BT-Drucksache 16/9450

Das Bundeswaldgesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für die Waldbewirtschaftung einführen

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9450
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel Höhn,
Renate Künast, Ulrike Höfken, Nicole Maisch, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius,
Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Bundeswaldgesetz novellieren und ökologische Mindeststandards
für die Waldbewirtschaftung einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mehr als ein Drittel Deutschlands ist bewaldet. Allein diese Tatsache zeigt,
welch große Bedeutung der Wald in Deutschland für den Naturhaushalt und für
die menschliche Gesellschaft hat. Wälder sind Ökosysteme mit vielfältigen
Funktionen. Sie haben positive Wirkungen auf die lebenswichtigen Umweltme-
dien Wasser, Boden und Luft und haben eine herausragende Bedeutung für den
Klimaschutz. Wälder bieten Lebensraum für eine Vielfalt an Pflanzen, Tieren
und anderen Organismen. Wälder schützen vor Bodenerosion, speichern Wasser,
leisten einen Beitrag für die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser und kön-
nen Hochwasserfolgeschäden für besiedelte Gebiete und für die Landwirtschaft
abwenden. Wälder dienen der Naherholung und dem Tourismus. Nicht zuletzt
liefern Wälder den umweltfreundlichen, nachwachsenden Rohstoff Holz und
bieten damit zahlreichen Menschen Arbeitsplatz und Einkommen, insbesondere
im ländlichen Raum.

All dies sind Gründe, den Wald sorgfältig und nachhaltig zu behandeln. Doch
seit langem ist der Wald geschädigt und gefährdet. Die alljährlichen Waldzu-
standberichte belegen seit 25 Jahren ein hohes Maß an Waldschäden. Auch wenn
das befürchtete Waldsterben ausgeblieben ist, so ist dennoch nicht absehbar, ob
und wann sich der Wald wieder erholt. Die über den Luftpfad eingetragenen
Schad- und Nährstoffe werden noch lange nachwirken. Der Klimawandel und
der anhaltend hohe Stickstoffeintrag führen zu einer Veränderung des Waldes
und können durchaus wieder zu einer deutlichen Zunahme der Waldschäden
führen. Die biologische Vielfalt im Wald ist gefährdet. Eine besondere Verant-
wortung im internationalen Maßstab trägt Deutschland für den Erhalt artenrei-
cher Buchenwälder. Gefährdet sind die Wälder aber auch aufgrund der steigen-
den Holznachfrage, die den Nutzungsdruck erhöht. Derzeit gibt es keine

hinreichenden gesetzlichen Regelungen, die eine Übernutzung der Wälder auf
Dauer verhindern.

Die rechtliche Grundlage für die Waldbewirtschaftung bildet das Bundeswald-
gesetz, das aus dem Jahr 1975 stammt. Da sich jedoch in den letzten Jahren so-
wohl die Einstellung der Bevölkerung zum Wald als auch die gesellschaftlichen
und die klimatischen Verhältnisse verändert haben, ist es hohe Zeit, dieses Ge-
setz zu modernisieren.

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Vor diesem Hintergrund stellt der Deutsche Bundestag fest:

Zu den Zielen der Waldpolitik und des Bundeswaldgesetzes muss es gehören,

1. arten- und strukturreiche, naturnahe und gesunde Wälder zu schaffen.

Angesichts der durch den Klimawandel bedingten Zunahme von Extremwet-
terlagen müssen die Wälder stabiler und vitaler werden. Stabilität der Wälder
kann nur durch biologische Vielfalt geschaffen werden Dafür ist es notwen-
dig, naturnahe Wälder auf der Basis von standortheimischen Baumarten in
ihrer natürlichen Vielfalt und Bäumen unterschiedlichen Alters aufzubauen
und diese Wälder nachhaltig und naturnah zu bewirtschaften. Laut Bundes-
waldinventur sind derzeit nur 20 Prozent der Wälder als naturnah bzw. 15
Prozent als sehr naturnah anzusehen. Vordringlich ist daher, die kulturbeton-
ten (7 Prozent) und die kulturbestimmten (17 Prozent), aber letztlich auch die
bedingt naturnahen Wälder (41 Prozent) zu weitgehend naturnahen Wäldern
umzubauen. Nur so kann das Risiko schwerer Schäden durch Stürme und
Schadinsekten vermindert werden;

2. die biologische Vielfalt der Waldökosysteme zu erhalten.

