BT-Drucksache 17/10100

Exzellente Lehrerbildung überall sichern - Pädagogische Berufe aufwerten

Vom 26. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10100
17. Wahlperiode 26. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Jan Korte, Agnes Alpers, Nicole Gohlke,
Ulla Jelpke, Raju Sharma, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak und
der Fraktion DIE LINKE.

Exzellente Lehrerbildung überall sichern – Pädagogische Berufe aufwerten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Angelegenheiten der Schulen sowie Fragen der Ausbildung, Einstellung und
Beschäftigung von Lehrerinnen und Lehrern fallen grundsätzlich in die Zustän-
digkeit der einzelnen Bundesländer. Deshalb haben sich in den Ländern unter-
schiedliche Lehrerausbildungs- und Lehrerlaufbahnstrukturen herausgebildet,
die auf die jeweiligen Schularten bzw. Schulstufen ausgerichtet sind.

Durch die Zusammenfassung der verschiedenen Lehrämter zu sechs Lehramts-
typen durch die Kultusministerkonferenz (KMK) konnte eine gewisse Über-
sichtlichkeit und Vergleichbarkeit hergestellt werden. Auch die Verabschiedung
der sechs Rahmenvereinbarungen haben die allgemeinen Grundsätze für die
Ausbildung und Prüfung der in den jeweiligen Lehramtstypen zusammengefass-
ten Lehrämter unter den Ländern harmonisiert. Der KMK-Beschluss vom
22. Oktober 1999 zur „Gegenseitigen Anerkennung von Lehramtsprüfungen
und Lehramtsbefähigungen“ hat ebenfalls dazu beigetragen, dass zwischen den
Ländern grundsätzlich kein Anerkennungshindernis mehr besteht, allerdings
bestehen nach wie vor unterschiedliche Vorschriften bezüglich zugelassener
Unterrichtsfächer und Fachrichtungen, die zu erheblichen Problemen beim Vor-
bereitungsdienst oder der Einstellung führen können.

Der Deutsche Bundestag würdigt diese Harmonisierungsschritte der KMK. Al-
lerdings dürfen sie über die Defizite und Mängel der Lehrerausbildung nicht hin-
wegtäuschen. Die Bologna-Reformen haben trotz der bestehenden KMK-Stan-
dards in der Praxis zu einer Zunahme der Heterogenität in der Lehrerausbildung
geführt, die Komplexität erhöht und somit die Durchschaubarkeit der verschie-
denen Studiengänge für Lehrämter deutlich erschwert. Studierende, die einen
Bachelorabschluss im Rahmen ihres Lehramtsstudiums absolviert haben und
nicht zum Masterstudium zugelassen werden, erhalten keine Möglichkeit mit
diesem Abschluss dem angestrebten Beruf des Lehrers bzw. der Lehrerin nach-
zugehen. Des Weiteren bestehen – wie es bereits die ergänzenden Gutachten zur

OECD-Lehrerstudie (OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammen-
arbeit und Entwicklung) von 2003 benennen – nach wie vor Defizite in der
pädagogischen und psychologischen Ausbildung, eine mangelnde Verzahnung
der Fachwissenschaften mit der Lehrerbildung und der Bruch zwischen univer-
sitärer Ausbildung und Beruf. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Jahr-
zehnten die Fachdidaktiken an den Hochschulen massiv abgebaut.

Drucksache 17/10100 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Gleichzeitig darf sich die Debatte um eine Reform der Lehrerausbildung nicht
länger allein auf die Erhöhung der beruflichen Mobilität der betroffenen Lehr-
amtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter bzw. Lehrerämter beschränken. Die
Lehrerausbildung muss sich den neuen bildungspolitischen Herausforderungen
stellen. Wenn diese Reformprozesse nachhaltigen Erfolg zeitigen sollen, muss
die Lehrerausbildung jenseits der bildungsföderalen Grenzen diesen Erforder-
nissen angepasst werden. Das bedeutet insbesondere auf Lehr- und Lernmetho-
den zu orientieren, die das individualisierte Lernen in heterogenen Gruppen in
den Mittelpunkt stellen und im Unterricht an die unterschiedlichen Lernvoraus-
setzungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen. Darüber hinaus stellt die
Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinde-
rungen auch eine große Herausforderung für die Reform der Lehrerausbildung
dar.

