BT-Drucksache 17/10097

Maritimes Bündnis fortentwickeln - Schifffahrtsstandort Deutschland sichern

Vom 26. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10097
17. Wahlperiode 26. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Uwe Beckmeyer, Johannes Kahrs, Dr. Hans-Peter Bartels,
Sören Bartol, Martin Burkert, Garrelt Duin, Ingo Egloff, Petra Ernstberger,
Karin Evers-Meyer, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck, Michael Groß, Hans-Joachim
Hacker, Bettina Hagedorn, Gustav Herzog, Gabriele Hiller-Ohm, Ute Kumpf,
Kirsten Lühmann, Thomas Oppermann, Florian Pronold, Sonja Steffen,
Franz Thönnes, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Maritimes Bündnis fortentwickeln – Schifffahrtsstandort Deutschland sichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Maritimes Personal ist in vielen Branchen gefragt – nicht nur an Bord von
Schiffen, sondern auch an Land in den Reedereien und anderen maritimen Unter-
nehmen und Institutionen. Auch die zunehmend an Bedeutung gewinnende Off-
shore-Windenergiebranche benötigt maritime Fachkräfte. Schon heute verzeich-
net die Seeschifffahrtsbranche deshalb einen erheblichen personellen Engpass.

Bund, Länder und Sozialpartner haben in den vergangenen Jahren auf Initiative
der SPD einen Zukunftspakt geschnürt, um den Schifffahrtsstandort zu stärken
und für gute Berufschancen an Bord und bei den Landbetrieben der Seeschiff-
fahrt zu sorgen. Die Absprachen im Rahmen des „Maritimen Bündnisses für
Ausbildung und Beschäftigung“ sollen dazu beitragen, dem Problem der Über-
alterung entgegenzuwirken, eine weitere Abwanderung von Fachkräften ins
Ausland zu verhindern und so seemännisches Know-how für den maritimen
Standort Deutschland zu sichern.

Allerdings sind noch längst nicht alle vereinbarten Bündnisziele erreicht. Pro-
blematisch ist insbesondere die zunehmende Zahl von Ausflaggungen unter so-
genannten Billigflaggen. Es ist an der Bundesregierung, das Maritime Bündnis
fortzuentwickeln und neue Perspektiven für die Zukunft zu formulieren.

Vor allem wird es darum gehen, dass die Reedereien ihrer Zusage nachkommen,
einer weiteren Ausflaggung deutscher Schiffe entgegenzuwirken – und so einen
Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland zu verhindern. Das allein wird aller-
dings für einen weiteren Zuwachs an Beschäftigung in der Seeschifffahrt nicht
ausreichen: Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass Küstenländer
und Unternehmen mehr Ausbildungsplätze und Geld für die Nachwuchsförde-
rung bereitstellen.
Derzeit werden auf Schiffen unter deutscher und EU-Flagge rund 4 500 bis
4 700 deutsche Seeleute und Seeleute mit EU-Nationalität beschäftigt. Diese
Seeleute sind in Deutschland in vollem Umfang sozialversicherungspflichtig.
Diese Zahl gilt es zu halten und weiter zu erhöhen.

Doch die Bundesregierung hat die Herausforderungen nicht aufgenommen, son-
dern im Gegenteil einen teilweisen Rückzug aus dem Maritimen Bündnis einge-

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leitet. Sie will die Übereinkunft nicht in der bisherigen Form weiterführen, son-
dern setzt auf eine Neuausrichtung der Schifffahrtsförderung. Im Kern bedeutet
die von der Bundesregierung angestrebte Lösung nichts anderes als eine Abkehr
von dem bisherigen Modell einer Solidargemeinschaft von Bund, Küstenlän-
dern, Sozialpartnern und maritimer Wirtschaft.

Nachdem sie die Hilfen für die Seeschifffahrt im Bundeshaushalt 2012 zunächst
auf die Hälfte des bisherigen Betrages gekürzt hatte, nahm die Bundesregierung
diese Entscheidung aufgrund massiver Proteste gegen die Einsparpläne zwar
zurück. Die Unterstützung bleibt aber weit unterhalb der Förderbeträge der ver-
gangenen Haushaltsjahre, und die Regierungskoalition musste inzwischen ein-
räumen, dass die Finanzhilfen für Ausbildung und Beschäftigung in der See-
schifffahrt vorerst nicht wieder auf das bisherige Niveau zurückgeführt werden.

Denn in dem Bemühen, die entstandene Finanzlücke durch die Einbindung der
Reederschaft und einen Eigenbeitrag der Schifffahrtsunternehmen zu schließen,
ist es der Bundesregierung bisher nicht gelungen, einen neuen, verlässlichen
Rahmen für die Schifffahrtsförderung zu schaffen.

