BT-Drucksache 16/8685

Zusammenarbeit deutscher und japanischer Sicherheitsbehörden hinsichtlich des G8-Gipfels 2008

Vom 31. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8685
16. Wahlperiode 31. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Kersten Naumann und der Fraktion
DIE LINKE.

Zusammenarbeit deutscher und japanischer Sicherheitsbehörden hinsichtlich
des G8-Gipfels 2008

Innerhalb der G8-Staaten werden kritische Bewegungen, die gegen die jährlich
stattfindenden Gipfeltreffen demonstrieren, seit Jahren mit repressiven Maß-
nahmen verfolgt. Einen traurigen Höhepunkt erlebten die staatlichen Maßnah-
men mit der Erschießung eines Demonstranten in Genua im Jahr 2001 und sich
daran anschließenden Prügelorgien von Polizeikräften in der Diaz-Schule, wo-
bei Dutzende von Demonstranten zum Teil schwer verletzt worden waren. Das
G8-Treffen voriges Jahr in Heiligendamm war überschattet von einem weit-
greifenden – allerdings von den Demonstrantinnen und Demonstranten weit-
gehend missachteten – Demonstrationsverbot, zu dem sich einer der größten
Militäreinsätze im Inland seit Gründung der Bundesrepublik gesellte.

Japanische Aktivistinnen und Aktivisten befürchten nun ähnliche Entwicklun-
gen anlässlich des Gipfeltreffens, das in diesem Juli am Lake Toya auf der japa-
nischen Insel Hokkaido stattfindet. Den Fragestellern schilderten sie ihren Ein-
druck, die japanischen Sicherheitsbehörden versuchten, von der deutschen Er-
fahrung zu „lernen“. Dies gelte bereits im Vorfeld für die Versuche, Globalisie-
rungsgegner als Kriminelle, wenn nicht gar Terroristen, zu verunglimpfen, aber
auch für die mit dem Gipfel einhergehenden Sicherheits- bzw. Überwachungs-
maßnahmen. Auch in Japan solle das Militär trotz entgegenstehender Verfas-
sungslage in die anstehende innenpolitische Auseinandersetzung einbezogen
werden.

Diesen Befürchtungen verleiht der Umstand Nachdruck, dass der Präsident des
Bundeskriminalamts Jörg Ziercke zwei Monate nach Abschluss des Gipfels
in Heiligendamm nach Japan reiste, um dort mit dem Chef der National
Police Agency (NPA), Iwao Uruma, über Sicherheitsmaßnahmen zu sprechen.
Einer Agenturmeldung zufolge (http://gipfelsoli.org/Home/Hokkaido_2008/
3974.html) wurde dabei vereinbart, die Entwicklungen der globalisierungskri-
tischen Bewegungen „und anderen extremistische(n) Gruppen“ in Europa aus-
zutauschen. Dazu sollten unter anderem Vertreter der NPA und Polizeibeamte
aus der Provinz Hokkaido nach Deutschland reisen. Auch von Seiten anderer
Organisationen wird offenbar versucht, die Erfahrungen aus Heiligendamm nun

in Japan anzuwenden. So ist beispielsweise die International Permanent Obser-
vatory on Security during Major Events (IPO), ein Programm des UNICRI, an
der Planung der Sicherheitsmaßnahmen des diesjährigen G8-Gipfels beteiligt –
genauso wie im vergangenen Jahr in Heiligendamm und im Jahr zuvor in
St. Petersburg. Auch dort war der Gipfel von massiven Einschränkungen der
Versammlungsfreiheit begleitet.

Drucksache 16/8685 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Was war Gegenstand der Beratungen, die der Präsident des Bundeskrimi-
nalamts (BKA) im August 2007 mit Vertreten der japanischen Polizei
führte?

2. Welche Empfehlungen haben der BKA-Präsident oder Vertreter anderer
deutscher Sicherheitsbehörden der japanischen Seite bislang hinsichtlich
des G8-Gipfels 2008 sowie des Umgangs mit Demonstrantinnen und
Demonstranten gegeben?

3. Ist bei den Gesprächen zwischen BKA und japanischer Polizei auch über
den rund um den Tagungsort Heiligendamm errichteten Zaun gesprochen
worden, und hat der BKA-Präsident der japanischen Seite geraten, eben-
falls einen solchen Zaun zu errichten?

