BT-Drucksache 16/9802

Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen - Filteraustausch umsetzen, Prüf- und Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9802
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter,
Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Ulrike Höfken, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth
(Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Feinstaubreduktion im Straßenverkehr fortsetzen – Filteraustausch umsetzen,
Prüf- und Messverfahren für Dieselrußpartikelfilter einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Aktuelle Messergebnisse belegen anhaltend hohe Feinstaubbelastung in vielen
Ballungszentren. So ist der Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub (PM 10)
pro Kubikmeter Luft seit Jahresbeginn bereits an über 300 Messstellen mindes-
tens einmal überschritten worden. An der Messstelle Neckartor in Stuttgart
wurde bereits Ende März 2008 der für das gesamte Jahr maximal tolerierte
Grenzwert von 35 Überschreitungen erreicht. Nach dem Inkrafttreten des För-
dergesetzes für die Nachrüstung mit Partikelfiltern lief die Nachrüstung von
Bestandsfahrzeugen an. Sie fand faktisch ihr Ende mit dem im Sommer vergan-
genen Jahres aufgedeckten Skandal um funktionsunfähige Partikelminderungs-
systeme (PMS). Noch bis Anfang März hatten Verkehrsministerium, Kraftfahrt-
bundesamt (KBA) und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU) mehrfach von insgesamt rund 170 000 nachgerüsteten
Dieselfiltern und davon knapp 40 000 unwirksamen Systemen gesprochen. In-
zwischen ist die Zahl nach oben korrigiert worden. Mit Stand vom 20. März
2008 wurden bei einer Auswertung des Zentralen Fahrzeugregister-Bestandes
die Anzahl aller nach Anlage XXVI zugelassenen PMS mit insgesamt 285 707
ermittelt. Auf die Firmen, gegen die staatsanwaltliche Ermittlungen laufen und
die erwiesenermaßen funktionsunfähige PMS verkauft haben, entfallen dabei:
Bosal 3 671; GAT 35 050 und Tenneco 6 516. Das heißt: 45 237 funktionsunfä-
hige Systeme sind nachrüstwilligen Autofahrern in ihre Pkw eingebaut worden.

Wenngleich Filterhersteller mit krimineller Energie den Filterskandal verant-
worten, so hat das Krisenmanagement in den zuständigen Behörden (BMU,
BMVBS, KBA) nicht rechtzeitig und nicht in erforderlichem Maße funktioniert.
Die Zahlen dokumentieren auch das Scheitern der „Kulanzregelung“. Mit der
vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ende
November 2007 ausgehandelten Vereinbarung auf freiwilliger Basis sollte der

Filteraustausch eigentlich innerhalb weniger Wochen vollzogen sein. Dem ent-
gegen nahm die amtliche Zahl der vom Betrugsfilterskandal Betroffenen acht
Monate nach Aufdeckung des Skandals weiter zu. Nach einer Umfrage des Zen-
tralverbands des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK) wurden im März
bundesweit ganze 118 Betrugsfilter getauscht. Die „Kulanzregelung“ wird vor
allem den verantwortlichen Betrugsfilterherstellern und den großen Werkstatt-
ketten A.T.U. und PitStop ausgenutzt. Denn sie sparen durch den Verbleib ihrer

