BT-Drucksache 16/8721

Deutsch-Polnische Einigung über "Sichtbares Zeichen gegen Vertreibungen"

Vom 4. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8721
16. Wahlperiode 04. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. Lukrezia Jochimsen und der Fraktion
DIE LINKE.

Deutsch-Polnische Einigung über „Sichtbares Zeichen gegen Vertreibungen“

Ein vom „Bund der Vertriebenen“ (BdV) gefordertes „Zentrum gegen Vertrei-
bungen“ sowie das im Koalitionsvertrag von SPD, CDU und CSU geplante
„Sichtbare Zeichen“ gegen Vertreibungen sorgen seit Jahren für eine Belastung
des deutsch-polnischen Verhältnisses.

Kritiker sehen darin ein geschichtsrevisionistisches Projekt, das die im Pots-
damer Abkommen beschlossenen Umsiedlungen der deutschen Bevölkerung
aus Teilen Osteuropas losgelöst vom Kontext des von deutscher Seite ausgelös-
ten Weltkriegs erscheinen lässt. Insbesondere die rechtskonservative polnische
Regierung von Jaroslav Kaczynski hatte sowohl das Zentrum als auch das
„Sichtbare Zeichen“ abgelehnt und als Ausdruck einer deutschen Absicht ge-
wertet, von der Täter- in die Opferrolle zu wechseln.

Bei einem Treffen von Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für
Kultur und Medien Bernd Neumann (CDU) mit dem polnischen Deutschland-
Beauftragten und ehemaligen Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski am
7. Februar 2008 gab die neue polnische Regierung unter Kanzler Donald Tusk
ihren Widerstand gegen das Dokumentationsprojekt „Sichtbares Zeichen“ in
Berlin auf. Nach dem Gespräch zwischen Neumann und Bartoszewski in
Warschau hieß es: „Die polnische Seite beabsichtigt nicht, sich formell an dem
Vorhaben zu beteiligen, was eine Beteiligung polnischer Historiker nicht aus-
schließt.“ (http://www.welt.de/welt_print/article1641117/Verstaendigung_aus_
heiterem_Himmel.html).

Die polnische Regierung werde dem Projekt künftig „mit einer wohlwollenden
Distanz“ begegnen, so Wladyslaw Bartoszewski. Zugleich schloss er aus, dass
Vertreter Polens gemeinsam mit der BdV-Vorsitzenden und CDU-Abgeordneten
Erika Steinbach im Programmrat von „Sichtbares Zeichen“ sitzen.

Erika Steinbach zeige sich dagegen überzeugt, dass der BdV weiter an der Pla-
nung der Ausstellung beteiligt wird (Deutsch-polnischer Geschichtsstreit ent-
schärft, DER STANDARD vom 8. Februar 2008).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Gründe sind der Bundesregierung bekannt, aus denen sich die pol-
nische Regierung nicht am „Sichtbaren Zeichen“ beteiligen will?

a) Inwieweit gab es von deutscher Seite Bedingungen für eine Zusammen-
arbeit beim „Sichtbaren Zeichen“, die für die polnische Regierung unan-
nehmbar waren?

Drucksache 16/8721 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

b) Inwieweit stellte die polnische Regierung Bedingungen für ihre Zusam-
menarbeit beim „Sichtbaren Zeichen“, die von der deutschen Seite abge-
lehnt wurden?

c) Trifft es zu, dass einer der Ablehnungsgründe in der Person der BdV-
Vorsitzenden Erika Steinbach und ihrer möglichen Rolle beim „Sichtba-
ren Zeichen“ zu finden ist?

d) Wie beurteilt die Bundesregierung die Ablehnung der polnischen Regie-
rung, sich am „Sichtbaren Zeichen“ zu beteiligen?

2. Welche inhaltliche Konzeption soll das „Sichtbare Zeichen“ haben, und wie
und durch wen wird diese ausgearbeitet?

3. Worin soll sich das „Sichtbare Zeichen“ vom „Zentrum gegen Vertreibun-
gen“, für das sich der BdV engagiert hat, organisatorisch und konzeptionell
unterscheiden?

