BT-Drucksache 16/9734

Position der Bundesregierung zu der Zukunftsgestaltung der Milchpolitik

Vom 23. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9734
16. Wahlperiode 23. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, Hans-Josef Fell,
Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, Bärbel Höhn, Dr. Anton
Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Position der Bundesregierung zu der Zukunftsgestaltung der Milchpolitik

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirt-
schaft (AbL) und der Bund deutscher Milchviehhalter e. V. (BDM) kritisieren
seit Jahren, dass durch agrarpolitische Vorgaben eine erhebliche Milch-Über-
schusserzeugung an der Nachfrage vorbeigeführt wurde, die einerseits zu er-
heblichem Preisdruck auf die Milcherzeuger und andererseits zur Subven-
tionierung von Agrarexporten führte. Diese lag bis zu 20 Prozent über dem
tatsächlichen Bedarf in der Bundesrepublik Deutschland. Eine völlige Deregu-
lierung des Milchmarktes – wie von der EU-Kommission und des Bundesregie-
rung unterstützt – verschärft die Problematik weiter, weil die Möglichkeiten des
Einflusses der erzeugenden Unternehmen auf die Marktsituation und Verbrau-
chernachfrage völlig ausgehebelt werden. Die Folgen wären eine Verschärfung
des Preisdumpings und das Ende einer mittelständischen und bäuerlichen
Milchproduktion, wie schon in der Geflügelwirtschaft vollzogen. Der Weg in
die Industrialisierung ist mit der Aufgabe der Mengenregulierungsmöglichkeit
vorgezeichnet.

Die derzeitigen Milchauszahlungspreise und Vertragsabschlüsse mit den Han-
delskonzernen von teilweise deutlich unter 30 Cent/Liter, bei gleichzeitig an-
steigenden Kosten für Futter, Betriebsmitteln und Energie haben es den Milch-
bauern in den letzten Monaten unmöglich gemacht, kostendeckend zu produ-
zieren.

Die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung unterstützt laut aktueller Forsa-
Umfrage die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern nach kostendeckenden
Erzeugerpreisen und sind bereit, für den Existenzerhalt der Milchbauern mehr
Geld für den Liter Milch zu zahlen – sofern das Geld nicht in den Kassen der
Handelskonzerne hängenbleibt und keine Preisabzocke betrieben wird. Staat-
liche Transferzahlungen können mangelhafte Preise nicht ausgleichen und wer-
den in Zukunft ohnehin verstärkt an die sonstigen gesellschaftlichen Leistun-
gen gebunden. Qualität, Schaffung vernünftiger Arbeitsplätze und der Erhalt
der Grünlandregionen sind den Menschen in unserem Land wichtig. Ein fairer

Milchpreis wird von der Gesellschaft mitgetragen, ebenso wie die Unter-
stützung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen. Sozialpolitik kann aber
nicht die Aufgabe einzelner mittelständischer Betriebe sein.

Nach einer sehr kurzen Zeit des Überschussabbaus und verbesserter Erzeuger-
preise dank des BDM wurden in den vergangenen Monaten die Mengen
politisch weiter in die Höhe geschraubt. Die Saldierung wurde ausgesetzt, die

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Erhöhung der europäischen Milchquote von 2 Prozent im ersten, 5 Prozent im
zweiten Schritt beschlossen. Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, hat diese Schritte in die Deregulierung
des Milchmarktes und weiteren Preisdrucks teils mitgetragen teils erst viel
später in Brüssel dagegen gestimmt. Dadurch wurde die Entspannung der letzten
Monate zunichte gemacht.

Die Milchbauern sahen sich in ihrer Existenz bedroht und haben mit Liefer-
boykott und Streiks reagiert.

Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Horst Seehofer, hat sich im Gegensatz zu den Koalitionsfraktionen CDU/CSU
und SPD nach langem Zögern hinter die Milchbauern gestellt und warb um
Verständnis für die kleinen und mittleren Milchproduzenten, deren Zukunft ge-
währleistet sein müsse. Horst Seehofer verkündete Ende Mai 2008, dass er sich
für eine bessere Bezahlung der Milchbauern einsetzen will. „Mein Appell ist,
dass wieder 40 Cent je Liter gezahlt werden, wie wir es schon einmal hatten“,
so der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz,
Horst Seehofer. Außerdem kündigte er an, bei den anstehenden Debatten über
Korrekturen der Agrarreform von 2003 einen „Milchfonds“ aufzulegen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit welchen konkreten Vorschlägen setzt sich die Bundesregierung im
Rahmen des Health Checks bezüglich der Zukunft der Milchquote ein, und
wie positioniert sich die Bundesregierung zu den Forderungen des Bundes-
verbands Deutscher Milchviehhalter e. V. (BDM) in Bezug auf ein am
Markt orientiertes und flexibles Regulierungssystem für Milch?

2. Mit welchen genauen Verlusten rechnet die Bundesregierung (die EU-Kom-
mission beziffert 7,8 Mrd. Euro EU-weit) bei Aufgabe der Milchmengen-
regulierung in den einzelnen deutschen Bundesländern?

3. Welche Ziele will die Bundesregierung mit dem Milchfonds erreichen,
in welcher Höhe soll der Milchfond finanziell ausgestattet werden, und aus
welchen Quellen sollen diese Mittel stammen?

