BT-Drucksache 16/9882

Verunreinigung von Futtermitteln mit gentechnisch veränderter Soja

Vom 30. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9882
16. Wahlperiode 30. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch,
Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter,
Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verunreinigung von Futtermitteln mit gentechnisch veränderter Soja

Verschiedene Landwirtschafts- und Futtermittelverbände fordern die Aufhe-
bung der Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene gentechnisch veränderte
Sojasorten. Als Begründung geben sie an, dass sie erwarten, dass nach den
USA demnächst auch in Brasilien und Argentinien neue gentechnisch verän-
derte Sojasorten angebaut werden, für die in der EU noch keine Genehmigun-
gen vorliegen. Damit sei angeblich bereits im nächsten Jahr zu rechnen.

Da in den Soja-Importländern eine Vermischung der Ernte zwischen in der EU
zugelassenen bzw. nicht zugelassenen Soja-Sorten nicht gewährleistet werden
könne, würde zunehmend der Import von Soja bzw. Sojaschrot in die EU er-
schwert. Die Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene Sojasorten benennen
sie schon heute als Grund für die starken Futtermittelpreiserhöhungen in Eu-
ropa, für die Zukunft erwarten sie dadurch weitere Futtermittelverteuerungen.
Darum müsse das EU-Zulassungsverfahren für neue gentechnisch veränderte
Sojasorten beschleunigt und eine Verunreinigung mit der in der EU nicht zuge-
lassenen gentechnisch veränderten Sojasorten zugelassen werden. Auf anderem
Wege könne langfristig eine ausreichende und kostengünstige Versorgung unter
anderem von Schweinen und Hühnern mit eiweißhaltigen Futtermitteln nicht
mehr gewährleistet werden. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Tier-
produktion wäre, so behauptet die Futtermittelindustrie, dann massiv gefährdet.

Belastbare Untersuchungen und Informationen zu den Ursachen einer Futter-
mittelknappheit und einem Zusammenhang mit der EU-Zulassungspraxis für
gentechnisch veränderte Pflanzen liegen bisher nicht vor. Fraglich ist zum Bei-
spiel, ob und wenn ja, welche gentechnisch veränderten Sojapflanzen in den
Soja-Hauptimportländern angebaut werden, die in der EU noch nicht zugelas-
sen sind. Trotzdem findet die Argumentation der oben genannten Verbände im
politischen Raum zunehmend Gehör. So ist zum Beispiel im Beschluss der
Agrarministerkonferenz vom 11. April 2008 zu lesen: „Die Agrarministerkon-
ferenz stellt fest, dass in den wichtigsten Exportländern für Soja der Anbau von
GVO-Sorten (GVO – Gentechnisch veränderter Organismus) ausgedehnt wird

und neue gentechnisch veränderte Sorten in naher Zukunft auf den Markt drän-
gen werden. Sie ist besorgt darüber, dass aufgrund der geringeren verfügbaren
Menge und der bisher fehlenden Zulassung dieser neuen GVO in Europa die
Einfuhr von Futtermitteln in ausreichender Menge ab 2009 gefährdet ist. Dies
hätte gravierende Folgen für die einheimische Veredelungswirtschaft, die auf
eine ausreichende Verfügbarkeit von importierten Eiweißfuttermitteln zu an-
gemessenen Preisen angewiesen ist.“ Die EU-Kommissarin für Gesundheit,

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Androulla Vassiliou, kündigte an, dass sie noch im August 2008 einen Vor-
schlag für zulässige Spureneinträge nicht zugelassener gentechnisch veränder-
ter Pflanzen in Futter- und Lebensmitteln vorlegen wolle.

Auch der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
schutz, Horst Seehofer, kündigte unter anderem in der „FAZ“ vom 9. Mai 2008
an, ein Konzept erarbeiten zu wollen, um zu vermeiden, dass es im nächsten
oder übernächsten Jahr zu Engpässen bei Futtermitteln kommen würde. Dazu
müsse man „die asynchronen Genehmigungen verhindern, die es heute noch
zwischen Amerika und Europa bei der Zulassung gentechnisch veränderter
Organismen gibt. Wir brauchen schnellere Entscheidungen der EU.“ Und auch
Klaus-Dieter Borchardt, stellvertretender Kabinettschef im Kabinett der EU-
Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer Boel, wird in einer dpa-Mittei-
lung vom 9. Juni 2008 zu der Verunreinigung von Futtermitteln mit gentech-
nisch veränderten Soja-Bestandteilen mit der Aussage zitiert, „viele Exporteure
seien nicht mehr bereit, das wirtschaftliche Risiko zu tragen, weil sie mittler-
weile andere Märkte gefunden haben, wo sie ihre Produkte mehr oder weniger
risikofrei absetzen können.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Aus welchen Ländern und in welchen Mengen pro Jahr werden Sojabohnen
und Sojaschrot für die Verwendung in Futtermitteln in die EU und nach
Deutschland eingeführt?

