BT-Drucksache 16/8803

Fortführung der Bilanz zur gesetzlichen Altfallregelung

Vom 10. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8803
16. Wahlperiode 10. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte, Petra Pau und der
Fraktion DIE LINKE.

Fortführung der Bilanz zur gesetzlichen Altfallregelung

Die bisher verfügbaren Zahlen zur gesetzlichen Altfallregelung nach § 104a
und § 104b des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG (Antwort der Bundesregierung
auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
16/8362) lassen erkennen, dass die von der Bundesregierung und den sie tra-
genden Fraktionen erweckten Erwartungen völlig überzogen waren. Die von
dem Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, geäußerte Einschät-
zung, „ungefähr 100 000 Menschen“ könnten von der gesetzlichen Regelung
profitieren (vgl. Plenarprotokoll 16/94, S. 9546), erweist sich angesichts der bis-
herigen Antragszahlen als ebenso unrealisierbar wie die von Abgeordneten der
Fraktion der SPD als Rechtfertigung für ihre Zustimmung zu umfangreichen
Verschärfungen im Richtlinienumsetzungsgesetz genannte Zahl von bis zu
60 000 möglichen Bleiberechtsfällen (vgl. z. B. Erklärung der Abgeordneten
Veit und anderer, Plenarprotokoll 16/103, S. 10639 f).

In den ersten drei Monaten nach Inkrafttreten der gesetzlichen Altfallregelung
wurden insgesamt nur knapp 23 000 Anträge gestellt, von denen zum Stichtag
31. Dezember 2007 11 765 positiv beschieden waren. Allerdings wurde ein
Großteil der Aufenthaltserlaubnisse lediglich „auf Probe“ erteilt (77 Prozent),
weil noch keine existenzsichernde Erwerbstätigkeit nachgewiesen werden
konnte. Alle Aufenthaltserlaubnisse – und dies betrifft im Grundsatz auch die
knapp 20 000 nach der IMK-Regelung erteilten Erlaubnisse (vgl. Bundestags-
drucksache 16/7089, Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der
Fraktion DIE LINKE.) – werden Ende 2009 nur dann verlängert, wenn zu die-
sem Zeitpunkt unter anderem eine dauerhafte eigenständige Existenzsicherung
auch für die Zukunft nachgewiesen werden kann. Ältere und kranke, aber auch
niedrig verdienende langjährig geduldete Flüchtlinge haben vor diesem Hinter-
grund keine Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht.

Vor dem Hintergrund dieser zahlenmäßigen Entwicklung und den von der gro-
ßen Koalition der CDU/CSU und SPD geweckten Erwartungen drängt sich
nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller eine gesetzliche Kor-
rektur der Altfallregelung auf, um die von allen Seiten angestrebte Beendigung
von Kettenduldungen in einem nennenswerten Umfang erreichen zu können.

Auch in menschenrechtlicher und humanitärer Hinsicht ist eine Lockerung der
Kriterien für ein Bleiberecht dringend angezeigt (vgl. Bundestagsdrucksache
16/3912, Antrag der Fraktion DIE LINKE.).

Drucksache 16/8803 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Personen lebten am 31. März 2008 geduldet bzw. gestattet in der
Bundesrepublik Deutschland, wie viele von ihnen bereits seit sechs bzw. seit
acht Jahren (bitte jeweils nach Titeln und Stichtagen getrennt angeben, nach
Bundesländern differenzieren, und die fünf stärksten Herkunftsländer nen-
nen)?

2. Wie viele Personen haben bis zum 31. März 2008 eine Aufenthaltserlaubnis
nach § 104a oder § 104b AufenthG beantragt (bitte nach Bundesländern dif-
ferenzieren)?

a) Wie viele Anträge hiervon betrafen oder waren Anträge, die bereits nach
der IMK-Regelung vom November 2006 gestellt wurden aber bis zum In-
krafttreten der gesetzlichen Regelung noch nicht entschieden waren und
deshalb nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen beurteilt werden
(bitte nach Bundesländern differenzieren)?

b) Wie viele Anträge wurden nach § 104b AufenthG für „integrierte Kinder
von geduldeten Ausländern“ gestellt (bitte nach Bundesländern differen-
zieren)?

c) Welches waren die zehn am häufigsten vertretenen Herkunftsländer der
Antragsteller und Antragstellerinnen (bitte nach Bundesländern differen-
zieren)?

d) Wie viele Einzelpersonen und wie viele Familienangehörige beantragten
eine Aufenthaltserlaubnis nach der gesetzlichen Altfallregelung?

e) Warum haben die Bundesländer die nach a bis d erfragten Angaben gege-
benenfalls nicht erhoben (vgl. Bundestagsdrucksache 16/8362, Antwort
zu Frage 1) bzw. liegen Angaben zu diesen Unterfragen zumindest von
einzelnen Bundesländern vor, und wenn ja, welche sind dies?