Um die biologische Vielfalt der deutschen Wälder in ihrer gesamten Band-
breite erhalten zu können, ist es neben der flächendeckenden nachhaltigen
und naturnahen Waldbewirtschaftung auch erforderlich, sowohl seltene als
auch typische Waldareale aus der Nutzung zu nehmen. Um Anreize für den
Erhalt der biologischen Vielfalt im Wald zu schaffen, sind neue Instrumente
des Naturschutzes zu entwickeln und anzuwenden;

3. die Kohlendioxidspeicherung im Wald zu erhöhen.

Kohlendioxid wird im Waldboden und in der oberirdischen Biomasse, d. h.
vor allem in den Bäumen gespeichert. Die Vernichtung von Wäldern, aber
auch einzelne Kahlschläge setzen erhebliche Anteile des gespeicherten Koh-
lendioxids wieder frei. Das betrifft nicht nur das Kohlendioxid im Holz der
Bäume, die nach ihrer Fällung nur zum Teil zu langlebigen Holzprodukten
verarbeitet werden, sondern auch das Kohlendioxid aus dem Waldboden.
Nach einem Kahlschlag wird es durch Mineralisierung der organischen
Substanz zum großen Teil abgebaut. Deswegen müssen großflächige Wald-
verluste und Kahlschläge unterbunden und gleichzeitig höhere Holzvorräte
im Wald aufgebaut werden;

4. den Landschaftswasserhaushalt zu stabilisieren und den Hochwasserschutz
zu verbessern.

Voraussetzung dafür, dass der Wald zu einem intakten Landschaftswasser-
haushalt und zum Hochwasserschutz beiträgt, ist neben einer naturnahen
Baumartenzusammensetzung eine hohe Wasserspeicherfähigkeit des Wald-
bodens. Diese setzt wiederum eine intakte Humusschicht sowie eine intakte
Struktur des Waldbodens voraus. Um diese zu erhalten, ist es notwendig,
Maschinen so bodenschonend wie möglich einzusetzen. Um den Humus im
Waldboden zu erhalten und aus Gründen des Artenschutzes, müssen das
Kronenholz und größere Mengen an Totholz im Wald belassen werden. In
Gebirgs- und Mittelgebirgslagen darf in Bächen lagerndes Holz nicht be-
räumt werden, denn es reduziert die Höhe der Hochwasserwelle;

5. die Versorgung mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz sicherzustellen.

Je knapper und teurer Erdöl wird, desto mehr wird es – insbesondere als En-
ergieträger – auch unabhängig von klimapolitischen Erwägungen durch er-

neuerbare und nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden müssen. Damit
wächst auch das Interesse an der Holznutzung. Wenn kritisch zu bewertende

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9450

Holzimporte vermieden werden sollen (illegales Holz, Zerstörung von Ur-
und Tropenwäldern), wird daher in Zukunft mehr Holz aus dem deutschen
Wald mobilisiert werden müssen. Doch trotz des erhöhten Nutzungsdrucks
ist und bleibt – solange nicht mehr Holz eingeschlagen wird als nachwächst
und anspruchsvolle Bewirtschaftungsstandards eingehalten werden – eine
nachhaltige und naturverträgliche Nutzung des Rohstoffes Holz möglich.

Insbesondere im Kleinprivatwald könnten noch weitere Holzvorräte er-
schlossen werden. Dazu ist die Holzvermarktung durch forstwirtschaftliche
Vereinigungen von Kleinwaldbesitzern zu erleichtern. Dies ist ökologisch
vertretbar und liegt im Interesse der Waldzustandsverbesserung. Denn
Durchforstungsrückstände in nicht mehr genutzten, nichtnaturnahen Wäl-
dern führen zu einer stetigen Verschlechterung des Waldzustands und sind
keinesfalls mit einer gezielten naturnahen Waldwirtschaft oder mit natür-
licher Waldentwicklung zu verwechseln;

6. die Wälder vor Übernutzung zu schützen.

