BT-Drucksache 16/8972

Maßnahmen des Bundes zur Förderung der biologischen Vielfalt in Gewässern

Vom 24. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8972
16. Wahlperiode 24. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Maisch, Undine Kurth (Quedlinburg), Peter Hettlich,
Rainder Steenblock, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Winfried Hermann, Bettina
Herlitzius, Ulrike Höfken, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Maßnahmen des Bundes zur Förderung der biologischen Vielfalt in Gewässern

Flüsse und ihre Auen, Seen, Grundwasser und Meere bergen von Natur aus
einen sehr hohen Reichtum an biologischer Vielfalt. In Mitteleuropa leben
über 60 Prozent der Arten in Auen, die aber nur 5 bis 8 Prozent der gesamten
Fläche ausmachen. Sie sind in unserer Region die Hot Spots der Biodiversität.

Der Schutz der von Wasser abhängigen Lebensräume, Organismen, Arten und
genetischen Ressourcen ist nicht nur aus Sicht des Naturschutzes essentiell.
Hiervon hängt auch das Gelingen einer nachhaltigen wirtschaftlichen und
sozialen Entwicklung in Deutschland und andereren Staaten ab. Eine reiche
biologische Vielfalt in und an Gewässern ist auch eine wichtige Voraussetzung
dafür, dass für den Menschen ausreichend Nahrung, sauberes Wasser und hoch-
wertige Erholungsräume verfügbar sind und Nährstoffkreisläufe aufrechterhal-
ten werden. Darüber hinaus können die Auswirkungen des Klimawandels abge-
mildert werden, wie zum Beispiel durch den Rückhalt von Wasser nach starken
Niederschlagsereignissen.

Die Ökologie aquatischer Systemen sowie deren Beeinflussung durch den
Menschen müssen weiter erforscht werden. Es weisen internationale Arbeiten
wie der Weltökosystem-Bericht der UN (Millenium Ecosystem Assessment
Report) darauf hin, dass die Vielfalt in den Gewässern durch Eingriffe des
Menschen erheblich beeinträchtigt worden ist. Der Bericht sieht wegen zuneh-
mender Eingriffe in die Lebensräume und stofflicher Einträge einen besonderen
Handlungsbedarf bei Binnen- und Küstengewässern. Der Verlust der Artenviel-
falt in Süßgewässern ist äußerst dramatisch, weil die Verlustrate im Vergleich
zu der in terrestischen und marinen Großlebensräumen doppelt so hoch ist.
Nach Studien der Naturschutzorganisation WWF sind seit 1970 28 Prozent der
Arten in Süßwasserökosystemen ausgestorben.

Auch in Deutschland zeigen die Gewässeruntersuchungen der Umweltbehör-
den, dass erheblicher Handlungsbedarf besteht. Mehr als 60 Prozent der Flüsse
werden den guten ökologischen Zustand wahrscheinlich nicht bis 2015 errei-
chen, sofern von der Politik nicht zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden.

Der kritische Zustand vieler Flüsse und ihrer Auen ist vor allem auf die Errich-
tung von Deichen, Staustufen und Dämmen sowie auf Flussbegradigungen und
Uferbefestigungen zurückzuführen. Diese Eingriffe wurden und werden zu-
meist für eine nicht nachhaltige Schifffahrt, Energieerzeugung, Landwirtschaft
und Siedlungs- bzw. Gewerbeentwicklung veranlasst. An Flüssen wie Donau,
Elbe und Rhein wurden mehr als 80 Prozent der natürlichen Auenfläche für
diese Nutzungen in Anspruch genommen und eingedeicht. Die Grundwasser-

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und Meeresökosysteme sind erhöhten Nähr- und Schadstoffeinträgen aus-
gesetzt. Die intensive Landwirtschaft und die Massentierhaltung spielen eine
wesentliche Rolle für diese Verunreinigungen.

