BT-Drucksache 16/8849

Bekämpfung von Rassismus bei der Polizei

Vom 18. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8849
16. Wahlperiode 18. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke und der Fraktion DIE LINKE.

Bekämpfung von Rassismus bei der Polizei

Vor allem Migrantinnen und Migranten berichten vermehrt von polizeilichen
Übergriffen. Sie berichten von Übergriffen, die mit „verdachts- und ereignis-
unabhängigen Kontrollen“ beginnen, mit rassistischer Beleidigung ihren Lauf
nehmen und in Tritten und Schlägen enden. Für die Betroffenen bedeutet der
Übergriff häufig das Gefühl völliger Ohnmacht gegenüber der Polizei. Verbale
Übergriffe etwa oder die Androhung von Gewalt seitens der Polizei, für die der
Nachweis nur äußerst schwer geführt werden kann und bei denen die Behörden
mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht tätig werden, führen in der Regel erst gar
nicht zu Beschwerden. Polizeibeamtinnen und -beamte, die sich gegen rassisti-
sche Äußerungen und/oder Handlungsweisen von Kolleginnen und Kollegen
wenden bzw. Opfern rassistischer Attacken helfen, gelten als „Nestbeschmut-
zer“ und scheitern oftmals am Korpsgeist der Polizei. So blieb die rassistische
Äußerung eines leitenden Beamten in der früheren Polizeidirektion Halle
„Schwarze brennen nun mal länger“ im Zusammenhang des im Januar 2005 in
einer Polizeizelle in Dessau gefesselt verbrannten Oury Jalloh ungesühnt. Wäh-
rend der besagte leitende Beamte lediglich einen Verweis erhielt, wurde der
Polizeioberrat, der sich wegen dieser Äußerung an den Präsidenten der Direk-
tion wandte, solange gemobbt, bis er um seine Versetzung bat (DER TAGES-
SPIEGEL vom 14. Februar 2008).

Die Hemmschwelle, zur Polizei zu gehen, um dort Polizeibeamtinnen bzw.
- beamte anzuzeigen, ist hoch und sie wird noch verstärkt durch die oft nur ge-
ringe Hoffnung, dass die Täterinnen und Täter auch tatsächlich zur Verantwor-
tung gezogen werden. Zudem berichten viele Betroffene davon, dass sie kurz
nach der Anzeigeerstattung eine Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen
Vollstreckungsbeamte erhalten haben. Ein Beispiel dafür ist der Fall eines deut-
schen Staatsangehörigen nigerianischer Herkunft, der am 7. April 2007 in Frei-
burg von einem Polizeihund mehrfach gebissen wurde und mit den Worten
„Friss den Neger“ von den Polizeibeamten beschimpft worden sein soll. Dies
geschah, nachdem er selbst die Polizei angerufen hatte, um einer, wie sich spä-
ter herausstellte, „verwirrten“ Frau zu helfen (TV Südbaden vom 16. April
2007; Der Sonntag vom 22. April 2007).

Misshandlungen und exzessive Gewaltanwendung durch Polizeibeamtinnen und

Polizeibeamte ereignen sich laut dem Bericht von amnesty international (http://
www2.amnesty.de/internet/deall.nsf/0/69c6761540736028c1256ff6004a16bc?
OpenDocument) zumeist bei Festnahmen oder in Polizeihaft.

Einen signifikanten Anteil entsprechender Vorwürfe erheben dabei Migrantinnen
und Migranten oder deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit Migra-
tionshintergrund. So untersucht die Menschenrechtsorganisation amnesty inter-
national (ai) den Todesfall von Adem Özdamar, der gegen seinen Willen und ohne

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ersichtlichen Grund am 17. Februar 2008 auf eine Hagener Polizeiwache gebracht
wurde. Dort wurde er mutmaßlich durch Polizeibeamtinnen und/oder -beamte
bäuchlings auf einer Trage streng fixiert, fiel zunächst ins Koma und verstarb
dann (Frankfurter Rundschau vom 26. März 2008).

Auch bei Abschiebungen kommt es immer wieder zu Misshandlungen durch
Beamtinnen und Beamte der Bundespolizei (http://www.ari-berlin.org/doku/
PE_deutsch_15_lang.pdf).