Angesichts des absehbar steigenden Holzbedarfs wächst die Gefahr, dass die
Wälder in Deutschland übernutzt werden. Durch Übernutzung wird das Prin-
zip der Nachhaltigkeit verletzt. Das Bundeswaldgesetz muss dem Holzein-
schlag deshalb klare ökologische und naturschutzfachliche Grenzen setzen.
Kernstück einer Novellierung des Bundeswaldgesetzes muss daher die Fest-
legung von Bewirtschaftungsstandards und -grundsätzen sein, die die gute
fachliche Praxis konkret nach ökologischen Kriterien definieren.

Mit der Föderalismusreform I wurde die Rahmengesetzgebungskompetenz, auf
die sich das Bundeswaldgesetz bisher gestützt hat, abgeschafft. Stattdessen fal-
len die Gesetzgebungskompetenzen für den Naturschutz und die Landschafts-
pflege – und damit auch die Waldgesetzgebung – nunmehr in den Bereich der
konkurrierenden Gesetzgebung mit Abweichungsrecht der Länder. Demzufolge
ist es heute möglich und nötig, auf Bundesebene Detailregelungen im Waldrecht
zu treffen. Diese Chance muss genutzt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Entwurf für eine Novellierung des Bundeswaldgesetzes vorzulegen, der
folgende Neuregelungen enthält:

– Die Ziele des Gesetzes (§ 1) sind so zu erweitern und modern zu formulieren,
dass

● neben der Erhaltung der kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Funk-
tionen des Waldes vor allem auch die Erhaltung der natürlichen Funk-
tionen für den Klimaschutz, den Wasserhaushalt, den Hochwasserschutz
und den Schutz der biologischen Vielfalt Ziel des Gesetzes wird,

● naturnahe Wälder zu erhalten und wiederherzustellen sind und einen we-
sentlichen Beitrag zum Aufbau und zur Erhaltung von Biotopverbünden
zu leisten haben,

● die dauerhafte, nachhaltige Versorgung mit dem nachwachsenden Roh-
stoff Holz zu sichern ist,

● im Sinne der Nachhaltigkeit bei allen Entscheidungen die ökologischen,
ökonomischen und sozialen Nutzfunktionen des Waldes gleichrangig zu
behandeln sind,

● auf die waldrelevanten internationalen Verpflichtungen wie die des
im Jahr 2002 verabschiedeten Arbeitsprogramms zur forstlichen Bio-

diversität der UN-Biodiversitätskonvention (CBD) und die der Natura-
2000-Richtlinie der Europäischen Union Bezug genommen wird.

Drucksache 16/9450 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– Die Definition des Waldes (§ 2) ist so zu verändern, dass

● grundsätzlich jede mit Waldbaumarten bestockte Fläche von mindestens
0,1 Hektar Fläche und mindestens 30 Metern Breite dem Bundeswald-
gesetz unterliegt,

● Flächennutzungen wie Agroforstsysteme und Kurzumtriebsplantagen
vom Waldbegriff ausgenommen werden (unter Gewährleistung, dass Nie-
derwald weiterhin Wald bleibt),

● klargestellt wird, dass ein Baumbestand auf unbeweidetem bzw. unge-
pflegtem Offenland nicht automatisch Wald im Sinne des Gesetzes ist;

– Die Waldumwandlungsgenehmigungen (§ 9) sind so zu regeln, dass

● seltene Waldbiotope erhalten bleiben,

● die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Nutzfläche auch dann
von den Behörden versagt werden kann, wenn Naturschutzziele (Erhalt
von seltenen Waldbiotoptypen und Rote-Liste-Arten) beeinträchtigt wer-
den,

● für großflächige Waldumwandlungen eine Umweltverträglichkeitsprü-
fung eingeführt wird,

● Maßnahmen des Naturschutzes im Wald keine Umwandlung im Sinne die-
ses Gesetzes darstellen, sofern sie im Einvernehmen mit der zuständigen
Forst- und Naturschutzbehörde erfolgen.