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mangelhaften Produkte in den Autos einen zweistelligen Millionenbetrag. Statt
die Nachrüstung zu forcieren, verzögern große Werkstattketten wie A.T.U., die
für einen Großteil der verbauten schadhaften Filter verantwortlich sind, den So-
fortaustausch von Betrugs- gegen funktionstüchtige Filter anderer Hersteller.
Dies im Gegensatz zu vielen freien Werkstätten. Es gibt offenbar vertragliche
Absprachen zwischen dem hauptverantwortlichen Betrugsfilterhersteller GAT
und der Werkstattkette A.T.U. Nach dieser Vereinbarung erhält A.T.U. keine
Rückerstattung für einen Sofortaustausch unwirksamer Filter durch wirksame
Systeme alternativer Hersteller von GAT, wenn der Austausch vor September
2008 stattfindet. GAT ist derzeit nicht in der Lage, funktionsfähige PMS für den
Tausch zur Verfügung zu stellen. Das neueste von GAT angekündigte Liefer-
datum für neue Systeme ist der September 2008. Es ist daher dringend geboten,
die verfehlte „Kulanzregelung“ abzuändern resp. zu beenden. Die amtlichen Be-
triebserlaubnisse (ABE) für die verbauten Betrugsfilter müssen widerrufen wer-
den. Inzwischen hat das Kraftfahrzeugbundesamt (KBA) im Mai diesen Jahres
an die betroffenen Fahrzeughalter einen Brief versandt, in dem diese aufgefor-
dert werden, die Kulanzregelung in Anspruch zu nehmen. Denn nur dann sei der
Nachlass bei der Kfz-Steuer und die Zuteilung der Umweltplakette gerecht-
fertigt. Ohne dass eine konkrete einzuhaltende Frist genannt wird, behält sich die
Bundesregierung bei Nichtumwandlung des Filters Maßnahmen vor.

Die Veröffentlichung der bereits für November 2007 angekündigten Nachprü-
fungen aller auf dem Markt befindlichen Partikelfiltersysteme durch das KBA
steht derzeit noch aus. Nur eine transparente und lückenlose Information der Be-
troffenen kann sicherstellen, dass die Verunsicherung über die Nachrüstung der
Fahrzeuge nach dem Filterskandal überwunden werden kann. Der ADAC hat
Ende März 2008 Testergebnisse veröffentlicht, die belegen, dass die derzeit an-
gebotenen Systeme von HJS, TwinTec, Remus und Volkswagen im Durchschnitt
die Rußpartikel problemlos um rund 45 Prozent reduzieren. Derzeit existieren
für ca. 80 bis 83 Prozent der Modelle Alternativfilter. Bedauerlicherweise bleibt
dennoch eine Anzahl von Fahrzeugen übrig, die nicht nachgerüstet werden kön-
nen. Für diese Fahrzeuge müssen Übergangsregelungen gefunden werden. Die
amtlichen Prüfergebnisse des Kraftfahrtbundesamtes müssen veröffentlicht
werden, um das Vertrauen in dieses Instrument der Feinstaubbekämpfung wie-
der herzustellen. Nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit den vom Feinstaub
betroffenen Städten, den Ländern und den Auto- und seriösen Filterherstellern
kann man jetzt noch für eine breit angelegte Nachrüstung mit funktionierenden
Partikelfiltern werben.

Nachrüstung für Nutzfahrzeuge fördern

Während inzwischen fast alle neuen Diesel-Pkw mit einem geschlossenen Par-
tikelfilter ausgestattet werden und für rund 80 Prozent der älteren Diesel-Pkw
funktionierende Nachrüstfiltersysteme erhältlich sind, fehlen Instrumente für
die Feinstaubreduktion bei kleinen Nutzfahrzeugen wie Transportern, Lkw und
Bussen. Die Nutzfahrzeuge sind jedoch laut Umweltbundesamt für etwa die
Hälfte der feinstaubbedingten Belastungen in den Städten verantwortlich. Die
überwiegende Zahl der Neufahrzeuge wird weiterhin ohne Filter ausgeliefert
und entspricht damit nicht dem „Stand der Technik“. Für die Gewerbetreibenden
führt dies vielerorts – sofern nicht Ausnahmegenehmigungen erteilt werden – zu
Fahrbeschränkungen in den Umweltzonen. Betroffen sind vor allem Transporter
von Handwerkern und Kleinunternehmern. Spätestens 2010 drohen allen Fahr-
zeugen mit roter oder gelber Feinstaubplakette in den Umweltzonen Fahrver-
bote. In Städten wie Berlin sind nach Zählungen der der Deutschen Umwelthilfe
(DUH) rund zwei Drittel der mit roter oder gelber Plakette gekennzeichneten
Fahrzeuge Nutzfahrzeuge. Daher sind dringend politische Weichenstellungen

für Nutzfahrzeuge erforderlich. Ein Förderprogramm für Nutzfahrzeuge ließe
sich mit den Mehreinnahmen der Bundesländer aufkommensneutral finanzieren.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9802

