BT-Drucksache 16/7634

DNS-Abstammungsgutachten im Rahmen von aufenthaltsrechtlichen Identitätsfeststellungen

Vom 19. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7634
16. Wahlperiode 19. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dag˘delen, Jan Korte und der Fraktion
DIE LINKE.

DNS-Abstammungsgutachten im Rahmen von
aufenthaltsrechtlichen Identitätsfeststellungen

Wie die „Frankfurter Rundschau“ am 22. Oktober 2007 unter der Überschrift
„Ohne Gentest keine Einreise“ berichtete, bestehen zahlreiche Ausländerbehör-
den in Deutschland bei nachziehenden Familienangehörigen von in Deutschland
anerkannten Flüchtlingen auf einen Gennachweis für die Blutsverwandtschaft.
Diese Anforderung gilt mitunter auch in solchen Konstellationen, in denen bei-
spielsweise die ausländische Ehefrau eines Deutschen für ihr Kind ein Visum
zur Familienzusammenführung beantragt. Für einen solchen Eingriff in das
informationelle Selbstbestimmungsrecht über das eigene Erbgut gibt es keine
ausdrückliche Rechtsgrundlage, stattdessen wird auf die allgemeinen ausländer-
rechtlichen Mitwirkungspflichten verwiesen. Die Freiwilligkeit einer solchen
aufgrund der Umstände faktisch erzwungenen Mitwirkung an DNS-Abstam-
mungsgutachten liegt im Auge des Betrachters.

In einem weiteren Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ vom 12. November
2007 wird das quantitative Ausmaß solcher Tests angedeutet. Berichtet wird von
450 bis 550 DNS-Abstammungsgutachten jährlich im Rahmen von Familienzu-
sammenführungen alleine durch drei Labors in Nordrhein-Westfalen, Rhein-
land-Pfalz und Hessen. 68 Gutachter für Abstammungstests zählt die Seite des
Bundesverbandes für Abstammungsgutachten (www.vaterschaftstest.de) auf,
die für solche Untersuchungen in Frage kommen. Im zitierten Artikel in der
„Frankfurter Rundschau“ ist von Tausenden solcher Tests jährlich die Rede. Dies
bezieht sich nur auf die in Deutschland durchgeführten Tests, hinzu kommen
noch jene in den Herkunftsstaaten zuziehender Familienmitglieder.

Beiträge der Mitarbeiter von Ausländerbehörden und Botschaften auf Foren wie
http://www.info4alien.de/cgi-bin/forum/YaBB.cgi?num=1191883507/22 deuten
darauf hin, dass dort davon ausgegangen wird, dass bei so genannten Problem-
staaten 90 Prozent aller Urkunden sowieso gefälscht oder „auf Zuruf“ entstanden
seien. Der Avatar Ernas, nach eigenen Angaben Botschaftsmitarbeiter, schrieb
dort, dass DNS-Abstammungsgutachten „im Visumverfahren übrigens alltäglich“
seien.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sind der Bundesregierung Weisungen an Ausländerbehörden oder entspre-
chende Praktiken der Ausländerbehörden bekannt, DNS-Abstammungs-
gutachten zur Prüfung der Elternschaft von Flüchtlingen im Rahmen des
Familiennachzugs generell oder wenn erforderliche Unterlagen fehlen vorzu-
nehmen?

Drucksache 16/7634 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

a) Wenn ja, in welchen Bundesländern sind entsprechende Weisungen be-
kannt?

b) Ist im Rahmen der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren
(IMK) über diese Thematik beraten worden, wenn ja, wann, in welchem
Arbeitskreis/welcher Arbeitsgemeinschaft, und was war ggf. die Position
der Vertreter der Bundesregierung?

2. Interpretiert die Bundesregierung die sich aus dem Aufenthaltsgesetz erge-
benden Pflichten zur Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung dahingehend,
dass davon auch die Mitwirkung bei oder Vorlage von DNS-Abstammungs-
gutachten umfasst sind (bitte begründen)?

3. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Kosten solcher DNS-
Abstammungsgutachten im In- bzw. Ausland (vor allem in solchen Ländern,
in denen keine amtlichen Dokumente legalisiert werden)?

