BT-Drucksache 16/8819

Anwerbeversuche linker Aktivistinnen und Aktivisten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz

Vom 11. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8819
16. Wahlperiode 11. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte und der Fraktion DIE LINKE.

Anwerbeversuche linker Aktivistinnen und Aktivisten durch das Bundesamt
für Verfassungsschutz

Zur ständigen Arbeit der Verfassungsschutzbehörden gehört die Beobachtung
und Überwachung linker politischer Zusammenschlüsse wie Antifa-Gruppen,
Bündnisse gegen Krieg und Militarismus sowie Parteien. Dabei wird auch ver-
sucht, Spitzel zu gewinnen.

Beispielhaft für solche Maßnahmen ist die Ansprache von mehreren Aktivistin-
nen und Aktivisten, die an der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel beteiligt
waren, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Sommer 2007. Unter
den Angesprochenen ist auch ein Mitglied der Kampagne „libertad!“. Deren
Schwerpunkt ist die Solidarität mit politischen Gefangenen, Betätigungsfelder
sind aber auch der Kampf gegen Abschiebungen und deutsche Kriegsbeteili-
gungen.

Am 9. August sei eine Frau angesprochen worden, die auch bei der Organisa-
tion IPPNW (Internationale Ärztevereinigung gegen den Atomkrieg) Mitglied
ist und als langjährige Freundin den 93-jährigen linken Politiker und Publizis-
ten Jakob Moneta betreut.

Die Beamten hätten sie vor dessen Wohnhaus abgepasst und erklärt: „Wir sind
vom Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln und möchten Ihnen gerne eine
Stelle im öffentlichen Dienst anbieten.“ Sie sei dem Amt seit Jahren bekannt.

Am 10. August standen Beamte des Verfassungsschutzes (die ihre Dienstaus-
weise vorzeigten) vor der Wohnungstür einer anderen Aktivistin. „Ihr Stellen-
angebot sah zehn Stunden wöchentlich vor“, berichtet diese. Die Beamten
hätten besonderes Interesse an der politischen Praxis der aufgesuchten Frau
gehabt.

Gleich zweimal wurde ein Mitglied der Initiative „Kein Mensch ist illegal“ an
seinem Arbeitsplatz in Hanau aufgesucht. Bereits am 8. August hätten ihm
Verfassungsschützer erklärt, sie hätten ihm ein „sehr lukratives Angebot“ zu
machen. Obwohl ihre „Zielperson“ das Ansinnen, als Spitzel zu arbeiten, ener-
gisch zurückgewiesen habe, seien sie am 12. September erneut an dessen
Arbeitsplatz erschienen, um ihr Angebot zu konkretisieren: „Wir bieten Ihnen
5 000 Euro im Monat – überlegen Sie mal, wie lange Sie dafür arbeiten müs-

sen.“

Der Organisation Rote Hilfe zufolge sind von Anwerbeversuchen mitunter
auch Personen betroffen, die in Zusammenhang mit einer Demonstration verur-
teilt worden waren, was den Verdacht der illegalen Datenweitergabe zwischen
Polizei und Geheimdiensten erregt. Mit Blick auf einen Anwerbeversuch aus
dem Jahr 2006 analysiert die Rote Hilfe: „Der Versuch des VSlers, den Betrof-
fenen ausschließlich mit einem lukrativen Jobangebot zu ködern, zeigt eine tak-

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tische Neuausrichtung. Während bisherige Anwerbeversuche oftmals vermeint-
lich gemeinsame politische Ziele anführten (‚Wir sind auch gegen Nazis‘) oder
unterschwellig mit strafrechtlicher Verfolgung früherer Gesetzesverstöße des
Anzuwerbenden drohten, bedient sich der Geheimdienst nun unverfroren der
finanziellen Notlage, in der sich wachsende Teile der Bevölkerung befinden.“
(Presseerklärung 12. Juni 2006).

