BT-Drucksache 16/9359

Erarbeitung einer nationalen Strategie für den Erhalt der Gewässerbiodiversität und zur Flankierung der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie in den Bundesländern

Vom 28. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9359
16. Wahlperiode 28. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Peter Hettlich, Rainder Steenblock, Cornelia
Behm, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Ulrike Höfken,
Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg),
und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Erarbeitung einer nationalen Strategie für den Erhalt der Gewässer-
biodiversität und zur Flankierung der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie
in den Bundesländern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern die wichtigste Lebensgrund-
lage für Menschen, Tiere und Pflanzen. Alle Lebensbereiche benötigen Wasser
in ausreichender Menge und in guter Qualität.

Derzeit haben die Bundesländer integrierte Handlungsprogramme des Gewäs-
serschutzes (Maßnahmenprogramme gemäß Artikel 11 der EG-Wasserrahmen-
richtlinie) zu erstellen und ab Ende 2009 umzusetzen, damit die Binnen- und
Küstengewässer wieder eine gute Qualität erlangen. Bis zum Jahr 2015 müssen
die Standards der EG-Wasserrahmenrichtlinie erreicht sein. Bereits heute sind
die Gewässer vor einer ökologischen Verschlechterung zu schützen.

Der Handlungsbedarf ist erheblich. Für mehr als 50 Prozent der Gewässer sind
zusätzliche Anstrengungen erforderlich, um die gesetzten Standards zu errei-
chen. Für den kritischen Zustand der Gewässer sind sowohl die großflächigen
Einträge an Schad- und Nährstoffen verantwortlich, als auch die Begradigung
und Verbauung der Flüsse und ihrer Auen. Die Eingriffe in den Wasserhaushalt
sind insbesondere auf eine nicht nachhaltige Land- und Verkehrswirtschaft zu-
rückzuführen, aber auch auf eine unausgewogene Politik in den Bereichen Sied-
lungsentwicklung, Industrie, Energiewirtschaft und Hochwasserschutz. Um die
Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie zu erfüllen, müssen die Maßnahmen des
Gewässerschutzes stärker als bisher in diese Politiken integriert werden. Die
jüngsten Erkenntnisse über die Auswirkungen des Klimawandels drängen
ebenso wie der fortschreitende Verlust an biologischer Vielfalt zu einem zügigen
Handeln.

Bisher fehlt aus den Bundesländern jedoch der Nachweis, dass alle relevanten

Maßnahmen aus den jeweiligen Ressorts zur Umsetzung der Wasserrahmen-
richtlinie hinreichend erarbeitet und umgesetzt werden. Beispielsweise ist nicht
erkennbar, dass das Verschlechterungsverbot zum Schutz der Gewässer bisher
greift und die Nitrateinträge in das Grundwasser hinreichend abgenommen
haben.

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Darüber hinaus läuft zurzeit ein zweites EU-Vertragsverletzungsverfahren
gegen Deutschland, weil nicht alle wichtigen Wassernutzungen einer umwelt-
ökonomischen Prüfung unterzogen wurden und werden (unzureichende Umset-
zung der Artikel 9 und 5 der EG-Wasserrahmenrichtlinie). Ohne diese Vorarbeit
bleibt offen, ob alle Verursacher stärker an den Kosten des Gewässerschutzes
beteiligt werden und durch angemessene Anreize zu vorsorgendem Handeln be-
wegt werden.

Die fristgerechte Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie droht in Deutschland
zu scheitern, obwohl eine konsequente wie kohärente Gewässerpolitik ange-
sichts der aufgezeigten Herausforderungen dringender denn je ist. Auch wenn
die Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich von den Bundesländern umzusetzen
ist, ist auch ein entschlossenes Handeln des Bundes im Gewässerschutz gefor-
dert. Der Bund muss beispielsweise mindestens 15 Prozent der Kosten mittra-
gen, wenn die Bundesländer gegen das EU-Recht verstoßen und Deutschland
Strafgelder zahlen muss. Um unnötige Kosten abzuwehren, sollte der Bund al-
lein schon aus diesem Grund handeln.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

1. Die Bundesregierung muss wirksamer dazu beitragen, dass Deutschland den
Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie vollständig und fristgerecht
entspricht.

2. Dem Bundestag ist bis spätestens Ende 2008 ein Entwurf für eine nationale
Strategie vorzulegen, die die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in den
Bundesländern flankiert und zugleich die relevanten Maßnahmen auf Bun-
desebene optimiert und besser aufeinander abstimmt. Die Strategie muss die
erforderlichen bundespolitischen Ziele und Schritte enthalten, damit für die
Binnen- und Küstengewässer die vorgegebenen Standards bis 2015 und für
die Nord- und Ostsee bis 2020 erreicht werden. Sie hat zudem dazu beizutra-
gen, dass die Gewässer sich nicht weiter ökologisch verschlechtern.

3. Im Rahmen der nationalen Strategie ist aufzuzeigen, wie alle gewässerrele-
vanten Politiken des Bundes die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie
unterstützen und flankieren werden. Insbesondere sollen die Bundesministe-
rien für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz und für Wirtschaft und Technologie umfassend und
nachvollziehbar darlegen, inwiefern sie nachhaltige Nutzungs- und Produk-
tionskonzepte befördern werden und im Einklang mit den Fristen der Wasser-
rahmenrichtlinie die Schadstoffeinträge und Eingriffe in die Gewässer been-
den bzw. konsequent minimieren.

