BT-Drucksache 16/8380

Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessern - Weiterbildung und Qualifizierung ausbauen und stärken

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8380
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Marcus Weinberg, Michael
Kretschmer, Katherina Reiche (Potsdam), Dorothee Bär, Ingrid Fischbach, Axel
E. Fischer (Karlsruhe-Land), Eberhard Gienger, Monika Grütters, Ernst Hinsken,
Anette Hübinger, Hartmut Koschyk, Carsten Müller (Braunschweig) Dr. Norbert
Röttgen, Anita Schäfer (Saalstadt), Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ulla Burchardt, Willi Brase,
Jörg Tauss, Dieter Grasedieck, Klaus Hagemann, Christel Humme, Dr. Uwe
Küster, Lothar Mark, Gesine Multhaupt, Thomas Oppermann, René Röspel,
Renate Schmidt (Nürnberg), Heinz Schmitt (Landau), Swen Schulz (Spandau),
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen verbessern –
Weiterbildung und Qualifizierung ausbauen und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland ist eine Wissensgesellschaft, die vom hohen Qualifikationsniveau
und der Kreativität ihrer Menschen lebt. Bildung und lebenslanges Lernen sind
zentrale Voraussetzungen, damit Deutschland innovativ und wettbewerbsfähig
bleibt. Angesichts des technologischen und gesellschaftlichen Wandels in einer
globalisierten Welt müssen Wissen und Kompetenzen permanent erweitert und
aktualisiert werden. Arbeitnehmer, die sich kontinuierlich weiterbilden, ver-
bessern nicht nur ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, sie sichern auch ihre Be-
schäftigungsfähigkeit und steigern ihre Aufstiegs- und Einkommenschancen.
Insofern ist Weiterbildungsförderung auch Alterssicherung. Je höher die Be-
schäftigungschancen, umso solider ist die Alterssicherung.

Weiterbildung schafft Innovationen. Deutschland kann mit Recht als Ideen-
schmiede Europas bezeichnet werden. Kein anderes Land in der EU hat so viele
Patentanmeldungen. Auch für die Unternehmen gilt: Bildung bringt die meisten
Zinsen. Für die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Wirt-
schaft wird in Zukunft viel davon abhängen, ob es gelingt, die Qualifikation der
Fachkräfte in unserem Land an die ständig wachsenden Anforderungen anzu-

passen. Schon heute gibt es in einigen Branchen einen Mangel an Fachkräften.
Dieser wird sich in Zukunft aufgrund des demografischen Wandels weiter ver-
schärfen und immer mehr Branchen betreffen. Umso mehr gilt es, die Beschäf-
tigungsfähigkeit der Menschen bis ins Alter zu erhalten.

Trotz dieser Erkenntnis stagniert die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland.
Nach den neusten Daten der Studie „Berichtssystem Weiterbildung/Adult Edu-
cation Survey 2007“ (BSW/AES) des Bundesministeriums für Bildung und

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Forschung (BMBF) konnte im Jahr 2006 der rückläufige Trend gestoppt wer-
den. Die Teilnahmequote der 19- bis 64-Jährigen an formalisierten beruflichen
Weiterbildungsmaßnahmen in Form von Lehrgängen und Kursen blieb mit
26 Prozent auf demselben Wert wie 2003. Die Teilnahmequote an formalisier-
ten Maßnahmen der allgemeinen und beruflichen Weiterbildung stieg leicht
von 41 Prozent (2003) auf 43 Prozent (2006). Weiterhin bilden sich sozial und
beruflich benachteiligte Bevölkerungsgruppen und ältere Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland unterdurchschnittlich oft weiter. Wir dürfen
uns deshalb nicht mit der leichten Verbesserung zufriedengeben. Es muss wei-
terhin unser Ziel sein, besonders die Weiterbildungsbeteiligung Geringqualifi-
zierter und Älterer erheblich zu erhöhen. Im Hinblick auf den steigenden Be-
darf an Hochqualifizierten sind aber auch die Potentiale arbeitsloser Fachkräfte
mit Hochschulabschluss zu entwickeln und zu fördern.