Der Deutsche Bundestag ist der Überzeugung, dass die Reform der Lehreraus-
bildung – ungeachtet der Kompetenz der Länder – ebenso wie der gesamte Bil-
dungsbereich als Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern betrachtet wer-
den müssen. Angesichts der Problematik, dass insbesondere in den neuen
Bundesländern in den kommenden Jahren gemessen am Einstellungsbedarf über
alle Lehrämter hinweg von einem Unterangebot an Lehrkräften ausgegangen
werden muss (KMK-Modellrechnung, 2011), und angesichts eines hohen Al-
tersdurchschnitts der Lehrkräfte im gesamten Bundesgebiet sowie der Aufgabe,
die Bildungsstandards flächendeckend zu implementieren, ist ein koordiniertes
Vorgehen von Bund und Ländern nicht nur bildungspolitisch, sondern auch vor
dem Hintergrund des Erhalts gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesge-
biet geboten.

Die Auslobung eines Exzellenzwettbewerbes in der Lehrerbildung wird diesem
Ziel nicht gerecht. Er ist Ausdruck einer insbesondere im Bildungsbereich ge-
fährlichen Fixierung auf einen Wettbewerbsförderalismus. Ein bundesweiter
Qualitätswettbewerb, der einige wenige sogenannte Leuchtturmprojekte fördert,
wird eine flächendeckende hochqualitative Lehrerausbildung nicht gewährleis-
ten können. Im Gegenteil, somit droht eine Verfestigung der unterschiedlichen
Ausbildungsqualitäten von zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern, die weder
zukunftsfähig ist noch den angehenden Lehrkräften oder den Schülerinnen und
Schülern gerecht wird. Eine Umsteuerung in der Lehrerausbildung im Sinne
einer Qualitätsoffensive kann nur bundesweit und an sämtlichen Hochschulen,
die Lehramtsstudiengänge anbieten, erfolgen und setzt eine grundständige
Reform voraus. Der Deutsche Bundestag ist hierüber hinaus der Überzeugung,
dass es in Kooperation mit den Bundesländern einer dauerhaften Absicherung
der Hochschulhaushalte bedarf, die allen Hochschulen und Universitäten eine
dauerhafte Qualitätsoffensive im Bereich der Lehrerbildung ermöglicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den Ländern eine Qualitätsoffensive in der Lehrerausbildung
auf den Weg zu bringen mit dem Ziel,

a) die Lehrerausbildung an den von der KMK formulierten Kompetenzen zu
orientieren, diese weiterzuentwickeln und flächendeckend an den Hoch-
schulen zu implementieren;

b) in der Lehrerausbildung den Erwerb von pädagogischem Professionswis-
sen von Anfang an zu verankern. Lehrerinnen und Lehrer müssen Fähig-
keiten und Fertigkeiten bzw. Kompetenzen erwerben, die für die Bewälti-
gung der Anforderungen im Lehrerberuf maßgeblich sind. Dazu zählen
nicht nur die auf Unterrichtsfächer bezogenen Kompetenzen, sondern
auch fachübergreifende und vor allem auch pädagogische Kompetenzen.

Sollen Schule und Unterricht erfolgreich sein, so müssen Lehrerinnen und

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10100

Lehrer über fachliches und fachdidaktisches Wissen sowie über pädagogi-
sches Wissen verfügen. Folglich muss der Erwerb von pädagogischem
Professionswissen zentraler Bestandteil der Lehrerausbildung sein. Dazu
erfolgt die Lehrerausbildung auf dem aktuellsten Stand der Forschung in
den Sozial- und Bildungswissenschaften, der empirischen Unterrichtsfor-
schung, den Fachdidaktiken und den Fächern;

c) in der Lehrerausbildung die Herausbildung methodischer, didaktischer,
psychologischer und pädagogischer Kompetenzen und von Kompetenzen
zur Gestaltung inklusiver Lernprozesse zu gewährleisten. Dazu gehören
ebenso der professionelle Umgang mit heterogenen Lerngruppen, der
fachlich qualifizierte Umgang mit einer zunehmend interkulturell zu-
sammengesetzten Schülerschaft sowie die systematische Entwicklung der
diagnostischen Kompetenzen der angehenden Lehrerinnen und Lehrer;

