BT-Drucksache 16/7951

Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen (Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/5501)

Vom 29. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7951
16. Wahlperiode 29. 01. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Ulla Jelpke, Dr. Kirsten Tackmann
und der Fraktion DIE LINKE.

Maßnahmen der Bundesregierung zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen
(Nachfrage zu Bundestagsdrucksache 16/5501)

Der Bundesregierung lagen bei früheren Antworten auf Anfragen der Fraktion
DIE LINKE. zum Thema Zwangsverheiratung „zurzeit keine statistischen
Daten oder repräsentativ erhobenen wissenschaftlichen Erkenntnisse“ vor
(vgl. Bundestagsdrucksachen 16/412 und 16/5501).

Dessen ungeachtet wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und
asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union der Ehegattennachzug
durch die neue Anforderung von Sprachnachweisen vor der Einreise allgemein
erheblich erschwert und dies maßgeblich begründet mit der angeblichen Ab-
sicht, Zwangsheiraten verhindern zu wollen. Die von nahezu allen Sachverstän-
digen und Fachkundigen – und selbst vom Bundesrat – geforderten maßgeb-
lichen Änderungen des Aufenthaltsgesetzes zur rechtlichen Stärkung der Opfer
von Zwangsverheiratungen wurden hingegen unterlassen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche neuen statistischen Daten oder wissenschaftlichen Erkenntnisse zum
Ausmaß und zur Charakteristik des Phänomens Zwangsheirat in Deutsch-
land hat die Bundesregierung seit ihrer Antwort vom 25. Mai 2007 auf
die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache
16/5202 gewonnen?

2. Liegt die in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
(Bundestagsdrucksache 16/5501) für den Sommer 2007 angekündigte Studie
zur bundesweiten Evaluierung von Praxisarbeit im Bereich Zwangsver-
heiratung vor (und sei es in Form von Zwischenergebnissen), die zur Ver-
besserung der Datenlage dienen soll, und wenn ja, was sind die wesentlichen
Ergebnisse dieser Studie, wenn nein, wann ist mit einer Veröffentlichung zu
rechnen, wer erstellt die Studie, und was sind die Gründe für die Verzöge-
rung?

3. In welchem Zusammenhang steht die in Frage 2 erwähnte Studie zur bun-

desweiten Evaluierung von Praxisarbeit im Bereich Zwangsverheiratung zu
der Studie zu Umfang und Ausmaß von Zwangsverheiratung in Deutsch-
land, die Anfang 2008 ausgeschrieben werden soll, und bis wann soll das
Ausschreibungsverfahren laufen?

Drucksache 16/7951 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Aussage von Yasemin Karakasoglu
und Sakine Subasi (in: BMFSFJ, „Zwangsverheiratung in Deutschland“,
Band 1, Nomos Verlag, 2007, S. 125), wonach die Frage nach den Faktoren,
die Zwangsverheiratungen in bestimmten Migrantenmilieus begünstigen,
wesentlich stärker Gegenstand weiterer Forschung sein sollten (bitte begrün-
den)?

a) Stimmt sie insbesondere der Feststellung zu, dass Zwangsverheiratungen
als geschlechtsbezogene Gewalt nicht in ethnisierender Weise diskutiert
werden kann und darf (S. 124, bitte begründen)?

b) Stimmt sie insbesondere der Feststellung zu, dass die Ursachen von
Zwangsverheiratungen nicht einseitig religiös oder kulturell erklärt wer-
den können (ebd., bitte begründen)?

c) Stimmt sie insbesondere der Feststellung zu, dass die soziale und öko-
nomische Randstellung von Migrantenpopulationen Zwangsverheiratun-
gen begünstigen, weil sich diese in Reaktion auf die gesellschaftliche
Exklusion stärker auf ethnische, religiöse usw. Netzwerke beziehen und
Praktiken wie Zwangsverheiratungen dadurch eher gefördert werden
(S. 125, bitte begründen)?

Welche Schlussfolgerungen zieht sie hieraus?

5. Hat die Bundesregierung inzwischen erneut eine Umfrage bei den Landes-
justizverwaltungen durchgeführt, um die Zahl der Strafverfahren wegen
Zwangsverheiratung erfahren und mit den Ergebnissen der Umfrage aus
dem Jahr 2006 vergleichen zu können, und wenn ja, was sind die Ergebnisse
dieser Umfrage, wenn nein, warum nicht?