Die Ländern haben in den Jahren 2006 und 2007 rund 450 Mio. Euro an zweck-
gebundenen Steuermehreinnahmen für Diesel-Pkw ohne Filter eingenommen.
Davon werden jedoch nach Schätzungen nur 89 Mio. Euro für die Pkw-Nach-
rüstung ausgegeben. Ab Oktober 2009 gilt für Lkw und Busse die neue Schad-
stoffnorm Euro V; dies sieht aber keine Verschärfung der Feinstaubgrenzwerte
vor. Ohne Filter können Bestandsfahrzeuge im Prüfverfahren diese Norm ein-
halten, dies, obwohl diese Fahrzeuge im realen innerstädtischen Gebrauch hohe
Schadstoffemissionen verursachen. Auch der derzeitige EU-Vorschlag für die
nächste Abgasstufe Euro VI (ab 2014) stellt keine ausreichende Verringerung
der Schadstoffemissionen sicher. Die aktuellen gesetzlichen Vorgaben liegen da-
mit weit hinter dem „Stand der Technik“. Daher muss sich die Bundesregierung
auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die Euro VI bereits vorfristig (ab 2011) ver-
bindlich wird und der Grenzwert für Partikelemissionen dem zum Stand der
Technik entsprechend abgesenkt wird.

Standards der Abgasuntersuchung anpassen

Vor 20 Jahren wurde in Deutschland nach dem damaligen Stand der Technik die
periodische Abgasuntersuchung (AU) eingeführt. Die AU richtet sich an den
Fahrzeughalter, um nutzungsbedingte Fehler und Funktionsstörungen aufzude-
cken. Die Messmethoden wurden bei der Einführung mit Prüfwerten versehen,
die dem damaligen Stand der Technik entsprachen. Seitdem verlief die Entwick-
lung nach Einschätzung von Prüfexperten asymmetrisch: Das heißt trotz einer
erheblichen Verbesserung der Motorentechnik und Verschärfung von EU-weit
gültigen Abgasnormen fanden diese Verbesserungen keinen Niederschlag in den
Prüfwerten der AU. Grundsätzlich kommen mit fortgeschrittener Technik zu-
nehmend Fahrzeuge auf den Markt, bei denen die Einhaltung der vorgeschrie-
benen Normen im Betrieb mit der AU nicht zu prüfen ist. Ein periodisches
Messverfahren, das aufgrund veralteter Methoden keine Fehlerquoten bei Pkw
messen kann, ist dringend zu überarbeiten.

Im Rahmen der periodischen Abgasuntersuchung (AU) wird auch der Ausstoß
von Partikelemissionen nicht kontrolliert; die dauerhafte Funktionstüchtigkeit
der Systeme wird nicht ermittelt. Die zukünftig vorgeschrieben On Board Diag-
nostik (OBD) ist nicht geeignet, die Funktionsfähigkeit von PMS zu über-
wachen. Fachleute von DEKRA und TÜV sowie Verkehrsexperten fordern seit
langem Vorgaben für eine Funktionsüberprüfung von Partikelemissionen in der
periodischen Abgasuntersuchung, Kurzprüftests in der Feldüberwachung und
verbesserte Messmethoden. Zukünftig müssen also bei der AU die Partikelemis-
sionen regelmäßig und verlässlich gemessen werden. Die entsprechende neue
Messtechnik ist schon heute bei mehreren Herstellern verfügbar, die Verfahren
und Geräte lassen sich in das bestehende AU-Verfahren integrieren.

