BT-Drucksache 16/8536

Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8536
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, Renate Künast,
Cornelia Behm, Winfried Hermann, Peter Hettlich, Ulrike Höfken, Dr. Anton
Hofreiter, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das Energiekartell aufbrechen – Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire
Energiepreise

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Auf dem deutschen Energiemarkt herrschen heute kartellartige Zustände. Die
vier großen Energiekonzerne RWE AG, E.ON AG, Vattenfall Europe und
EnBW kontrollieren fast 90 Prozent der inländischen Stromerzeugung, über 80
Prozent der Stromerzeugungskapazitäten und 100 Prozent der Übertragungs-
netze. Im Gasbereich dominiert mit der E.ON Ruhrgas AG gar nur ein einzelnes
Unternehmen den Markt. Dieses Energiekartell steht im Zentrum einiger der
zentralen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit.

Maßlose Strom- und Gaspreiserhöhungen seitens der Energiekonzerne belasten
private Haushalte und Wirtschaft und stellen ein wachsendes soziales Problem
dar. Die Macht der Konzerne und die fehlende Transparenz ihrer Preisgestaltung
fordern Verbraucherschutz und Wettbewerbskontrolle heraus. Seit dem Jahr
2000 stiegen die Strompreise der Privathaushalte im Durchschnitt um rund
50 Prozent an, die der gewerblichen Wirtschaft um circa 77 Prozent. Gleichzei-
tig wuchsen die Gewinne des Energiekartells von 6 Mrd. Euro auf einen Rekord-
wert von 18 Mrd. Euro an, während die Investitionen in den Netzausbau zurück-
gingen.

Mit ihrem Geschäftsmodell, das auf dem Verkauf von möglichst viel Strom aus
fossilen und atomaren Großkraftwerken beruht, stehen die Energiekonzerne der
notwendigen Energiewende hin zu einer klimafreundlichen und dezentralen
Energieversorgung im Weg, die auf Energieeinsparung, Effizienz und erneuer-
bare Energien setzt. Mit Investitionen in zahlreiche neue Kohlekraftwerke und
dem Festhalten an der Atomenergie zementieren die Konzerne eine schmutzige
und gefährliche Energieversorgung.

Und die Lobbymacht der Energiekonzerne mit ihrer engen persönlichen und
finanziellen Verflechtung zur Politik gibt den Energiekonzernen einen unan-

gemessenen Einfluss auf den demokratischen Prozess. Sie untergräbt das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger in die Gemeinwohlorientierung politischer
Entscheidungen und schadet so dem Ansehen von Parteien und Politik.

Deshalb bedarf es einer neuen Politik, die das bestehende Energiekartell auf-
bricht, die Macht der Energielobby zurückdrängt, Wettbewerb und faire Ener-
giepreise durchsetzt und Klimaschutz und Energiewende entschieden voran-
treibt.

Drucksache 16/8536 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

zur Schaffung echten Wettbewerbs auf den Energiemärkten

– ihren Widerstand gegen die Umsetzung der verpflichtenden eigentumsrecht-
lichen Entflechtung innerhalb der EU unverzüglich aufzugeben,

– die Kommission bei der Erstellung der entsprechenden Richtlinie zu unter-
stützen,

– den Energieversorgern das Eigentum an den Transportnetzen für Strom und
Gas zu entziehen und eine vollständige eigentumsrechtliche Entflechtung zu
verwirklichen,

– ein Konzept zu erarbeiten, in dem festgelegt wird, wer in Zukunft zu welchen
Bedingungen Transportnetze in Deutschland betreiben darf und welche Un-
ternehmen zukünftig davon ausgeschlossen werden, um einen diskriminie-
rungsfreien Netzzugang zu gewährleisten,