– Die Erstaufforstung (§ 10) ist so zu regeln, dass

● arten- und strukturreiche standortheimische Wälder entstehen, keine
Forstmonokulturen,

● seltene Offenlandbiotope erhalten bleiben,

● dass die Genehmigung zur Erstaufforstung dann versagt werden kann,
wenn Gründe des Naturschutzes (Erhalt von Rote-Liste-Arten und selte-
ner Offenlandbiotope wie Extensiv-Grünland und Waldwiesen) dagegen
sprechen,

● auch die Vernetzung von Waldinseln und die Schaffung eines Biotop-
verbundes Ziel der Erstaufforstung sein können,

● neben der Erstaufforstung von Flächen auch eine natürliche Wiederbewal-
dung von Flächen (Sukzession) ermöglicht wird und diese der Erstauffors-
tung gleichgestellt wird.

– Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung durch Mindestanforderungen (gute
fachliche Praxis) (§ 11) ist in der Weise sicherzustellen, dass

● diese Mindeststandards mindestens die forstlichen Mindeststandards im
Bundesnaturschutzgesetz (§ 5 Abs. 5) wiederspiegeln,

● das Verbot von Kahlschlägen zum zentralen Mindeststandard im Wald-
recht wird,

● als Kahlschlag jede baumfreie Waldfläche definiert wird, die die Fläche
dem Freilandklima aussetzt,

● Dauerwälder aufzubauen sind und der Holzeinschlag in der Regel
nur noch in Form der gruppenweisen oder Einzelbaumentnahme durch-
zuführen ist sowie für den Holzeinschlag ein grundsätzliches Verbot des
flächenhaften Befahrens der Waldböden gilt bzw. das Befahren auf ein

dauerhaftes Erschließungssystem eingegrenzt wird,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9450

● die Neubegründung von Reinbeständen standortfremder Baumarten aus-
nahmslos ausgeschlossen wird,

● vorwiegend naturnahe, strukturreiche Mischbestände standortheimischer
Baumarten aufzubauen sind, wobei mindestens 10 Prozent Nebenbaum-
arten zur ökologischen und ökonomischen Aufwertung der Bestände bei-
tragen sollen sowie standortfremde Baumarten auf maximal 10 Prozent
des Bestandes zu begrenzen sind und die Einbringung von Baumarten aus
anderen Kontinenten genauso auszuschließen ist wie die von gentechnisch
veränderten Baumarten,

● die Naturverjüngung Vorrang erhält gegenüber anderen Verjüngungsver-
fahren (Saat und Anpflanzung), wobei diese vor allem bei unerwünschter
Ausgangsbestockung und nach Kalamitäten und Sturmschäden weiter zu-
lässig bleiben müssen,

● eine Waldrandgestaltung durchgeführt werden soll und dabei heimische
Gehölzarten in einer stufigen Struktur einzubringen sind,

● ein Mindestanteil an stehendem und liegendem Totholz, an Biotop- und
Altbäumen, an Waldrestholz und an Kronenholz im Wald zu belassen ist,

● Bodenverdichtung zu vermeiden ist,

● der Einsatz von Bioziden und Pestiziden auf den Fall des akuten Hand-
lungsbedarfes bei großflächigen Kalamitäten beschränkt wird,

● die flächenhafte Entwässerung von Waldeinzugsgebieten ausgeschlossen
wird,

● die Bodenbearbeitung auf solche Flächen beschränkt wird, auf denen sie
für eine Verjüngung unbedingt erforderlich ist,

● Verlustschmiermittel auf Mineralölbasis nicht mehr eingesetzt werden
dürfen, sofern für den jeweiligen Verwendungszweck bzw. die eingesetzte
Technik gleichwertige biologisch abbaubare Schmiermittel in ausreichen-
den Mengen oder Techniken, die ganz ohne Schmiermittel auskommen,
zur Verfügung stehen,

