BT-Drucksache 16/8880

Konzepte der Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und den veränderten Bedingungen anpassen

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8880
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Sevim Dag˘delen,
Cornelia Hirsch, Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten Naumann, Petra Pau, Volker
Schneider (Saarbrücken) und der Fraktion DIE LINKE.

Konzepte der Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit überprüfen und den
veränderten Bedingungen anpassen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Vermittlung der Erinnerung an den deutschen Faschismus an nachwach-
sende Generationen steht vor enormen Herausforderungen, auf die auch die
Politik reagieren muss. Mit dem langsamen Abtreten der unmittelbaren Erleb-
nisgeneration entsteht auf der Seite der authentischen Erinnerungstradierung
durch die Opfer des Faschismus eine Lücke, auf die es konzeptionell zu reagie-
ren gilt. Gleichzeitig wächst mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum histo-
rischen Ereignis die (emotionale) Distanz nachwachsender Generationen, die
bald auch nicht mehr durch den persönlichen Einsatz von Zeitzeugen überbrückt
werden kann.

Der Bielefelder Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann hält den Geschichts-
unterricht in Deutschland zum Thema Nationalsozialismus für reformbedürftig,
da viele Schülerinnen und Schüler auf die Thematisierung dieser Vergangenheit
mit Desinteresse und Abwehr reagierten (dpa-Gespräch vom 6. März 2008).
Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen zahlreicher Studien zum
Thema, die einen weiten Problemaufriss bei der Vermittlung des NS-Themas
verdeutlichen. Es entsteht mithin die paradoxe Situation, dass die Erinnerung an
die Verbrechen des deutschen Faschismus von politischer Seite in symbolischer
Art und Weise zur Raison d’être erklärt wird, gleichzeitig jedoch das tatsäch-
liche Wissen über diese Vergangenheit immer mehr in den Hintergrund rückt.

Diese Entwicklung verschärfend kommt hinzu, dass die Ausstattung zahlreicher
NS-Gedenkstätten insbesondere im Hinblick auf die pädagogische Betreuung
von Besucherinnen und Besuchern nach Auffassung von Vertretern der Gedenk-
stätten äußerst problematisch ist und der vorhandene Bedarf nach betreuten Füh-
rungen nicht abgedeckt werden kann (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 30. Juli
2007).
II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den in der Wissenschaft beschriebenen Wechsel in der Erinnerungskultur zur
NS-Vergangenheit zum Anlass zu nehmen, gemeinsam mit Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen, Pädagogen und Pädagoginnen und den Verant-
wortlichen aus den NS-Gedenkstätten über neue Konzepte der historisch-
kritischen Bildungsarbeit in diesem Bereich zu beraten;

Drucksache 16/8880 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. das Thema „Vermittlung des Wissens zur NS-Zeit“ zu einem Schwerpunkt in
der Bildungsforschung zu machen;

3. in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz einen nationalen Bil-
dungsgipfel zur Frage der zukünftigen Vermittlungsarbeit im Bereich der NS-
Erinnerung zu organisieren, um einen Austausch über mögliche Konzepte
und Ansätze zu ermöglichen;

4. einen ständigen internationalen Erfahrungsaustausch zum Thema Holocaust-
education zu ermöglichen, der insbesondere auch die Fragen der Vermittlung
durch Lehrerinnen und Lehrer umfasst;

5. in Zusammenarbeit mit der Kultusministerkonferenz einen ständigen Aus-
tausch zu pädagogischen Erfahrungen im Bereich der Holocausteducation
auf nationaler Ebene zu organisieren;

6. die im Rahmen des neuen Gedenkstättenkonzeptes der Bundesregierung ge-
plante institutionelle Förderung einzelner NS-Gedenkstätten so auszustatten,
dass eine angemessene und am realen Bedarf orientierte pädagogische Be-
treuung der Besucherinnen und Besucher jederzeit möglich ist;

7. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern dem Deutschen Bundestag bis
zum Ende dieser Legislaturperiode Vorschläge für ein Gesamtkonzept der
zukünftigen Vermittlungsarbeit der NS-Erinnerung vorzulegen, die dann
öffentlich diskutiert werden sollen.

Berlin, den 22. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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