– Maßnahmen zur horizontalen Entflechtung von Unternehmen voranzutrei-
ben, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben, z. B. durch eine Zer-
gliederung der Unternehmen oder durch eine Verpflichtung zur Veräußerung
von Kraftwerkskapazitäten;

zur Durchsetzung fairer Energiepreise

– Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur bei einem aggressiven Vorgehen
gegen Preismissbrauch seitens der Energiekonzerne und Netzbetreiber kon-
sequent zu unterstützen,

– auf eine 100-prozentige Versteigerung der Emissionshandelszertifikate für
die Energiewirtschaft mit Beginn der dritten Phase des Emissionshandels zu
dringen,

– die ungerechtfertigten Gewinne, die den Energiekonzernen durch die Ein-
preisung kostenlos zugeteilter Zertifikate in der zweiten Handelsphase bis
2012 entstehen, wirkungsvoll abzuschöpfen und sie zum Teil Programmen
zur Energieeinsparung und Energieeffizienz zuzuführen,

– mehr Transparenz in der Berichterstattung der Energiekonzerne durchzuset-
zen durch eine Pflicht zur Untergliederung der Konzernergebnisse nach Spar-
ten (Strom, Gas etc.) und durch eine Verpflichtung zur jährlichen Unterrich-
tung der Kunden über die Kostenentwicklung, Investitionen und Unterneh-
mensgewinne;

zur Verhinderung von Energiearmut

– Energieeinspar- und Effizienzprogramme sowie Programme zur Umstellung
auf erneuerbare Energien zu konzipieren und umzusetzen, die gezielt ein-
kommensschwachen Haushalten und insbesondere dem Bereich des Miet-
wohnungsbaus zugute kommen,

– die Erhöhung des Regelsatzes des Arbeitslosengeldes II auf 420 Euro im Mo-
nat und seine regelmäßige Anpassung an die Steigerung der Lebenshaltungs-
kosten durchzusetzen,

– einen armutsfesten gesetzlichen Mindestlohn einzuführen als allgemeine
Lohnuntergrenze, die weitergehende branchen- und regionalspezifische Lö-
sungen zulässt;

zur Einschränkung der Lobbymacht der Energiekonzerne

– das Lobbyistenregister transparenter zu machen und zu einem wirksamen
Kontrollinstrument auszubauen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8536

– die Beendigung der Beschäftigung von Unternehmensvertretern in Ministe-
rien, die zu Interessenkollisionen führt, und Schaffung einer entsprechenden
Transparenzregelung,

– verbindliche Regeln für die Anstellung ehemaliger Regierungsmitglieder in
Unternehmen, die in einem fachlichen Zusammenhang zu ihrer Regierungs-
tätigkeit stehen, zu schaffen,

– Spenden von Wirtschaftsunternehmen und Verbänden an politische Parteien
gesetzlich zu begrenzen und entschieden gegen Korruption vorzugehen;

zur Stärkung der Verbraucherinnen und Verbraucher auf den Energiemärkten

– die Einführung von Sammelklagen ins deutsche Recht voranzutreiben, um
Energieverbrauchern die gemeinsame Rechtsdurchsetzung z. B. gegen unge-
rechtfertigte Energiepreiserhöhungen zu erleichtern,

– nach britischem Vorbild einen in die deutsche Verbraucherschutzlandschaft
eingepassten „Consumer Watchdog“ für den Energiebereich zu schaffen und
mit weitreichenden Klage- und Initiativrechten auszustatten,

– die Europäische Charta der Verbraucherrechte auf dem Energiemarkt unver-
züglich und ohne Einschränkungen umzusetzen.

