BT-Drucksache 16/9719

Entschädigung italienischer und griechischer NS-Opfer

Vom 23. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9719
16. Wahlperiode 23. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Eva Bulling-Schröter, Petra Pau, Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Entschädigung italienischer und griechischer NS-Opfer

In mehreren, am 4. Juni 2008 veröffentlichten Entscheidungen des Kassations-
gerichtshofs in Rom, des obersten Zivilgerichts Italiens, wurde entschieden,
dass Zwangsarbeiter aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs den deutschen Staat
vor italienischen Gerichten auf Schadensersatz verklagen dürfen. Zudem wurde
einer Klage von griechischen NS-Opfern statt gegeben, um eine Vollstre-
ckungsklausel zu erhalten, damit ihre Schadensersatzurteile gegen Vermögen
des deutschen Staates auf italienischem Boden vollstreckt werden können
(Süddeutsche Zeitung, 5./6. Juni 2008).

Das Gericht hat im Fall des von der SS am 10. Juni 1944 an 218 Einwohnern
der griechischen Ortschaft Distomo begangenen Massakers entschieden, dass
griechische NS-Opfer in Italien Entschädigungsansprüche gegen die Bundes-
republik Deutschland durchsetzen können. Die Überlebenden und Angehörigen
der Opfer haben bislang keinen Cent Entschädigung durch die Bundesrepublik
Deutschland erhalten. Unter Verweis auf § 7 des Reichsbeamtenhaftungs-
gesetzes (RBHG) (1910) und, so argumentierten die Anwälte der Opfer, unter
Verletzung von Artikel 3 und 23 H der Haager Landkriegsordnung, hat die
Bundesrepublik Deutschland sich bisher der Verantwortung gegenüber den Op-
fern entzogen und geweigert, Urteile des obersten Gerichtshofes Griechenlands
zu befolgen.

Mit den Urteilen aus Rom kann die Pfändung deutscher Liegenschaften in Ita-
lien durch griechische Kläger rechtmäßigerweise betrieben werden. Das Urteil
des römischen Kassationsgerichtshofs ist die Bestätigung einer Rechtsprechung
zugunsten der Verantwortung gegenüber den Opfern der NS-Zeit, welches das
Gericht schon in dem Ferrini-Urteil n. 5044 aus dem Jahre 2004 entwickelt hat.
Das Gericht hatte schon damals festgestellt, dass der deutsche Staat keine
Immunität im Falle von Kriegsverbrechen genießt.

Auch im Falle der italienischen Militärinternierten hat das Gericht in Rom das
Verhalten der deutschen Seite verurteilt. Die italienischen Soldaten waren nach
dem Ausscheren Italiens aus dem Bündnis mit Deutschland im Herbst 1943
völkerrechtswidrig ihrer Rechte als Kriegsgefangene beraubt worden und in
Deutschland unter oftmals mörderischen Bedingungen zur Arbeit gezwungen

worden. Die Bundesregierung entschied damals auf Grundlage eines umstritte-
nen und nicht verbindlichen Gutachtens aus politischen Erwägungen heraus,
den damals noch lebenden circa 120 000 italienischen Zwangsarbeitern Ent-
schädigungsansprüche im Rahmen der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung
und Zukunft“ vorzuenthalten.

In beiden Fällen hat das Gericht in Rom das Ansinnen der deutschen Regierung
zurückgewiesen. Jetzt müssen schnellstens Gelder für die Entschädigung der

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Opfer bereitgestellt werden. Sollte sich die Bundesregierung weiterhin wei-
gern, können gepfändeten Liegenschaften des deutschen Staates in Italien
zwangsversteigert werden, mit weiteren Pfändungen ist zu rechnen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den Entscheidungen
des italienischen Kassationshofs?

2. Beabsichtigt die Bundesregierung, weitere juristische Mittel zur Abwen-
dung von Entschädigungszahlungen einzuleiten, und wenn ja, warum, und
welche?

3. Wie hat sich der Konflikt um die Entschädigungsforderung wegen des
Massakers in Distomo aus Sicht der Bundesregierung in den letzten Jahren
dargestellt?

4. Können die Angehörigen der Opfer von Distomo in nächster Zeit mit einer
Entschädigungszahlung durch die Bundesregierung rechnen, und wenn ja,
wann?

5. Wie hat sich der Konflikt vor italienischen und deutschen Gerichten um die
Entschädigungsforderungen ehemaliger italienischer Militärinternierter aus
Sicht der der Bundesregierung bislang dargestellt?

6. Welche Liegenschaften bzw. Immobilien befinden sich in Italien in deut-
schem, staatlichen Besitz (bitte aufgliedern nach Anschrift, Größe, derzeiti-
ger Nutzung und geschätztem Wert der Liegenschaft bzw. der Immobilie)?

7. Welche weiteren deutschen Wertobjekte befinden sich in Italien in deut-
schem Staatbesitz (bitte detailliert aufgliedern, und wo möglich den ge-
schätzten Wert angeben)?

8. Beabsichtigt die Bundesregierung in direkten Gesprächen mit den Prozess-
bevollmächtigten und Verbänden der italienischen Deportierten zu einer
Lösung bezüglich der Entschädigung zu kommen, und wenn ja, was plant
sie konkret, wenn nein, warum nicht?

9. Beabsichtigt die Bundesregierung direkte Gespräche mit den Vertretern der
Überlebenden bzw. Angehörigen aus Distomo zu führen mit dem Ziel, die
Verbindlichkeiten aus dem Urteil 147/97 des LG-Livadia auszugleichen?

Wenn ja, was plant sie konkret, wenn nein, warum nicht?

10. Beabsichtigt die Bundesregierung, in Gespräche mit den Regierungen
Griechenlands und Italiens zu treten bezüglich der römischen Entschei-
dung, und wenn ja, mit welchem Ziel?

11. Erwägt die Bundesregierung, eine weitere Stiftung nach dem Modell der
Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ für die bislang ohne
Entschädigung gebliebenen NS-Opfer zu initiieren oder plant sie andere
Initiativen mit diesem Ziel, und wenn nein, warum nicht?

12. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass eine
schnelle Entschädigung aller betroffenen Opfergruppen nicht nur den
Opfern entgegen kommen würde, sondern auch der Glaubhaftigkeit einer
menschenrechtsorientierten Politik, wie sie die Bundesregierung nach eige-
nen Angaben ansonsten verfolgt, unterstreichen würde?

Berlin, den 20. Juni 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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