● Bodendüngung grundsätzlich ausgeschlossen wird,

● die Bodenschutzkalkung am Prinzip der Standörtlichkeit zu orientieren,
also nur zum Ausgleich eines ausgeprägten anthropogen bedingten Ver-
sauerung zuzulassen ist,

● sich die Bejagung an ökologischen Erfordernissen orientieren muss, Wei-
serflächen auszuweisen sind und für Wildschäden im Wald (insbesondere
für Schäden an Naturverjüngung) klare und einfache Entschädigungsrege-
lungen eingeführt werden,

● für die Wiederbewaldung eine Frist von fünf Jahren gilt und eine Wieder-
aufforstung nur dann vorzuschreiben ist, sofern sich innerhalb dieser Frist
keine natürliche Wiederbewaldung einstellt,

● die Personalausstattung für die Bewirtschaftung und die naturschutzfach-
liche Betreuung des Waldes gewährleistet, dass das Personal allen fach-
lichen Anforderungen auch gerecht werden kann

● bei der Waldarbeit und beim Einsatz von Forsttechnik qualifiziertes und
angemessen entlohntes Personal einzusetzen ist,

● ein hohes Niveau bei Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit gewährleistet
wird, wobei mindestens die Unfallverhütungsvorschriften der land- und
forstwirtschaftlichen Unfallversicherung einzuhalten sind,

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● die Einhaltung der guten fachlichen Praxis im Wald durch ein Zertifikat ei-
nes Zertifizierungssystems nachgewiesen werden kann, welches die im
Bundeswaldgesetz formulierten Mindeststandards durch entsprechende
Kriterien zu untersetzen und abzuprüfen in der Lage ist.

– Für den Schutzwald und den Erholungswald wird auf eine Bundesregelung
(§§ 12 und 13) verzichtet.

– Die Verkehrssicherungspflicht (§ 14) ist so zu präzisieren, dass

● das Recht der Bürgerinnen und Bürger zum freien Betreten des Waldes
zum Zwecke der Erholung erhalten bleibt,

● eindeutig dargestellt wird, wenn Waldflächen nicht betreten werden kön-
nen,

● klargestellt wird, dass das Betreten zur nichtkommerziellen Nutzung kos-
tenfrei ist,

● sie auf öffentlich gewidmete Straßen und Wegen, die für die Nutzung
durch den motorisierten Individualverkehr vorgesehen sind, auf Einrich-
tungen und Flächen, deren öffentliche Nutzung vorgesehen ist, sowie auf
grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatzbeschränkt bleibt,

● sie und die entsprechende Haftung entlang von Straßen und Wegen, die
dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind, primär dem Straßenbaulast-
träger bzw. an die für die öffentliche Nutzung vorgesehenen Einrichtungen
und Flächen dem Betreiber zugewiesen wird und der Waldbesitzer erst
dann haften muss, wenn er die für die Verkehrssicherung erforderlichen
Maßnahmen nicht zugelassen hat,

● von Tot- und Altholz ausgehende Gefahren jenseits der dem öffentlichen
Verkehr gewidmeten Straßen und Wege und anderer für die öffentliche
Nutzung vorgesehenen Einrichtungen im Wald und an Waldwegen als
waldtypische Gefahren eingestuft werden, die der Nutzer des Waldes ein-
zukalkulieren hat.

– Dem wirtschaftlichen Betrieb sind forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse
(§§ 15 bis 40) zu erleichtern, indem

● die Organisationsform Forstbetriebsverband entfällt,

● es Forstwirtschaftlichen Vereinigungen zukünftig ermöglicht wird, Holz
zu vermarkten und „andere forstwirtschaftliche Maßnahmen“ zu koor-
dinieren, und sie von den Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbs-
beschränkungen ausgenommen werden.

– Die Förderung des Waldbaus (§ 41) ist so an Bedingungen zu koppeln, dass

● es Fördervoraussetzung ist, dass die waldbaulichen Standards über die ge-
setzlichen Mindeststandards (die gute fachliche Praxis), die das Bundes-
waldgesetz festschreibt, hinausgehen und dies durch ein Zertifikat eines
staatlich anerkannten Zertifizierungssystems nachzuweisen ist,

● der Vertragsnaturschutz im Wald als modernes und kooperatives Natur-
schutzinstrument gestärkt wird.

