BT-Drucksache 16/8830

Vorhaben der EU-Kommission zur Regelung der Patienteninformation bei verschreibungspflichtigen Medikamenten - Geplante Änderung der EU-Richtlinie 2001/83/EG

Vom 14. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8830
16. Wahlperiode 14. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Birgitt Bender, Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorhaben der EU-Kommission zur Regelung der Patienteninformation
bei verschreibungspflichtigen Medikamenten – Geplante Änderung der
EU-Richtlinie 2001/83/EG

Am 20. Dezember 2007 veröffentlichte die Kommission der Europäischen
Gemeinschaft eine Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat zum
Bericht über die gegenwärtige Praxis der Bereitstellung von Arzneimittel-
informationen für Patientinnen und Patienten gemäß Artikel 88a der Richtlinie
2001/83/EG, geändert durch die Richtlinie 2004/27/EG, zur Schaffung eines
Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel.

Darin wird festgehalten, dass seit 1992 im Gemeinschaftsrecht zwischen
Werbung für und Information über Arzneimittel unterschieden wird und die
öffentliche Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel untersagt ist. Im
Bereich der Arzneimittelinformation gebe es insbesondere beim Medium Inter-
net deutliche rechtliche und praktische Unterschiede zwischen den Mitglied-
staaten. In sämtlichen Mitgliedstaaten gebe es Datenbanken mit Informationen
über Arzneimittel. Der Inhalt dieser Datenbanken und der Zugang zu ihnen ist
jedoch sehr unterschiedlich geregelt. Daher erklärt die Kommission ihre Ab-
sicht, einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für Patienteninformationen über
Arzneimittel schaffen zu wollen.

Der der Mitteilung vorangegangene Konsultationsprozess machte deutlich, dass
die Informationen in einigen Mitgliedstaaten hauptsächlich durch die Behörden
bereitgestellt würden und vorrangig durch sie selbst genehmigte produkt-
bezogene Informationen beinhalten. Manche Länder stellen darüber hinaus
weitere Informationen, wie Leitlinien für Behandlungen oder Wirksamkeitsver-
gleiche von Arzneimitteln bereit. Bereits im dieser Mitteilung vorausgegangen
Konsultationsprozess habe es unterschiedliche Positionen dazu gegeben, wie die
Patienteninformation verbessert werden könne, welche Rolle der pharmazeuti-
schen Industrie dabei zukommen dürfe und welche Regulierungsmechanismen
für die Durchsetzung von Vorschriften für notwendig gehalten werden. Deut-
liche Kritik an der Idee auch der pharmazeutischen Industrie eine Arzneimittel-
information der Patientinnen und Patienten zu erlauben wurde u. a. von Seiten
des europäischen Dachverbands der Verbraucherverbände und den Kranken-

kassen geäußert. Es sei insbesondere nicht möglich klar zwischen Information
und Werbung zu unterscheiden.

Zur Vorbereitung der geplanten Änderung der o. g. Richtlinie führte die EU-
Kommission bis zum 7. April 2008 ein öffentliches Konsultationsverfahren mit
dem Titel „Legal Proposal on Information to Patients“ durch. Die EU-Kommis-
sion schlägt dort Eckpunkte vor. Ein zentrales Element dieser Eckpunkte sieht
als Neuerung vor, dass die Pharmaindustrie zukünftig Informationen über ver-

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schreibungspflichtige Medikamente in Internet, Fernsehen, Rundfunk und
Printmedien sowie auf durch Ärzte und Ärztinnen verteiltem audiovisuellem
oder gedrucktem Material weitergeben dürfen soll. Laut EU-Kommission soll
dabei gewährleistet werden, dass die Informationen objektiv und unparteiisch,
patientenorientiert, evidenzbasiert, aktuell, verständlich, transparent, relevant
und konsistent mit genehmigten Informationen sind. Vergleiche mit anderen
Medikamenten sollen nicht erlaubt werden.

Die EU-Kommission schlägt zum Monitoring der Regelungen die Einrichtung
von „national co-regulatory body“ vor. Diesem Gremium sollen Behörden
sowie Stakeholder wie Professionelle des Gesundheitsbereichs, Patienten-
organisationen und die pharmazeutische Industrie angehören.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Arzneimittelinformationsangebote sind Bürgerinnen und Bürgern in
der Bundesrepublik Deutschland direkt oder indirekt zugänglich, und wie
bewertet die Bundesregierung diese Angebote?

Sind diese Angebote kostenfrei oder kostenpflichtig?

2. Wie sind diese vorhandenen Angebote im europäischen Vergleich zu be-
werten (Quantität, Qualität, Anbieterinnen und Anbieter)?

3. Welche dieser Angebote anderer europäischer Länder sind aus Sicht der
Bundesregierung vorbildlich und sollten auf die Bundesrepublik Deutsch-
land übertragen werden?

4. Wie beurteilt die Bundesregierung das bisherige Ausmaß der Beeinflussung
von Bürgerinnen und Bürger durch Pharmaunternehmen im Rahmen von
Schleichwerbung für Arzneimittel in redaktionellen Texten von Printmedien
(vgl. Unheilige Allianzen mit Pillendrehern, Die Zeit vom 30. November
2006)?

5. Geht die Bundesregierung davon aus, dass eine klare und eindeutige Tren-
nung zwischen Werbung und Information möglich ist, und wenn ja, anhand
welcher Kriterien müsste sie erfolgen?

6. Reichen die im Kommissionsvorschlag genannten Kriterien aus, lassen sie
sich operationalisieren, und wie steht die Bundesregierung zum nicht auf-
geführten Kriterium der Vollständigkeit der Informationen?

7. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag, dass Vergleiche nicht ge-
stattet werden sollen, im Hinblick auf die Befürchtungen der Krankenkassen
dass dann in Bezug auf eine diagnostizierte Krankheit den Krankenkassen
oder dem Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) keine Darstellung der verschiedenen Behandlungs- und Medika-
mentenoptionen mit den jeweiligen Pro- und Contraargumenten mehr mög-
lich sei?

8. a) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission
zur Einrichtung von „national co-regulatory body“, der insbesondere
Monitoringaufgaben übernehmen soll?

b) Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission,
dass die pharmazeutische Industrie an einem solchen Aufsichtsgremium
beteiligt werden soll?

c) Welche Informationen müssten diesem Gremium vorab zur Verfügung
gestellt werden, damit ein echtes Monitoring gewährleistet werden kann?

d) Welche personellen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen
sind nach Ansicht der Bundesregierung notwendig, um die Arbeitsfähig-

keit eines solchen Gremiums herzustellen, und wer sollte die Finanzie-
rung übernehmen?

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9. Wie beurteilt die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission,
dass das Pharmaceutical Committee mit der Aufgabe einer EU-weiten
Überwachung betraut werden könnte?

10. a) Wie interpretiert die Bundesregierung, den Vorschlag der EU-Kom-
mission „Each Member State could charge its competent authorities to
act in the case of repeated and severs cases of non-compliance and apply
sanctions.“?

b) Teilt sie die von Krankenkassen geäußerte Befürchtung, dass mit die-
sem Vorschlag in die Entscheidung der jeweiligen Mitgliedstaaten ge-
legt werden soll, ob staatliche Behörden für die Kontrolle der Patienten-
information zuständig sind und ob gegebenenfalls Sanktionen verhängt
werden?

c) Wer wäre aus Sicht der Bundesregierung die geeignete(n) Institutionen,
und welche personellen und finanziellen Voraussetzungen sind ihrer
Ansicht nach notwendig, um die Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, und
wie sollte die Finanzierung erfolgen?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die folgende Aussage im Kapitel
„Hauptergebnis des Berichts“ der Mitteilung: „Die Behörden der Mitglied-
staaten sind, was den Inhalt der Informationen und den Zugang über ver-
schiedene Kommunikationsmittel angeht, unter Umständen nicht in der
Lage, den Patientenbedürfnissen ganz gerecht zu werden. Die pharmazeuti-
sche Industrie wiederum besitzt die Schlüsselinformationen über ihre Arz-
neimittel, diese können den Patienten und dem Gesundheitspersonal jedoch
derzeit noch nicht EU-weit zur Verfügung gestellt werden.“?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Vorschlag der EU-Kommission,
dass auch die Pharmaindustrie Patientinnen und Patienten z. B. via Massen-
medien wie Rundfunk, Fernsehen und Zeitungen neutrale und qualitäts-
gesicherte Arzneimittelinformationen zur Verfügung stellen dürfe vor dem
Hintergrund, dass in vielen Fällen nur Arzneimittelstudien mit positiven
Ergebnissen veröffentlicht werden (aktuelles Beispiel Antidepressiva, siehe
Die Welt vom 23. Januar 2008), der 2004 veröffentlichten Studie des Insti-
tuts für evidenzbasierte Medizin (DIeM), die zu dem Schluss kommt, dass
Pharmawerbung für Ärztinnen und Ärzte erhebliche inhaltliche Mängel
aufweisen, sich fast 60 Prozent der Aussagen nicht überprüfen ließen und
bei bestehenden Quellenangaben die dort beschrieben Ergebnisse selten mit
den Herstellerangaben übereinstimmten (www.di-em.de/data/at_2004_35_
21.pdf)?

13. Wie bewertet die Bundesregierung das Verlangen der European Phar-
maceutical Industry Association (EFPIA), nicht nur über Arzneimittel, son-
dern auch „(neben anderen Informationslieferanten), EU-Bürgern neutrale,
hochqualifizierte Informationen über Krankheiten, Gesundheitsfragen und
Therapien zu liefern“ (http://bayerscheringpharma.de/scripts/pages/de/
presse/im_fokus/efpia_forderungen_zur_patienteninformation/index.php)?

14. a) Mit welchen Positionen hat sich die Bundesregierung an dem zurück-
liegenden Konsultationsverfahren beteiligt?

b) Welche Ministerien wurden bei der Erarbeitung der Stellungnahme vom
zuständigen Gesundheitsministerium einbezogen?

c) Inwieweit gab es während der Erarbeitung der Stellungnahme zum Kon-
sultationsverfahren unterschiedliche Positionen der beteiligten Ministe-
rien untereinander?

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15. Wie bewertet die Bundesregierung die im Pharma-Brief Nr. 1/2008 der BUKO-
Pharma-Kampagne (http://www.bukopharma.de/uploads/file/Pharma-Brief/
Phbf2008_01.pdf) angeführten Internetseiten von Herstellern von Empfäng-
nisverhütungsmitteln, denen von der BUKO-Pharma-Kampagne vorgeworfen
wird, dass diese Seiten gegen das Werbeverbot des § 10 des Heilmittelwerbe-
gesetzes verstoßen, die Firmen nur Teilinformationen weitergeben, Nebenwir-
kungen zu Indikationen umgedeutet sowie Befindlichkeitsstörungen zu be-
handlungsbedürftigen Beschwerden umdefiniert würden, und wie bewertet die
Bundesregierung das Vorgehen der zuständigen Landesbehörden, bei denen
Beanstandungen eingereicht wurden?

Berlin, den 14. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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