d) die schulpraktischen Ausbildungsanteile in der ersten Phase der Lehrer-
ausbildung zu erhöhen und stärker im gesamten Studium zu verankern.
Die schulpraktischen Anteile dienen vor allem der Kompetenzentwick-
lung von angehenden Lehrerinnen und Lehrern und sollen ihnen darüber
hinaus eine kritisch distanzierte, theoriegeleitete Reflexion der Praxis er-
möglichen;

e) einer schrittweisen Abschaffung der schulartenbezogenen Lehrerausbil-
dung zugunsten einer schulstufenbezogenen und somit schulartübergrei-
fenden Lehrerausbildung. Dies ist beispielsweise Praxis im Land Berlin
und verbindet sowohl pädagogische als auch schulorganisatorische Vor-
teile miteinander und ermöglicht grundsätzlich ohne laufbahnrechtliche
oder schulorganisatorische Probleme den Wechsel zwischen Grund- und
Oberschulen sowie zwischen den einzelnen Schulformen, was eine bes-
sere Absicherung der Unterrichtsversorgung erlaubt. Darüber hinaus
gestattet die schulstufenbezogene Lehrerausbildung eine größere Ver-
gleichbarkeit der Abschlüsse und erhöht die Mobilität von angehenden
Lehrerinnen und Lehrern zwischen den Bundesländern. Ferner werden
angehende Lehrerinnen und Lehrer somit in die Lage versetzt, an allen
Schulformen mit hoher Unterrichtsqualität unterrichten zu können, was
einen Umbau in der Schulstruktur hin zu einer inklusiven Schule für alle
begünstigt und allen Schülerinnen und Schülern zugutekommt;

f) eine wissenschaftliche Begleitung, die den Veränderungsprozess in der
Lehrerbildung evaluiert, einzurichten. Die Ergebnisse der wissenschaft-
lichen Begleitung sollen der Optimierung der Lehrerausbildung dienen;

g) gemeinsam mit der KMK und außerparlamentarischen Akteuren zu prü-
fen, wie die Berufseinstiegsphase nach dem praxisorientierten Lehramts-
studium neu gestaltet werden kann;

2. gemeinsam mit den Ländern einen Ausbau der Studienplätze für Lehramts-
studierende voranzutreiben. Dazu wird die Zahl der zusätzlich zur Verfügung
gestellten Studienplätze für Studienanfängerinnen und -anfänger im Rahmen
des Hochschulpakts auf 600 000 Studienplätze erhöht und innerhalb dessen
ein ausreichend großes Kontingent an Studienplätzen für Lehramtsstudie-
rende geschaffen. Diejenigen Studierenden, die die Lehramtsausbildung in
Form eines Bachelor-/Masterstudiengangs absolvieren, erhalten nach einem
Bachelorabschluss, auf Wunsch auch nach einer Praxisphase, einen Rechts-
anspruch auf einen Masterstudienplatz, um das Studium erfolgreich beenden
zu können. Ziel ist ein grundständiges Studium, das alle Lehramtsstudieren-
den zum Master oder Staatsexamen führt;

3. gemeinsam mit den Ländern durch geeignete Maßnahmen allen pädagogi-

schen Berufen in der Gesellschaft mehr Anerkennung und Ansehen ihrer
Arbeit zu verschaffen. Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer üben eine ver-

Drucksache 17/10100 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
antwortungsvolle Tätigkeit aus, auch Diplom-Pädagoginnen und Diplom-
Pädagogen, Erzieherinnen und Erzieher, Sozialpädagoginnen und Sozialpäd-
agogen, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Musikpädagoginnen und
Musikpädagogen und andere, die in pädagogischen Berufen tätig sind, kom-
men ebenso gesellschaftlich wichtigen und hoch verantwortungsvollen Auf-
gaben nach. Sie leisten alle einen achtenswerten Beitrag für die Gesellschaft
und sollen für ihre Fachkompetenz, ihre Leistung und ihr Engagement ge-
samtgesellschaftlich gewürdigt und auch besser bezahlt werden.

Berlin, den 26. Juni 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.