– Wälder mit natürlicher Waldentwicklung (Totalreservate) in der Weise zu
fördern, dass

● es zukünftig gemeinsame Aufgabe des Bundes und der Länder ist, im
Staatswald oder im Privat- und Körperschaftswald für einen Mindestanteil

an Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung (Totalreservate) zu sorgen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/9450

● Bund-Länder-Mechanismen für die Festlegung von Umfang und regiona-
ler Verteilung von Totalreservaten geschaffen werden, die den Zustand der
gesamten Bandbreite der biologischen Vielfalt des Waldes beobachten
und bewerten und dabei auch die Ziele einer nachhaltigen Holzversorgung
und der Vermeidung von Holzimporten aus nichtnachhaltigen Quellen
berücksichtigen.

Berlin, den 4. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Zum bisherigen § 1

Im Gesetzeszweck kommen die Funktionen des Waldes für die biologische Viel-
falt bisher zu kurz bzw. sind nur indirekt unter der „Bedeutung für die Umwelt“
bzw. der „Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes“ erfasst. Dies gilt es zu korri-
gieren. Im Gegenzug muss aber auch die wirtschaftliche Nutzungsfunktion da-
hingehend konkretisiert werden, dass die nachhaltige Versorgung mit dem nach-
wachsenden Rohstoff Holz Gesetzeszweck wird.

Zum bisherigen § 2

Bisher können landwirtschaftliche Nutzflächen, wenn sie als Kurzumtriebsplan-
tagen oder Agroforstsysteme genutzt werden, den Vorgaben des Bundeswald-
gesetzes unterworfen sein. Eine Rückumwandlung in Agrarland unterliegt dann
z. B. der Genehmigungspflicht durch die zuständige Behörde. Im Ergebnis
könnte die aus ökologischen Gründen erwünschte und sinnvolle Anpflanzung
von Bäumen auf Ackerland unterbleiben, weil die Landwirte fürchten, dass
ihnen Agrarflächen verloren gehen. Deswegen ist es sinnvoll, Agroforstsysteme
und Kurzumtriebsplantagen vom Begriff Wald auszunehmen.

Die bisherige Walddefinition führt auch in der Landschaftspflege teilweise zu
Problemen. So sind viele Waldwiesen offiziell Wald. Dementsprechend ist eine
Genehmigung der Erstaufforstung nicht erforderlich. So können sie bewaldet
und damit vernichtet werden, obwohl ihre Bewaldung naturschutzfachlich oft-
mals nicht angebracht ist, weil Waldwiesen zur Biotopvielfalt beitragen. Des
Weiteren verbuschen wertvolle Flächen wie Streuwiesen und Magerrasen oft-
mals aufgrund fehlender Pflege oder Bewirtschaftung. Hier ist aus Naturschutz-
gründen eine Wiederaufnahme der Landschaftspflege oder Bewirtschaftung
angebracht. Dies wird erschwert oder unmöglich gemacht, wo solche Flächen
per Definition zu Wald im Sinne des Bundeswaldgesetzes werden.

Zum bisherigen § 9

Bisher kann die Genehmigung der Umwandlung von Wald in eine andere Flä-
chennutzung dann versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes überwiegend
im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald für die Leistungs-
fähigkeit des Naturhaushalts, die forstwirtschaftliche Erzeugung oder die Erho-
lung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist. Gründe des Naturschut-
zes sind nicht ausdrücklich genannt. Es ist im Interesse des Naturschutzes aber
erforderlich, dass schützenswerte Waldgesellschaften erhalten bleiben und nicht
umgewandelt werden.

Drucksache 16/9450 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zum bisherigen § 10

Grundsätzlich ist es sinnvoll, den Waldanteil zu erhöhen. Jedoch sind Erstauf-
forstungen vor allem dort sinnvoll, wo der Waldanteil in der Kulturlandschaft
bisher sehr niedrig ist und Waldinseln isoliert voneinander bestehen. Die
Erstaufforstung bestimmter Offenlandbiotopen mit einem hohen Wert für den
Naturschutz hat in der Regel zu unterbleiben.

