BT-Drucksache 16/9098

Kein Leugnen der BSE-Gefahren - Tierfette und -mehle raus aus der Lebensmittelerzeugung - Rein in die energetische Verwertung

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9098
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Ulrike Höfken, Cornelia Behm, Nicole Maisch, Hans-Josef Fell,
Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Bärbel Höhn, Dr. Anton
Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Leugnen der BSE-Gefahren – Tierfette und -mehle raus aus der
Lebensmittelerzeugung – Rein in die energetische Verwertung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Angesichts dessen, dass Futtermittel knapper und teurer werden, sollen Tierfette
als Tierfutter für Nichtwiederkäuer, also Schweine und Hühner, nun kurzfristig
in Deutschland wieder zugelassen werden. Zudem kündigte die EU-Kommissa-
rin für Gesundheitsschutz, Androula Vassiliou, an, das Verbot der Verfütterung
von Tiermehlen für Nichtwiederkäuer noch vor Ende des Jahres aufzuheben.
Das hieße, dass die EU-Kommission Tiermehle, die Ende der 1990er Jahre Aus-
löser der BSE-Erkrankungen waren, wieder in der Nahrungsmittelherstellung
zulassen würde.

Anfang April 2008 sind in der Europäischen Union erneut zwei junge Men-
schen qualvoll an der durch BSE bedingten Form der Creutzfeldt-Jakob-
Krankheit gestorben. Die aktuellen Todesfälle in Spanien zeigen, dass vor 2001
mit BSE verseuchtes Fleisch auch heute noch Todesfälle verursacht. In Spanien
wurden seit dem Jahr 2000 mehr als 720 BSE-Krankheitsfälle bei Kühen be-
kannt. In Deutschland sind mehr als 400 BSE-Krankheitsfälle bei Rindern offi-
ziell bestätigt, wobei eine höhere Dunkelziffer angenommen wird. Experten
gehen davon aus, dass die Inkubationszeit der durch BSE bedingten Creutz-
feldt-Jakob-Krankheit mindestens zehn Jahre beträgt. Es ist also damit zu rech-
nen, dass erst in den nächsten Jahren der ganze Umfang der menschlichen Er-
krankungen zu Tage tritt.

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es fahrlässig, dass Deutschland mit Rücken-
deckung der EU-Kommission plant, Tierfette und Tiermehle wieder in die Le-
bensmittelkette einzuführen.

Die Beschränkung der Zulassung auf Nichtwiederkäuer hilft da nicht wirklich.
Denn bekanntlich ist die Gefahr hoch, dass durch kriminelle Energie in der

Fleischwirtschaft Tiermehle in Wiederkäuerfutter gelangen. Hier reichen we-
nige schwarze Schafe, um eine Katastrophe auszulösen. Tiermehle und Tierfette
haben nichts in der Futtermittelherstellung zu suchen.

Klimawandel und Globalisierung sind auch generell Ursachen zunehmender
Tierseuchen in der Landwirtschaft. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorga-
nisation der Vereinten Nationen (FAO) bestätigt, dass sich angesichts der
Globalisierung ein beschleunigter Zustrom an neuen Krankheiten und Seuchen

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einstellen wird. Hinzu kämen auch der verstärkte Welthandel und die größere
Mobilität der Menschen. Gleichzeitig verschieben sich die Verbreitungsgrenzen
verschiedener Krankheitserreger durch den globalen Temperaturanstieg nach
Norden. Die Gefahr der Seuchen- und Krankheitsübertragung wird so deutlich
erhöht.

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat in einer Stel-
lungnahme im April dieses Jahres darauf hingewiesen, dass selbst niedrige
Rückstände von Tierproteinen in Futtermitteln für Wiederkäuer die Gefahr für
die Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich erhöhen würden, an der neuen
Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu erkranken. Sie warnt vor der Er-
höhung der Toleranzschwellen für tierische Proteine in Futtermitteln. Die
Behörde geht davon aus, dass verstärkt EU-Bürger an der neuen Variante der
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkranken können. „Es kann nicht ausgeschlossen
werden, dass Erreger der Bovinen Spongiformen Enzephalopathie (BSE) aus
diesen Futtermitteln auf Rinder oder andere Wiederkäuer übertragen werden
könnten.“, teilte die EFSA Anfang April dieses Jahres dem EU-Agrarausschuss
mit.