Derlei Statistiken sind aber kaum vorhanden, für die Öffentlichkeit weitgehend
unzugänglich und in jeder nur denkbaren Weise defizitär. Nichtsdestoweniger
wird von offizieller Seite behauptet, dass es sich bei Körperverletzungen im
Amt etc. um „Ausnahmetatbestände in der bundespolizeilichen Aufgabenwahr-
nehmung“ handelt. Es ist daher von politischem Interesse, sich mit der zahlen-
mäßigen (Nicht-)Erfassung von Polizeiübergriffen zu beschäftigen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwieweit ist der Bundesregierung § 72 des Aktionsprogramms des Ab-
schlussdokuments der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus, rassistische
Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundenen Intoleran-
zen, beschlossen im Jahr 2001 in Durban/Südafrika, bekannt, in dem gefor-
dert wird, die Praxis der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden zu
unterbinden, sich in irgendeiner Weise auf „Rasse“, Hautfarbe, Abstam-
mung oder nationale bzw. ethnische Herkunft als Basis der Strafermittlung
zu beziehen?

2. Welche Bedeutung misst die Bundesregierung dieser Bestimmung im
Aktionsprogramm bezüglich des Kampfes gegen Diskriminierungen aus
Gründen der ethnischen Herkunft, der Hautfarbe etc. bei, und welche kon-
kreten Maßnahmen unternimmt die Bundesregierung, um einem „racial
profiling“ durch die Bundespolizei und andere Strafverfolgungsbehörden
vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken (bitte auflisten)?

3. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass „verdachts- und
ereignisunabhängige Kontrollen“, die zumeist aufgrund äußerlicher Merk-
male wie insbesondere Hautfarbe durchgeführt werden, rassistische Vorur-
teilsstrukturen befördern (bitte begründen)?

4. Inwieweit spielen nach Auffassung der Bundesregierung im Rahmen der
„Bekämpfung der Drogenkriminalität“ rassistische Vorurteilsstrukturen eine
Rolle, wenn sich polizeiliche Maßnahmen nach dem Stereotyp des „dunkel-
häutigen Dealers“ folgend vor allem gegen vermeintlich „afrikanisch“ und
„arabisch“ aussehende Menschen richten?

5. Inwieweit gab bzw. gibt es im Zusammenhang mit der Erstellung des Natio-
nalen Aktionsplans gegen Rassismus (NAP) Gespräche mit den Bundes-
ländern zum Thema „racial profiling“ in der Polizei und zu entsprechenden
Gegenmaßnahmen?

6. Welche konkreten Fortbildungs- bzw. Sensibilisierungsangebote zu den
Themenschwerpunkten Demokratie, Fremdenfeindlichkeit/Rassismus,
Migration gibt es im Rahmen der Bundespolizei, und sind der Bundes-
regierung ähnliche Angebote auf Seiten der Länderpolizei bekannt?

7. Handelt es sich bei den Fortbildungsangeboten aus diesem Bereich um frei-
willige oder verpflichtende Fortbildungen?

8. Inwieweit existieren Richtlinien für die Bundespolizei oder Länderpolizeien
bzw. die Bundesregierung, die rassistische Übergriffe definieren?
Erwägt die Bundesregierung gegebenenfalls die Einführung solcher Richt-
linien (bitte begründen)?

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9. Wie viele Beschwerden gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sind
nach Kenntnis der Bundesregierung wegen Misshandlungen in den Jahren
2000 bis 2007 erhoben worden (bitte entsprechend nach den Beschwerden,
Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

10. Wie viele der unter Frage 9 aufgeführten Beschwerden, betrafen nach
Kenntnis der Bundesregierung Misshandlungsvorwürfe im Polizeigewahr-
sam bzw. auf Polizeiwachen (bitte entsprechend nach Jahren sowie ge-
trennt nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

11. Wie viele Disziplinarverfahren sind nach Kenntnis der Bundesregierung in
den Jahren 2000 bis 2007 gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte
wegen Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Aussageerpressung,
Nötigung, sexueller Missbrauch, Beleidigung eingeleitet worden (bitte ent-
sprechend nach Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundesländern auf-
schlüsseln)?

Wie viele der eingeleiteten Verfahren wurden aus welchen Gründen einge-
stellt?

Wie viele Verfahren kamen zu welchen Ergebnissen?

12. Wie viele der unter Frage 11 aufgeführten Disziplinarverfahren betrafen
nach Kenntnis der Bundesregierung den Vorwurf der Körperverletzung im
Amt, Freiheitsberaubung, Aussageerpressung, Nötigung, sexueller Miss-
brauch, Beleidigung im Polizeigewahrsam bzw. auf Polizeiwachen (bitte
entsprechend nach Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundesländern
aufschlüsseln)?

13. Wie viele der unter den Fragen 11 und 12 aufgeführten Disziplinarverfah-
ren kamen nach Kenntnis der Bundesregierung zu dem Ergebnis, dass die
ihnen zu Grunde liegende Beschwerde ganz oder teilweise berechtigt war
(bitte entsprechend nach Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundes-
ländern aufschlüsseln)?