Zum bisherigen § 11

Kern einer Novelle des Bundeswaldgesetzes muss die klare und konkrete Be-
stimmung der guten fachlichen Praxis einer nachhaltigen Waldwirtschaft sein.
Hierzu sind Mindeststandards bzw. Grundsätze für die Bewirtschaftung der
Wälder festzulegen.

Kern der guten fachlichen Praxis muss das Kahlschlagverbot sein. Es ist grund-
legend für die naturnahe Bewirtschaftung der Wälder und für den Erhalt des
Waldes und des Waldbodens als Kohlendioxidspeicher. Aufgrund der zentralen
Stellung des Kahlschlagverbotes und aus der Erfahrung seiner unzureichenden
Umsetzung in den Landeswaldgesetzen ist es notwendig, das Verbot von Kahl-
schlägen im Bundeswaldgesetz konkret zu fassen.

Die Organismen, die an altes, absterbendes und totes Holz gebunden sind, finden
in einem intensiv genutzten Wirtschaftswald kaum Lebensraum, da die Bäume
in aller Regel vor der Zerfallsphase entnommen werden. Um die biologische
Vielfalt in ihrer ganzen Bandbreite erhalten zu können, sind daher Einschrän-
kungen bei der Holznutzung notwendig. Außerdem gilt es zu verhindern, dass
es angesichts der zunehmenden Nutzung des nachwachsenden Rohstoffes Holz
zur Ganzbaumernte und damit zum „gefegten Wald“ kommt. Diese Vorgaben
leisten auch einen Beitrag zur Erhöhung der Holzvorräte in den Wäldern.

Mit der längst fälligen Novellierung des Bundesjagdgesetzes muss der recht-
liche Rahmen dafür gesetzt werden, dass die Wilddichten an die Leistungsfähig-
keit der Bestände angepasst werden und der Wildverbiss den Wald nicht beein-
trächtigt. Nur so ist es möglich, eine flächenhafte Naturverjüngung und einen
naturnahen Waldumbau zu erreichen. Um dieses Ziel erreichen zu können, ist es
erforderlich, auch im Bundeswaldgesetz Regelungen zu treffen.

Solange noch Kahlschläge in größerem Umfang vorgenommen werden und die
Wilddichten eine natürliche Wiederbewaldung in großen Teilen des Landes
verhindern, muss das Wiederaufforstungsgebot bestehen bleiben, da ansonsten
Waldfläche in relevanter Größenordnung verloren gehen könnte.

Zu den bisherigen §§ 12 und 13

Die Kategorien Schutzwald (§ 12) und Erholungswald (§ 13) werden als bun-
desweite Kategorie nicht benötigt, wenn das Kahlschlagverbot und die anderen
Mindeststandards einer ordnungsgemäßen und nachhaltigen Waldwirtschaft
umgesetzt und durchgesetzt werden. Dann reicht es aus, dass sie in den Ländern
im jeweiligen Landeswaldgesetz geregelt werden, in denen für Schutzwälder
darüber hinaus gehende Beschränkungen gelten.

Zum bisherigen § 14

Die dem Waldbesitzer obliegende Verkehrssicherungspflicht ist bisher nicht
ausreichend klar geregelt. Stattdessen legen Gerichte fest, wie weit die Ver-
kehrssicherungspflicht für den Waldbesitzer greift (sog. Richterrecht). Eine
Abschaffung der Verkehrssicherungspflicht an öffentlichen Straßen und Ein-
richtungen sollte es nicht geben. Allerdings führen bestehende Rechtsunsicher-
heiten im Zweifelsfalle dazu, dass mehr Bäume gefällt oder gestutzt werden als

erforderlich. Dieser Zustand ist kontraproduktiv – nicht nur aus Sicht des Natur-
schutzes, der das Ziel verfolgt, den Anteil des Alt- und Totholzes im Wald zu

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erhöhen, sondern auch für die Waldbesitzer, die die Kosten für die Verkehrs-
sicherungsmaßnahmen zu tragen haben.

