BT-Drucksache 16/8825

Ursachen und ökologische Folgen der Verschmutzung der Meere durch Kunststoffabfälle

Vom 11. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8825
16. Wahlperiode 11. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Rainder Steenblock, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter
Hettlich, Bärbel Höhn, Dr. Anton Hofreiter, Renate Künast, Fritz Kuhn und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ursachen und ökologische Folgen der Verschmutzung der Meere
durch Kunststoffabfälle

Die Verschmutzung der Meere mit Kunststoffabfällen ist ein riesiges öko-
logisches Problem. Da diese Abfälle leichter sind als Wasser und sich nicht zer-
setzen, treiben diese Abfälle oft jahrelang in den Meeren oder werden an den
Küsten angespült. Die Meeresschutzorganisation Oceana schätzt, dass weltweit
jede Stunde rund 675 Tonnen Müll direkt ins Meer geworfen werden, die Hälfte
davon aus Plastik. Im Nordostpazifik zwischen Kalifornien und Hawaii treibt
inzwischen ein rund drei Millionen Tonnen schwerer Plastikteppich, der etwa
so groß ist wie Mitteleuropa.

Aber nicht nur im Pazifik treibt ein riesiger Abfallteppich. Jeder Ozean ist be-
troffen. Vor allem in Nord- und Ostsee werden nach wie vor regelmäßig große
Mengen von Abfällen im Spülsaum aufgefunden. Nach Angaben des For-
schungs- und Technologiezentrums Westküste der Universität Kiel (Büsum)
gehört die Deutsche Bucht als Teil der südöstlichen Nordsee trotz bestehender
Schutzmaßnahmen zu den am stärksten mit Müll belasteten Regionen in der
Nordsee. Vor allem an den naturbelassenen Stränden, der unbewohnten Inseln
Mellum oder Minsener Oog, die im Nationalpark Niedersächsisches Watten-
meer liegen, zeigt sich das Ausmaß der Verschmutzung.

Dort wird seit Jahren der angespülte Müll erfasst. Nach Angaben des Mellum-
rates, einer Naturschutz- und Forschungsgemeinschaft ergab die Auswertung
der regelmäßigen Überprüfung von drei Strandabschnitten von je 100 Metern
Länge, dass im Zeitraum von 1991 bis 2002 im Schnitt fast 80 Prozent der ge-
funden Müllteile aus Plastik, Styropor oder Schaumgummi waren. Es wurden
insgesamt mehr als 25 600 Stücke erfasst. Darunter vor allem Plastiktüten, Pla-
nen und Folien. Der Kunststoffmüll machte dabei den höchsten Anteil aus.

Diese Verschmutzung der Meere und Küsten durch Kunststoffabfälle ist nicht
nur eine Umweltkatastrophe und beträchtlicher Kostenfaktor für den Touris-
mus, sie ist vor allem eine Gefahr für die Meeresbewohner. Vögel und andere

Meeresbewohner verletzen sich an Abfällen, werden geschwächt, verhungern
durch die Aufnahme von Plastik anstelle von Nahrung oder verenden qualvoll
in Schnüren und Netzen. Mehr als 180 tote Vögel, die entlang der deutschen
Küste gefunden wurden, sind seit 2002 in der Studie untersucht worden. Die
Studie kam zu dem Ergebnis, dass fast 93 Prozent der Vögel Plastikmüll im
Magen hatten (Forschungs- und Technologiezentrum Westküste der Universität
Kiel [Büsum]).

Drucksache 16/8825 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Aber nicht nur der Müll selber ist eine Gefahr. Hinzu kommt, dass sich in den
Kunststoffabfällen im Wasser schwer lösliche Schadstoffe anreichern und so
den Müll zu einer besonderen Gefahr machen. An Kunststoffabfällen, die im
Meer treiben, können sich giftige und krebserregende Chemikalien, wie DDT
oder Polychlorierte Biphenyle anlagern. In Untersuchungen konnte nachgewie-
sen werden, dass die Konzentration einzelner Giftstoffe an solchen Kunststoff-
teilchen bis zu einer Million Mal höher waren, als im umgebenden Wasser.
Kunststoffabfälle zersetzten sich zwar nicht, sie werden aber im Wasser durch
Wellenbewegung und Sonneneinstrahlung zu winzigen Teichen zermahlen. In
Untersuchungen vor der schwedischen Westküste fand man zwischen 200 und
100 000 solcher Teilchen pro Kubikmeter Meerwasser. Solche mikroskopisch
kleinen Plastikteilchen können über das Plankton in den Fisch und so mitsamt
ihrer Giftfracht in der Nahrungskette weiter bis hin zum Menschen gelangen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Mengen an Abfällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 1990 in den deutschen Meeresgewässern gefunden (Auflistung nach
Fundort Nord- oder Ostsee), und werden diese Abfallmengen jährlich er-
fasst?

2. Welche Art von Müll, wie z. B. Plastik, Styropor oder Schaumgummi,
werden nach Kenntnis der Bundesregierung in den deutschen Meeres-
gewässern im Durchschnitt gefunden (Auflistung nach Fundort Nord- oder
Ostsee), und existiert ein offizielles Register der Mengen von Müll in den
deutschen Meeresgewässern?