4. Wie realistisch ist die Aussage vom Bundesminister für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, dass Finanzmittel aus der
Nicht-Ausschöpfung des EU-Haushaltes (Agrar-Leitlinie) für die Milcher-
zeuger genutzt werden können, und wie hoch sind diese zu erwartenden Mit-
tel in den nächsten Jahren für die so genannte „weiche Landung“ vorgesehen
(Aufschlüsselung bis 2015)?

5. Will die Bundesregierung den von der EU-Kommission in den Legislativ-
Vorschlägen erweiterten § 68 (früher § 69), der eine sektorübergreifende
Umverteilung von 10 Prozent der Direktbeihilfen ermöglicht, nutzen, um
deutsche Milchbauern in Mittelgebirgs- und Bergregionen zu unterstützen,
und wenn nein, warum nicht?

6. Welche weiteren flankierenden Maßnahmen aus welchen Finanztöpfen und
in welcher Höhe leitet die Bundesregierung ein, um eine flächendeckende
Milchproduktion im Bundesgebiet, insbesondere in Grünlandregionen und
Mittelgebirgslagen, auch in Zukunft zu erhalten, und welche Maßnahmen
werden insbesondere für kleine und mittelständige Milchproduzenten er-
griffen?

7. Welche Rahmenbedingungen sind nach Auffassung der Bundesregierung zu
schaffen, um das Überleben der Milchbauern von Grünland, Mittelgebirgs-
und Alpenregionen zu sichern?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9734

8. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Effizienz
und Wirksamkeit von Marktordungsmaßnahmen wie Mengenregulierung
im Verhältnis zu Ausgleichsmaßnahmen, und welche dieser Maßnahmen
kommen den Steuerzahler günstiger?

9. Welche Prognose gibt die Bundesregierung für die Entwicklung des Milch-
marktes bis 2020 ab, unter Einbeziehung der Abschaffung der Export-
subventionen?

Und wie beurteilt die Bundesregierung dabei die Situation der landwirt-
schaftlichen Milcherzeuger in den einzelnen Milcherzeugungsregionen
bzw. Bundesländern?

10. Sollen für die Milcherzeuger Steuererleichterungen eingeführt werden?

11. Wie beurteilt die Bundesregierung die Erzeugerpreise für Milch, und
welchen Einfluss haben die Molkereien und der Handel nach Ansicht der
Bundesregierung auf die Preisbildung?

12. Setzt sich die Bundesregierung für einen angemessen fairen Milchpreis ein,
und wenn ja, wie?

13. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der niedrige Milchpreis
durch die Oligopolstellung der Supermarktketten beeinflusst wird?

Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um den Instru-
menten gegen Preisdumping wie dem „Verbot des Verkaufs unter Ein-
standspreis“ endlich Wirkung zu verleihen?

14. Welche kurzfristigen nationalen politischen Maßnahmen insbesondere im
Hinblick auf die Mengenreduzierung will die Bundesregierung ergreifen,
um die Erzeugerpreise auf einem kostendeckenden Niveau zu stabilisieren?

15. Wird die Bundesregierung die Aussetzung der Saldierung kurzfristig be-
enden, und wenn ja, wann, und wenn nein, warum nicht?

16. Wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, den Umrechnungsfaktor
von derzeit 1,02 kg/l Milch auf 1,03 kg/l Milch und damit auf europäisches
Niveau anzuheben zu ändern

Wenn ja, wie und wann, und wenn nein, warum nicht?

17. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um die Angebotsmacht
der Landwirte zu stärken, und mit welchen Maßnahmen will sie hier unter-
stützend eingreifen?

Welche kartellrechtlichen Schritte sind geplant?

18. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Erzeugergemeinschaften oder
gewerkschaftliche Organisationsformen geeignet sind, die Verantwortung,
Einflussnahmen und Verhandlungsposition der Milchbauern zu stärken?

Wenn nein, warum nicht?

19. Ist die Bundesregierung ebenfalls der Auffassung des Deutschen Bauern-
verbandes und der CDU/CSU, dass eine Konzentration auf der Molkerei-
ebene durch kartellrechtliche Änderungen herbeigeführt werden müsse,
und welche Auswirkungen erwartet sie von solch einer Parallelkonzentra-
tion zum Handel auf die Seite der landwirtschaftlichen Erzeuger?

Stärkt dies deren Verhandlungsposition, die ja heute schon als unzurei-
chend bemängelt wird?

20. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung gegenüber der EU-Kom-
mission, um die geplante Aufstockung der Milchquoten zu unterbinden,

und mit welchen verbündeten EU-Mitgliedsländern kooperiert die Bundes-
republik, um die EU-Quote wieder zu senken?

Drucksache 16/9734 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
21. Wann wird der angekündigte „Milchgipfel“ stattfinden, und welche betei-
ligten Akteure werden eingebunden?

22. Wann und wie wird die Bundesregierung die Diskussion um eine moderne
und WTO-kompatible Milchmengenregulierung aufnehmen?

23. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Verbesserung der Trans-
ferleistungen von einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen angesichts
der in der Folge der steigenden Rohstoff- und Energiepreise steigenden
Lebensmittelpreise, insbesondere der Hartz IV empfangenden Kinder und
Jugendlichen?

Berlin, den 23. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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