BT-Drucksache 16/9105

Ambitionierte europäische Emissionsnormen für mehr Klimaschutz im Straßenverkehr

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9105
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Bettina Herlitzius, Peter Hettlich, Dr. Anton
Hofreiter, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Sylvia
Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ambitionierte europäische Emissionsnormen für mehr Klimaschutz im
Straßenverkehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Vorschlag zur Verringerung der CO2-Emissionen von Personenkraftwagen
und leichten Nutzfahrzeugen (Ratsdok. 5089/08, KOM(2007) 856 endg.) ist Teil
eines umfassenden Maßnahmenpaketes zur Reduzierung der CO2-Emissionen
in Europa. Der durchschnittliche CO2-Ausstoß von Pkws in Europa soll ab 2012
auf 120 Gramm pro Kilometer (g/km) begrenzt werden. Hierfür sollen die Her-
steller zunächst durchschnittlich eine Absenkung auf 130 g/km durch Innovatio-
nen in der Fahrzeugtechnik (Verbesserungen am Motor) und Antriebsstrang er-
reichen. Weitere 10 g/km sollen durch andere technische Verbesserungen und
komplementäre Maßnahmen reduziert werden. Im Vordergrund steht dabei mit
der so genannten Beimischung die verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen. Mit
dem Scheitern der Erhöhung bei der Bioethanolbeimischung zum Benzin auf
10 Volumenprozent (E 10) in Deutschland ist die Konsequenz verbunden, die
Zielstellung von 120 g CO2/km ausschließlich durch fahrzeugseitige Maßnah-
men zu erreichen.

Die Verringerung des Treibhausgasausstoßes in allen Bereichen ist erklärtes Ziel
der Bundesregierung. Im Rahmen des Integrierten Energie- und Klimapro-
gramms (IEKP) formuliert die Bundesregierung nationale Maßnahmen zum
Klimaschutz im Verkehr. Gleichwohl sind die Vorhaben Umstellung der Basis
der Kfz-Steuer auf den CO2-Ausstoß und Änderung der Pkw-Energiever-
brauchskennzeichnungsverordnung bisher nicht realisiert und werden in der ge-
planten Form keine ausreichende Emissionsreduktion zur Folge haben. Die hohe
Klimabelastung durch den Straßenverkehr hält an. In 2006 lag der Ausstoß
neuer Pkws in Deutschland durchschnittlich bei 172,5 g CO2/km; in 2007 ist er
lediglich um durchschnittlich 2 Gramm auf 169,5 g CO2/km gesunken.

Seit die EU-Kommission im Dezember 2007 ihren Vorschlag für einen verbind-

lichen CO2-Grenzwert von durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer ab 2012
vorgelegt hat, bemüht sich die Bundesregierung gemeinsam mit der deutschen
Autoindustrie, die Kommissionspläne abzuschwächen, z. B. mit dreijährigen
Übergangszeiten für die geplanten CO2-Grenzwerte und die Einführung der
Strafzahlungen. Schon bei seiner Vorstellung im Dezember 2007 hat der Vor-
schlag der EU-Kommission in Deutschland zu sehr ablehnenden Reaktionen in
Politik und Industrie geführt. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und

Drucksache 16/9105 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel, sprach Anfang des Jahres 2008 im ZDF-
Morgenmagazin sogar von einem „Wettbewerbskrieg“ zwischen europäischen
Automobilherstellern. Kritisiert werden v. a. die kurzen Zeiträume, innerhalb
derer die Automobilhersteller zu Anpassung und Innovationen verpflichtet wer-
den, und die einseitigen Vorteile für Hersteller von Kleinwagen. Hersteller
schwerer Pkws bzw. höherer Klassen (Premiumhersteller) hingegen hätten er-
hebliche Schwierigkeiten, die Zielwertvorgaben der Verordnung zu erreichen.
Auch im Bundesrat hat sich Widerstand gegen die Kommissionspläne formiert.
Nach seiner Auffassung ist der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommis-
sion aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht hinnehmbar, er sieht die Hersteller
größerer Automobile einseitig belastet und hält „die technische Realisierbarkeit
der neuen Grenzwerte bis 2012 für die meisten Hersteller kaum (für) möglich“
(Bundesratsdrucksache 37/08).

Die Debatte hat die europäische Automobilindustrie in zwei Lager gespalten:
Auf der einen Seite vor allem französische und italienische Hersteller, die in der
Regel kleinere, kraftstoffeffizientere Modelle herstellen, und auf der anderen
Seite stellvertretend Deutschland und Großbritannien mit Herstellern großer,
leistungsstarker Fahrzeuge wie Mercedes, BMW, Daimler, Porsche, Jaguar und
Land Rover. Nur drei europäische Hersteller (Fiat, PSA mit den Marken Peugeot
und Citroën, Renault) befinden sich derzeit auf dem Weg, die Zielvorgabe der
Selbstverpflichtung der Europäischen Automobilindustrie von 140 g CO2/km
bis 2008 zu erreichen.

