BT-Drucksache 16/8046

Keine Bahnprivatisierung am Parlament vorbei

Vom 13. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8046
16. Wahlperiode 13. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Winfried Hermann, Fritz Kuhn, Dr. Anton Hofreiter, Bettina
Herlitzius, Peter Hettlich, Cornelia Behm, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Bärbel
Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Bahnprivatisierung am Parlament vorbei

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD
haben im September 2007 parallel einen Entwurf eines Gesetzes für die Neu-
organisation der Eisenbahnen des Bundes (Bundestagsdrucksachen 16/6294 und
16/6383) in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Voraussetzungen für
die Teilprivatisierung der Deutsche Bahn AG schaffen soll. Die erste Beratung
im Plenum des Deutschen Bundestages fand am 21. September 2007 statt.

Auf dem SPD-Bundesparteitag vom 26. bis 28. Oktober 2007 beschlossen die
Delegierten nach kontroverser Debatte:

„Die jetzt erforderlichen Investitionen erfordern eine Erhöhung der Kapitalaus-
stattung der Bahn. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass der Bund in der
Wahrnehmung seiner Eigentumsrechte nicht eingeschränkt ist. Dazu sind fol-
gende Schritte unverzichtbar, die zu einer Änderung des bisher vorliegenden
Gesetzentwurfes führen.

Private Investoren dürfen keinen Einfluss auf die Unternehmenspolitik ausüben.
Zur Erreichung dieses Ziels stellt die stimmrechtslose Vorzugsaktie die geeig-
nete Form dar. Die Ausgabe erfolgt von zunächst mindestens 25,1 Prozent in
Form von stimmrechtslosen Vorzugsaktien. Über eine weitere Ausgabe stimm-
rechtsloser Vorzugsaktien entscheidet der Gesetzgeber nach einer Evaluierung.
Eine andere Beteiligung privater Investoren lehnen wir ab.

(…)

Sollte dieses Modell der stimmrechtslosen Vorzugsaktien nicht durchgesetzt
werden können, dann beauftragt der Parteitag den neugewählten Parteivorstand
nach Beteiligung des Parteirates, der Landes- und Bezirksvorsitzenden sowie
der Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzpolitiker des Bundes und der Länder jed-
wede vorgeschlagene Lösung zu beurteilen.
Der Parteivorstand wird auch im Lichte der Debatten auf dem Hamburger Par-
teitag urteilen und diese dem nächsten Parteitag zur Entscheidung übertragen.“

Der Beschluss des SPD-Parteitags sagt also aus, dass jede andere Privatisierung
als nach dem Modell der stimmrechtslosen Vorzugsaktien einem weiteren
Parteitag der SPD zur Entscheidung übertragen werden muss.

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Die Reaktion der CDU/CSU ließ nicht lange auf sich warten. In einem Interview
mit der „WELT am SONNTAG“ vom 4. November 2007 stellte Bundeskanzle-
rin Dr. Angela Merkel unmissverständlich klar: „Die Union wird sich auf den
Beschluss der SPD bezüglich der Bahnprivatisierung nicht einlassen können,
weil so wesentliche Ziele der Privatisierung mit diesem Beschluss nicht erreicht
werden.“ Der Haushaltsexperte der Fraktion der CDU/CSU, Steffen Kampeter,
forderte sogar, Wolfgang Tiefensee die Zuständigkeit für die Bahnreform zu ent-
ziehen und sie auf den Bundesminister der Finanzen zu übertragen.

Am 8. November 2008 fand im Bundeskanzleramt ein Spitzentreffen unter Lei-
tung von Bundesminister Dr. Thomas de Maizière mit Bahnchef Hartmut Meh-
dorn, Bundesminister Peer Steinbrück und Bundesminister Wolfgang Tiefensee
statt. Dabei wurde die Idee eines „Holdingmodells“ entwickelt, das durch eine
Neuorganisation der Deutsche Bahn AG eine Teilprivatisierung der Transport-
gesellschaften möglich machen soll, ohne dass dazu ein Gesetz notwendig wäre.
Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ vom 11. November 2007 soll
nach diesem Modell eine Finanzholding in den Bereichen Personenfernverkehr,
Personennahverkehr, Güterverkehr und Logistik gegründet werden, die dann zu
49 Prozent privatisiert werden könnte. Die DB Holding und die Infrastruktur-
gesellschaften würden demnach nicht privatisiert. Die genaue Ausgestaltung des
Modells ist bis heute unklar.