3. Welche Indikatoren für die Meeresverschmutzung mit Abfällen gibt es
nach Kenntnis der Bundesregierung?

4. Was sind nach Erkenntnis der Bundesregierung die Ursachen, bzw. Haupt-
quellen für die zu beobachtende Vermüllung der Meere, vor allem mit
Kunststoffabfällen?

5. Welcher Anteil der Abfälle ist nach Erkenntnis der Bundesregierung der
Schifffahrt und der Fischerei zuzuordnen?

6. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung einen Zusammenhang zwi-
schen Müllbelastung und hoher Intensität des Schiffverkehrs?

7. Wie hoch ist der Eintrag nach Kenntnis der Bundesregierung von der Land-
seite, und welches sind hier die Hauptquellen der Verschmutzung?

8. Welche Art von Auswirkungen auf das Ökosystem Meer sind nach Kennt-
nis der Bundesregierung durch den Müll im Meer zu verzeichnen, und wel-
che maritimen und küstennahen Lebensräume, Meeresorganismen, -tiere
und -pflanzen sind von der Vermüllung der Meere besonders betroffen, und
welche aktuellen Untersuchungen und Zahlen liegen der Bundesregierung
hierzu vor?

9. Wie beurteilt die Bundesregierung die ökologischen Auswirkungen der
Verschmutzung der Meere mit Abfällen, und welche Untersuchungen und
Zahlen liegen der Bundesregierung hierzu vor?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Belastungen der Meeresumwelt durch
Schadstoffe aus den Abfällen im Meer ein, und welches sind hier die
Hauptquellen dieser chemischen Belastung?

11. Welche Gefährdungen sieht die Bundesregierung durch die Anreicherung
von Schadstoffen in der Nahrungskette der Meerestiere durch feingemah-
lene Kunststoffteilchen, und teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass

diese Schadstoffe auch in den menschlichen Organismus durch die Nah-
rung aufgenommen werden können?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8825

12. Von welchen sozialen, ökologischen und ökonomischen Schäden geht die
Bundesregierung durch die Verschmutzung der Meere durch Abfälle aus,
und wer muss für diese Schäden jährlich aufkommen?

13. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung aufgrund der Schä-
den?

14. Welche Techniken werden nach Kenntnis der Bundesregierung zur Müll-
entfernung in den Meeren und für die Säuberung von Stränden angewen-
det, und welche Erfahrungen wurden mit diesen Techniken gemacht?

15. Herrscht nach Auffassung der Bundesregierung aufgrund der Erfahrungen
mit den Techniken noch Forschungsbedarf, und wenn ja, welche aktuellen
Forschungsprojekte werden zurzeit durchgeführt?

16. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung vor allem die jährlichen
Kosten, die durch die Säuberung von Stränden entstehen, und wer hat diese
Kosten zu tragen?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Auswirkungen und Folgen der
Meeresverschmutzung durch Abfälle insbesondere für den Tourismus, und
liegen der Bundesregierung hierzu Untersuchungen und Zahlen vor?

18. Welche weiteren Branchen sind nach Kenntnis der Bundesregierung durch
die zunehmende Vermüllung der Meere und Küstengebiete betroffen, und
welche Auswirkungen und Folgen sind der Bundesregierung bekannt?

19. Wie bewertet die Bundesregierung, dass trotz des bestehenden besonderen
Schutzes der Nordsee die Abfallmengen seit Jahren nicht zurückgehen?

20. Hält die Bundesregierung die bestehenden internationalen und nationalen
Regelungen vor diesem Hintergrund für ausreichend?

21. Welche weiteren Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um der
zunehmenden Vermüllung der Weltmeere durch Abfälle und insbesondere
Kunststoffabfälle entgegenzuwirken, und welche Initiativen verfolgt sie
derzeit in diesem Zusammenhang?

22. Wie gut funktionieren nach Erkenntnis der Bundesregierung vor allem
Kontrolle und Vollzug (z. B. das Internationale Übereinkommen zur Ver-
hütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL))?

23. Konnten in der Vergangenheit Verursacher von Verschmutzungen ermittelt
und zur Rechenschaft gezogen werden, und wie hoch ist nach Erkenntnis-
sen der Bundesregierung die Aufklärungsquote bei Verstößen?

24. Was bringt nach Ansicht der Bundesregierung der „Blaue Engel“ für die
Seeschifffahrt um der Vermüllung der Meere entgegenzuwirken?

25. Welche Rolle kommt nach Ansicht der Bundesregierung den Häfen zu, und
sollten nach Auffassung der Bundesregierung die Häfen eine kostenfreie
Müllentsorgung anbieten, um der Entsorgung auf dem Meer entgegenzu-
wirken?

26. Welche weiteren ordnungsrechtlichen Maßnahmen sind nach Auffassung
der Bundesregierung erforderlich, um der Müllentsorgung auf dem Meer
zu begegnen, und wie bewertet die Bundesregierung unter anderem die
Einführung von härteren Strafen für illegale Müllentsorger?

27. Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung zur Reduzierung der Ver-
packungsmaterialien in der Bundesrepublik Deutschland und Europa, und
welche Erfolge konnten seit 1990 verzeichnet werden?

Drucksache 16/8825 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
28. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Belastung der
Meere vor allem mit Kunststoffabfällen die Materialeigenschaft der bio-
logischen Abbaubarkeit, insbesondere von Verpackungskunststoffen, und
welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Einführung von
biologisch abbaubaren Materialien auf dem Markt zu fördern?

Berlin, den 11. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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