BT-Drucksache 16/951

Mehr Effizienz und mehr Transparenz für mehr Nahverkehr bei konstanten Regionalisierungsmitteln

Vom 15. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/951
16. Wahlperiode 15. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Katrin
Göring-Eckardt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Effizienz und mehr Transparenz für mehr Nahverkehr
bei konstanten Regionalisierungsmitteln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Regionalisierung des öffentlichen Nahverkehrs als ein wesentlicher Teil der
Bahnreform hat die Länder seit 1994 in die Lage versetzt, das Nahverkehrsan-
gebot auszubauen und bürgernäher zu gestalten. Mit Hilfe der vom Bund garan-
tierten und jährlich um 1,5 Prozent steigenden so genannten Regionalisierungs-
mittel konnte das Verkehrsangebot seit 1996 um 20 Prozent und die Zahl der
Fahrgäste um fast 30 Prozent gesteigert werden. Dieser Effekt hätte noch größer
sein können, wenn die Länder tatsächlich das gesamte zur Verfügung stehende
Geld ausschließlich und effizient für die Verbesserung des Nahverkehrs einge-
setzt hätten. Da dies nicht der Fall ist, muss der Verwendungszweck enger ge-
fasst und stärker zu kontrolliert werden.

Bis zum im gültigen Regionalisierungsgesetz vorgesehenen Revisionszeitpunkt
im Jahr 2008 muss Vertrauensschutz gelten. Deshalb sind die Regionalisierungs-
mittel in den Jahren 2006 und 2007, wie im derzeitigen Regionalisierungsgesetz
verankert, um jeweils 1,5 Prozent zu steigern. Ab dem Jahr 2008 können die
Mittel auf dem dann erreichten Niveau von 7,266 Mrd. Euro pro Jahr für fünf
Jahre stabilisiert werden, wenn die Länder sich zu der unten genannten stärkeren
Transparenz und den Verwendungsvorgaben gesetzlich verpflichten lassen.
Dadurch können Kostensteigerungen mit einem zweijährigen Vorlauf ab 2008
durch die Hebung von Effizienzvorteilen aufgefangen werden. Die zusätzlichen
Effizienzgewinne sind für den Ausbau des umwelt- und klimafreundlichen
öffentlichen Verkehrs und die Steigerung der Marktanteile des Schienenper-
sonennahverkehrs (SPNV) bereitzustellen. Erst nach der Ausreizung der Effizi-
enzpotentiale, halten wir es für notwendig, die Regionalisierungsmittel wieder
jährlich um 1,5 Prozent anzuheben. Die Gegenfinanzierung dafür soll aus einer
Kürzung der Entfernungspauschale erfolgen.

Im Kabinettsbeschluss zum Haushaltshaltsbegleitgesetz 2006 hat die Koalition
eine Kürzung der Regionalisierungsmittel um insgesamt 2,3 Mrd. Euro bis 2010

beschlossen (2006: – 106 Mio. Euro; 2007: – 556 Mio. Euro; 2008: – 765
Mio. Euro; 2009: – 875 Mio. Euro). Da die nächste Revision des Gesetzes aber
erst 2011 vorgesehen ist, sind es de facto 3,3 Mrd. Euro Kürzungen, die
beschlossen würden.

Die Folge wird sein, dass das Zugangebot massiv ausgedünnt wird und dem
verbleibenden Nahverkehr massive Fahrpreiserhöhungen drohen. Die Allianz
pro Schiene geht davon aus, dass jeder sechste Zug gestrichen werden muss.

Drucksache 16/951 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ein großes Kostensenkungspotential im SPNV und neue Chancen für den
Schienengüterverkehr als Alternative zum Lkw bietet die Regionalisierung der
Infrastruktur.

Die Erfolge der regionalen SPNV-Bestellung werden häufig durch ein teures
und schwerfälliges, weiterhin zentrales Infrastrukturmanagement der für die
Bundesschienenwege verantwortlichen Deutsche Bahn (DB) Netz AG ge-
bremst. Die sich entlang der örtlichen Mobilitätsbedürfnisse rasch weiterentwi-
ckelnden Nahverkehrsangebote erfordern jedoch oftmals kurzfristig Verände-
rungen und Weiterentwicklungen der regionalen Infrastruktur, deren Umsetzung
bisher einen komplizierten und langwierigen Verhandlungsprozess mit DB Netz
erfordert. Die SPNV-Aufgabenträger haben trotz Zahlung von erheblichen Tras-
senentgelten, die in den Bestellentgelten enthalten sind, keinen Einfluss auf Ent-
scheidungen, die die Infrastruktur betreffen.

