BT-Drucksache 16/9235

EU-Beihilfeverfahren gegen den Verkehrsvertrag im Schienenpersonennahverkehr zwischen Berlin/Brandenburg und der DB Regio AG

Vom 20. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9235
16. Wahlperiode 20. 05. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Winfried Hermann, Dr. Anton Hofreiter, Bettina Herlitzius,
Peter Hettlich, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

EU-Beihilfeverfahren gegen den Verkehrsvertrag im Schienenpersonen-
nahverkehr zwischen Berlin/Brandenburg und der DB Regio AG

Am 8. Februar 2008 eröffnete die Europäische Kommission ein Beihilfehaupt-
prüfungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland (C 47/07). Gegen-
stand ist der öffentliche Dienstleistungsvertrag im Schienenpersonennahver-
kehr zwischen der DB Regio AG und den Ländern Berlin und Brandenburg, der
2003 geschlossen worden war. Mit der Eröffnungsentscheidung greift die Euro-
päische Kommission die Beschwerde des Unternehmens Connex (heute Veolia
Verkehr) auf, das seinerzeit eine wettbewerbsverzerrende Überkompensation
der DB AG aus dem direkt vergebenen Verkehrsvertrag moniert hatte.

Ihrer Sachverhaltsdarstellung stellt die Europäische Kommission voran, dass
für den öffentlichen Dienstleistungsvertrag die vier Altmark-Trans-Kriterien
des Europäischen Gerichtshofs einschlägig sind. Die Europäische Kommission
hegt erhebliche Bedenken, inwieweit die Kriterien 2 bis 4 erfüllt seien. Im be-
sonderen Fokus steht das dritte Kriterium (Ausgleich in Höhe erforderlicher
Kosten einschließlich eines angemessenen Gewinns), für dessen mögliche Ver-
fehlung fünf Indizien angeführt werden.

Da der Regionalverkehr nach dem Gutachten von Morgan Stanley zur Kapital-
marktfähigkeit der DB AG aus dem Jahr 2004 den „Nukleus der Equity Story“
bildet, stellen sich im Lichte der geplanten Teilprivatisierung der DB AG die
folgenden Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission einge-
räumte Gelegenheit wahrgenommen, als Beteiligte zum Sachverhalt der Er-
öffnungsentscheidung Stellung zu beziehen?

2. Ist diese Stellungnahme öffentlich verfügbar, wenn nein, warum nicht?

3. Sind der Bundesregierung Stellungnahmen anderer Beteiligter – insbeson-
dere der Deutschen Bahn AG oder der Länder Berlin und Brandenburg – be-

kannt?

4. Welche Rechtsauffassung vertritt die Bundesregierung gegenüber der Euro-
päische Kommission, und wie ist diese im Detail begründet?

Drucksache 16/9235 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

5. Ist es nach Auffassung der Bundesregierung richtig, dass jeder Verkehrs-
vertrag im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) – unabhängig von den
Umständen seiner Entstehung und seinen Konditionen – allein deshalb
nicht in den Regelungsbereich der Verordnung (EWG) 1191/69 fällt, weil
er als „Vertrag“ bezeichnet wird?

6. Stimmt die Bundesregierung aus fachlicher Sicht der These zu, dass ein
Anbieter nur dann in Ausschreibungen von SPNV-Verträgen erfolgreich
mitbieten kann, wenn er die anfallenden Kosten und Erlöse der Leistungs-
erbringung linien- oder teilnetzscharf kalkulieren kann?

7. Mit welcher Verfahrensdauer des Beihilfehauptprüfungsverfahrens rechnet
die Bundesregierung?

8. Trifft es zu, dass alle Beteiligten, die der Aufforderung der Europäischen
Kommission vom 8. Februar 2008 zur Abgabe einer Stellungnahme Folge
geleistet haben, das Recht haben, die wie auch immer ausfallende Kommis-
sionsentscheidung anschließend zur gerichtlichen Klärung vor den Europä-
ischen Gerichtshof (EuGH) zu tragen?

9. Wie lange dauert im Durchschnitt erfahrungsgemäß ein EuGH-Verfahren
in Beihilfefragen?

10. In wie vielen Beihilfeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland er-
mittelt die Europäische Kommission gegenwärtig, und wie viele fallen da-
von in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung?

11. Ist es richtig, dass Morgan Stanley in seinem Gutachten zur Kapitalmarkt-
fähigkeit der DB AG 2004 die Klärung der europarechtlichen Streitfragen
(also einschließlich Beihilfeverfahren) zur conditio sine qua non erklärte,
ohne die eine Privatisierung der DB AG nicht möglich sei?