Bundesminister Wolfgang Tiefensee wurde beauftragt, dem Koalitionsaus-
schuss einen Bericht vorzulegen, der beide – das Volksaktien- und das Holding-
modell – bewerten soll. Gegenüber dem Bonner „General-Anzeiger“ erklärte
der Bundesminister am 16. November 2007: „Ich will am 10. Dezember im
Koalitionsausschuss einen Bericht vorlegen, selbstverständlich ist für mich das
Votum des SPD-Parteitages eine ganz entscheidende Richtgröße.“

Dieser Bericht ist bis heute nicht vorgelegt und mit Rücksicht auf die Landtags-
wahlen verschoben worden. Eine von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN beantragte Selbstbefassung des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung am 5. Dezember 2007 zum Stand der Bahnprivatisierung
wurde mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD mit
der Begründung abgelehnt, es gäbe nichts Neues zu berichten und das, obwohl
der Bundesminister zu einem anderen Tagesordnungspunkt ohnehin an der Aus-
schusssitzung teilnahm und persönlich hätte befragt werden können.

Auch wenn der Bundesminister formal noch den Prüfungsauftrag für das Volks-
aktienmodell hat, so ist klar, dass dieses Modell politisch tot ist, da die CDU/
CSU bis hin zur Bundeskanzlerin schon unmissverständlich klar gemacht haben,
dass sie eine Privatisierung nach diesem Modell nicht mittragen.

Hingegen wird an einer Umsetzung des Holdingmodells im Bundesministerium
und vermutlich auch bei der Deutsche Bahn AG kräftig gearbeitet. In bahn-
politischen Kreisen kursiert, dass am 28. März 2008 eine Hauptversammlung
der Deutsche Bahn AG, die nur aus Vertretern des Eigentümers Bundesrepublik
Deutschland besteht, eine Organisationsverfügung beschlossen werden soll, die
eine Teilprivatisierung ohne Parlamentsbeschluss ermöglicht. Möglicherweise
soll sogar die Teilprivatisierung selbst auf dieser Versammlung schon beschlos-
sen werden.

Der zuständige Bundesminister Wolfgang Tiefensee würde dann also in Miss-
achtung des eigenen Parteitagsbeschlusses und am Parlament, das in erster Le-
sung schon über ein vollkommen anderes Privatisierungsmodell debattiert hat,
und Bundesrat vorbei Fakten für die Teilprivatisierung der Deutsche Bahn AG
schaffen. Es wäre ohne Beispiel in der Geschichte der Bundesrepublik, wenn ein
bedeutendes Staatsunternehmen, das öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge
zu gewährleisten hat, ohne Parlamentsbeschluss teilprivatisiert wird. Zudem

wäre es ein Affront gegenüber der SPD, die sich auf ihrem Bundesparteitag aus-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8046

drücklich von Parteichef Kurt Beck hat zusichern lassen, dass jedwede andere
Privatisierung einem neuen Parteitag zur Entscheidung zu übertragen sei. Eine
(Teil-)Privatisierung der DB AG braucht eine gesetzliche Basis.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. keine Umorganisation der Deutsche Bahn AG zum Zwecke der Teilprivati-
sierung ohne gesetzliche Basis vorzunehmen;

2. dem Deutschen Bundestag unverzüglich einen Bericht über den Stand und
ihre Pläne zur Teilprivatisierung der Deutsche Bahn AG durch den Bundes-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorzulegen;

3. den von der Bundesregierung in den Aufsichtsrat der Deutsche Bahn AG
entsandten Mitgliedern und den Mitgliedern der Hauptversammlung kein
Mandat für eine weitreichende Neuorganisation der Deutsche Bahn AG zu
erteilen;

4. durch eine Beteiligung der Bundesländer im gesetzgeberischen Verfahren
sicherzustellen, dass deren Belange bei einer angestrebten Teilprivatisierung
angemessen berücksichtigt werden;

5. dem Deutschen Bundestag Alternativen zur Kapitalprivatisierung der Deut-
sche Bahn AG nach dem Holdingmodell vorzulegen.

Berlin, den 13. Februar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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