BT-Drucksache 16/9757

Forschung und Entwicklung für die industrielle stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe in Deutschland bündeln und stärken

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9757
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Ilse Aigner, Katherina Reiche
(Potsdam), Michael Kretschmer, Helmut Brandt, Cajus Caesar, Ingrid Fischbach,
Eberhard Gienger, Monika Grütters, Ernst Hinsken, Anette Hübinger,
Hartmut Koschyk, Carsten Müller (Braunschweig), Dr. Heinz Riesenhuber,
Dr. Norbert Röttgen, Anita Schäfer (Saalstadt), Uwe Schummer, Marcus Weinberg,
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Andrea Wicklein, René Röspel, Jörg Tauss, Ingrid Arndt-
Brauer, Dr. Gerhard Botz, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Ulla Burchardt, Martin
Burkert, Rainer Fornahl, Dieter Grasedieck, Gabriele Groneberg, Klaus Hagemann,
Gustav Herzog, Christel Humme, Dr. Uwe Küster, Ute Kumpf, Lothar Mark,
Marko Mühlstein, Detlef Müller (Chemnitz), Gesine Multhaupt, Thomas Oppermann,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau),
Swen Schulz (Spandau), Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dr. Peter Struck und der
Fraktion der SPD

Forschung und Entwicklung für die industrielle stoffliche Nutzung
nachwachsender Rohstoffe in Deutschland bündeln und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland ist in großem Umfang abhängig von fossilen Rohstoffen. Unsere
Volkswirtschaft muss heute ihre wichtigsten Energie- und Rohstoffträger impor-
tieren. Beim Mineralöl zu 97 Prozent, beim Erdgas zu 83 Prozent und bei der
Steinkohle zu 61 Prozent. Aber die Ressourcen an fossilen Rohstoffen sind end-
lich und stehen nur begrenzt zur Verfügung. Weltweit steigt die Nachfrage nach
Energie und Rohstoffen. Diese Knappheit führt zu steigenden Weltmarktpreisen
und zu wachsenden Verteilungsproblemen. Hinzu kommt, dass der heutige Ver-
brauch fossiler Rohstoffe laut der jüngsten UN-Klimastudie maßgeblich für den
klimaschädlichen CO2-Ausstoß verantwortlich ist. Vor diesem Hintergrund
führt an der Strategie „Weg vom Öl“ und an der Rohstoffwende bei den fossilen
Energie- und Rohstoffträgern langfristig kein Weg vorbei. Deutschland als for-
schungs- und technologieorientiertes Land muss diese Chancen nutzen. Enorme
Potenziale bieten die nachwachsenden Rohstoffe, laut Bericht des Büros für

Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, gerade für die Chemi-
sche Industrie, um Chemikalien und Bausteine für innovative Materialien und
Werkstoffe herzustellen. Aktuell beträgt der Anteil der Biomasse in der Chemi-
schen Industrie bereits etwa 10 Prozent. Rund 90 Prozent der chemischen Roh-
stoffbasis basiert andererseits auf den fossilen Rohstoffen Erdöl und Erdgas.

Chemische Produkte bilden eine wichtige Grundlage unseres heutigen Lebens-
standards. Sie sind – anders als Strom und Wärme – nicht durch Sonnenenergie,

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Geothermie oder Wasserkraft ersetzbar. Vor dem Hintergrund knapper werden-
der fossiler Rohstoffressourcen steht die Chemiewirtschaft deshalb langfristig
vor der Aufgabe, ihre Rohstoffbasis auf tragfähige nachhaltige und effiziente
Alternativen umzustellen. Dafür kommen nur nachwachsende Rohstoffe in
Frage, weil sie die einzige erneuerbare Rohstoffquelle ist, in der die für die Che-
mie notwendigen organischen Kohlenstoffverbindungen enthalten sind. Gerade
für den Chemiestandort Deutschland mit seinen etwa 450 000 Arbeitsplätzen
wird es deshalb notwendig sein, eine integrierte Strategie für die effiziente und
nachhaltige stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe zu entwickeln. Uner-
wünschte Nutzungskonflikte des Biomasse-Ausbaus mit der Nahrungsmittel-
produktion und der Bioenergie-Gewinnung müssen dabei ebenso vermieden
werden wie Konflikte innerhalb der energetischen Nutzung.

