BT-Drucksache 16/7435

zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -16/6033- Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung

Vom 7. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7435
16. Wahlperiode 07. 12. 2007

Beschlussempfehlung und Bericht
des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Lothar Bisky,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksache 16/6033 –

Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungsbefreiungen für Versicherte
mit geringem Einkommen im Wege der Härtefallregelung

A. Problem

Mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) wurden im Jahr 2004 im Bereich
der gesetzlichen Krankenversicherung neue Zuzahlungsregelungen eingeführt.
Seitdem müssen alle Versicherten im Regelfall 2 Prozent ihres Einkommens,
falls chronische Krankheiten vorliegen 1 Prozent ihres Einkommens zuzahlen,
unabhängig davon, wie hoch das Einkommen des Betroffenen ist.

Diese Regelung hat nach Ansicht der Antragsteller fatale sozialpolitische Folgen
nach sich gezogen und negativen Einfluss auf die Versorgung der Betroffenen.
Auch die vorher vollständig von Zuzahlungen befreite Gruppe der Personen mit
sehr geringem Einkommen ist seitdem verpflichtet, für benötigte Medikamente,
Hilfsmittel, Heilmittel, stationäre Aufenthalte, Fahrtkosten und Zahnersatz
Eigenanteile zu übernehmen. Des Weiteren wurde ab 2004 als neue Zuzahlungs-
art die sog. Praxisgebühr für die Inanspruchnahme eines Arztes, Zahnarztes und
die Notfallversorgung in Höhe von jeweils 10 Euro pro Quartal eingeführt.

Die Änderungen führen nach Überzeugung der Antragsteller nicht nur zu einer
weiteren Verarmung von Teilen der Bevölkerung, sondern in vielen Fällen
durch Nichtinanspruchnahme zu einer schlechteren Versorgung dieser Perso-
nengruppe. Selbst niedrige Zuzahlungen würden bei einem geringen Ein-
kommen oft prohibitive Wirkungen im Zugang zu medizinischen Leistungen
entfalten.

B. Lösung
Wiederherstellung des Rechtszustandes der §§ 61 und 62 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch (SGB V) i. d. F. vom 31. Dezember 2003.

Ablehnung des Antrags mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

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C. Alternativen

Beibehaltung der Rechtslage oder Novellierung des Fünften Buches Sozial-
gesetzbuch (SGB V) mit anderer Schwerpunktsetzung.

D. Kosten

Die Kosten werden in dem Antrag nicht spezifiziert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7435

Beschlussempfehlung

Der Bundestag wolle beschließen,

den Antrag auf Drucksache 16/6033 abzulehnen.

Berlin, den 4. Dezember 2007

Der Ausschuss für Gesundheit

Dr. Martina Bunge
Vorsitzende

Dr. Carola Reimann
Berichterstatterin

ner 67. Sitzung am 14. November 2007 aufgenommen und geringem Einkommen vielfach zur Nichtinanspruchnahme

abgeschlossen. Als Ergebnis empfiehlt er mit den Stimmen
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthaltung der Fraktio-

medizinischer Leistungen. Untersuchungen im Rahmen des
Bertelsmann-Gesundheitsmonitors zeigten, dass im Ver-
gleich der Jahre 2003 und 2006 Menschen mit einem Ein-
Drucksache 16/7435 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Bericht der Abgeordneten Dr. Carola Reimann

I. Überweisung
Der Deutsche Bundestag hat den Antrag auf Drucksache
16/6033 in seiner 121. Sitzung am 25. Oktober 2007 in ers-
ter Lesung beraten und zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Gesundheit sowie zur Mitberatung an den
Ausschuss für Arbeit und Soziales und den Ausschuss für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage
Der Deutsche Bundestag soll die Bundesregierung auf-
fordern, einen Gesetzentwurf einzubringen, der Folgendes
beinhaltet:

1. Wiedereinführung der durch das GKV-Modernisierungs-
gesetz (GMG) im Jahr 2004 gestrichenen Zuzahlungs-
befreiungen von Versicherten im Gesundheitswesen. Es
ist der Sache nach der Rechtszustand der §§ 61 und 62
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) i. d. F.
vom 31. Dezember 2003 wiederherzustellen, da sich die
Neuregelung nicht bewährt hat. Damit sollen Versicherte
mit einem Einkommen bis zu 40 Prozent der Bezugs-
größe zukünftig wieder von sämtlichen Zuzahlungen be-
freit werden.