Die Fleischskandale der letzten Jahre belegen, dass kriminelle Energien im
Fleischbereich nicht in den Griff zu bekommen sind. Nach nur dreimonatiger
„Pause“ ist der aktuelle Fleischskandal in Bayern der beste Beleg für den stän-
digen Missbrauch und die kriminelle Energie. Aber Gammelfleischfunde sind
nur die Spitze eines Eisberges. Regelmäßig werden 20 Prozent der geprüften
Fleischwaren beanstandet.

Vor zwei Jahren kündigte der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, 20 Maßnahmen gegen den Handel mit
Gammelfleisch an, um den „Sumpf“ trockenzulegen. Zwei Jahre und sieben
bekanntgewordene Gammelfleischskandale später zeigt sich: Der Handel mit
umetikettierten Schlachtabfällen ist leider fester Bestandteil des Fleischmarktes.

Angesichts dessen und auf Grund mangelnder Kontrolle wird dem Missbrauch
in der Fleischindustrie Tür und Tor geöffnet. Die Gefahr der Übertragung von
Krankheiten auf Mensch und Tier steigt enorm an.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● weiterhin das strikte Fütterungsverbot für Tierfette und -mehle beizubehal-
ten. Es ist weder notwendig noch europarechtlich zwingend, Tierfette in die
Futtermittelkette einzuspeisen;

● sich auch auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Verfütterung
von Tiermehlen an alle Nutztiere verboten bleibt;

● sich als Alternative für die energetische Nutzung von Tierfetten in sicheren
Verwertungseinrichtungen einzusetzen. So können eine sinnvolle Kreislauf-
wirtschaft unterstützt, eine kontrollierte, abgesicherte Verwendung der tie-
rischen Abfälle und Reststoffe für die Energiegewinnung sichergestellt und
die Kosten gesenkt werden;

● unverzüglich die Forschungsergebnisse zu BSE an Menschen und Tieren und
entsprechende Creutzfeldt-Jakob-Erkrankungen an Menschen vorzulegen;

● einen Bericht über die mit BSE in Zusammenhang stehenden Erkrankungen
und Todesfälle in der EU vorzulegen, ebenso über die Ergebnisse der Kon-
trollen bei der Zusammensetzung der Futtermittel und deren Qualität;

● sich für die Beendigung der Massentierhaltung national, europaweit und
international einzusetzen und stattdessen tiergerechte Haltung und Qualität

voranzutreiben;

● die tiergerechte Haltung durch entsprechende Förderprogramme zu sichern;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9098

● den Anbau heimischer Eiweißfuttermittelpflanzen für die gentechnikfreie
Futtermittelerzeugung zu stärken;

● im Rahmen des Aktionsplanes Ernährung über die Folgen eines ungesund
hohen Fleischverzehrs aufzuklären.

Berlin, den 7. Mai 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Seit 2000 wurden mehr als 400 Fälle von BSE bei Rindern in Deutschland amt-
lich festgestellt. Zudem sind bis zum Jahr 2006 allein in Großbritannien 156
Menschen an der durch BSE ausgelösten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit gestor-
ben. Bis heute sind die Ursachen der tödlichen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
noch nicht vollständig geklärt und die Kenntnisse über den Erreger nach wie vor
unzureichend, so dass allein aus Vorsorgegesichtspunkten alle Risiken ausge-
schaltet werden müssen.

Die wirtschaftlichen Interessen der Futtermittelindustrie rechtfertigen unter kei-
nen Umständen, Tierfette wieder zuzulassen, um die Kosten für Futtermittel in
der industriellen, nicht artgerechten Massentierhaltung zu drücken. Im Übrigen
drohen auch ein erheblicher Imageschaden für die gesamte Fleischwirtschaft
und der Verlust des Verbrauchervertrauens.

Anreize für die Massentierhaltung und zu hoher Fleischverzehr dürfen nicht
noch durch die risikobehaftete Verwendung von Tiermehl im Tierfutter verstärkt
werden.

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