Berlin, den 12. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die marktbeherrschende Stellung der großen Energiekonzerne beruht wesent-
lich auf ihrer Kontrolle über die Stromübertragungs- und Gasnetze. Deshalb ist
eine eigentumsrechtliche Trennung von Transportnetzen einerseits und Stromer-
zeugung bzw. Gasbeschaffung andererseits eine notwendige Voraussetzung für
mehr Wettbewerb auf den Energiemärkten. Die auf eine volle eigentumsrecht-
liche Entflechtung abzielenden Pläne der EU-Kommission verdienen Unterstüt-
zung. Durch ihren anhaltenden Widerstand leistet die Bundesregierung dem
Wettbewerb und den Energieverbrauchern/-verbraucherinnen einen schlechten
Dienst. Mit der Ankündigung der E.ON AG, ihre Transportnetze verkaufen zu
wollen, ist die deutsche Blockadehaltung gegen die Trennung von Netz und Pro-
duktion vollkommen desavouiert.

Statt sich weiter an die alten Strukturen zu klammern, muss die Bundesregierung
jetzt die Voraussetzungen schaffen, eine Entflechtung erfolgreich durchführen
zu können. Es muss sichergestellt werden, dass nach der Entflechtung die not-
wendige öffentliche Kontrolle über die Netze, ein fairer Marktzugang für neue
Anbieter, faire Preise für die Netznutzung sowie ausreichende Investitionen in
die Netzinfrastruktur zur Sicherstellung der Energieversorgung und zur Integra-
tion erneuerbarer Energien gewährleistet sind.

Auch nach einer Abtrennung der Netze würde der Markt weiter von den vier
Energieriesen dominiert, weil sie über mehr als 80 Prozent der Kraftwerks-
kapazitäten verfügen. Echter Wettbewerb setzt deshalb eine weitergehende Ent-
flechtung der Stromkonzerne voraus. Als Vorbild können dabei die Vereinigten
Staaten dienen, die schon lange kartellrechtliche Verfahren kennen, um markt-
beherrschende Unternehmen zu zergliedern. Auch der Vorschlag, die Konzerne

gesetzlich zur Abgabe von Kraftwerken zu zwingen, würde die notwendige
horizontale Entflechtung der Konzerne des Energiekartells voranbringen.

Drucksache 16/8536 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die zunehmende Knappheit der fossilen Rohstoffe Öl, Gas und Kohle wird die
Preise für fossil gewonnene Energie in Zukunft weiter in die Höhe treiben.
Umso wichtiger ist es, die Preistreiberei zu beenden, durch die Energiekonzerne
ungerechtfertigte Extragewinne einstreichen. Besonders bemerkenswert ist da-
bei der Preisaufschlag, den die Energiekonzerne den Verbrauchern für Emis-
sionszertifikate berechnen, die die E.ON AG, die RWE AG und Co. selbst kei-
nen Cent gekostet haben. Für die erste Phase des Emissionshandels in den Jahren
2005 bis 2008 wurden diese Zertifikate den Unternehmen kostenlos zugeteilt.
Ihren Kunden berechneten die Konzerne die Zertifikate hingegen zum Börsen-
preis und strichen so bis zu 5 Mrd. Euro im Jahr an Zusatzprofiten ein. In der bis
2012 laufenden zweiten Handelsphase könnte diese unverdiente Gewinnmit-
nahme sogar bis zu 9 Mrd. Euro betragen. Dieser ungerechtfertigten Bereiche-
rung muss durch eine vollständige Versteigerung der Emissionshandelszertifikate
und die Abschöpfung der unverdienten Gewinne begegnet werden. Faire Ener-
giepreise setzen außerdem ein erhöhtes Maß an Transparenz der Preisfindung
und Preisgestaltung voraus. Die Energiekonzerne müssen sich der öffentlichen
Diskussion über ihre Preiserhöhungen, Profite und Investitionen stellen und be-
lastbare Zahlen dazu auf den Tisch legen.

Die explodierenden Energiepreise stellen ein wachsendes soziales Problem dar.
Immer mehr Haushalten werden Strom oder Gas abgestellt, weil sie ihre Ener-
gierechnung nicht mehr bezahlen können. Die Stromkosten sind seit 2000 unge-
fähr vier- bis fünfmal so stark gestiegen wie die Einkommen von Arbeitern und
Angestellten. Und für die Empfänger/Empfängerinnen von Hartz-IV-Leistungen
gibt es immer noch keine regelmäßigen Anpassungen an steigende Strom- und
Lebenshaltungskosten.

