BT-Drucksache 16/9426

Handeln statt Reden - Klimaschutz jetzt

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9426
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl,
Cornelia Behm, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken,
Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Handeln statt Reden – Klimaschutz jetzt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Klimaschutzpolitik der Bundesregierung steht vor dem Scheitern. Die Ver-
schiebung des zweiten Teils des Klima- und Energiepakets hat die klimapoliti-
sche Handlungsunfähigkeit der Bundesregierung offen zur Schau gestellt. Mit
dem zusammengestrichenen Klimapaket ist das notwendige Ziel, die deutschen
Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990 zu
senken, nicht einmal entfernt zu erreichen. Der Dauerstreit in der Koalition und
die Rücksichtnahme auf die Interessen der Automobil- und Energielobby hin-
dern die Bundesregierung vor allen in den drei zentralen Fragen des Neubaus
klimaschädlicher Kohlekraftwerke, des Klimaschutzes im Verkehr und der
Energieeinsparung und Energieeffizienz an einer wirksamen Klimaschutzpoli-
tik.

Das Eintreten für den Bau neuer Stein- und Braunkohlekraftwerke ist ein klima-
politischer Kardinalfehler der Bundesregierung. Neue Kohlekraftwerke machen
wegen ihres hohen CO2-Ausstoßes und ihrer schlechten Effizienz jede wir-
kungsvolle Klimaschutzstrategie zunichte. Der geplante Neubau von mehr als
20 Kohlekraftwerken würde Deutschland für 40 bis 50 Jahre auf eine extrem kli-
maschädliche Energieversorgung festlegen und den Spielraum für eine entschei-
dende Senkung der CO2-Emissionen erheblich einschränken. Denn anders als
die Bundesregierung argumentiert, wird in der Realität nicht der Emissionshan-
del die Kraftwerksemissionen begrenzen, sondern der bestehende Kraftwerks-
park die Festlegung der Emissionsobergrenzen im Rahmen des Emissionshan-
dels bestimmen.

Im Verkehrsbereich ist die Bundesregierung in der Europäischen Union (EU)
nicht Vorreiter sondern Bremser beim Klimaschutz. Durch die Verwässerung
und Blockade der von der Kommission vorgeschlagenen CO2-Grenzwerte für
Pkw behindert die Bundesregierung die Einführung effizienterer und sparsame-

rer Automodelle – zulasten des Klimas und der unter hohen Benzinpreisen
leidenden Verbraucher. Auch ein Tempolimit auf Autobahnen, das ohne Kosten
und bürokratischen Aufwand erhebliche CO2-Reduktionen bringen würde, wird
von der Bundesregierung hartnäckig blockiert. Zugleich reiht sich bei den in
Meseberg beschlossenen Verkehrsmaßnahmen eine Pleite an die andere: Nach
dem Scheitern der Anhebung der Biokraftstoffquote ist nun auch die Reform der
Kfz-Steuer von Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos,

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gestoppt worden und wird nach Einschätzung des Bundesministers für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung zum 1. Januar 2009 nicht mehr kommen. Auch die
Erhöhung und Spreizung der Lkw-Maut ist in Frage gestellt. Unterm Strich steht
die Bundesregierung damit beim Verkehr, der für ca. 20 Prozent der deutschen
Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, mit leeren Händen da. Die Diskus-
sion innerhalb der Koalition um die Wiedereinführung der alten Entfernungs-
pauschale macht es sogar wahrscheinlich, dass die klimaschädlichen Subven-
tionen im Verkehrsbereich nicht abgebaut sondern ausgeweitet werden.

Kaum besser sieht die Bilanz der Bundesregierung in den Bereichen Effizienz
und Energieeinsparung aus. Die Verschärfung der Energiesparverordnung
wurde verschoben und durch Ausnahmen für Ein- und Zweifamilienhäuser
weitgehend entwertet; das versprochene Recht von Mietern auf eine angemes-
sene energetische Sanierung ihrer Mietwohnungen fallen gelassen. Der Ersatz
ineffizienter Nachtspeicherheizungen kommt nicht voran, und bei den Effizienz-
vorgaben für energiebetriebene Geräte hat die Bundesregierung entgegen ihren
Ankündigungen keine dynamische Verschärfung der Standards nach dem
Toprunner-Prinzip durchgesetzt. Was schließlich die Effizienz der Stromerzeu-
gung angeht, wird die Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWK-
Gesetz) nach einhelliger Expertenmeinung die angestrebte Verdopplung des
KWK-Anteils weit verfehlen.

Hinzu kommt, dass das von der Bundesregierung vorgelegte Erneuerbare-Ener-
gien-Wärmegesetz durch die Beschränkung auf die geringe Zahl an Neubauten
weitgehend ins Leere läuft. Damit verkennt die Bundesregierung die Zeichen
der Zeit, denn die Preisexplosionen auf den fossilen Brennstoffmärkten treiben
heute bereits immer mehr Menschen in die Energiearmut und drängen zum Um-
stieg auf Erneuerbare Energien. Im Strombereich besteht die Gefahr, dass die
sehr schnelle und willkürliche Absenkung der Vergütungssätze für Solarstrom
um bis zu einem Drittel innerhalb von vier Jahren große Teile der Branche über-
fordert und Photovoltaik-Investoren abschreckt statt sie zu fördern.

