BT-Drucksache 16/8444

zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -16/7751- Gegen Armut trotz Arbeit - Strategie zur Stärkung geringer Einkommen

Vom 6. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8444
16. Wahlperiode 06. 03. 2008

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/7751 –

Gegen Armut trotz Arbeit – Strategie zur Stärkung geringer Einkommen

A. Problem

Nach Ansicht der Antragsteller ist für immer mehr Menschen „Armut trotz Ar-
beit“ gesellschaftliche Wirklichkeit. Dies belegen zum einen der kontinuierliche
Anstieg der Zahl derjenigen, die staatliche Leistungen beziehen, obwohl sie er-
werbstätig sind, und zum anderen die Ausweitung des Niedriglohnsektors.

B. Lösung

Die Bundesregierung soll aufgefordert werden folgende Gesamtstrategie umzu-
setzen, mit der der zunehmenden Armut erwerbstätiger Menschen entgegenge-
wirkt wird:

1. Entlastung von Geringverdienerinnen und -verdienern durch gezielte Sen-
kung der Lohnnebenkosten

2. Mindestlöhne für alle Branchen einführen

a) Die unverzügliche Einrichtung einer Mindestlohn-Kommission nach dem
Vorbild von Großbritannien, die unter Beteiligung von Sozialpartnern und
Wissenschaft Empfehlungen für die Höhe von Mindestlöhnen erarbeitet.

b) Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz muss in Stufen bis spätestens Ende
April 2009 auf alle Branchen ausgeweitet werden.

c) Das Tarifvertragsgesetz muss schnellstens so reformiert werden, dass
branchenintern vereinbarte Mindestlöhne leichter für allgemeinverbind-
lich erklärt werden können und die Spitzenverbände das Verfahren nicht

mehr im Tarifausschuss blockieren können.

3. Existenzsicherung für Kinder verbessern

4. Reform des Wohngeldes

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE.

Drucksache 16/8444 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

C. Alternativen

Annahme des Antrags auf Drucksache 16/7751.

D. Kosten

Kostenüberlegungen wurden nicht angestellt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8444

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/7751 abzulehnen.

Berlin, den 3. März 2008

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales

Gerald Weiß (Groß-Gerau) Rolf Stöckel
Vorsitzender Berichterstatter

versicherung kontinuierlich von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent

Die Bundesregierung soll aufgefordert werden folgende Ge-
samtstrategie umzusetzen, mit der der zunehmenden Armut
erwerbstätiger Menschen entgegengewirkt wird:

gesenkt worden. Das Bemühen im Antrag um eine sachge-
rechte Lösung sei zwar sichtbar, aus den inhaltlichen Grün-
den könne die Fraktion aber dennoch nicht zustimmen.
Drucksache 16/8444 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht des Abgeordneten Rolf Stöckel

I. Verfahren
1. Überweisungen

Der Antrag auf Drucksache 16/7751 ist in der 139. Sitzung
des Deutschen Bundestages am 24. Januar 2008 an den Aus-
schuss für Arbeit und Soziales zur federführenden Beratung
und an den Haushaltsausschuss, den Ausschuss für Wirt-
schaft und Technologie, den Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend sowie den Ausschuss für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung zur Mitberatung überwiesen wor-
den.

2. Voten der mitberatenden Ausschüsse

Der Haushaltsausschuss hat in seiner Sitzung am 13. Feb-
ruar 2008 mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE
LINKE. beschlossen, die Ablehnung des Antrages zu emp-
fehlen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie, der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und der
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung haben
in ihren Sitzungen am 20. Februar 2008 mit den Stimmen der
Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stim-
men der Fraktion der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei
Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. beschlossen, die
Ablehnung des Antrages zu empfehlen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Nach Ansicht der Antragsteller ist für immer mehr Men-
schen „Armut trotz Arbeit“ gesellschaftliche Wirklichkeit.
Dies belege der kontinuierliche Anstieg der Zahl derjenigen,
die staatliche Leistungen beziehen, obwohl sie erwerbstätig
sind. Aktuell bekämen 1,26 Millionen Menschen ergänzen-
des Arbeitslosengeld II (ALG II), darunter 556 000 sozial-
versicherungspflichtig Beschäftigte. Ein weiterer Beleg sei
die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Eine Untersuchung
des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB)
verzeichne einen steten Anstieg der Zahl der abhängig Voll-
zeitbeschäftigten unterhalb der Niedriglohnschwelle: 1995
seien es 15,3 Prozent, 2003 schon 18,3 Prozent gewesen.
Diese Entwicklung hält ungebrochen an. Entscheidend für
die Bedürftigkeit von Erwerbstätigen sei neben der Höhe des
Erwerbseinkommens und der Frage des Beschäftigungsum-
fangs auch die jeweilige familiäre Situation. Alleinerziehen-
de und insbesondere Paare mit mehreren Kindern seien über-
durchschnittlich oft und überdurchschnittlich lange von
Transferzahlungen abhängig. Ursächlich dafür seien höhere
Lebenshaltungskosten, die durch ein einziges Einkommen
oder die Kombination von Vollzeit- und geringfügiger Tätig-
keit nicht gedeckt werden könnten.

2. Mindestlöhne für alle Branchen einführen

a) Die unverzügliche Einrichtung einer Mindestlohn-
Kommission nach dem Vorbild von Großbritannien,
die unter Beteiligung von Sozialpartnern und Wissen-
schaft Empfehlungen für die Höhe von Mindestlöh-
nen erarbeitet.

b) Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz muss in Stufen bis
spätestens Ende April 2009 auf alle Branchen ausge-
weitet werden.

c) Das Tarifvertragsgesetz muss schnellstens so refor-
miert werden, dass branchenintern vereinbarte Min-
destlöhne leichter für allgemeinverbindlich erklärt
werden können und die Spitzenverbände das Verfah-
ren nicht mehr im Tarifausschuss blockieren können.