Zu den bisherigen §§ 15 bis 40

Viele Kleinwaldbesitzer bewirtschaften ihren Wald nicht oder nur sporadisch.
Dies ist aus Sicht der Versorgung mit dem nachwachsenden und nachhaltig pro-
duzierten Rohstoff Holz nachteilig. Außerdem führen Durchforstungsrück-
stände nicht automatisch zu einem ökologisch wertvollen Wald. Deshalb sind
verstärkte Anstrengungen für einen höheren Mobilisierungsgrad von Holz aus
dem Kleinprivatwald zu unterstützten.

Die Regelungen zu forstwirtschaftlichen Zusammenschlüssen im Waldrecht
(Forstbetriebsgemeinschaften, Forstbetriebsverbände, Forstwirtschaftliche Ver-
einigungen) dienten ursprünglich dazu, kartellrechtliche Probleme für Zusam-
menschlüsse von Forstbetrieben auszuschließen. Diese Zusammenschlüsse sind
für Kleinwaldbesitzer notwendig, um einen annähernd wirtschaftlichen Betrieb
überhaupt organisieren zu können. In einem forstwirtschaftlichen Zusammen-
schluss können Kleinwaldbesitzer effizienter wirtschaften und werden in die
Lage versetzt, dem Markt das Holz als Rohstoff und Energieträger bereitzustel-
len. Um diese Betriebe zu unterstützen und die Wertschöpfung im ländlichen
Raum zu erhöhen, ist es sinnvoll, die Einrichtung, Anerkennung, Verwaltung
und wirtschaftliche Tätigkeit forstwirtschaftlicher Zusammenschlüsse zu er-
leichtern und zu vereinfachen.

Zum bisherigen § 41

Es muss zukünftig gewährleistet sein, dass nur derjenige Waldbau gefördert
wird, der mindestens die gesetzlichen Anforderungen einhält. Dies kann am bes-
ten durch Zertifizierungssysteme nachgewiesen werden. Insgesamt muss aber
auch für die Waldbauförderung gelten, dass mit der Förderung Ziele erreicht
werden sollen, die über die gesetzlichen Mindeststandards hinausgehen. Anders
als im Offenland wird in Wäldern der Vertragsnaturschutz bisher kaum prakti-
ziert. Dies steht im Gegensatz zur Bedeutung des Waldes für den Naturschutz.
Die Verankerung dieses Förderinstrumentes im Bundeswaldgesetz kann aber
nur der erste Schritt sein. Letztlich steht und fällt die Rolle des Instrumentes Ver-
tragsnaturschutz im Wald damit, ob Bund und Länder bereit sind, dafür ausrei-
chende Finanzmittel bereitzustellen.

Zu Wäldern mit natürlicher Waldentwicklung: Um die biologische Vielfalt in
ihrer gesamten Breite schützen und erhalten zu können, muss sich auch ein Min-
destanteil der Wälder natürlich entwickeln können, da viele Organismen gerade
an die Alters- und Verfallsphase der Bäume gebunden sind. Dies zeigt, dass ein
Nutzungsverzicht vor allem in bereits naturnahen Wäldern mit hohem Natur-
schutzwert sinnvoll ist. Wie hoch dieser Anteil sein muss, hängt auch davon ab,
wie naturnah die Wälder in Deutschland insgesamt sind und wie viel Alt- und
Totholz in der Fläche vorhanden ist. Dieser Anteil ist daher von Bund und
Ländern in Abwägung sämtlicher Aspekte festzulegen. Eine Rolle muss aber
auch spielen, dass im Rahmen der internationalen Waldpolitik von vielen Län-
dern der Erhalt von Urwäldern – und damit der Verzicht auf deren Nutzung –
erwartet wird. Diese kann nur glaubwürdig erwartet werden, wenn auch die
Länder, die keine Urwälder mehr haben, bereit sind, auf die Nutzung eines Teiles
der Wälder zu verzichten, die sich dann wieder zu „Sekundär-Urwäldern“ ent-
wickeln können.

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