4. Wer trägt die Kosten für ein DNS-Abstammungsgutachten

a) im Falle von anerkannten Flüchtlingen und Asylberechtigten, die ihre Fa-
milie nach Deutschland holen wollen;

b) im Falle von Sozialhilfeempfängern mit deutscher Staatsangehörigkeit,
die ihre Ehepartnerin/ihren Ehepartner und/oder deren Kinder nach
Deutschland holen wollen;

c) im Falle von Sozialhilfeempfängern ohne deutsche Staatsangehörigkeit,
die ihre Ehepartnerin/ihren Ehepartner und/oder deren Kinder nach
Deutschland holen wollen?

d) In welcher Konstellation könnten nach Auffassung der Bundesregierung
deutsche Sozialhilfeträger zur Kostenübernahme von DNS-Abstam-
mungsgutachten verpflichtet sein, weil nur so die Betroffenen ihrer Mit-
wirkungspflicht nachkommen bzw. ihr Grundrecht auf familiäres Zusam-
menleben verwirklichen können?

e) Falls die Bundesregierung keine Kostenübernahmepflicht deutscher So-
zialhilfeträger sieht, wie verträgt sich dies mit der Rechtsprechung,
wonach es eine solche Verpflichtung z. B. hinsichtlich der Passbeschaf-
fungskosten geben kann, wenn dies erforderlich ist, um den aufenthalts-
rechtlichen Mitwirkungspflichten nachkommen zu können?

5. Teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass für den Zugriff
auf eine persönliche und grundrechtlich geschützte Information wie das Erb-
gut einer Person zumindest eine entsprechende Rechtsgrundlage gegeben
sein müsste, und strebt sie eine solche an?

6. Wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die jüngst ge-
schaffene Rechtsgrundlage für DNS-Abstammungsgutachten bei Familien-
zusammenführungen in Frankreich?

a) Wie steht sie insbesondere zu der Regelung, dass Gentests nur zur Über-
prüfung der Verwandtschaft zur Mutter eingesetzt werden sollen, da Väter
häufiger nicht die biologischen Väter sind, und strebt sie ebenfalls eine
solche gesetzliche Regelung an (wenn nein, warum nicht)?

b) Wie steht sie insbesondere zu der Regelung, dass Gentests von Gerichten
autorisiert werden müssen, und strebt sie ebenfalls eine solche gesetzliche
Regelung an (wenn nein, warum nicht)?

c) Wie steht sie insbesondere zu der Regelung, dass die Kosten solcher Gen-
tests selbst im Falle eines negativen Ergebnisses vom französischen Staat
übernommen werden sollen, und strebt sie ebenfalls eine solche gesetz-

liche Regelung an (wenn nein, warum nicht)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7634

7. Inwieweit berücksichtigt die geltende Rechts- und Erlasslage, dass sich Ver-
wandtschaftsverhältnisse nicht zwingend aus der Blutsverwandtschaft erge-
ben, etwa im Falle von Adoptionen, bei sozialen Elternschaftsverhältnissen
oder in Kulturen, in denen die biologische Vaterschaft für die soziale Vater-
schaft generell keine Rolle spielt?

a) Wie sollen solche nicht biologisch begründeten Verwandtschaftsverhält-
nisse von Betroffenen nachgewiesen werden, die aus solchen Ländern
kommen, in denen Familienstands-, Identitäts- und Herkunftsnachweise
usw. generell nicht anerkannt und/oder legalisiert werden?

b) Warum genügen Eidesstattliche Versicherungen oder schriftliche Vater-
schaftserklärungen in Visaverfahren nicht?

8. In welchen Auslandsvertretungen werden die beigebrachten Dokumente
wie Geburtsurkunden, Ledigkeitsbescheinigungen etc. generell oder in der
überwiegenden Zahl der abzuwägenden Einzelfälle nicht legalisiert, und
Staatsangehörige welcher Länder sind davon betroffen?

9. Kann von der Bundesregierung festgestellt werden, in wie vielen Fällen in
Visumverfahren in diesen Auslandsvertretungen im Rahmen der Familien-
zusammenführung seit dem 1. Januar 2002 DNS-Abstammungsgutachten
beigebracht wurden, da diese Teil der Visumakten werden (vgl. Bundestags-
drucksache 16/7120)?

Wenn ja, bitte diese Zahlen nach Auslandsvertretungen und Jahren auflisten.

Wenn nein, welche Schätzungen hinsichtlich eines prozentualen Anteils
machen Angestellte in diesen Auslandsvertretungen vor Ort?

10. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung in den vergangenen zehn Jahren
DNS-Untersuchungen auch zur Bestimmung der regionalen Herkunft von
solchen ausländischen Staatsangehörigen, die keine Passpapiere vorlegen
konnten und deren Angaben zum Herkunftsland in Zweifel gezogen wur-
den, und wenn ja, wann, und was waren die näheren Umstände solcher
Untersuchungen?

Berlin, den 29. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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