14. Wie viele Strafanzeigen sind gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten
wegen des Vorwurfs der Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung,
Aussageerpressung, Nötigung, sexueller Missbrauch, Beleidigung in den
Jahren 2000 bis 2007 gestellt worden?

15. Wie viele der unter Frage 14 aufgeführten Strafanzeigen betrafen den Vor-
wurf der Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Aussageerpres-
sung, Nötigung, sexueller Missbrauch, Beleidigung im Polizeigewahrsam
bzw. auf Polizeiwachen (bitte entsprechend nach Jahren sowie getrennt
nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

Wie viele wurden aus welchen Gründen eingestellt?

16. Wie viele Strafverfahren sind ausweislich der polizeilichen Statistik gegen
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt,
Freiheitsberaubung, Aussageerpressung, Nötigung, sexueller Missbrauch,
Beleidigung in den Jahren 2000 bis 2007 geführt worden (bitte entspre-
chend nach Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundesländern auf-
schlüsseln)?

17. Wie viele der unter Frage 16 aufgeführten Strafverfahren betrafen den
Vorwurf der Körperverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Aussage-
erpressung, Nötigung, sexueller Missbrauch, Beleidigung im Polizei-
gewahrsam bzw. auf Polizeiwachen (bitte entsprechend nach Jahren sowie
getrennt nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

18. Wie viele Strafverfahren wurden in den Jahren 2000 bis 2007 wegen Kör-

perverletzung im Amt, Freiheitsberaubung, Aussageerpressung, Nötigung,
sexueller Missbrauch, Beleidigung gegen Polizeibeamtinnen und Polizei-

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beamte mit welchen Verfahrensausgängen geführt (bitte entsprechend nach
Jahren sowie getrennt nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

19. In welchen EU-Mitgliedstaaten obliegt die Ermittlung von polizeilichen
Übergriffen unabhängigen Untersuchungskommissionen?

20. Welche Gründe werden von den Mitgliedstaaten für die Zuständigkeit
unabhängiger Untersuchungskommissionen angeführt?

21. Ist die Bundesregierung der Ansicht, unabhängige Untersuchungskommis-
sionen könnten auch in der Bundesrepublik zu einer verbesserten Aufklä-
rung von Polizeigewalt führen (bitte begründen)?

22. Wie beantwortet die Bundesregierung die Fragen 9 bis 18 in Bezug auf
Bedienstete der Justizvollzugsanstalten und etwaige Körperverletzungen,
Freiheitsberaubung, Aussageerpressung, Nötigung, sexueller Missbrauch,
Beleidigung im Rahmen des Strafvollzugs (bitte entsprechend nach Jahren
sowie getrennt nach Bund und Bundesländern aufschlüsseln)?

23. Wie viele der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer und Anzeige-
erstatterinnen und Anzeigeerstatter (vgl. Fragen 9 bis 18) waren nichtdeut-
sche Staatsangehörige?

24. In welchen Bundesländern ist der Polizei die Fixierung von Menschen in
Bauchlage erlaubt, und wie lauten die diesbezüglichen Vorgaben zu Durch-
führung und Abbruch der Fixierung?

25. Ist den Angehörigen der Bundespolizei eine Fixierung von Menschen in
Bauchlage erlaubt?

Wenn ja, wie lauten die diesbezüglichen Vorgaben zu Durchführung und
Abbruch der Fixierung?

Wenn nicht, warum nicht?

26. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Gesundheitsgefähr-
dung der Betroffenen bei einer Fixierung in Bauchlage?

27. Inwieweit sieht die Bundesregierung in der Anonymität der uniformierten
Polizeibeamtinnen und -beamten die Gefahr eines Freiraums u. a. für
rassistische (verbale) Übergriffe, der kaum kontrolliert werden kann?

28. Inwieweit hält die Bundesregierung die individuelle Kennzeichnung von
Polizeibeamtinnen und -beamten, zum Beispiel mit Dienstnummern oder
Namensschildern, sowohl für eine mögliche Identifizierung durch die
Opfer möglicher Polizeigewalt oder -diskriminierungen als auch als Schutz
der Polizei vor einem Generalverdacht eines (rassistischen) Korpsgeistes
für angebracht (bitte begründen)?

29. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass fehlende, nach
einheitlichen Erfassungskriterien zusammengestellte Statistiken über
polizeiliches Fehlverhalten eher dazu dienen, diese als individuelle Einzel-
fälle und absolute Ausnahmen zu kennzeichnen (bitte begründen)?

Berlin, den 14. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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