Der Klimawandel stellt eine zusätzliche Stresssituation für bereits beeinträch-
tigte Gewässer-Ökosysteme dar. Die Gewässer können sich stärker erwärmen
und für bestimmte Arten wahrscheinlich nicht mehr bewohnbar sein. Durch die
Eingriffe des Menschen in den Natur- und Wasserhaushalt fehlt ein intakter, na-
türlicher Puffer, damit das Grundwasser sauber bleibt und Flutwellen verzögert
werden.

Deutschland hat sich durch internationale Verträge und Beschlüsse dazu ver-
pflichtet, den Verlust der biologischen Vielfalt bis spätestens zum Jahr 2010
aufzuhalten. Zudem ist die EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) frist-
gerecht umzusetzen, die einen ganzheitlichen und ökosystemar orientierten
Gewässerschutz vorgibt.

In ihrem Koalitionsvertrag haben die Regierungsparteien CDU, CSU und SPD
vereinbart, Flüsse und Auen als Lebensadern der Landschaft und in ihrer Funk-
tion für einen vorsorgenden Hochwasserschutz zu erhalten und zu entwickeln.
Zudem ist Deutschland verpflichtet, die Umsetzung der EG-WRRL und ihrer
Tochterrichtlinien umzusetzen. Mit der Verabschiedung der nationalen Bio-
diversitätsstrategie hat die Bundesregierung zugesichert, die naturraumtypische
Vielfalt der Fließgewässer und ihrer Auen zu sichern und mehr natürliche
Überflutungsräume zu schaffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Für welche heimischen Flussauentypen sowie der nach der Roten Liste ge-
fährdeten bzw. vor dem Aussterben bedrohten heimischen Wanderfischarten
zeichnet sich nach Kenntnis der Bundesregierung ab, dass der Biodiversi-
tätsverlust bis spätestens zum Jahr 2010 aufgehalten und umgekehrt werden
kann?

2. Für welche der bedrohten heimischen aquatischen Arten und wasserabhän-
gigen Lebensräume existieren nach Kenntnis der Bundesregierung Entwick-
lungs-, Hilfs- und Erhaltungsmaßnahmen (Auflistung nach Projekten und
Projektstand einschließlich der bisherigen Wirkung der Projekte)?

3. Inwiefern wird die Bundesregierung mit der Erarbeitung des Zweiten
Buches zum Umweltgesetzbuch (Wasserwirtschaft) oder weiterer gewäs-
serrelevanter Rechtsvorschriften bis zum Jahr 2009 folgende Regelungen
verankern:

a) explizite Anerkennung des Grundwassers als Lebensraum,

b) Festlegung erster grundwasserökologischer Qualitätsanforderungen,

c) explizite Berücksichtigung der Flussaue mit ihrer potentiell natürlichen
Ausbreitungsfläche bei der Definition des Wasserkörpers und des Ver-
schlechterungsverbotes,

d) Maßnahmen zum Schutz oder zur Rückgewinnung von Auen als verbind-
licher bzw. prioritärer Bestandteil der Hochwasserrisikomanagement-
pläne,

e) Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Flüsse bis zum
Jahr 2015,

f) schrittweise Einführung von Gewässerrandstreifen innerhalb eines be-
stimmten zeitlichen Rahmens sowie der Vorgabe von Fortschrittsberich-
ten durch die Länder und
g) Präzisierung der Qualitätsanforderungen für den guten Zustand der deut-
schen Meeresregionen?

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4. Wie geht die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Anpassung an
den Klimawandel mit dem möglichen Zielkonflikt um, einerseits Wasser in
der Landschaft zu halten und andererseits dem Natur- und Artenschutz in
den Gewässern gerecht zu werden?

5. Inwiefern wird die Bundesregierung im Rahmen der Erarbeitung ihrer
Klima-Anpassungsstrategie für den Wasserbereich dafür sorgen, dass fluss-
verträgliche Nutzungskonzepte und Maßnahmen der Rückgewinnung von
Auen Vorrang erhalten und beschleunigt umgesetzt werden?

