BT-Drucksache 16/7577

Privatisierung des zeitgeschichtlich bedeutsamen Baudenkmals ehemaliges Reichskriegsgericht und dessen Umfunktionierung zur Luxuswohnanlage

Vom 13. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7577
16. Wahlperiode 13. 12. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Heidrun Bluhm und der Fraktion DIE LINKE.

Privatisierung des zeitgeschichtlich bedeutsamen Baudenkmals ehemaliges
Reichskriegsgericht und dessen Umfunktionierung zur Luxuswohnanlage

Wo früher Gegnerinnen und Gegner des Nazi-Regimes entwürdigenden Ge-
richtsverhandlungen unterworfen und von NS-hörigen Militärrichtern zum Tode
verurteilt worden sind, soll in Zukunft der Cognac geschwenkt werden: Das
Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichtes am Berliner Lietzensee dient
seit einigen Wochen als Luxuswohnanlage.

Das im Besitz des Bundes befindliche Gebäude stand nach dem Auszug des Ber-
liner Kammergerichts im Jahre 1997 leer. Zeitungsberichten zufolge hat der
Bund dem Land Berlin das Objekt zum Kauf angeboten, was das Land – offen-
bar aus finanziellen Gründen – nicht annahm. 2005 wurde das Gebäude an einen
privaten Investor verkauft. Dieser hat umfangreiche Umbauten durchgeführt und
vermietet nun rund 100 Schlosslofts (Berliner Zeitung, 16. November 2007).

Der Verkauf des Gebäudes an private Investoren erfolgte trotz Forderungen
erinnerungspolitischer Organisationen, insbesondere des Forums Justizge-
schichte, eine Gedenkstätte an die Opfer der Nazi-Militärjustiz einzurichten
(http://www.kramerwf.de/80.0.html). Insbesondere wäre vorstellbar gewesen,
der in diesem Jahr fertiggestellten Wanderausstellung zur NS-Militärjustiz
„Was damals Recht war“ einen langfristigen Platz anzubieten. Denn derzeit
wird weder im Gebäude noch in dessen Umgebung an die zentrale Rolle der
NS-Militärjustiz erinnert. Es gibt lediglich einige Tafeln auf dem Gehweg vor
dem Gebäude und an dessen Umfriedung. Diese Tafeln weisen darauf hin, dass
in dem Gebäude „über 260 Kriegsdienstverweigerer und zahllose Frauen und
Männer des Widerstands wegen ihrer Haltung gegen Nationalsozialismus und
Krieg zum Tode“ verurteilt und hingerichtet worden sind. Eine Tafel erinnert an
den österreichischen Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter, eine andere
Tafel an Karl Sack, der Richter an diesem Gericht war und später zum Umfeld
des 20. Juli gehörte.

Was indes noch aussteht, ist eine angemessene Form der Erinnerung an die
Rolle, welche die NS-Militärjustiz im Dritten Reich eingenommen hat. Rund
1 400 Menschen, darunter zahlreiche Widerstandskämpferinnen und Wider-
standskämpfer, wurden von den NS-hörigen Richtern des Reichskriegsgerichts
zum Tode verurteilt. Ein würdiges Gedenken an diese Ermordeten steht noch

aus.

Offenbar sind mit den Käufern des Objekts keine Absprachen getroffen worden,
wenigstens Teile des Gebäudes als Gedenkstätte zu nutzen. Im großen Gerichts-
saal soll ein Mietergemeinschaftsraum eingerichtet werden. „Hier sollen sich
Mieter treffen, ihre Zigarren rauchen und ihren Cognac trinken“, zitiert die „Ber-
liner Zeitung“ den Geschäftsführer der Immobilienfirma. Der Leiter der Gedenk-

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stätte Deutscher Widerstand zeigt sich angesichts dessen „befremdet“ (Berliner
Zeitung, 16. November 2007), und der Sprecher der Bundesvereinigung Opfer
der NS-Militärjustiz, Ludwig Baumann, spricht gegenüber den Fragestellern
von einer „schamlosen Verhöhnung“ der Ermordeten und ihrer Angehörigen. Da
das Gebäude im Bundesbesitz war, trifft die Bundesregierung Mitverantwortung
an dem jetzigen Zustand.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Warum hat die Bundesregierung im Gebäude des früheren Reichskriegs-
gerichts keine Gedenkstätte eingerichtet, die an die Opfer der faschistischen
Militärjustiz erinnert?

