BT-Drucksache 16/8344

Durchsuchung von Briefsendungen an Zeitungsredaktionen nach Selbstbezichtigungsschreiben

Vom 29. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8344
16. Wahlperiode 29. 02. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Jan Korte und
der Fraktion DIE LINKE.

Durchsuchung von Briefsendungen an Zeitungsredaktionen nach
Selbstbezichtigungsschreiben

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte wegen Verdachts
der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bzw. der Gründung
einer terroristischen Vereinigung für die Zeit vom 18. bis 22. Mai 2007 die
Beschlagnahme von Briefen mit Selbstbezichtigungsschreiben der „militanten
gruppe“ (mg) im Briefzentrum 10 (Berlin Zentrum) der Deutschen Post AG
(DP AG) angeordnet, die an die Zeitungen „Berliner Zeitung“, „Berliner Mor-
genpost“, „BZ“ und „Tagesspiegel“ gerichtet waren. Ebenfalls wegen Ver-
dachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bzw. der Grün-
dung einer terroristischen Vereinigung wurde für die Zeit vom 22. bis 24. Mai
2007 die Beschlagnahme von Briefen mit Selbstbezichtigungsschreiben der
„Militanten Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel – G 8“ im Briefzentrum 20
(Hamburger Zentrum) der DP AG angeordnet, die an die Zeitungen „Hambur-
ger Morgenpost“, „Hamburger Abendblatt“, „Frankfurter Allgemeine“, „Süd-
deutsche Zeitung“, „Die Welt“, „TAZ“, „Frankfurter Rundschau“, „Bild“ sowie
an die Nachrichtenagentur DPA gerichtet waren.

Aufgrund der von der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union unter-
stützten Beschwerde eines Hamburger Postkunden hat der Ermittlungsrichter
des BGH im zweiten Fall mit Beschluss vom 28. November 2007 (Aktenzei-
chen 1 BGs 519/2007, 2 BJs 10/06-2) die Art und Weise des Vollzugs der Post-
beschlagnahme im Wesentlichen für rechtswidrig erklärt.

In der Begründung wird die bisherige Rechtslage, die sich aus § 100 Abs. 2 und 3
der Strafprozessordnung (StPO) ergibt, bestätigt. Danach, wie auch nach der
einhelligen Meinung in der Literatur, ist es allein Aufgabe der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Postunternehmen, die in dem Postbeschlagnahmebeschluss
des Ermittlungsrichters bezeichneten Briefsendungen herauszusuchen. Um die
Vertraulichkeit des übrigen Postverkehrs nicht zu gefährden ist eine Mitwir-
kung von Ermittlungsbeamten der Polizei grundsätzlich ausgeschlossen. „Die
Durchsicht der aus den 100 Briefkästen stammenden Sendungen durch 16 Poli-
zeibeamte … war demgegenüber durch §§ 99, 100 StPO nicht gedeckt“, heißt
es in dem Beschluss des Ermittlungsrichters des BGH.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Von wem wurde das Heraussuchen der Briefsendungen durch Ermittlungs-
beamte der Polizei bei der DP AG angeordnet?

(Es wird – auch bei den folgenden Fragen – um getrennte Beantwortung für
den Fall Berlin und den Fall Hamburg gebeten.)

Drucksache 16/8344 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Trifft es zu, dass die Polizei zunächst versucht hatte, ohne richterliche An-
ordnung das Heraussuchen der Briefsendungen bei der DP AG vorzuneh-
men?

a) Von wem ging zutreffendenfalls dieses Ansinnen aus?

b) Wurden ggf. disziplinrechtliche Maßnahmen gegen den oder die Verant-
wortlichen eingeleitet?

3. Von wem, und in welcher Weise wurden welche Mitarbeiter der DP AG von
den Postbeschlagnahmebeschlüssen des Ermittlungsrichters informiert?

4. Zwischen welchen Personen oder Dienststellen auf Seiten der Strafverfol-
gungsbehörden und auf Seiten der DP AG wurde das Heraussuchen der
Briefsendungen durch Ermittlungsbeamte der Polizei statt durch Mitarbei-
ter der DP AG vereinbart?