Eine detaillierte Studie im Auftrag der Bundesarbeitsgemeinschaft SPNV
kommt für den Bereich der Stationsinfrastruktur zu dem Ergebnis, dass neu er-
richtete Stationen durch die DB Station & Service AG bis zu 40 Prozent höhere
Baukosten erfordern als funktional vergleichbare neu errichtete Stationen nicht-
bundeseigener Eisenbahninfrastrukturunternehmen. Dies betrifft aber nicht nur
Stationsinfrastruktur. Es gibt erfolgreiche Beispiele für Strecken – wie zum
Beispiel das Sonneberger Netz und Freiberg-Holzhau –, die in regionaler
Verantwortung modernisiert und betrieben werden. Beide sind deutlich kosten-
günstiger als unter der Regie der DB Netz AG. Die Folge sind niedrigere
Trassenpreise, die mehr Zugbestellungen im SPNV bei gleichen Entgelten erlau-
ben und den Schienengüterverkehr konkurrenzfähiger zum LKW werden lassen.
Die Regionalisierung der Infrastruktur bietet also die Chance, regionale
Schieneninfrastruktur deutlich billiger zu bauen und zu betreiben und dadurch
mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Die Kürzungen der Regionalisierungsmittel nach dem Haushaltsbegleit-
gesetz 2006 werden zurückgenommen. Der im geltenden Regionalisierungs-
gesetz vorgesehene Revisionszeitpunkt 2007 mit Wirkung 2008 bleibt – auch
aus Gründen des Vertrauensschutzes gegenüber den Ländern und den Nah-
verkehrsunternehmen – erhalten.

2. Die dann anstehende Revision soll entlang folgender Eckpunkte erfolgen:

● Einführung einer leistungsorientierten Aufteilung der Hälfte der Finanz-
mittel zwischen den Ländern durch einen neuen Verteilungsschlüssel, der
an Effizienzkriterien gebunden ist, die das Zugangebot, die Anzahl der
Fahrgäste und die erreichten Umweltstandards berücksichtigen. Dabei soll
den unterschiedlichen Bevölkerungs- und Siedlungsstrukturen der Länder
Rechnung getragen werden. Wer mit gleichem Geld mehr Verkehr auf der
Schiene organisiert und mehr Fahrgäste gewinnt, der soll von konstanten
oder steigenden Mittelzuwendungen profitieren. Wer den SPNV nicht
weiterentwickelt, muss damit rechnen, tendenziell Finanzmittel an erfolg-
reichere Länder abzugeben. Dies fördert den zielorientierten Wettbewerb
der Länder um effiziente Strukturen und Strategien;

● Die Länder müssen verpflichtet werden, jährlich einen Bericht über die
Mittelverwendung und den verkehrlichen Erfolg des Mitteleinsatzes zu er-
stellen. Bei Fehlverwendung sollen dem jeweiligen Land die Zuweisun-
gen um bis zu fünf Prozent gekürzt werden;

● Festsetzung einer verbindlichen Vorgabe, sämtliche SPNV-Leistungen
schrittweise ausschließlich im Wettbewerb zu vergeben; eine freihändige

Vergabe wird ausgeschlossen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/951

● Festschreibung eines Verbots, Finanzierungsverpflichtungen aufgrund an-
derer Nahverkehrsleistungsgesetze wie zum Beispiel die Schülerbeförde-
rung nach § 45a des Personenbeförderungsgesetzes aus Regionalisie-
rungsmitteln zu bezahlen;

● Einführung einer Höchstgrenze von 25 Prozent der Mittel, die flexibel
auch für den gesamten ÖPNV eingesetzt werden darf.

3. Die rechtliche Übertragung der regionalen Schienen- und Stationsinfrastruk-
tur auf die Länder soll deutlich erleichtert werden. Für die Übernahme dieser
Aufgabe erhalten die Länder einen angemessenen Anteil an den bisherigen
finanziellen Aufwendungen des Bundes für den Neu- und Ausbau sowie für
die Ersatzinvestitionen in die regionale Infrastruktur.

Berlin, den 15. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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