4. Hat der BKA-Präsident die japanische Seite darüber unterrichtet, dass Glo-
balisierungskritiker während des G8-Gipfels in Deutschland zum Teil meh-
rere Tage in Käfigen eingesperrt worden sind, und wenn ja, welche Bewer-
tung hat er damit verbunden?

5. Wie hoch ist nach Einschätzung der Bundesregierung das Interesse der
japanischen Behörden an den deutschen Erfahrungen mit weiträumigem
Versammlungsverbot, Zaun, Käfigen, Bundeswehreinsatz und anderen
Sicherheitsmaßnahmen, und was hat die Bundesregierung bislang unter-
nommen bzw. was gedenkt sie noch zu unternehmen, um dem japanischen
Interesse entgegenzukommen?

6. Hat der Präsident tatsächlich, wie in der erwähnten Agenturmeldung be-
hauptet, einen Austausch über Entwicklungen bei Globalisierungskritikern
zugesagt?

7. Hat eine der beiden Seiten bei dieser Gelegenheit tatsächlich Globalisie-
rungskritiker pauschal als „extremistische Gruppen“ bezeichnet, und wenn
ja, welche?

8. Ist gegebenenfalls bei anderen Gelegenheiten vereinbart worden, mit japa-
nischen Behörden Informationen über globalisierungskritische Organisati-
onen, Medien oder Einzelpersonen auszutauschen, und wenn ja, bei wel-
cher Gelegenheit und zwischen welchen Beteiligten?

9. Sind bislang mit japanischen Sicherheitsbehörden Informationen über glo-
balisierungskritische Organisationen, Medien oder Einzelpersonen ausge-
tauscht worden, und wenn ja, welche Behörden waren dabei sowohl auf
deutscher als auch japanischer Seite beteiligt und welche Informationen
sind ausgetauscht worden (bitte detailliert darlegen)?

a) Gab es einen Informationsaustausch im Rahmen des EU-SEC-Pro-
gramms (Coordinating National Research Programmes on Security du-
ring Major Events in Europe), und wenn ja, welcher Art?

b) Wurden im EU-SEC-Programm vorgesehene Fragebogen nach Japan
übermittelt, und wenn ja, an welche Stellen?

10. Trifft es zu, dass japanische Polizisten in Zusammenhang mit dem G8-Gip-
fel 2008 Besuche in Deutschland durchführen werden oder bereits durch-
geführt haben, und wenn ja, um wie viele Polizisten welcher Einheiten
bzw. Abteilungen handelt es sich, mit wem treffen sie sich in Deutschland,
und was genau war bzw. ist Zweck ihres Aufenthalts in Deutschland?

11. Waren weitere Mitarbeiter japanischer Sicherheitsbehörden oder gege-
benenfalls von der japanischen Regierung beauftragter Sicherheitsunter-

nehmen in Deutschland oder sind noch entsprechende Besuche beabsich-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8685

tigt, und wenn ja, um wie viele Mitarbeiter welcher Einheiten bzw.
Abteilungen handelt es sich, mit wem treffen sie sich in Deutschland, und
was genau war bzw. ist Zweck ihres Aufenthalts in Deutschland?

12. Wie häufig haben sich Mitarbeiter deutscher Sicherheitsbehörden bzw. der
Bundeswehr seit Beendigung des Gipfels 2007 in Japan aufgehalten, was
war jeweils Zweck des Aufenthalts, und welche Rolle spielte dabei der
Gipfel 2008 (bitte aufgliedern nach Datum, Anzahl und Funktion der Mit-
arbeiter sowie Agenda)?

13. Ist beabsichtigt, den japanischen Sicherheitsbehörden in Hinsicht auf den
G8-Gipfel am Lake Toya Daten aus deutschen Dateien zukommen zu las-
sen, und wenn ja, welche und auf welcher Rechtsgrundlage?

a) Sind hiervon gegebenenfalls auch Daten aus den BKA-Dateien IgaSt
(International agierende gewaltbereite Störer), G8, Limo (Verhinderung
politisch links motivierter Straftaten) oder andere betroffen?

b) Sind hiervon Daten betroffen, die im Rahmen der Akkreditierungsver-
fahren 2007 gewonnen wurden?

c) Haben japanische Behörden bislang Interesse daran signalisiert, solche
Informationen zu erhalten, und wie hat die Bundesregierung darauf
reagiert?