2. Welche Exporteure liefern aufgrund der in der EU geltenden Nulltoleranz
für nicht zugelassene GVO keine Futtermittel mehr in die EU?

Welche Mengen an Futtermitteln gelangen aufgrund der Nulltoleranz für
nicht zugelassene GVO nicht mehr auf die Märkte der EU, und welche Län-
der werden von den Exporteuren von Soja/Sojaschrot stattdessen beliefert?

3. In welchem Umfang wurden in den letzten Jahren Schiffsladungen mit Soja/
Sojaschrot zurückgewiesen, weil diese mit in der EU nicht zugelassener
Soja verunreinigt waren?

Was passierte mit den in der EU zurückgewiesenen Schiffsladungen, wurde
die Ware weiter verkauft oder vernichtet?

4. Welcher Anteil des nach Europa exportierten Sojas oder Sojaschrots stammt
von gentechnisch veränderten/nicht gentechnisch veränderten Sojapflanzen
(bitte nach Herkunftsländern aufschlüsseln)?

5. Welche gentechnisch veränderten Sojasorten werden in welchem Umfang in
den Soja-Exportländern wie Argentinien, Brasilien oder den USA angebaut,
die nicht in der EU für einen Import zugelassen sind (bitte nach Ländern auf-
schlüsseln)?

6. Welche gentechnisch veränderten Sojasorten werden in welchem Umfang in
den Soja-Exportländern wie Argentinien, Brasilien oder den USA angebaut,
die in der EU für einen Import zugelassen sind (bitte nach Ländern auf-
schlüsseln)?

7. Wie ist der Stand des Zulassungsverfahrens für den Anbau neuer gentech-
nisch veränderter Sojasorten (wie zum Beispiel MON89788 von Monsanto,
305432 sowie 305432 x 40-3-2 von Pioneer, A 2704-12 sowie A 5547-127
von Bayer) in den in der Antwort zu Frage 1 genannten Ländern, vor allem in
Argentinien und Brasilien?

8. In welchen Ländern sind neue gentechnisch veränderte Sojasorten (wie zum
Beispiel MON89788 von Monsanto, 305432 sowie 305432 x 40-3-2 von Pio-
neer, A 2704-12 sowie A 5547-127 von Bayer), die nicht in der EU für den Im-

port zugelassen sind, als Lebens- und Futtermittel bzw. zur Verwendung in
Lebens- und Futtermitteln zugelassen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9882

9. Wie ist der Stand des Zulassungsverfahrens für den Import neuer gentech-
nisch veränderter Sojasorten (wie zum Beispiel MON89788 von Monsanto,
305432 sowie 305432 x 40-3-2 von Pioneer, A 2704-12 sowie A 5547-127
von Bayer) in der EU?

10. Finden in Argentinien und Brasilien Freisetzungsversuche und Sortenent-
wicklungen für neue gentechnisch veränderte Sojasorten statt?

Wenn ja, seit wann, und in welchem Umfang (Zahl der Versuche, Flächen)?

11. Wann ist die Sortenentwicklung neuer gentechnisch veränderter Sojasorten,
die derzeit in der EU im Zulassungsverfahren sind, in Argentinien und Bra-
silien voraussichtlich abgeschlossen?

12. Findet bereits Saatgutvermehrungsanbau – und wenn ja, in welchem Um-
fang – mit neuen gentechnisch veränderten Sojasorten in Argentinien und
Brasilien statt?

13. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Futtermittel- und Land-
wirtschaftsverbände, dass mit einem Anbau neuer gentechnisch veränder-
ter Sojabohnen – wie in der Stellungnahme der oben genannten Verbände
genannt – bereits 2009 zu rechnen ist?

Falls ja, aufgrund welcher Datenlage kommt die Bundesregierung zu dieser
Einschätzung?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass zum Schutz von Umwelt
und Verbrauchern eine EU-Zulassung für die Verwendung von gentech-
nisch veränderten Organismen bei der Lebens- und Futtermittelproduktion
notwendig ist und für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organis-
men weiterhin eine Nulltoleranz gelten muss?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

15. Ist in den USA sowie in anderen Ländern, die spezifische gentechnikrecht-
liche Regelungen national regeln, eine Verunreinigung mit nicht zugelasse-
nen gentechnisch veränderten Organismen gesetzlich erlaubt?

