungsdefizite in der
Praxis deutlich belegt. Klar geworden sei überdies, dass die
Drucksache 17/7847 in seiner 106. Sitzung am 13. Mai
2012 abschließend beraten und dem Deutschen Bundestag

Satzungsermächtigung Probleme auch bei den Kommunen
schaffe. Mit der Satzungsermächtigung habe die Koalition

Drucksache 17/10199 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

etwas völlig Überflüssiges geschaffen. Gegen den erzwun-
genen Wohnungswechsel wiederum spreche, dass die dabei
entstehenden Kosten oft in keinem vernünftigen Verhältnis
zu den Einsparungen stünden. Daher müsse diese Regelung
dringend überprüft werden. Trotz Übereinstimmung in vie-
len Punkten könne die Fraktion dem Antrag letztlich aber
nicht zustimmen; denn der vorgeschlagene Ausnahmerege-
lung für bestimmte Gruppen bei der Angemessenheit von
Wohnraum könne man so nicht folgen. Diese laufe darauf
hinaus, dass es keine Angemessenheitsgrenze mehr gebe.
das halte man nicht für angebracht.

Berlin, den 27. Juni 2012

Thomas Dörflinger
Berichterstatter

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.