14. Wie viele japanische Staatsangehörige wurden in Zusammenhang mit den
G8-Protesten 2007 polizeilich registriert?

a) In welchen Dateien sind die dabei angefallenen Daten?

b) Haben japanische Behörden bislang Interesse an diesen Daten signali-
siert, und wie hat die Bundesregierung darauf reagiert?

c) Welche rechtlichen Bestimmungen gibt es für die Weitergabe dieser
Daten an japanische Behörden?

15. Haben japanische Behörden gegenüber deutschen Stellen Interesse an den
Erfahrungen mit dem Einsatz der Bundeswehr in und rund um Heiligen-
damm gezeigt, und wenn ja, wie kommen die deutschen Stellen diesem
Interesse entgegen (bitte gegebenenfalls die jeweiligen Stellen genau be-
nennen)?

16. Welche Kontakte hat es bislang zwischen Vertretern der Bundeswehr und
der japanischen Armee oder anderen japanischen Stellen gegeben, deren
Gegenstand der Bundeswehreinsatz zum Gipfel 2007 bzw. ein anstehender
Einsatz des japanischen Militärs zum Gipfel 2008 ist, oder sind solche
Kontakte noch geplant, und was ist Gegenstand der einschlägigen Beratun-
gen?

17. Ist beabsichtigt oder wird erwogen, in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
in Japan in Deutschland sogenannte Gefährderansprachen durchzuführen?

18. Ist beabsichtigt oder wird erwogen, in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
in Japan, deutschen Staatsbürgern die Pässe vorübergehend zu entziehen,
Meldeauflagen zu erteilen oder andere Maßnahmen einzuleiten, um sie an
einer allfälligen Reise nach Japan zu hindern, und wenn ja, wie viele Perso-
nen werden davon in etwa betroffen sein?

19. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über ähnliche Überlegungen
in den anderen G8-Staaten?

20. Wie viele deutsche Sicherheitsbeamte werden voraussichtlich zum G8-
Gipfel nach Japan reisen (bitte nach Behörden und Funktionen aufgliedern

und dabei auch Verbindungsbeamte berücksichtigen)?

Drucksache 16/8685 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
21. In welche in Japan eingerichteten gemeinsamen Planungs-, Lage-, Ana-
lyse-, Entscheidungs- und andere Stäbe sowie Gremien sind deutsche
Beamte bislang mit welcher Funktion eingebunden bzw. werden voraus-
sichtlich noch eingebunden?

22. Welchen Zugriff haben die vor bzw. während des Gipfels in Japan einge-
setzten deutschen Beamten auf die einschlägigen, in Frage 12 aufgeführten
Daten, und sind die Beamten befugt, der japanischen Seite diese Daten
oder Informationen über diese Daten zur Verfügung zu stellen?

23. Für wie viele deutsche Sicherheitsbeamte wird in Japan (voraussichtlich)
eine Waffentrageerlaubnis beantragt?

24. Trifft es zu, dass dem IPO anlässlich des Gipfels 2007 eine Anfrage aus
Deutschland vorlag, und wenn ja, wer hat diese Anfrage eingereicht (bitte
Wortlaut anführen oder die wesentlichen Inhalte angeben)?

25. Was war Gegenstand der Gespräche, die zwischen IPO und deutschen Stel-
len ausweislich der IPO-Homepage im März 2007 in Rostock geführt wor-
den sind, und wer war von deutscher Seite aus an diesen Gesprächen betei-
ligt?

26. Welche Bedeutung hatte das IPO für die Planung und Durchführung der
Sicherheitsmaßnahmen zum Gipfel 2007?

a) Worin genau bestand der Beitrag des IPO?

b) Wie viele Mitarbeiter des IPO waren zu welchem Zeitpunkt bei welcher
deutschen Behörde tätig?

c) Welche Kontakte gab es zwischen IPO und Bundeswehr?

d) Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die IPO-Mitarbeiter, so
sie in Stäben von Bundes- oder Polizeibehörden tätig waren, Zugang zu
Daten von Globalisierungskritikern erhielten, die sie jetzt möglicher-
weise an japanische Behörden übermitteln können?

27. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die in Japan beabsich-
tigten Einreiseverbote für Globalisierungskritikerinnen und -kritiker und
die hierzu von den japanischen Behörden entwickelten Kriterien?

28. Waren deutsche Behörden an der Entwicklung dieser Kriterien in irgend-
einer Form beteiligt, und wenn ja, wie genau?

29. Sind deutsche Nachrichtendienste in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel
2008 befasst, und wenn ja, welche Angaben kann die Bundesregierung
hierzu machen?

Berlin, den 18. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.