2. Entsprechend der damaligen Rechtslage Verzicht auf
Prüfungen des Einkommens bei Beziehern von ALG II,
Sozialhilfe, Sozialgeld, Grundsicherung im Alter, Aus-
bildungsförderung nach BAföG oder SGB III und der
Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungs-
gesetz. Gleiches soll für Versicherte, deren Kosten der
Unterbringung in einem Heim oder einer ähnlichen Ein-
richtung von einem Träger der Sozialhilfe oder der
Kriegsopferfürsorge getragen werden, gelten.

3. Beibehaltung der vor und nach 2004 geltenden Belas-
tungsgrenzen in Höhe von 2 Prozent bzw. 1 Prozent
(Chronikerregelung) des Einkommens oberhalb dieser
Einkommensgrenze.

III. Stellungnahmen der mitberatenden
Ausschüsse

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales und der Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend haben
in ihrer 69. bzw. 45. Sitzung am 14. November 2007 mit
den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion DIE LINKE. bei Stimmenthal-
tung der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
empfohlen, den Antrag abzulehnen.

IV. Beratungsverlauf und Beratungsergebnisse
im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Gesundheit hat die Beratung in sei-

Die Mitglieder der Fraktionen der CDU/CSU und SPD er-
klärten, dass sie den Antrag ablehnten. Mit dem Gesetz zur
Modernisierung des Gesundheitssystems sei eine sozialver-
trägliche und gerechte Härtefallregelung geschaffen wor-
den. Für alle Personen gebe es eine Belastungsobergrenze
für Zuzahlungen von 2 Prozent, bei Chronikern von 1 Pro-
zent des Bruttoeinkommens, ab deren Überschreitungen
eine Befreiung erfolge. Insbesondere seien Kinder weiterhin
völlig von Zuzahlungen befreit, ebenso sei ein zuzahlungs-
freier Zugang zu Früherkennungsmaßnahmen gewährleistet.
Diese Regelung sei, weil sie für alle Personen gelte, sozial-
verträglicher und gerechter als der Vorschlag der Fraktion
DIE LINKE. Bei Einführung der Regelung standen neben
Finanzierungsgesichtspunkten vor allem auch Steuerungs-
wirkungen zur Förderung einer rationalen Inanspruchnahme
medizinischer Leistungen im Vordergrund. Eine Umsetzung
des Antrages der Fraktion DIE LINKE. würde zudem be-
deuten, dass jährlich eine halbe Mrd. Euro zusätzlich dem
Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt werden müsste,
ohne dass eine wesentliche Verbesserung damit verbunden
wäre. Betonenswert sei, dass zu der Kostenfolge in dem An-
trag nichts gesagt werde. Es bleibe daher auch völlig offen,
ob der Mehrbetrag aus Steuermitteln oder über Beitragser-
höhungen in das System fließen solle. Auch der vorgetrage-
nen Kausalität von niedrigem Einkommen und geringen
Arztbesuchen sei zu widersprechen. Es gebe ebenfalls Stu-
dien, die einen solchen Zusammenhang nicht bestätigen
würden.

Die Mitglieder der Fraktion der FDP betonten, der Antrag
greife ein Anliegen auf, das grundsätzlich unterstützenswert
sei. Allerdings stelle die Fraktion der FDP im Gegensatz zu
der Fraktion DIE LINKE. keinesfalls die Zuzahlungen per
se in Frage, sondern halte sie für ein gutes Steuerungsinstru-
ment, das durch Härtefallregelungen ergänzt werden müsse.
Die in dem Antrag vorgesehene alleinige Fixierung auf die
Höhe des Einkommens ließe jedoch zu, dass auch Personen
mit einem zwar geringen Einkommen, aber großem Vermö-
gen in den Genuss der Zuzahlungsbefreiung kämen. Aus
diesen Gründen würden sich die Mitglieder der Fraktion der
Stimme enthalten.

