BT-Drucksache 16/785

Zukunftsaufgabe Weiterbildung

Vom 16. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/785
16. Wahlperiode 16. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Cornelia Hirsch,
Dr. Petra Sitte, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Zukunftsaufgabe Weiterbildung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die laufende Evaluation der „modernen Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“
(„Hartz-Reformen“) kommt zu dem Ergebnis, dass ein erheblicher Handlungs-
bedarf besteht, um die Wirksamkeit von Instrumenten der Arbeits- und Be-
schäftigungsförderung zu erhöhen. Obwohl von der „Hartz-Kommission“ nicht
vorgesehen, sind in den Jahren 2002/2003 erhebliche Korrekturen in der Förde-
rung der beruflichen Weiterbildung vorgenommen worden, die nunmehr ihrer-
seits auf den Prüfstand gehören.

Neben der beruflichen sind allgemeine, politische und kulturelle Weiterbildung
ein Schlüssel für individuelle Lebenschancen, für berufliche Entfaltung, für
kulturelle Teilhabe und gesellschaftliche Innovation. Weiterbildung sichert
Qualifikation und schützt damit vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Der Aus-
bau der Weiterbildung ist zentrale Voraussetzung um Lebenschancen realisie-
ren und verbessern zu können und notwendiges Element in einer Strategie ge-
gen einen schon heute in Teilbereichen absehbaren Fachkräftemangel.

Dringend zu klären ist die Kompetenzverteilung im Bereich der Weiterbildung,
da nur (über Artikel 74 Abs. 1 Nr. 11 Grundgesetz) die berufliche Weiterbil-
dung eindeutig der Kompetenzsphäre des Bundes zugeordnet werden kann.

Um Offenheit, Lernbereitschaft und Lernfähigkeit generationenübergreifend zu
fördern, tritt der Deutsche Bundestag dafür ein, die Weiterbildungsbeteiligung
in Deutschland – entgegen dem seit 1997 feststellbaren Trend – wieder deutlich
zu erhöhen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

ein Gesamtkonzept für die Weiterbildung mit bundeseinheitlichen Rahmenre-
gelungen („Zukunftsprogramm Weiterbildung“) vorzulegen, um

– das Recht auf Weiterbildung für alle Bürgerinnen und Bürger zu garantieren,
– die ausreichende Finanzierung eines bedarfsgerechten Angebots sowie
Lernzeitansprüche vorzusehen,

– eine hohe Qualität der Angebote zu sichern, einschließlich der Qualifizie-
rung und Professionalisierung des in der Weiterbildung tätigen Personals,

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– mehr Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Planungssicherheit für alle Be-
teiligten (sowohl die Bildungsteilnehmerinnen und Bildungsteilnehmer als
auch für die Beschäftigten in der Weiterbildung) herzustellen.

In der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages ist es an der Zeit, ein breites
Weiterbildungsangebot für alle Interessierten zu schaffen und diese Angebote
vom freiwilligen Anhängsel des Bildungssystems zu dessen vierten Säule aus-
zubauen. Ein Bundesrahmengesetz für die berufliche Weiterbildung ist dafür
ein geeignetes Instrument.

Dem Ausbau der beruflichen Weiterbildung durch Betriebe, Kommunen,
Landeseinrichtungen und zahlreiche freie Träger kommt daher in den nächsten
Jahren ein wachsender Stellenwert zu; diese kann nicht nur in der Herstellung
von Beschäftigungsfähigkeit bestehen, sondern umfasst

– die Weiterbildung im Beruf sowie im Interesse der betroffenen Menschen,
um den Anforderungen der wissensbasierten Dienstleistungen besser ent-
sprechen zu können;

– die berufsbezogene Weiterbildung zur Erhöhung von Professionalität, zur
Absicherung des beruflichen Aufstiegs sowie ggf. zur Begleitung eines
beruflichen Abstiegs;

– die Erschließung neuer beruflicher Perspektiven, um ein belastendes
Arbeitsverhältnis zu wechseln oder sich vom Status Erwerbslosigkeit zu be-
freien.