5. Wurden von Mitarbeitern der DP AG oder von Betriebsräten Einwände ge-
gen das Heraussuchen der Briefsendungen durch Ermittlungsbeamte der
Polizei erhoben, und wie wurde ggf. damit umgegangen?

6. Wie viele Beamte welcher Bundes- und/oder Landesbehörden waren wie
lange mit der Sicherstellung und dem Heraussuchen der Briefsendungen
betraut?

7. Erfolgte das Heraussuchen ausschließlich in Räumen der beiden Briefzent-
ren der DP AG oder wurden Briefsendungen auch zu anderen Räumlich-
keiten gebracht?

Wenn ja, zu welchen?

8. Wie viele Briefsendungen wurden zwecks Auffindens von Selbstbezich-
tigungsschreiben durchsucht?

9. Wie viele Briefsendungen, an welche Zeitungen, wurden geöffnet und in
wie vielen Fällen enthielten die geöffneten Briefsendungen ein Selbstbe-
zichtigungsschreiben?

10. Wie wurden die geöffneten Briefsendungen weiter behandelt?

11. Welcher kriminalistische Erfolg konnte aus den beschlagnahmten Selbst-
bezichtigungsschreiben erzielt werden, und inwieweit erfolgten Verhaftun-
gen, Wohnungsdurchsuchungen, Anklagen, Verurteilungen, oder welche
verwertbaren Erkenntnisse zur Strafverfolgung ergaben sich aus den be-
schlagnahmten Selbstbezichtigungsschreiben?

12. Wurden in der Vergangenheit – außer in den Briefzentren 10 und 20 – noch
in weiteren Briefzentren oder anderen Postbearbeitungsstellen der DP AG
Briefsendungen zwecks Auffindens von Selbstbezichtigungsschreiben
oder aus anderen Gründen durch Ermittlungsbeamte der Polizei heraus-
gesucht (zutreffendenfalls wird um Beantwortung der Fragen 1 bis 8 ge-
beten)?

13. Wurden Postbeschlagnahmeanordnungen zwecks Auffindens von Selbst-
bezichtigungsschreiben oder aus anderen Gründen auch gegen andere pri-
vate Postdienstleister als die DP AG beantragt und erwirkt?

Falls ja, gegen welche?

14. Nach welchen Kriterien wurden im Fall Berlin vier Medien und im Fall
Hamburg neun Medien als potenzielle Empfänger von Selbstbezichti-
gungsschreiben ausgewählt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8344

15. Sind der Bundesregierung weitere Medien bekannt, die Selbstbezich-
tigungsschreiben der „militanten gruppe“ oder aus der „Militanten Kam-
pagne zum Weltwirtschaftsgipfel – G8“ erhalten haben?

a) Wenn ja, welche?

b) Wenn ja, warum wurden diese Medien nicht in die in der Vorbemerkung
genannten Postbeschlagnahmungsmaßnahmen einbezogen?

16. Wurden inzwischen alle in der Vorbemerkung erwähnten Medien über die
Durchsicht der an sie gerichteten Briefsendungen gemäß § 101 StPO be-
nachrichtigt?

Falls nein, warum nicht?

17. Wurden inzwischen die Absender, deren Briefe geöffnet worden waren,
gemäß § 101 StPO benachrichtigt?

Falls nein, warum nicht?

18. Was hat die Bundesregierung unternommen, damit künftig beim Vollzug
von Postbeschlagnahmeanordnungen keine Briefsendungen mehr durch
Ermittlungsbeamte der Polizei bei den Postunternehmen herausgesucht
werden?

19. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das Heraussuchen von
Selbstbezichtigungsschreiben aus einer großen Zahl von Briefsendungen,
die an Zeitungs-, Rundfunk- oder Fernsehredaktionen gerichtet sind, unter
Berücksichtigung der Grundrechte aus Artikel 10 des Grundgesetzes (GG)
(Brief- und Postgeheimnis) und Artikel 5 GG (Medienfreiheit, Informan-
tenschutz) und der geringen Erfolgsaussichten für die Strafverfolgung
nicht verhältnismäßig ist?

Falls nein, womit begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

Berlin, den 27. Februar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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