Die berufliche Weiterbildung muss prinzipiell durch einen Finanzierungsmix
organisiert und vor allem durch die angemessene Beteiligung der öffentlichen
Haushalte und der Arbeitgeber sichergestellt werden. Aber auch eine ent-
sprechende Beteiligung der Arbeitnehmer ist erforderlich. Dies wird auch von
einer breiten Mehrheit der Experten als notwendig erachtet, wie von der in der
vorherigen Legislaturperiode tätigen unabhängigen Expertenkommission „Fi-
nanzierung Lebenslangen Lernens“ unter Leitung von Prof. Dr. Dieter
Timmermann, die ein umfassendes Gesamtgutachten erstellt hat, sowie von den
von der Bundesregierung beauftragten Gutachtern Prof. Bert Rürup/Annabell
Kohlmeier und Dieter Dohmen/Vera de Hesselle/Klemens Himpele, die die Ent-
wicklung eines umsetzungsfähigen Modells zur Finanzierung der individuellen
beruflichen Weiterbildung untersucht haben.

Das geplante Finanzierungsinstrument der „Bildungsprämie“ beinhaltet mit der
Weiterbildungsprämie einen finanziellen Zuschuss, der bis zu 50 Prozent der
Teilnehmerbeiträge der Weiterbildungskurse betragen kann. Die Weiter-
bildungsprämie soll durch eine Erweiterung des Vermögensbildungsgesetzes
zur Finanzierung der Weiterbildung und den Weiterbildungskredit, analog zu
den Studienkrediten, ergänzt werden.

Die Absicherung tariflicher und betrieblicher Zeitguthaben, die zur Qualifizie-
rung eingesetzt werden können, und die Verbesserung der Maßnahmen der
beruflichen Weiterbildung, die über die Bundesagentur für Arbeit bzw. die
ARGEn etc. nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und SGB II
veranlasst und angeboten werden, bilden weitere aktuelle Handlungsfelder für
die schrittweise Ausdehnung und Optimierung der beruflichen Weiterbildung
im Gesamtkonzept des lebenslangen Lernens.

Neben diesen konkreten Einzelmaßnahmen muss das Bewusstsein der Bevölke-
rung für lebenslanges Lernen insgesamt geschärft werden. Weiterbildung muss
ein fester und selbstverständlicher Bestandteil der eigenen Lebensbiographie
werden.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:

– die Vorlage der Empfehlungen des „Innovationskreises Weiterbildung“ beim
BMBF zur Stärkung der Weiterbildung sowie die „Qualifizierungsinitia-
tive“, mit der die Bundesregierung und die Länder gegen den drohenden
Fachkräftemangel aktiv werden wollen;

– dass die Kultusministerkonferenz die Initiative der Bundesministerin für
Bildung und Forschung zur Halbierung der Anzahl von Schulabgängern
ohne Schulabschluss aufgreift, um durch die Maßnahmen des angekündig-
ten gemeinsamen Handlungsrahmens von Bund und Ländern mit einer
abgestimmten „Bund-Länder-Offensive für den Bildungsaufstieg“ in den

nächsten fünf Jahren die Ausbildungsreife und Anschlussfähigkeit dieser

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Schülerinnen und Schüler zu stärken sowie die Zahl der Abbrecher deutlich
zu reduzieren und die der Ausbildungsabbrecher zu senken;

– dass Bund und Länder gemeinsam mit allen relevanten Akteuren mit der Er-
arbeitung eines bildungsbereichsübergreifenden Deutschen Qualifikations-
rahmens (DQR) begonnen haben, der den unter deutscher EU-Präsident-
schaft vorangebrachten Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) national
umsetzen soll;

– dass die Bundesregierung gemäß den Vereinbarungen des Koalitionsver-
trages zwischen CDU, CSU und SPD beschlossen hat, zur Erhöhung der
Weiterbildungsbeteiligung mit der „Bildungsprämie“ ein neues Finanzie-
rungsinstrument einzuführen, das die drei Komponenten Weiterbildungsprä-
mie, vorzeitige Entnahmemöglichkeit aus Guthaben nach dem Vermögens-
bildungsgesetz und die Möglichkeit von Weiterbildungskrediten umfasst;