Vor allem wird es darauf ankommen, schon jetzt die Anstrengungen bei For-
schung und Entwicklung ressortübergreifend zu bündeln und technologische
Verfahren zur integrierten Biomassenutzung in Bioraffinerien voranzutreiben.
Hierbei müssen insbesondere die Potenziale der Weißen Biotechnologie genutzt
werden, die innovative Verfahren und Methoden für die stoffliche Nutzung
nachwachsender Rohstoffe bereitstellt. Dazu ist es notwendig, entsprechende
Zielvorgaben und Schwerpunkte für die Forschungsförderung zu entwickeln
und daraus konkrete Forschungsstrategien abzuleiten. Die Rahmenbedingungen
müssen so gestaltet werden, dass Bioraffinerie-Konzepte zur Produktion von
Basis- und Feinchemikalien unterstützt werden. Dies trägt dazu bei, den Roh-
stoff Biomasse möglichst effizient zu nutzen, Ressourcen zu schonen und die
Umwelt zu entlasten. Auch wenn Deutschland bereits ein umfangreiches Poten-
zial in Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft für die stoffliche Nutzung nach-
wachsender Rohstoffe vorweisen kann, sind noch enorme Anstrengungen bei
Forschung und Entwicklung sowie Bildung und Lehre notwendig. Nur so wird
Deutschland sich international im Wettbewerb um die besten Technologien und
Verfahren behaupten können.

Die Vorzüge der stofflichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe sind vielfältig:
Sie kann langfristig einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Rohstoff-
versorgung, zur Importunabhängigkeit sowie zum Klima- und Umweltschutz
leisten. Gleichzeitig trägt die Veredelung nachwachsender Rohstoffe in Bioraf-
finerien dazu bei, dass in den ländlichen Gebieten neue Beschäftigungsalterna-
tiven geschaffen werden und der Land- und Forstwirtschaft Produktions- und
Einkommensalternativen geboten werden. Darüber hinaus kann die stoffliche
Nutzung nachwachsender Rohstoffe zum Erhalt der biologischen Vielfalt bei-
tragen und die Kulturlandschaft bereichern. Nicht nur für ein Industrieland wie
Deutschland ist die stoffliche Nutzung von Biomasse mit Vorteilen verbunden,
sondern auch für Entwicklungs- und Schwellenländer: Nachhaltig produzierte
und angebaute Biomasse kann zu wünschenswert steigenden Exporterlösen und
zur ländlichen Entwicklung in diesen Ländern beitragen. Hierbei müssen mög-
liche Zielkonflikte in Bezug auf Klimaschutz, Biodiversität, Flächennutzungs-
konkurrenzen zur Nahrungsmittelproduktion und auf die soziale Situation in den
Anbaugebieten beachtet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine Strategie für die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe als
Bestandteil einer integrierten Biomassestrategie ressortübergreifend zu
erarbeiten und daraus konkrete Zielvorgaben und Schwerpunkte für die
weitere Forschungsförderung abzuleiten;

2. im Rahmen dieser Strategie vor allem die Grundlagenforschung zur stoff-
lichen Nutzung nachwachsender Rohstoffe voranzutreiben, um zukunfts-

trächtige und innovative Konversionsverfahren zu entwickeln;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9757

3. ein Bioraffinerie-Forschungsnetzwerk zur Bündelung der Kompetenzen und
Aktivitäten in Forschung, Entwicklung und Demonstrationsanlagen zu etab-
lieren;

4. bei der Forschungsförderung einen Schwerpunkt auf Biodiversität, Boden-
fruchtbarkeit, Wirkungsgrad, Kaskadennutzung und Ökobilanzierung zu
legen;

5. sich gemeinsam mit den Bundesländern dafür einzusetzen, dass bei For-
schung und Lehre an den deutschen Hochschulen künftig, soweit dies nicht
schon jetzt der Fall ist, die stoffliche Nutzung nachwachsender Rohstoffe in
ihrer ganzen Breite berücksichtigt wird;

6. die absehbaren Flächen- und Nutzungskonkurrenzen der stofflichen und
energetischen Verwendung nachwachsender Rohstoffe zu berücksichtigen
sowie die konkreten Anbaubedingungen importierter Biomasse in Bezug auf
die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards bei der Strategiebildung zu
beachten;

7. sich innerhalb der Europäischen Union aktiv an der Erstellung und Umset-
zung des Aktionsplans für biobasierte Produkte zu beteiligen und sich ins-
gesamt für einen abgestimmten Handlungsrahmen bei der stofflichen Nut-
zung nachwachsender Rohstoffe einzusetzen;

8. sich auf nationaler wie europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass für impor-
tierte Biomasse zur stofflichen Nutzung analog zum Bereich der Biokraft-
stoffe Nachhaltigkeitskriterien festgelegt werden;

9. die Förderung von Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvor-
haben fortzuführen, verstärkt über die Anwendungsmöglichkeiten aufzu-
klären sowie eventuell bestehende Hemmnisse für den stofflichen Einsatz
nachwachsender Rohstoffe zu beseitigen.

Berlin, den 25. Juni 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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