Zur Strategie der Beamten gehört es offenbar, den Angesprochenen zu ver-
sichern, eine Zuarbeit könne niemandem schaden: „Wie gesagt, es geht nur um
Sachzusammenhänge, nicht um Personen.“ Damit sollen offenbar die Skrupel,
mit den Ämtern zusammenzuarbeiten, beseitigt werden. Außerdem wurde, of-
fenbar um die erhoffte Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu erhöhen, versichert,
der Geheimdienst arbeite nicht mit der Polizei zusammen.

Das Risiko, Ziel von Anwerbeversuchen der Inlandsgeheimdienste zu werden,
ist zahlreichen Aktivisten linker politischer Zusammenhänge durchaus bekannt.
„Wer die kapitalistischen Verhältnisse radikal umwälzen will, ist nun mal im
staatlichen Visier. Dazu gehören Unterwanderungsversuche, Observationen,
Hausdurchsuchungen und Ermittlungsverfahren“, so eine Stellungnahme von
„libertad!“. Dennoch sind solche Aktivitäten geeignet, Verunsicherung vor
allem bei jüngeren Aktiven hervorzurufen, was eine Beschneidung der demo-
kratischen Grundrechte darstellt.

Um die Unterwanderungsversuche abzuwehren, raten die betroffenen Organi-
sationen zu strikter Transparenz: „Wir möchten alle bitten, Kontaktaufnahmen
jeglicher Art öffentlich zu machen“, so „libertad!“. Die Ortsgruppe der Roten
Hilfe Hannover weist darauf hin, dass Verfassungsschützer keinerlei Befug-
nisse haben, „eine Aussage oder Mitarbeit zu verlangen“. Man solle nicht ver-
suchen, den Beamten, gar auf eigene Faust, irgendetwas vorzuspielen oder zu
versuchen, die Beobachtung quasi „umzudrehen“. Das sei aussichtslos, da die
Geheimdienstler hiervon regelmäßig mehr Nutzen hätten. Stattdessen empfiehlt
die Rote Hilfe:

„Wenn Verfassungsschützer oder andere ‚Geheime‘ euch anquatschen: legt den
Hörer einfach auf, schickt sie weg, werft sie raus, haut ihnen die Tür vor der
Nase zu, zur Not – geht selber weg. Macht anwesende Freunde und Freundin-
nen, Bekannte und Verwandte aufmerksam. Haltet eure Augen und Ohren auf,
aber den Mund in gewissen Momenten geschlossen.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Anwerbeversuche hat das Bundesamt für Verfassungsschutz
(BfV) in den letzten zehn Jahren im Bereich linker politischer Organisatio-
nen unternommen?

2. Welche Erfahrungen hat das BfV hinsichtlich der Reaktionen der Angespro-
chenen gemacht?

3. Wie viele Anwerbeversuche sind – aus Sicht des BfV – erfolgreich ver-
laufen?

4. Welchem Zweck dient die Anwerbung informeller Mitarbeiter aus anti-
faschistischen und antirassistischen Initiativen?

5. Ist sich die Bundesregierung darüber im Klaren, dass Anwerbeversuche des
Verfassungsschutzes gerade bei jüngeren Aktiven Abschreckungseffekte
bewirken können und daher einen Eingriff in demokratische Grundrechte
darstellen können?

a) Sind solche Abschreckungseffekte bei antifaschistischen, antirassistischen
oder antikapitalistischen Initiativen erwünscht?
b) Wie rechtfertigt die Bundesregierung unter diesem Gesichtspunkt das
Bemühen des BfV, Spitzel zu rekrutieren?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8819

6. Handelt es sich bei einer Entlohnung von 5 000 Euro für eine Zehn-Stunden-
Woche um den normalen Satz für informelle Mitarbeiter des BfV?

7. Müssen informelle Mitarbeiter des BfV Honorare aus Spitzeltätigkeiten
steuerlich veranschlagen bzw. (z. B. bei Hartz-IV-Bezug) etwaigen
Leistungsträgern mitteilen, oder dürfen die Honorare aus Geheimhaltungs-
gründen verschwiegen werden?

Berlin, den 9. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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