– dass die Weiterbildungsaktivitäten der Bundesagentur für Arbeit seit 2006
wieder zugenommen haben (2005 rd. 130 000, 2006 rd. 247 000, 2007 rd.
338 000 geförderte Eintritte in die berufliche Weiterbildung) und vor allem
Programme zum Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen sowie zur
Beschäftigungsfähigkeit von älteren Arbeitnehmern ab 45 Jahren wieder
verstärkt aufgelegt werden (z. B. WeGebAU – Weiterbildung Geringqualifi-
zierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen);

– dass die Bundesagentur für Arbeit die Effektivität ihrer Maßnahmen zur
beruflichen Weiterbildung verbessert hat, indem die Vorgabe einer Ver-
bleibsprognose von 70 Prozent als Voraussetzung für die Ausgabe von
Bildungsgutscheinen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) seit 2005
nicht mehr besteht, indem bei der Vergabepraxis der BA die Qualität jetzt
wieder eine größere Rolle spielt als der Preis und indem durch mehrjährige
Verträge mit Weiterbildungsanbietern mit der Option auf Verlängerung die
Planungssicherheit bei den Anbietern gewachsen ist.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Weiterbildung als tragenden Teil des Bildungssystems zu etablieren und
zu prüfen, ob sie mit bundeseinheitlichen Rahmenbedingungen systema-
tischer gefördert werden kann. Die Länder haben weiterhin die Gesetz-
gebungskompetenz über ihre eigenen Bildungsurlaubsgesetze;

– ein nationales Weiterbildungsziel zu setzen, nach dem bis 2015 eine Weiter-
bildungsbeteiligung der Erwerbsbevölkerung (25 bis 64 Jahre) von 50 Pro-
zent in der formalisierten Weiterbildung (Kurse, Seminare etc.) und 80 Pro-
zent in allen Lernformen (inkl. informellen Lernens) gemäß der EU-weiten
Erhebung „Adult Education Survey“ (AES), in die das nationale „Berichts-
system Weiterbildung“ integriert wird, angestrebt wird. Insbesondere die
Beteiligung von Geringqualifizierten an allen Formen der Weiterbildung ist
bei dieser Zielsetzung deutlich zu erhöhen;

– den Ländern, Sozialpartnern und weiteren verantwortlichen Akteuren eine
neue Weiterbildungsallianz anzubieten, um durch gemeinsame Strategien
sowie regionale und lokale Vernetzung eine stärkere Förderung der Weiter-
bildung zu bewirken;

– eine bundesweite Weiterbildungskampagne zu starten, um den Menschen
die wachsende Bedeutung des lebenslangen Lernens bewusster zu machen;

– die Weiterbildungsforschung zu stärken und darauf hinzuwirken, dass in
einem der nächsten Nationalen Bildungsberichte das lebenslange Lernen
und die Förderung der Weiterbildung einen Schwerpunkt bilden;

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– in ihrem Konzept zum Ausbau und zur Stärkung der Weiterbildung die
Empfehlungen der Expertenkommission „Finanzierung Lebenslanges Ler-
nen“ unter besonderer Würdigung der Chancengleichheit entsprechend zu
berücksichtigen;

– das Aktionsprogramm „Lebensbegleitendes Lernen für alle“ und vor allem
das Bundesprogramm „Lernende Regionen – Förderung von Netzwerken“
zu evaluieren und die erfolgreichen Ansätze regionaler Bildungsnetzwerke
entsprechend fortzuführen, wie dies im Rahmen der Initiative „Lernen vor
Ort“ vorgesehen ist;

– in der Projektförderung im Bereich der Weiterbildung einen Schwerpunkt
auf die Förderung Geringqualifizierter und Benachteiligter zu setzen, um
Wege und Formen zu ermitteln, wie die Weiterbildungsbeteiligung dieser
Bevölkerungsgruppe gesteigert werden kann;