Die Mitglieder der Fraktion DIE LINKE. unterstrichen,
dass die mit dem GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) im
Jahr 2004 in der gesetzlichen Krankenversicherung einge-
führten Zuzahlungsregelungen zu fatalen sozialpolitischen
Härten führten. Seitdem seien auch die vorher vollständig
von Zuzahlungen befreiten Versicherten mit sehr geringem
Einkommen verpflichtet, für benötigte Medikamente, Hilfs-
und Heilmittel, stationäre Aufenthalte, Fahrtkosten und
Zahnersatz Eigenanteile zu übernehmen und eine Praxis-
gebühr von 10 Euro (Quartal) für die Inanspruchnahme
eines Arztes, Psychotherapeuten, Zahnarztes und die Not-
fallversorgung zu zahlen. Dies führe bei Menschen mit
nen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Antrag
abzulehnen.

kommen von unter 500 Euro 30 Prozent weniger Arzt-
kontakte hätten. Unter 1 000 Euro seien es 20 Prozent Rück-

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gang, während diejenigen mit mehr als 5 000 Euro monat-
lichem Einkommen fast 40 Prozent häufiger zum Arzt
gingen. Im Unterschied zu den anderen Fraktionen würden
Zuzahlungen als Steuerungsinstrument für den Ressourcen-
einsatz grundsätzlich abgelehnt. Um jedoch einen breiten
parlamentarischen Konsens zur Vermeidung von Härtefällen
herzustellen, beschränke sich die Fraktion in dem Antrag
auf die Wiedereinführung der vollständigen Zuzahlungs-
befreiungen für Versicherte mit geringem Einkommen. So
habe der damalige CDU-Bundesminister Dr. Norbert Blüm
1989 eine solche Härtefallregelung als Ausdruck von „so-
zialer Rücksicht“ bezeichnet. Die Fraktion der SPD habe
hingegen in ihrer Zeit als Opposition jede Zuzahlung, die zu
Härtefällen führe, abgelehnt und mit der Überprüfung der
bestehenden Zuzahlungsregelungen 1998 für einen Regie-
rungswechsel geworben.

Die Mitglieder der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hoben hervor, dass der Zusammenhang von Armut und
Gesundheit ein reales Problem sei. Die Frage sei allerdings,
inwieweit die Wiedereinführung der Zuzahlungsbefreiungen
für Versicherte mit geringen Einkommen diesen Kontext
aufheben oder wenigstens verringern könnte. Die verschie-
denen hierzu vorliegenden Untersuchungen und Daten-
erhebungen würden ein sehr unterschiedliches Bild vermit-
teln und die Position der Fraktion DIE LINKE. keineswegs

durchweg bestätigen. Tatsächlich seien für die geringeren
Gesundheitschancen sozial Benachteiligter die verschie-
densten Faktoren, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit oder
unzureichende Wohnverhältnisse, verantwortlich. Zudem
seien die meisten Präventionsmaßnahmen zu wenig auf
sozial Benachteiligte ausgerichtet. Dagegen stelle der unzu-
reichende Zugang zum Gesundheitssystem zumindest in
Deutschland kein schichtenspezifisches Gesundheitsrisiko
dar. Ausnahmen gebe es bei besonderen Problemgruppen,
wie zum Beispiel wohnungslosen Menschen. Deren hohe ge-
sundheitlichen Risiken würden aber nicht durch eine Zu-
zahlungsbefreiung, sondern nur durch niedrigschwellige
Angebote gelöst. Die Wiederherstellung der bis zum
31. Dezember 2003 gegoltenen Rechtslage würde deshalb
absehbar keinen Beitrag zum Abbau sozial bedingter ge-
sundheitlicher Ungleichheit leisten. Allerdings würde auch
von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN kritisiert,
dass bei der Bemessung der Regelsätze für die Bezieherin-
nen und Bezieher von Arbeitslosengeld II, Sozialhilfe und
Sozialgeld die Zuzahlungen nicht hinreichend berücksichtigt
würden. Außerdem halte man es für erforderlich, die Aus-
wirkungen der Zuzahlungen auf das Inanspruchnahmever-
halten einkommensschwacher Versicherter genauer als bis-
her zu untersuchen. Die Mitglieder der Fraktion würden sich
deshalb der Stimme enthalten.

Berlin, den 4. Dezember 2007

Dr. Carola Reimann
Berichterstatterin

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