6. Welche der in dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdruck-
sache 16/1564 aufgeführten möglichen Maßnahmen im Bereich des Verfah-
rensrechts (sog. Weltrechtsprinzip, Anonymität in Familienstreitsachen, an-
waltliche Vertretung usw.) erwägt die Bundesregierung, um die Position
Zwangsverheirateter im Strafverfahren zu stärken (bitte begründen)?

7. Wie erklärt sich die Bundesregierung die extrem geringe Zahl von Strafver-
fahren wegen Zwangsverheiratungen?

Gibt es entgegen der verbreiteten Vermutung nur wenige Fälle von Zwangs-
verheiratungen, oder aus welchen Gründen kommt es womöglich trotz vor-
liegender Straftat nicht zu einer Anzeige, und was wird die Bundesregierung
diesbezüglich unternehmen?

8. Wann soll die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz
voraussichtlich verabschiedet werden?

a) Ist geplant, in dieser Verwaltungsvorschrift klarzustellen, dass Opfer
einer Zwangsverheiratung eine besondere Härte im Sinne des § 31 Abs. 2
des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) geltend machen können, so dass
ihnen eine eigenständige Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, auch wenn
die eheliche Lebensgemeinschaft noch nicht zwei Jahre bestanden hat,
und wenn nein, warum nicht?

b) Wird in den in a genannten Fällen grundsätzlich vom Nachweis eigenen
Einkommens abgesehen werden, wenn nein, warum nicht?

c) Sind in der Verwaltungsvorschrift Änderungen beabsichtigt, die ins Aus-
land Zwangsverschleppten eine Wiedereinreise und Rückkehr in die
Bundesrepublik Deutschland (auch jenseits der 6-Monats-Frist des § 51
Abs. 1 Nr. 7 AufenthG) ermöglichen, wenn ja, welche, wenn nein, wa-

rum nicht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7951

9. Welche konkreten Erfahrungen liegen inzwischen über die Auswirkungen
der gesetzlichen Neuregelung zum Familiennachzug in den Niederlanden
vor (vgl. Bundestagsdrucksache 16/5501, Antwort zu Frage 7)?

a) Welche konkreten Auswirkungen gab es insbesondere auf den Umfang
des Ehegattennachzugs in die Niederlande?

b) Welche nachweisbaren Auswirkungen gab es in Bezug auf den behaup-
teten Gesetzeszweck der Bekämpfung von Zwangsverheiratungen?

10. Haben einzelne Bundesländer, die in ihren Konzepten und Handlungs-
plänen zur Bekämpfung von Zwangsverheiratungen aufenthaltsrechtliche
Änderungen vorsehen (vgl. Bundestagsdrucksache 16/5501, Antwort zu
Frage 11), entsprechende Initiativen zur Gesetzesänderung unternommen
(und welche), und ist der Bundesregierung bekannt, ob, in welcher Weise
und in welchen Bundesländern versucht wurde, durch Änderungen der An-
wendungshinweise zum Aufenthaltsgesetz zu aufenthaltsrechtlichen Ver-
besserungen für die Opfer von Zwangsverheiratungen zu kommen?

11. Warum ist die Bundesregierung der Bitte des Bundesrates vom 11. Mai
2007, aufenthaltsrechtliche Schutzregelungen für Opfer von Zwangsver-
heiratungen (z. B. Recht auf Wiederkehr ohne Erfordernis einer Lebens-
unterhaltssicherung) im Zuge des Richtlinienumsetzungsgesetzes zu tref-
fen, nicht gefolgt?

12. Wie viele und welche der 130 Maßnahmen des Aktionsplans II der Bun-
desregierung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen sollen Zwangsver-
heiratungen bekämpfen?

13. Wer ist in der „Arbeitsgruppe SGB VIII und Zwangsverheiratung“ (bitte
auflisten), wie oft treffen sie sich, bis wann sind Handlungsempfehlungen
der Arbeitsgruppe für die Praxis zu erwarten, und gibt es bereits Zwischen-
ergebnisse?

14. Hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die
angekündigte Entwicklung eines sog. Nothilfeflyers und den Druck von
Postkarten zur Sensibilisierung von Jugendlichen inzwischen realisiert?

Berlin, den 29. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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