– die Förderinitiative „Forschung und Entwicklung zur Alphabetisierung/
Grundbildung Erwachsener“ weiterzuführen, um die Voraussetzungen für
eine grundlegende Modernisierung der Alphabetisierungsarbeit in Deutsch-
land zu schaffen. Hierbei müssen die für die Finanzierung von Kursen zu-
ständigen Länder und Kommunen sowie die Volkshochschulen als regionale
Träger der Weiterbildung einbezogen werden;

– darauf hinzuwirken, dass die BA die ihr zur Verfügung stehenden Mittel
stärker für Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung einsetzt;

– darauf hinzuwirken, dass die BA die Weiterbildungsmaßnahmen für den
Berechtigtenkreis des SGB II im Rahmen des Eingliederungstitels verstärkt;

– darauf hinzuwirken, dass die BA für ihre Programme der beruflichen
Weiterbildung und vor allem für die Programme zur Erhöhung der
Beschäftigungsfähigkeit Geringqualifizierter, auch mit der Option zum
nachträglichen Erwerb eines Berufsabschlusses, und älterer Arbeitnehmer
(z. B. WeGebAU, Jobrotation etc.) mehr wirbt mit dem Ziel, dass sie sowohl
von den Betroffenen als auch von den Betrieben mehr angenommen und
abgerufen werden;

– Berufliche Aus- und Fortbildung stärker miteinander zu verknüpfen, z. B.
durch Zusatzqualifikationen während der Berufsausbildung oder die An-
schlussfähigkeit bestehender Ausbildungsordnungen an berufliche Fort-
bildungen;

– auf die Unternehmen der privaten Wirtschaft, die öffentlichen Arbeitgeber
und die Tarifpartner einzuwirken, ihre Weiterbildungsaktivitäten zu ver-
stärken und ihren Beitrag zur Bewältigung des drohenden Fachkräfte-
mangels zu leisten;

– Maßnahmen zur Stärkung der Bildungs- und Weiterbildungsberatung und
der Qualitätssicherung in der Weiterbildung zu entwickeln und die Berufs-
und Weiterbildungsberatung zu vernetzen. Hierbei sollten vor allem Maß-
nahmen der Weiterbildungs- und Qualifizierungsberatung für kleine und
mittlere Unternehmen (KMU) samt finanziellen Anreizen entwickelt wer-
den, um die betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten dort zu stärken und dem
drohenden Fachkräftemangel gerade dort entgegenzuwirken;

– die Tarifvertragsparteien zu ermuntern, verstärkt Lernzeitkonten verbunden
mit einer Qualifizierungs- und Personalentwicklungsplanung einzuführen,
um die Teilnahme der Arbeitnehmer an gezielter betrieblicher Weiterbildung
auszuweiten. Hierbei sollte dem Insolvenzschutz dieser Lernzeitkonten
Rechnung getragen werden;
– darauf hinzuwirken, dass sich die Hochschulen und Forschungseinrichtun-
gen im Bereich der wissenschaftlichen Weiterbildung von Führungskräften

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einschließlich der Weiterqualifizierung von Arbeitslosen mit Hochschul-
abschluss stärker engagieren;

– die Beschleunigung von Innovationsprozessen aus Forschung und Entwick-
lung durch begleitende Weiterbildung zu fördern;

– für die nachhaltige Verbesserung der Durchlässigkeit im Bildungswesen ein-
zutreten, insbesondere zwischen der beruflichen Bildung und dem Hoch-
schulbereich. Die Länder werden hierbei aufgefordert, den Hochschul-
zugang für beruflich Qualifizierte deutlich zu erleichtern;

– das europäische „Programm für Lebenslanges Lernen“, das die verschiede-
nen Bildungs- und Berufsbildungsinitiativen der Europäischen Kommission
unter einem einzigen Dach vereint und für das für die Jahre 2007 bis 2013
Haushaltsmittel von fast 7 Mrd. Euro zur Verfügung stehen, in der Bevölke-
rung bekannt zu machen und auf die Ausschöpfung der sich bietenden Mög-
lichkeiten hinzuwirken.

Berlin, den 5. März 2008

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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