Deshalb droht nach den großen Klimaschutz-Versprechungen des vergangenen
Jahres nun ein klimapolitisches Debakel, wenn das Klima- und Energiepaket
nicht tiefgreifend nachgebessert und ohne Verzögerungen umgesetzt wird.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Ziel, die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 um mindestens
40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 zu senken, nicht aufzugeben, und das
Integrierte Klima- und Energiepaket so umfassend nachzubessern, dass
dieses Ziel noch erreicht werden kann;

2. den Neubau von Kohlekraftwerken zu verhindern und den politischen und
gesetzlichen Rahmen für eine sichere, effiziente und klimaverträgliche
Stromerzeugung ohne neue Kohlekraftwerke zu setzen, indem sie

● ein Moratorium für den Neubau von Kohlekraftwerken durchsetzt, bis die
CCS-Technik (CCS – Carbon Capture and Storage) einsatzfähig und auf
ihre ökologische Unbedenklichkeit hin geprüft ist,

● jeder Form von Vergünstigung für Kohlekraftwerke im Rahmen des Emis-
sionshandels eine Absage erteilt,

● sich für die 100-prozentige Versteigerung der Emissionszertifikate für die
Energiewirtschaft ab der dritten Handelsperiode stark macht,

● dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen für den dynamischen Ausbau
der Erneuerbaren Energien sowie der Kraft-Wärme-Kopplung setzt;

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3. die Freisetzung von Treibhausgasen im Verkehrssektor zu reduzieren und
folgende Maßnahmen unverzüglich umzusetzen:

● ein generelles Tempolimit von 130 km/h auf allen Autobahnen einzu-
führen und so ohne zusätzliche Kosten rund 2,5 Mio. Tonnen CO2 im Jahr
einzusparen,

● den Widerstand gegen schärfere Emissionsstandards für Pkw in der EU
unverzüglich aufzugeben und sich für die Einführung eines CO2-Grenz-
wertes von 120 g/km ab 2012 ohne Anrechnung weiterer Maßnahmen und
von 80 g/km ab dem Jahr 2020 einzusetzen,

● die Kfz-Steuer auf CO2-Basis umzustellen, und dabei spritsparende Autos
bis 120 Gramm CO2 für vier Jahre steuerfrei zu stellen und dies durch eine
progressiv ansteigende Steuer auf Neuwagen mit einem hohen CO2-Aus-
stoß zu finanzieren,

● die klimaschädlichen Steuerprivilegien für große Dienstwagen mit einem
hohen CO2-Ausstoß einzuschränken,

● die Lkw-Maut zu erhöhen, auf Bundesstraßen auszuweiten und Transpor-
ter ab 3,5 Tonnen einzubeziehen,

● die beschlossene Bahnprivatisierung noch zu stoppen und die Mittel für
den Regionalverkehr aufzustocken,

● den Luftverkehr mit wirksamen Vorgaben ab 2012 in den Europäischen
Emissionshandel einzubeziehen,

● die steuerliche Subventionierung des Flugverkehrs zu beenden;

4. die erheblichen Einsparpotenziale beim Wärme- und Stromverbrauch zu
erschließen und so gleichzeitig den Energieverbrauch zu senken und Energie-
kosten der Verbraucher zu senken, indem sie unter anderem

● den maximalen Energieverbrauch bei Neubauten auf unter 40 kWh pro
Jahr und Quadratmeter festschreibt,

● die finanziellen Anreize zur Förderung der energetischen Sanierung
bestehender Gebäude mit dem Ziel verstärkt, den Wärmebedarf hier auf
100 kWh pro Jahr und Quadratmeter Wohnfläche zu senken,

● einen Energieeinsparfonds sowie Programme zur Umstellung auf Erneu-
erbare Energien einrichtet, die gezielt einkommensschwachen Haushalten
und insbesondere dem Bereich des Mietwohnungsbaus zugute kommen,

● eine Vorreiterrolle in der EU für die Umsetzung eines Top-Runner-An-
satzes übernimmt und so Anreize und Pflichten zur dynamischen Weiter-
entwicklung der effizientesten Geräte schafft. Darüber hinaus soll die
Bundesregierung auf die rasche Umsetzung einer Zertifizierung spar-
samer Geräte in Europa drängen;

5. weitere Maßnahmen zur Erreichung der deutschen Klimaziele zu ergreifen,
insbesondere

● ein Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz vorzulegen, dass die Nutzung
von Wärme aus Erneuerbaren Energien nicht nur für Neubauten sondern
auch im Gebäudebestand vorschreibt,

● durch Nachbesserungen der Novelle des KWK-Gesetzes und eine Auf-
stockung der Mittel dauerhaft verlässliche Rahmenbedingungen für den
dynamischen Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zu setzen,

Drucksache 16/9426 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
● eine Wende beim Einsatz von Biotreibstoffen zu vollziehen, die nachhal-
tige Erzeugung in den Mittelpunkt der Bioenergiestrategie zu stellen und
die Zielquoten im Treibstoffbereich entsprechend anzupassen. Dazu sind

– verbindliche und nachprüfbare ökologische und soziale Kriterien für
die Erzeugung festzulegen und Zertifizierungssysteme zu entwickeln,

– die einseitige Konzentration auf die Beimischung von Biotreibstoffen
zu beenden und die Besteuerung reiner Pflanzentreibstoffe abzuschaf-
fen sowie

– ein Import-Moratorium für nicht nachhaltig erzeugte Biotreibstoffe
einzuführen,

● ihren Widerstand gegen mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten und
eine eigentumsrechtliche Trennung von Übertragungsnetzen und Produk-
tion aufzugeben, um neuen innovativen Anbietern faire Wettbewerbs-
chancen zu bereiten.

Berlin, den 4. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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