3. Existenzsicherung für Kinder verbessern

4. Reform des Wohngeldes

III. Beratung und Abstimmungsergebnis
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales hat den Antrag auf
Drucksache 16/7751 in seiner 78. Sitzung am 20. Februar
2008 abschließend beraten.

Mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und
FDP gegen die Stimmen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN bei Stimmenhaltung der Fraktion DIE LINKE.
wurde beschlossen, die Ablehnung des Antrags auf Druck-
sache 16/7751 zu empfehlen.

Die Mitglieder der Fraktion der CDU/CSU wiesen darauf
hin, dass unter der Zahl der Aufstocker eine hohe Zahl sol-
cher Personen zu finden sei, die nur vorübergehend in dieser
Empfängersituation sind. Untersuchungen würden zeigen,
dass bereits nach 65 Tagen nur noch die Hälfte Leistungen
nach dem SGB II beziehen. In Deutschland falle dank der
Grundsicherung auch niemand ins Bodenlose. Arbeitslosen-
geld II mache nicht arm, sondern bewahre vor absoluter Ar-
mut. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Grundsicherung
zu einem Schimpfwort geworden sei, obgleich die Menschen
Geld, von Steuerzahlern erarbeitet und eingezahlt, und ge-
mäß den gesetzlichen Grundlagen Hilfe erhalten, um aus der
Arbeitslosigkeit herauszukommen. Die Tarifpartner sollten
untereinander die Löhne aushandeln. Der Staat habe hier
nicht einzugreifen. Die Tarifautonomie sei ein Pfeiler der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Staates
und müsse dies auch in Zukunft bleiben. Selbst bei den Ge-
werkschaften sei die Einführung eines gesetzlichen Mindest-
lohns umstritten. Die in dem Antrag geforderte Senkung von
Lohnnebenkosten habe die Koalition der CDU/CSU und
SPD bereits umgesetzt. So sei der Beitrag zur Arbeitslosen-
1. Entlastung von Geringverdienerinnen und -verdienern
durch gezielte Senkung der Lohnnebenkosten

Die Mitglieder der Fraktion der SPD begrüßten die mit dem
Antrag verfolgten Zielsetzungen, kritisierten jedoch, dass

Berichterstatter
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8444

die konkrete Ausgestaltung der Konzepte zu wünschen übrig
lasse. Hier wäre mehr Sorgfalt wünschenswert gewesen. Es
fehle an einem abgestimmten Konzept, Berechnungsgrund-
lagen und Kostenabschätzungen fehlten. Die in dem Antrag
vertretene Ansicht, es gebe keine staatlichen Interventionen
oder Strategien gegen Verarmung trotz Arbeit, teile man
nicht. Ohne die sozialen Sicherungssysteme würde die Zahl
der Bevölkerung, die unter der Bedarfsgrenze leben, nicht
wie derzeit bei 13 Prozent, sondern vermutlich bei 40 Pro-
zent liegen. Auch arbeite man an tragfähigen Lösungen für
den Bereich der Mindestlöhne, um Lohndumping einen Rie-
gel vorzuschieben. Im Wohngeld und beim Kinderzuschlag
seien konkrete Verbesserungen in Vorbereitung. Der Antrag
komme hier zu spät. Man lehne den Antrag ab.

Die Mitglieder der Fraktion der FDP finden, dass der vor-
gelegte Antrag viele richtige Feststellungen enthält. Leider
würden aus den meisten Erkenntnissen aber die falschen
Schlüsse gezogen. Eine Progression der Sozialversiche-
rungsbeiträge könne nicht standhalten, da den Sozialver-
sicherungen Beiträge in erheblicher Höhe entzogen würden
und der Arbeitsmarkt segmentiert werde. Lohnnebenkosten
müssten für alle gesenkt werden und nicht nur für wenige.
Die Einführung eines Mindestlohnes lehne man grundsätz-
lich ab, da ein zu hoch angesetzter Mindestlohn Arbeits-
plätze vernichte und die Schwarzarbeit stärke, ein zu niedrig

angesetzter Mindestlohn hingegen sei wirkungslos. Im Übri-
gen bezweifle man, dass allein eine Ausweitung des Kinder-
zuschlags auf mehr Anspruchsberechtigte die Lösung sei, da
man nicht sicherstellen könne, dass die Förderung auf jeden
Fall beim Kind ankäme und zu dessen Wohle verwandt
würde.

Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. betonten, dass
der Antrag ein drängendes soziales Problem aufgreife. Man
stimme den Punkten 2 bis 4 zu, verlange aber bei der For-
derung Mindestlohn die Benennung einer Größenordnung.
Das angestrebte „Progressiv-Modell“ unterstütze man hin-
gegen nicht. Dieses „Modell“ sei kein sinnvoller Beitrag
gegen Armut trotz Arbeit. Es subventioniere mit der Befrei-
ung oder Reduktion der Sozialversicherungsbeiträge die
Arbeitgeber auf Kosten der Allgemeinheit. Man enthalte
sich daher.

Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sahen durchaus Handlungsbedarf, auch wenn der Anteil der
Bevölkerung, der unter der Bedarfsgrenze lebe, lediglich
einen Anteil von 13 Prozent ausmache. Eine vorherige Pro-
gnose, wie viele Menschen von dem vorgebrachten Modell
erfasst würden, sei aufgrund der Abhängigkeit der in den
Branchen vereinbarten einzelnen Mindestlöhne nicht mög-
lich.

Berlin, den 3. März 2008

Rolf Stöckel

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