4. Die Bundesregierung soll die Entwicklung und Unterhaltung von Bundes-
wasserstraßen konsequent an dem Ziel ausrichten, den guten ökologischen
Gewässerzustand bis 2015 zu erreichen sowie die Auen und die frei fließen-
den Flussstrecken zu erhalten. Für bestehende künstliche Schifffahrtskanäle
ist das gute ökologische Potenzial bis 2015 zu erreichen. Entsprechende
Kriterien und Maßnahmen sind dem Bundestag mit der Strategie vorzulegen.
Die Bundeswasserstraßenverwaltung hat die Umsetzung dieser Standards an
allen schiffbaren Gewässern sicherzustellen und darüber regelmäßig zu be-
richten.

5. Die Förderinstrumente sind stringenter als bisher mit den Vorgaben und
Zielen des Gewässerschutzes abzustimmen. Dies betrifft insbesondere die
Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küsten-
schutzes und die Verwendung der Fördermittel aus der ersten Säule der EU-
Agrarpolitik. Die Bundesregierung soll dafür Sorge tragen, dass mit Bundes-

mitteln vorrangig Nutzungen gefördert werden, die mit der ökologischen
Sanierung von Flüssen, Auen, Ufern und Grundwasser vereinbar sind.

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6. Die Strategie muss Vorkehrungen treffen, um das aktuelle EU-Vertragsverlet-
zungsverfahren gegen Deutschland abzuwenden. Die Bundesregierung soll
Regelungen vorschlagen, mit der alle bedeutenden Gewässernutzungen einer
umweltökonomischen Analyse gemäß der Wasserrahmenrichtlinie unterzo-
gen werden. Insbesondere sind Maßnahmen der Schifffahrt, des Hochwasser-
schutzes sowie der Land- und Energiewirtschaft als Wasserdienstleistung zu
definieren. Dies soll für eine bessere Kostengerechtigkeit sorgen und gemäß
des Verursacher- und des Vorsorgeprinzips die erforderlichen Anreize zu-
gunsten ökologisch verträglicher Gewässernutzungen setzen.

7. Die Beteiligung der Öffentlichkeit ist bei Erstellung der Strategie von allen
relevanten Ressorts sicherzustellen.

8. Die genannten Elemente der Strategie sind in den einschlägigen Gesetzen,
insbesondere im Zweiten Buch des Umweltgesetzbuches, zu verankern.
Dabei sollten auch Regelungen zum Verfahren bzw. Zeitplan der Evaluation
und Fortschreibung der Strategie vorgelegt werden.

Berlin, den 28. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Wasserrahmenrichtlinie befindet sich in einer politisch entscheidenden Um-
setzungsphase. Die Bundesregierung wie auch die Regierungsparteien CDU,
CSU und SPD haben bestätigt, dass sie diesen Prozess unterstützen werden. Von
allen relevanten Handlungsebenen und Ressorts sind verstärkte Anstrengungen
gefordert, um die Qualitätsanforderungen für die Gewässer fristgerecht errei-
chen zu können. Die Bundesländer tragen die Hauptverantwortung, die erforder-
lichen Maßnahmen bis zum Jahr 2009 vorzulegen. Die Bundesregierung hat
aber Möglichkeiten, diese Arbeiten zu flankieren und zu unterstützen.

Seit der Föderalismusreform kann der Bund gemäß Artikel 72 Abs. 3 des Grund-
gesetzes auch im Wasserbereich Vollregelungen beschließen, wobei die stoffli-
chen und anlagenbezogenen Regelungen abweichungsfest bleiben. Der Bund
konnte bereits zuvor, auf Grundlage des § 6a des Wasserhaushaltsgesetzes
(WHG), Verordnungen initiieren, um supranationalen Verpflichtungen nachzu-
kommen. Bei den Bundeswasserstraßen bestimmt der Bund, welche Maßnah-
men zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie getroffen werden bzw. ob durch
bauliche Maßnahmen weitere Eingriffe in die Gewässer erfolgen. Es ist bisher
nicht erkennbar, dass hierbei den Anforderungen der Wasserrahmenrichtlinie
entsprochen wird.

Der Bund finanziert zudem Maßnahmen mit, die die Umsetzung der Wasserrah-
menrichtlinie nicht nur fördern, sondern sie örtlich auch behindern bzw. unmög-
lich machen können. Beispielsweise werden über die Gemeinschaftsaufgabe zur
Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes Maßnahmen des Deich-
und Dammbaus gefördert. Der Bund unterstützt die Vorhaben in den Bundeslän-
dern mit einem Finanzierungsanteil von bis zu 80 Prozent. Damit wird es den
Bundesländern erleichtert, diese Maßnahmen überhaupt zu fördern.

Durch politische und gesetzliche Initiativen beeinflusst der Bund auch in ande-
ren Handlungsfeldern, ob der Gewässerschutz gefördert oder behindert wird.
Durch die derzeitigen Vorgaben im Genehmigungsrecht bleibt es möglich, dass

wassergekühlte Kohlekraftwerke auf vielfältige Weise die Gewässer verunreini-

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gen können. In der Energiepolitik werden direkt oder indirekt Anreize für die
Senkung des Grundwasserspiegels oder für die weitere Verbauung von Flüssen
geschaffen. In der Verkehrs- und Industriepolitik werden Techniken gefördert,
die zur Verschmutzung der Gewässer mit Schwermetallen beitragen. Darüber
hinaus kann die Bundesregierung durch die Öffentlichkeitsarbeit aller rele-
vanten Ressorts und insbesondere durch Forschung zu wasserverträglichen
Nutzungskonzepten die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie unterstützen.

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