2. Warum hat die Bundesregierung keine Anstrengungen unternommen,
wenigstens Teile des Gebäudes als Gedenkstätte einzurichten?

3. Sind vor der Entscheidung über den Verkauf des Gebäudes gutachterliche
Äußerungen von Historikern zur zeitgeschichtlichen Bedeutung des Gebäu-
des, insbesondere während seiner Nutzung durch das Reichskriegsgericht,
eingeholt worden, wenn nein, warum nicht, wenn ja, bitte erläutern?

4. Hat die Bundesregierung mit der Stiftung Denkmal für die ermordeten
Juden Europas, die schon vor dem Verkauf des Gebäudes die im Juni 2007
eröffnete Wanderausstellung zur Wehrmachtsjustiz „Was damals Recht
war“ angekündigt hatte, über den Bedarf an einer Nutzung des Objektes
Gespräche geführt, und was wurde dabei erörtert?

5. Warum sind weder die Öffentlichkeit noch die Fachöffentlichkeit von der
beabsichtigten Veräußerung des Objektes informiert worden?

6. Wurden beim Verkauf des Objektes verbindliche Absprachen hinsichtlich
der Erinnerung an die Opfer der NS-Militärjustiz getroffen, und wenn ja,
welche?

7. Wurden beim Verkauf des Objektes verbindliche Absprachen darüber ge-
troffen, wie am oder im Gebäude eine Möglichkeit des Gedenkens geschaf-
fen wird, die die Funktion des Reichskriegsgerichts im NS-Terrorregime
und zugleich ein würdiges Gedenken an die Ermordeten zulässt, und wenn
ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

8. Gibt es einen vereinbarten Bestands- und Erhaltungsschutz für die an der
Umfriedung des Gebäudes angebrachten Tafeln (für Franz Jägerstätter und
Karl Sack)?

Wenn ja, wer kommt für die Instandhaltung der Tafeln auf?

Wenn nein, warum nicht?

9. Wurden beim Verkauf des Objektes verbindliche Absprachen hinsichtlich
der im Foyer des dritten Obergeschosses befindlichen Tafel zum Gedenken
an die jüdischen Juristen Berlins getroffen, und wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

Wo befinden sich diese Tafeln jetzt?

10. Hält es die Bundesregierung für einen angemessen Umgang mit der Ge-
schichte des Gebäudes, dass darin jetzt gutverdienende Mieter „ihre Zigar-
ren rauchen und ihren Cognac trinken“, und wenn nein, stellt sie Überlegun-
gen an, einen würdigeren Umgang zu erwirken?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7577

11. Inwiefern trifft die Angabe des Berliner Senats zu (Drucksache 16/11323
des Abgeordnetenhauses von Berlin), dass die Stiftung Topographie des
Terrors das Thema Reichskriegsgericht „selbstverständlich“ im Rahmen der
für das Jahr 2010 anvisierten Dauerausstellung behandeln wird?

12. Welche konkreten Vereinbarungen wurden hierzu im Stiftungsrat der Stif-
tung Topographie des Terrors getroffen?

Falls noch keine konkreten Vereinbarungen getroffen wurden: Wie will die
Bundesregierung dann sicherstellen, dass an einem passenden Ort der Opfer
der NS-Militärjustiz gedacht wird?

Berlin, den 13. Dezember 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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