Der Kampf gegen Energiearmut muss bei gerechten Löhnen und einer armuts-
festen sozialen Grundsicherung ansetzen. Außerdem gilt es, Energiespar- und
Energieeffizienzprogramme so auszurichten, dass sie gezielt einkommens-
schwachen Haushalten zugute kommen. Sozialtarife für Strom und Gas sind
hingegen kein probates Mittel gegen Energiearmut. Sozialtarife stempeln die
Betroffenen zu Kunden zweiter Klasse ab und lassen andere Kostenbelastungen,
unter denen einkommensschwache Haushalte leiden, wie zum Beispiel stei-
gende Lebensmittelpreise, unberücksichtigt. Außerdem entlassen sie den Staat
zu Unrecht aus der Verantwortung, Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II
regelmäßig an die steigenden Lebenshaltungskosten anzupassen.

Die Energielobby gehört zu den mächtigsten und am besten vernetzten der Bun-
desrepublik Deutschland. In wichtigen Ministerien haben die Energiekonzerne
zum Teil eigene Mitarbeiter platziert. So waren nach Auskunft der Bundesregie-
rung im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und im Auswär-
tigen Amt ganz offiziell Mitarbeiter beschäftigt, die auf der Gehaltsliste von
Energieunternehmen wie E.ON AG, der RWE AG-Tochter Thyssengas oder
OAO-Gazprom-Tochter Wingas GmbH stehen. Umgekehrt finden ehemalige
Spitzenpolitiker nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt immer wieder lukrative
Jobs in der Energiewirtschaft. Prominente Beispiele wie die ehemaligen Bun-
desminister Werner Müller (RAG AG) und Wolfgang Clement (RWE AG) sind
nur die Spitze des Eisbergs dieser Form von „Versorgungswirtschaft“. Und auch
die Parteien profitieren von der Großzügigkeit der Energiekonzerne: Im Wahl-
jahr 2005 und im Jahr 2006 spendete allein die E.ON AG mindestens 550 000
Euro an die Parteien der großen Koalition. Um das Vertrauen der Bürgerinnen
und Bürger in die Unabhängigkeit und Gemeinwohlorientierung der Politik zu
bewahren, gilt es, diese Lobbybeziehungen offenzulegen und durch geeignete
Regelungen einzuschränken sowie Korruption in der Energiewirtschaft ent-
schieden zu verfolgen.
Die Macht der Energiekonzerne stößt in der Bevölkerung auf immer mehr Ab-
lehnung und Widerstand. An allen geplanten Kohlekraftwerksstandorten organi-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8536

sieren sich vor Ort Bürgerinnen und Bürger zum Protest. Und ungerechtfertigte
Preiserhöhungen werden immer seltener klaglos hingenommen. Hunderttau-
sende Gas- und Stromverbraucher/-verbraucherinnen wehren sich vor Gericht
gegen den Preismissbrauch.

In dieser Situation muss es Aufgabe einer modernen Verbraucherpolitik sein, die
Verbraucherrechte auf dem Energiemarkt zu stärken, wie es mit der Europäischen
Charta der Rechte der Energieversorger bezweckt ist. In Auseinandersetzungen
um ungerechtfertigte Preiserhöhungen, bei denen Tausende Verbraucherinnen
und Verbraucher in gleicher Weise betroffen sind, können außerdem Sammelkla-
gen ein wirksames Instrument sein, um effizienten und zeitnahen Verbraucher-
rechtsschutz zu ermöglichen. Das Gleiche gilt für das britische Modell der
„Consumer Watchdogs“ zur Stärkung der Verbraucherinteressen auf den Ener-
giemärkten.

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