16. Welche konkreten Vorschriften hinsichtlich des Schutzes von Mensch und
Umwelt und welche Maßgaben zur Risikoprüfung gelten bei der Zulassung
von gentechnisch veränderten Pflanzen in Soja-Exportländern wie Argenti-
nien, Brasilien und den USA?

In welchen Punkten unterscheiden sich diese Zulassungsvorschriften und
Risikoprüfungen von dem EU-Zulassungsverfahren für gentechnisch ver-
änderte Pflanzen?

17. Mit welchen Nachweismethoden wird derzeit eine Verunreinigung von Im-
portware mit in der EU nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Orga-
nismen überprüft?

Wie hoch ist die Genauigkeit dieser Nachweismethoden?

18. Inwieweit sind der Bundesregierung belastbare Studien hinsichtlich einer
Verknappung eiweißhaltiger Futtermittel und ihrer Ursachen in anderen
Ländern als der EU bekannt?

Falls ja, in welchen Ländern tritt dieses Problem ebenfalls auf, und welche
Ursachen werden dafür genannt?

19. Inwieweit sind der Bundesregierung belastbare Studien bekannt, die einen
Zusammenhang zwischen einer Verknappung eiweißhaltiger Futtermittel
und dem EU-Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen
belegen?

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20. Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung zur Umsetzung der
Forderung der Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen
und Hamburg auf der Agrarministerkonferenz am 11. April 2008, die Bera-
tung und Forschung des Anbaus konventioneller Sorten zu fördern sowie
durch langfristige Liefervereinbarung die Versorgung mit GVO-freien
Eiweißfuttermitteln zu sichern und sich um zusätzliche Marktpartner zu be-
mühen?

21. Welche konkreten Schritte plant die Bundesregierung, um den Anbau
eiweißhaltiger Futterpflanzen in Deutschland und Europa verstärkt zu
fördern?

22. Inwiefern ist der Bundesregierung bekannt, dass zum Beispiel in Argenti-
nien Landwirte aufgrund von Patentstreitigkeiten mit dem US-Konzern
Monsanto gentechnisch veränderte Soja mit unbekannten bzw. in Argenti-
nien nicht zugelassenen Genkonstrukten anbauen oder nachbauen?

Aus welchen Ländern stammen diese unbekannten/nicht zugelassenen gen-
technisch veränderten Sojasorten, und wie beurteilt die Bundesregierung
diese Situation hinsichtlich der EU-Schutzregelungen für Mensch und Um-
welt im Falle einer Aufhebung der Nulltoleranz für in der EU nicht zuge-
lassene gentechnisch veränderte Konstrukte?

23. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Anbau von gentech-
nisch veränderten Sojasorten in vielen Regionen wie z. B. Brasilien oder
Argentinien weder ökologisch noch sozial verträglich ist und auch nicht
den im UN-Welternährungsbericht genannten Anforderungen an eine öko-
logisch und sozial verträgliche landwirtschaftliche Entwicklung entspricht?

Wenn nein, mit welcher Begründung, und auf welcher Kenntnisgrundlage
nicht?

24. Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, wie viel Waldflächen im Zu-
sammenhang des Anbaus von gentechnisch veränderter Soja in Argenti-
nien und Brasilien direkt oder indirekt gefällt wurden?

25. Wie schätzt die Bundesregierung die sozialen und wirtschaftlichen Auswir-
kungen des Anbaus von gentechnisch veränderter Soja auf Kleinbauern so-
wie Landlose ein, vor allem hinsichtlich der Ernährungssicherung, Armuts-
bekämpfung und der Ressourcenkonkurrenz beim Futtermittel- und Le-
bensmittelanbau?

26. Wie sind die Fleischerzeugung und der Fleischverbrauch bezüglich ihrer
energetischen Effizienz in der Ernährung zu beurteilen, und wie rechtfertigt
die Bundesregierung, dass 30 Prozent der Weltagrarfläche zur Versorgung
der intensiven Tierhaltung und zur Bedienung des übermäßigen Fleischver-
zehrs für den Anbau von Futtermitteln (und hier auch von gentechnisch
veränderten Sojasorten) verbraucht wird, vor dem Hintergrund, dass die
Bundesregierung Exportsubventionen und private Lagerbeihilfen in Millio-
nenhöhe zur Marktentlastung von der massiven Überschusserzeugung an
Schweinefleisch in Deutschland durchgesetzt hat?

27. Welche Planungen und Konzepte hat die Bundesregierung für die Einrich-
tung einer Nachhaltigkeitsverordnung und entsprechenden Kennzeichnung
für Futtermittel, wie von Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit Sigmar Gabriel gefordert, und wann wird dieses Konzept
vorgelegt?

Berlin, den 30. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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