3. Wie vielen Personen wurden bis zum 31. März 2008 Aufenthaltserlaubnisse
nach § 104a oder § 104b AufenthG erteilt (bitte nach Geschlecht, Alter [zu-
mindest: Voll- bzw. Minderjährigkeit], Bundesländern und den zehn häu-
figsten Herkunftsländern differenzieren)?

a) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1
Satz 1 in Verbindung mit § 104a Abs. 1 Satz 2 AufenthG erhalten, weil
der Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit bereits gesichert war (bitte
nach Bundesländern differenzieren)?

b) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1
Satz 1 AufenthG („auf Probe“) erhalten, weil der Lebensunterhalt durch
Erwerbstätigkeit noch nicht gesichert war (bitte nach Bundesländern dif-
ferenzieren)?

c) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2
Satz 1 AufenthG als bei der Einreise noch minderjährige, inzwischen
aber volljährige Kinder erhalten (bitte nach Bundesländern differenzie-
ren)?

d) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 2
Satz 2 AufenthG als unbegleitete Minderjährige erhalten (bitte nach Bun-
desländern differenzieren)?

e) Wie viele von ihnen haben eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104b in
Verbindung mit § 23 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Minderjährige unter der
Bedingung der Zusage einer Ausreise der Eltern erhalten (bitte nach Bun-
desländern differenzieren)?

f) In welchen Bundesländern sind Integrationsvereinbarungen als Ertei-

lungsvoraussetzung vorgesehen, und was sind jeweils die Eckpunkte die-
ser Integrationsvereinbarungen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8803

g) In wie vielen Fällen wurden Aufenthaltserlaubnisse aufgrund § 104a
Abs. 3 Satz 2 AufenthG aus Härtefallgründen erteilt, obwohl nach Satz 1
eigentlich eine Ablehnung wegen der Straffälligkeit eines Familienmit-
gliedes hätte erfolgen müssen (bitte nach Bundesländern differenzieren)?

h) Wie lauten die Vergleichszahlen des Ausländerzentralregisters zu den in
a bis e genannten Aufenthaltstiteln, das heißt, wie viele Personen hielten
sich zum Stichtag 31. März 2008 mit einer Aufenthaltserlaubnis der in
a bis e genannten Paragrafen in der Bundesrepublik Deutschland auf
(bitte insgesamt und einzeln angeben und nach Bundesländern differen-
zieren, relevante Abweichungen zu den Länderdaten bitte erklären)?

4. Wie viele der in Frage 1 benannten Anträge wurden bis zum 31. März 2008
abgelehnt, wie viele Personen/Familien waren betroffen (bitte nach Bundes-
ländern differenzieren)?

a) Welche genaueren Angaben zu den Gründen der Ablehnung liegen der
Bundesregierung vor, etwa zu den Nummern 1 bis 6 des § 104a Abs. 1
Satz 1 AufenthG (Wohnraum, Sprachkenntnisse, Schulbesuch der Kinder,
Täuschungen bzw. Behinderungen, Extremismus- bzw. Terrorismusver-
dacht, Straftaten; bitte nach Bundesländern differenzieren)?

b) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil davon
ausgegangen wurde, dass der Nachweis einer eigenständigen Lebensun-
terhaltssicherung auch nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis „auf
Probe“ nicht erreicht werden kann (alters-, krankheitsbedingt usw.; bitte
nach Bundesländern differenzieren)?

c) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil ein in
der häuslichen Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten be-
gangen hat, und wie viele Personen waren betroffen (vgl. § 104a Abs. 3
Satz 1 AufenthG; bitte nach Bundesländern differenzieren)?

d) Wie viele Anträge wurden insbesondere deshalb abgelehnt, weil die ge-
forderten Aufenthaltszeiten nicht erfüllt waren (bitte nach Bundesländern
differenzieren)?

e) Falls nur einzelne Bundesländer Angaben zu den oben genauer erfragten
Ablehnungsgründen gemacht haben sollten, was für Angaben waren dies,
und welches Bild ergibt sich hieraus zumindest in Bezug auf die Aus-
kunft gebenden Bundesländer?

f) Welche genauen Angaben zu Ablehnungsgründen bei Anträgen nach der
IMK-Bleiberechtsregelung sind der Bundesregierung von den Bundes-
ländern übermittelt worden oder auf anderem Wege zur Kenntnis gelangt
(bitte alle verfügbaren Angaben auflisten)?

5. Wie viele der in Frage 2 benannten Anträge wurden noch nicht beschieden,
und welche Gründe hierfür sind der Bundesregierung bekannt (bitte nach
Bundesländern differenzieren)?

6. Wie ist die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 6 in Bundestags-
drucksache 16/8362, wonach die Aussicht einer „auskömmlichen Rente“ zur
Bedingung für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Rahmen der Alt-
fallregelung gemacht werden könne, mit dem hiervon abweichenden Wort-
laut des § 104a Abs. 5 Satz 3 AufenthG vereinbar, in dem davon die Rede
ist, dass in der Zukunft der Lebensunterhalt „überwiegend“ gesichert sein
müsse?

a) Wie viele Jahre ungefähr muss eine Arbeitnehmerin/ein Arbeitnehmer
mit einem Durchschnittsverdienst voraussichtlich arbeiten und in die
deutsche Rentenversicherung einzahlen, um im Rentenalter eine

„auskömmliche Rente“ erhalten zu können (das heißt eine Rente in einer
Höhe, bei der kein Anspruch auf öffentliche Hilfsleistungen besteht)?