Der Deutsche Bundestag bekräftigt den Wert und die Bedeutung der Weiter-
bildung für Beschäftigte und besonders auch für erwerbslose Bürgerinnen und
Bürger. Die Bundesagentur für Arbeit muss zu einer Korrektur ihrer Geschäfts-
politik bewegt werden, die in den letzten drei Jahren zu erheblichen Kürzungen
der finanziellen Mittel für die nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch ge-
förderte Weiterbildung geführt hat; Bund und Länder müssen ihre Zurück-
haltung bei der Förderung der Weiterbildung ebenfalls aufgeben.

Berlin, den 15. Februar 2006

Volker Schneider (Saarbrücken)
Cornelia Hirsch
Dr. Petra Sitte
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Realität der allgemeinen, kulturellen, politischen und beruflichen Weiter-
bildung steht in deutlichem Gegensatz zu denjenigen Reformvorstellungen,
die seit den siebziger Jahren (über Ländergesetze zur Freistellung für Bildungs-
zwecke, Länderfinanzierungsgesetze) das Ziel der „Vierten Säule des Bildungs-
wesens“ für diesen Bereich proklamierten:

Die einschlägigen Aktivitäten des Bundesministeriums für Bildung und For-
schung der letzten Jahre zur Weiterbildung u. a. zu „Lernende Regionen“,
Lebenslangem Lernen, Abgabe von Kompetenzen der Qualitätssicherung an
das ehemalige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit waren punktuelle
Programmelemente ohne nachhaltige Reformeffekte und – speziell im Falle der
Anerkennungs- und Zertifizierungsverordnung für die Weiterbildung (AZWV)

bürokratisierende Auswirkungen. Das eigentlich zuständige Fachministerium

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hat dem Abbau und der Infrastrukturbeschädigung der Weiterbildung durch die
Bundesagentur für Arbeit weitgehend tatenlos zugesehen.

Die im Gutachten der Sachverständigen-Kommission „Finanzierung Lebens-
langen Lernens“ im Winter 2004 präsentierten Vorschläge sind nicht aus-
reichend aufgegriffen und genutzt worden.

Die neue Konzeption der Integrationskurse für Zugewanderte (Bundesministe-
rium des Innern, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) haben ein zu ge-
ringes Unterrichtsvolumen und sind restlos unterfinanziert; sie kranken zudem
an fehlender sozialpädagogischer Kinderbetreuung.

Die Situation der Dozenten und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mit-
arbeiter in der Weiterbildung ist durch hemmungslose Ausdehnung von un-
gesicherter und unterwertiger Beschäftigung einschließlich Zahlung von
Dumpinglöhnen für Honorardozenten gekennzeichnet.

Gegen die berufliche Weiterbildung wird seit einigen Jahren eine öffentliche
Kampagne geführt, die das Ziel hat, die entsprechenden Anbieter zu diskredi-
tieren und die Tauglichkeit beruflicher Weiterbildung infrage zu stellen. Dabei
ist die Weiterbildung nach wie vor ein taugliches Instrument der Arbeitsmarkt-
und Beschäftigungspolitik, wenn die Langfristwirkungen betrachtet werden.
Seriöse Untersuchungen belegen, dass die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu
werden (oder zu bleiben) mit zunehmender Qualifikation deutlich abnimmt.
Aktuelle Untersuchungen etwa des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufs-
forschung der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Förderung der beruf-
lichen Weiterbildung höchst effizient ist: „Bildungsförderung bleibt – lang-
fristig – die beste Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik“ (IAB-Kurzbericht 9. Juni
2005). Die gilt insbesondere für die hohe Zahl gering Qualifizierter unter den
Erwerbslosen. Für sie sind nachhaltige Weiterbildungsmöglichkeiten oft die
einzige Alternative zu einer sonst drohenden lebenslangen Alimentierung
durch die Steuerzahler.

Deshalb muss die berufliche Weiterbildungsförderung gerade auch für Er-
werbslose eine dringende öffentliche Aufgabe bleiben. Nur wenn die dafür
benötigten Ressourcen verlässlich zur Verfügung gestellt und zweckmäßig ein-
gesetzt werden, können die für eine qualitativ hochwertige Weiterbildung
notwendigen Trägerstrukturen aufrechterhalten werden.

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