Darüber hinaus müssen laut Expertenurteil die Prüfwerte für die AU korrigiert
werden. Die heutigen modernen Diesel-Pkw haben eine so niedrige Rauch-
trübung, dass die gängigen Messgeräte (Opazimeter) bei defekten oder fehlen-
den Filtern in der Regel keinen Defekt anzeigen. Außerdem ist der Prüfwert in
der Regel deutlich zu hoch angesetzt. Bei einer Beispielmessung wurde das
Fahrzeug bei der AU erst dann als funktionsuntüchtig erkannt, als das Fahrzeug
fünfmal höhere Werte aufwies als dies bei ordnungsgemäßem Betrieb der Fall
sein sollte. Folglich ist eine Anpassung der gesetzlichen Prüfwerte an die fort-
geschrittene Grenzwertsetzung unabdingbar. Eine Verschärfung der Prüfwerte
erfordert allerdings Messverfahren mit deutlich verbesserter Messgenauigkeit.
Vertreter der DEKRA führen aus, dass mit den heute in 40 000 Werkstätten für
die Diesel-AU eingesetzten Opazimetern eine ausreichend genaue Messung
nicht möglich ist. Wichtigstes Ziel ist also die gesetzliche Regelung mit einer
Wirkungsprüfung für die AU. Voraussetzung dafür ist die Reduktion der Prüf-

werte. Deutschland muss dabei innerhalb Europas eine Vorreiterrolle spielen,
denn aus Brüssel sind zeitnah keine Vorgaben zu erwarten.

Drucksache 16/9802 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Feldüberwachungen etablieren

Die systematische Feldüberwachung richtet sich an die Hersteller. Sie kontrol-
liert die Funktionstüchtigkeit der Fahrzeuge bzw. einzelner Fahrzeugteile oder
Nachrüstmodule gemäß Herstellerangaben und die Einhaltung der vorgeschrie-
benen Grenzwerte. Eine regelmäßige Feldüberwachung muss auch für Neu-
fahrzeuge im Rahmen der Zulassung, d. h. beim erteilen einer Allgemeinen
Betriebserlaubnis ABE festgeschrieben werden. Das für die Umsetzung von
Feldversuchen zuständige KBA ordnet derzeit keine Feldüberwachung bei
abgasrelevanten, sondern nur bei sicherheitsrelevanten Problemen an. Feldüber-
wachung für Partikelminderungssysteme (PMS) gibt es derzeit also nicht.
Experten plädieren daher für amtlich veranlasste und gesetzlich vorgeschriebene
Feldüberwachung für PMS sowie für Austauschkatalysatoren, um die Einhal-
tung von Qualitätsstandards zu unterstützen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Werkstätten zu verpflichten, den von Betrugsfiltern betroffenen Fahr-
zeughaltern sofort ein funktionierendes PMS einzubauen;

2. dem Halter des betroffenen Fahrzeuges nach einer angemessenen Zeitspanne
für die Wandlung bei Nichttausch die Steuerförderung zu entziehen;

3. die leichten Nutzfahrzeuge mit Pkw-Typgenehmigung in das bestehende
steuerliche Förderprogramm zur Filternachrüstung aufzunehmen;

4. sich für anspruchsvollere Abgasgrenzwerte für schwere und leichte Nutz-
fahrzeuge (EURO VI) auf europäischer Ebene einzusetzen;

5. gesetzliche Vorgaben für die serienmäßige Ausrüstung von neuen Nutz-
fahrzeugen mit wirksamen Partikelfiltern zu erarbeiten;

6. ein Förderkonzept für die Nachrüstung für den Bestand an nichtmautpflich-
tigen Nutzfahrzeugen vorzulegen;

7. umfassende Feldüberwachungen für PMS-Nachrüstsysteme sowie Aus-
tauschkatalysatoren gesetzlich vorzuschreiben;

8. im Rahmen der periodischen Abgasuntersuchung (AU) die Partikelemis-
sionen (Anzahl und Masse) aller Diesel-Fahrzeuge mit geeigneten Verfahren
zu kontrollieren; hierfür ist die Installation neuer Technik bei den Prüfstellen
unabdingbar;

9. die Prüfwerte für alle Fahrzeuge (Benziner, Diesel) in der AU an den aktuel-
len Stand der Abgasnorm anzupassen.

Berlin, den 25. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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