4. Ist im Rahmen eines Gesamtkonzepts auch geplant, den Umgang mit den
„Vertreibungen“ in den 50er und 60er Jahren in der BRD, insbesondere die
Instrumentalisierung des Themas durch ehemalige Funktionsträger von NS-
Staat und -Partei in den führenden Gremien des BdV u. a., aufzuarbeiten?

5. Mit welchen Kosten rechnet die Bundesregierung für das „Sichtbare Zei-
chen“, und aus welchen Mitteln soll das Projekt finanziert werden (bitte ge-
nau aufschlüsseln)?

6. Inwieweit sollen die bereits bestehenden ca. 1 400 Gedenkstätten, Mahn-
male, Ehrenhaine etc. zum Thema „Vertreibungen“, z. B. das Mahnmal
„Nie wieder Vertreibung“ am Theodor-Heuss-Platz in Berlin, in die Kon-
zeption des „Sichtbaren Zeichens“ eingebunden werden, und warum ist aus
Sicht der Bundesregierung angesichts dieser Vielzahl schon existierender
Gedenkstätten usw. überhaupt ein weiteres „Zeichen“ erforderlich?

7. Wird die Bundesregierung sicherstellen, dass im „Sichtbaren Zeichen“ die
im Potsdamer Abkommen beschlossenen Umsiedlungen der deutschen Be-
völkerung aus Teilen Osteuropas als Folge des vorangegangenen Vernich-
tungskriegs des nationalsozialistischen Regims dargestellt wird?

a) Welche Überlegungen hat die Bundesregierung bislang dazu angestellt
bzw. welche Festlegungen getroffen?

b) Welche Gewichtung sollen die faschistischen Verbrechen und die Um-
siedlungen in dem „Zeichen“ erhalten?

8. Wie wird nach Kenntnis und Planung der Bundesregierung der Programm-
rat des „Sichtbaren Zeichens“ zusammengesetzt sein?

9. Inwieweit wird dem „Bund der Vertriebenen“ oder einzelnen seiner Glie-
derungen oder Funktionäre – insbesondere der Vorsitzenden Erika Stein-
bach – eine Beteiligung an der Konzeption und Durchführung des „Sicht-
baren Zeichens“ möglich sein?

10. Inwieweit wird sich die Bundesregierung um die Beteiligung einzelner pol-
nischer Wissenschaftler bei der Konzipierung der Ausstellung „Sichtbares
Zeichen“ bemühen?

11. Wie sieht die zeitliche Planung der Bundesregierung bei der Umsetzung des
„Sichtbaren Zeichens“ aus?

12. Welche Zusagen hat die Bundesregierung der polnischen Seite für die
Zusammenarbeit bei Projekten der Erinnerungskultur gegeben?

a) Inwieweit und mit welchen Mitteln in welcher Höhe wird sich die Bun-

desrepublik Deutschland am Aufbau eines von der polnischen Regierung

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8721

vorgeschlagenen Museums „Krieg und Frieden im 20.Jahrhundert“ in
Gdansk beteiligen?

b) Inwieweit und mit welchen Mitteln in welcher Höhe wird sich die Bun-
desrepublik Deutschland an Renovierung der Gedenkstätten des Zweiten
Weltkriegs auf der Westerplatte beteiligen?

c) Inwieweit und mit welchen Mitteln in welcher Höhe wird sich die Bun-
desrepublik Deutschland an der Errichtung eines Museums über die „So-
lidarnosc“ in Berlin beteiligen?

d) Inwieweit und mit welchen Mitteln in welcher Höhe wird sich die Bun-
desrepublik Deutschland in Berlin an einer Erinnerungsstätte für die pol-
nischen Opfer von Nationalsozialismus und Krieg beteiligen?

e) Welche Projekte im Rahmen des europäischen Netzwerks „Erinnerung
und Solidarität“ plant die Bundesregierung im Rahmen des deutsch-pol-
nischen Austauschs?

13. Inwieweit besteht von Seiten der Bundesregierung weiterhin die Absicht,
offizielle Vertreter der Tschechischen Republik für eine Beteiligung am
„Sichtbaren Zeichen“ zu gewinnen?

a) Welche Anstrengungen wurden bislang von der Bundesregierung unter-
nommen, um tschechische Vertreter für eine solche Beteiligung zu ge-
winnen?

b) Wie waren die bisherigen Reaktionen von tschechischer Seite auf dieses
Ansinnen?

Berlin, den 1. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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