Drucksache 16/8803 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Wie viel muss ein jetzt 30 bzw. 40 bzw. 50 Jahre alter, alleinstehender
Mensch ohne bisherige Rentenanwartschaften voraussichtlich ungefähr
verdienen, um im Rentenalter eine „auskömmliche Rente“ erzielen zu
können?

7. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für die weit unterhalb
ihrer Erwartungen bleibenden Antrags- und Erteilungszahlen (siehe Vorbe-
merkung)?

Rechnet die Bundesregierung im Verlauf des Jahres noch mit bedeutend
höheren Zahlen, und wenn ja, aus welchen Gründen?

8. Ist die Bundesregierung angesichts der bislang weit unterhalb ihrer Erwar-
tungen bleibenden Zahlen beantragter bzw. erteilter Aufenthaltserlaubnisse
bereit, Änderungen und Lockerungen der gesetzlichen Vorschriften (§ 104a
und § 104b AufenthG) zu initiieren, insbesondere in Bezug auf

a) die geforderten langen Aufenthaltszeiten (6 bzw. 8 Jahre),

b) die Verankerung eines Ausschluss-Stichtages (das heißt, dass es keine
dauerhafte „rollierende“ Regelung gibt),

c) das Erfordernis eines dauerhaften selbstständigen Lebensunterhalts,

d) die zahlreichen Ausschlusstatbestände, die zum Teil sehr streng oder
aber ungenau gefasst sind, und wenn nein, warum jeweils nicht?

9. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, durch Änderungen ihrer
Hinweise zum Richtlinienumsetzungsgesetz oder andere Maßnahmen auf
eine großzügigere Anwendung der Altfallregelung durch die Bundesländer
hinzuwirken, und was plant sie diesbezüglich?

10. Welche Bundesländer haben in Bezug auf welche Staatsangehörigen beim
Bundesministerium des Innern nach § 104a Abs. 7 AufenthG ein Ein-
vernehmen zum Ausschluss bestimmter Staatsangehöriger von der Altfall-
regelung eingeholt?

a) Hat das Bundesministerium des Innern in diesen Fällen sein Einver-
ständnis erteilt, und wie hat es seine Entscheidung begründet?

b) Falls keine diesbezüglichen Anfragen der Länder an das Bundesminis-
terium des Innern gerichtet wurden, aus welchen Gründen und auf wes-
sen Betreiben wurde die Regelung des § 104a Abs. 7 AufenthG in die
Altfallregelung aufgenommen, und wie bewertet die Bundesregierung
diesen Vorgang im Nachhinein?

11. Was konkret war Inhalt des für Mitte April 2008 geplanten Bund-Länder-
Treffens zur Umsetzung der gesetzlichen Altfallregelung, welche Positio-
nen hat die Bundesregierung dort vertreten, und welche konkreten Ergeb-
nisse hat das Treffen erbracht?

12. Welche Konsequenzen ergeben sich aus Sicht der Bundesregierung aus der
Studie „Expertise zur Umsetzung des IMK-Bleiberechtsbeschlusses vom
17. November 2006“, das heißt, gibt es Best-Practice-Beispiele für die Ar-
beitsmarktintegration von Drittstaatsangehörigen mit unsicherem Aufent-
haltsstatus, die die Bundesregierung zu konkreten Maßnahmen veranlasst
haben?

a) Wie ist der Stand und genaue Inhalt des in dem Vorwort der genannten
Studie angekündigten Sonderprogramms des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales zur Unterstützung der Arbeitsmarktintegration
langjährig Geduldeter?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8803

b) Sieht die Bundesregierung ein Problem darin, dass die Betroffenen, die
infolge gesetzlicher oder faktischer Arbeitsverbote häufig über Jahre
hinweg zur beruflichen Untätigkeit gezwungen waren und infolge des-
sen eine massive Dequalifizierung und Deaktivierung erdulden muss-
ten, keine Weiterqualifizierungs- oder Fortbildungsmaßnahmen in An-
spruch nehmen können, weil sie bereits zum 31. Dezember 2009 den
Nachweis einer überwiegenden, dauerhaften eigenständigen Existenz-
sicherung erbringen müssen, und welche Konsequenzen zieht sie gege-
benenfalls hieraus (bitte begründen)?

13. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass es bereits zahlreiche Fälle gibt,
in denen Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a Abs. 1
Satz 1 AufenthG entgegen der klaren Gesetzeslage Kindergeld verweigert
wird?

a) Ist eine solche Praxis nach Auffassung der Bundesregierung rechtens,
und wenn ja, warum?

b) Hat das zuständige Bundesministerium zu dieser Frage eine Weisung/
Ausführungshinweise erlassen oder ein Rundschreiben verfasst, wenn
ja, welchen Inhalts, wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 9. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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