Ein Gutachten des Ökoinstituts im Auftrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN rechnet vor: „Mit ambitionierten und dynamisiert abgesenkten
Grenzwerten von 120 g CO2/km im Jahr 2012 und 80 g CO2/km im Jahr 2020,
wie wir Grüne sie fordern, könnten in der Europäischen Union im Jahr 2020 ge-
genüber dem Trendfall rund 95 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden. Das ent-
spricht ungefähr der Menge, die alle Pkws in Deutschland derzeit pro Jahr emit-
tieren.“ Folgt man hingegen dem Vorschlag der Automobilhersteller, der einen
Grenzwert von 130 g/km, keinen Folgegrenzwert und eine auf 2015 verscho-
bene Einführung vorsieht, so liegen die Einsparungen im Jahr 2020 gegenüber
dem Trend nur bei rund einem Fünftel, d. h. es würden fast 80 Mio. Tonnen
mehr CO2 pro Jahr emittiert als nach dem Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN. „Kumuliert über den Zeitraum 2008 bis 2020 liegt das CO2-
Minderungspotenzial des grünen Vorschlags bei rund 521 Millionen Tonnen ge-
genüber nur rund 100 Mio. Tonnen des ACEA-Vorschlags. Ein Grenzwert von
120 g CO2/km in 2012 mit einem ambitionierten Folgegrenzwert von 80 g CO2
2020 bringt mit 95 Mio. Tonnen in einem Jahr also fast genauso viel CO2-Min-
derung wie der ACEA-Vorschlag [130 g CO2/km ab 2015 ohne Grenzwert für
2020] in 12 Jahren!“

Die Konstellation gegensätzlicher Interessen in der Europäischen Union droht
einen verbindlichen und ambitionierten CO2-Grenzwert ab 2012 zu verhindern.
Beim Treffen der Umweltminister der Europäischen Union Anfang Juni 2008
wird ein Fortschrittsbericht zum Verordnungsvorschlag erwartet. Der Kommis-
sionsvorschlag kann nur dann wirksam zur Reduktion von Kohlendioxidemis-
sionen und damit zu mehr Klimaschutz im Verkehr beitragen, wenn er ambitio-
nierte Vorgaben für Grenzwerte und deren Einhaltung festschreibt. Die Bundes-
regierung muss ihrer klimapolitischen Verantwortung gerecht werden und in den
laufenden Verhandlungen mit den europäischen Partnern und der Europäischen
Kommission nicht in erster Linie industriepolitische Ziele, sondern nachdrück-
lich Klimaschutzziele vertreten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
sich bei der Entscheidung über den Vorschlag für eine Verordnung des Europä-
ischen Parlaments und des Rates zur Festsetzung von Emissionsnormen für neue

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Personenkraftwagen im Rahmen des Gesamtkonzeptes der Gemeinschaft zur
Verringerung der CO2-Emissionenen von Personenkraftwagen und leichten
Nutzfahrzeugen (KOM(2007) 856 endg.; Ratsdok. 5089/08):

1. EU-weit gegen die Anrechnung des Einsatzes von Biokraftstoffen zur Errei-
chung des Flottengrenzwertes von 120 g CO2/km einzusetzen;

2. für den Flottenverbrauch den fahrzeugtechnisch zu erreichenden Zielwert
von 120 g CO2/km bis 2012 als Grenzwert für Neufahrzeuge festzuschreiben;

3. bereits jetzt in der Verordnung verbindlich festzulegen, dass der Grenzwert
ab 2020 auf 80 g CO2/km abgesenkt wird;

4. die Einführung des Grenzwertes von 120 g CO2/km ab 2012 auf keinen Fall
auf 2015 zu verschieben;

5. den Parameter zur Festlegung des jeweiligen Grenzwertes für die jeweiligen
Fahrzeugtypen so zu gestalten, dass er einen Anreiz zur Gewichtseinsparung
bietet;

6. die Strafabgabe bei Überschreiten des Grenzwertes so zu gestalten, dass sie
deutlich höher ausfällt als die Kosten der CO2-Reduktionsmaßnahmen an den
Fahrzeugen;

7. die Einführung der Strafzahlungen nicht – wie von der Automobilindustrie
gefordert – auf 2015 zu verschieben.

Berlin, den 7. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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