12. Stimmt die Bundesregierung zu, dass ein schwebendes Beihilfeverfahren
bei der Europäischen Kommission und/oder dem EuGH eine erhebliche
Risikoposition aus betriebswirtschaftlicher Sicht darstellt, die private
Investoren angesichts der Bedeutung der Nahverkehrsgewinne für den
Gewinn der DB Mobility Logistics AG, an der sich Investoren beteiligen
sollen, mit hohen Abschlägen einpreisen werden?

13. Hält es die Bundesregierung als Eigentümerin der DB AG für notwendig,
dass die Risiken aus dem Beihilfeverfahren bilanziell abgebildet werden?

14. Erkennt die Bundesregierung im Hinblick auf die Prospekthaftung das Er-
fordernis, seitens der DB AG auf die Risiken aus dem Beihilfeverfahren in
dem zu erstellenden Börsenprospekt für die Kapitalprivatisierung hinzu-
weisen?

15. Angenommen die DB AG verträte die Auffassung, dass die zuvor genann-
ten Risiken nicht im Börsenprospekt erwähnt werden müssten, ist die Bun-
desregierung als Alleingesellschafterin der DB AG bereit, die Haftungs-
risiken aus dem vorgenannten Verfahren vollständig oder teilweise zu über-
nehmen?

16. Gesetzt den Fall, die Europäische Kommission träfe die Entscheidung, dass
eine rechtswidrige Beihilfe im Verkehrsvertrag Berlin/Brandenburg enthal-
ten sei, mit welchen Folgen hätte die Bundesrepublik Deutschland bzw. die
DB AG im sog. worst case zu rechnen?

17. Wie beurteilt die Bundesregierung das unternehmerische Wagnis (Kosten-
und Erlösrisiken) für Schienenpersonennahverkehrsanbieter in Relation zu
anderen kapitalintensiven Branchen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9235

18. Stimmt die Bundesregierung in der Frage der Angemessenheit des unter-
nehmerischen Gewinns zu, dass eine höhere Risikobereitschaft mit größe-
ren Gewinnchancen im Einklang stehen sollte?

19. Stimmt die Bundesregierung zu, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
ins Gegenteil verkehrt wird, wenn die DB AG in ihren eigenwirtschaft-
lichen Segmenten Schienenfern- und Güterverkehr durchschnittliche Um-
satzrenditen von 3 bis 5 Prozent erzielt, im staatlich subventionierten
SPNV jedoch über 9 Prozent (ohne Einmaleffekte wie Drohverlustrückstel-
lungen)?

20. Wie erklärt die Bundesregierung das Phänomen, dass die Umsatzrenditen
der DB AG im SPNV seit 2003 kontinuierlich steigen, obwohl bei zuneh-
mender Wettbewerbsintensität und sukzessive sinkendem Marktanteil der
DB AG nach der gewöhnlichen Marktlogik das Gegenteil zu erwarten
wäre?

21. Sind der Bundesregierung die Umsatzrenditen von Wettbewerbern der DB
AG bekannt, die diese in Deutschland und im Ausland im SPNV erzielen?

22. Hält die Bundesregierung die DB Regio AG für ein „durchschnittliches,
gut geführtes Unternehmen“?

23. Sofern Frage 22 bejaht wird, wie erklärt sich die Bundesregierung dann,
dass die kumulierte Rückgewinnquote der DB AG in wettbewerblichen
Vergaben von SPNV-Verträgen zwischen 1996 und heute unter 50 Prozent
liegt?

24. Treffen Andeutungen aus dem Umfeld der DB AG zu, wonach die DB AG
selbst die Stellungnahme der Bundesregierung an die Europäische Kom-
mission verfasst haben soll?

25. Warum ist die Bundesregierung – falls Frage 24 bejaht wird – nicht in der
Lage, sich selbst juristisch zu vertreten, und hält es die Bundesregierung
für verfahrenspsychologisch geschickt, wenn die DB AG auf verdecktem
Wege faktisch zwei Stellungnahmen einreicht?

26. Hat die Bundesregierung die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft WIBERA
aus aktuellem Anlass beauftragt, die Angemessenheit der im Berlin/Bran-
denburger Verkehrsvertrag angesetzten Kosten und des Gewinns nachzu-
weisen?

Berlin, den 20. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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