Die Ausfälle, die sich aus der Kürzung der Finanzmittel im Bundeshaushalt er-
geben, sollen nach dem Willen der Bundesregierung künftig von den Schiff-
fahrtsunternehmen ausgeglichen werden. Die deutschen Reeder haben zugesi-
chert, bis Anfang nächsten Jahres 20 Mio. Euro in einen Solidarfonds zu zahlen.
Weitere 10 Mio. Euro sollen dadurch eingenommen werden, dass die Gebühren
für die Ausflaggung deutscher Schiffe in Billiglohnländer erhöht werden. Dazu
ist eine Änderung der Gebührenverordnung für Amtshandlungen des Bundes-
amtes für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) erforderlich, die ein am so-
genannten Äquivalenzmodell orientiertes Gebührenmodell für die Ausflaggung
umsetzt.

Ein aktueller Prüfbericht des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung und des Koordinators der Bundesregierung für die maritime Wirt-
schaft zeigt jedoch, dass die Bundesregierung vor 2013 keine verfassungsfeste
Regelung schaffen kann, um die geplante Summe von 30 Mio. Euro einzusam-
meln – weder über ein Gebührenmodell noch über eine öffentlich-rechtliche
Fondslösung. Grund dafür ist nicht zuletzt die unterschiedliche Bewertung der
Tragfähigkeit und Verfassungsfestigkeit der Modelle durch die beteiligten Res-
sorts innerhalb der Bundesregierung. Die offenen Finanzierungsfragen gefähr-
den nicht nur die Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt, sondern stellen letztlich die
Bündnisziele insgesamt in Frage, was nicht hinnehmbar ist.

Eine dauerhafte Lösung kündigt die Bundesregierung erst für die nächste Na-
tionale Maritime Konferenz im Sommer 2013 an. Die Jahre 2012 und 2013 will
sie daher nach eigener Aussage als „Übergangsjahre“ gestalten. Diese Planungs-
unsicherheit belastet die maritime Branche in einer Situation, in der sie ohnehin
stark von der Krise der Schiffsfinanzierung getroffen ist.

Wenn die Bundesregierung eine Neustrukturierung der Schifffahrtsförderung
vornehmen will, darf dies nicht zu Lasten von Ausbildung und Beschäftigung
qualifizierter Seeleute in Deutschland gehen. Sie ist aufgefordert, die Vorausset-
zungen dafür zu schaffen, dass ein neuer verlässlicher Rahmen geschaffen wird,
der im Sinne des „Maritimen Bündnisses“ zur Beschäftigungssicherheit und zur
Erhöhung der Ausbildungskapazitäten am maritimen Standort Deutschland bei-
trägt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

• zeitnah einen ressortabgestimmten Entwurf zur Änderung der Gebühren-
verordnung für Amtshandlungen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und

Hydrographie (BSH-GebV) vorzulegen, um die Voraussetzungen für die
Erhebung des von der deutschen Reederschaft zugesagten Eigenbeitrages in

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Höhe von 10 Mio. Euro im Rahmen der Ausflaggungsgenehmigung nach § 7
des Flaggenrechts zu ermöglichen;

• in Ergänzung des Gebührenmodells und zur Realisierung des weiterhin zuge-
sagten Eigenbetrages der deutschen Reederschaft in Höhe von 20 Mio. Euro
rasch ein verfassungsrechtlich tragfähiges Fondsmodell zu entwickeln, um
die Kontinuität der Schifffahrtsförderung im Interesse der Ausbildung und
Beschäftigung am maritimen Standort zu gewährleisten;

• an der Ausbildungsplatzförderung für Schiffsmechaniker sowie nautische
und technische Offiziersasisstenten sowie den Zuschüssen zur Senkung der
Lohnnebenkosten festzuhalten, um das seemännische Know-how in
Deutschland zu sichern;

• gemeinsam mit den Sozialpartnern neue Bündnisziele zu verabreden, um den
Anteil von Handelsschiffen unter deutscher Flagge gegenüber Nicht-EU-
Flaggen deutlich zu erhöhen und einer weiteren Ausflaggung deutscher
Handelsschiffe und damit dem Verlust von Arbeitsplätzen in Deutschland
entgegenzuwirken;

• dafür Sorge zu tragen, dass die zugesagten Ausbildungsplatzkapazitäten
durch die Küstenländer und Seeschifffahrtsunternehmen zur Verfügung ge-
stellt werden;

• endlich einen Gesetzentwurf vorzulegen, um das internationale Seearbeits-
übereinkommen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Seeleuten
aus dem Jahr 2006 zu ratifizieren.

Berlin, den 26. Juni 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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