6. Wie ist der derzeitige Arbeitsstand zum nationalen Auenprogramm und
welche konkreten Maßnahmen sollen für welche Ziele bis 2009 in dieses
Programm eingearbeitet und umgesetzt werden?

7. Wie viel Mittel gibt der Bund jedes Jahr für die Förderung und (Mit-)Finan-
zierung folgender Maßnahmen aus:

a) die Renaturierung von Flüssen und die Wiederherstellung von Auen,

b) Ausbau und Unterhaltung von Bundeswasserstraßen und

c) Bau und Planung von Deichen, Dämmen, Rückhaltebecken, Polder,
Staustufen und Deichverstärkungen?

8. Plant die Bundesregierung im Zuge der Umsetzung der Biodiversitätsstra-
tegie einen Förderschwerpunkt zur Umsetzung der unter Frage 7a genann-
ten Maßnahmen?

9. Mit welchen derzeitigen Regelungen für den Betrieb von wassergekühlten
Kern- und Kohlekraftwerken wird sichergestellt, dass die biologische Viel-
falt in den betreffenden Flüssen die natürlichen Bestände bzw. die Ansied-
lung heimischer Fischarten und weiterer Gewässerorganismen erhalten
wird, und sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf?

10. Inwiefern stellen die Regelungen in der Kabinettsvorlage zur Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG-Novelle) sicher, dass die Anreize
zum Ausbau der Erneuerbaren Energien dem Erhalt der Lebensräume,
Arten und nachhaltige Artenbestände in Grundwasser, Flüssen und Küsten-
gewässern bis 2010 entsprochen wird und eine ökologische Verschlechte-
rung bzw. nachteilige Veränderung dieser Gewässer nicht zu besorgen ist?

11. Welche konkreten Wasserkraftanlagen in Deutschland sind aus Sicht der
Bundesregierung hinreichend ökologisch durchgängig, so dass die hei-
mischen Fischarten und weitere Gewässerorganismen diese Anlage nach-
weislich gefahrlos flussauf- und flussabwärts passieren können?

12. Ist der Bundesregierung bekannt, wie viel Prozent der Fläche in heute vor-
kommenden Flussauen und im potenziell natürlichen Ausbreitungsgebiet
von Flüssen für den Ackerbau genutzt werden, und sieht die Bundesregie-
rung hier Handlungsbedarf?

13. Welche konkreten Maßnahmen und Regelungen zur Weiterentwicklung der
guten fachlichen Praxis in der Landwirtschaft plant die Bundesregierung,
damit die Einträge von Nitraten, Pestiziden und Arzneirückständen ent-
sprechend der zeitlichen und qualitativen Vorgaben der EG-WRRL schritt-
weise reduziert bzw. beendet werden?

14. Welche zusätzlichen Maßnahmen wird die Bundesregierung bis 2009 er-
greifen, damit in den landwirtschaftlichen Gebieten eine ökologisch be-
gründete und extensiv genutzte Pufferzone zu Gewässern (Gewässerrand-
streifen) schrittweise eingerichtet wird?

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15. Wie stellen die Wasser- und Schifffahrtsdirektionen für die als Bundes-
wasserstraßen ausgewiesenen Flüsse und Küstengewässer sicher, dass
eine ökologische Verschlechterung bzw. nachteilige Veränderung dieser
Gewässer infolge von Ausbaggerungen, Vertiefungen, Buhnenbau, Stein-
und Sedimentaufschüttungen oder des Baus von Staustufen und neuen
Schifffahrtskanälen ab sofort vermieden sowie flächendeckend der gute
ökologische Zustand bis 2015 erhalten oder erreicht wird?

16. Mit welchen konkreten Maßnahmen werden das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und die ihm nachgeordneten Behörden
dazu beitragen, damit bis 2015 alle Querbauwerke in den Bundeswasser-
straßen nachweislich ökologisch durchgängig sind?

Berlin, den 24. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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