BT-Drucksache 16/74

Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit

Vom 18. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/74
16. Wahlperiode 18. 11. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dagdelen und der Fraktion DIE LINKE.

Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer ausländischen
Staatsangehörigkeit

Laut Pressemeldungen sollen ca. 50 000 Eingebürgerte die deutsche Staatsange-
hörigkeit verlieren oder sie bereits verloren haben, da sie ihre alte Staatsangehö-
rigkeit wiedererworben haben. So hat der Freistaat Bayern alle 44 000 Bürger
und Bürgerinnen türkischer Herkunft angeschrieben und entsprechend befragt.
Der bayerische Innenminister Dr. Günther Beckstein (CSU) gab bekannt, 6 000
von ihnen hätten daraufhin erklärt, die türkische Staatsangehörigkeit wiederer-
worben zu haben, was unmittelbar zum Verlust der deutschen Staatsangehörig-
keit geführt habe (Pressemitteilung vom 15. September 2005). Im Land Berlin
wurde den Betroffenen eine Frist bis zum 31. August 2005 gewährt, um „unbü-
rokratisch und kurzfristig“ einen Aufenthaltstitel erlangen zu können.

Nach § 25 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) verliert seit dem 1. Januar
2000 ein in Deutschland lebender deutscher Staatsangehöriger automatisch die
deutsche Staatsangehörigkeit immer dann, wenn der oder die Eingebürgerte eine
ausländische Staatsangehörigkeit freiwillig oder auf Antrag annimmt und keine
Beibehaltungsgenehmigung vorliegt. In einem „Rechtsgutachten über den Ver-
lust der deutschen Staatsangehörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsan-
gehörigkeit; hier türkische Staatsangehörigkeit“ des Essener Rechtsanwalts
Frank Oliver Schulz vom 8. Juli 2005 wird jedoch festgestellt, dass der § 25
Abs. 1 StAG auf die bezeichnete Personengruppe nicht zutrifft, da sie die tür-
kische Staatsangehörigkeit nicht rechtswirksam erlangt habe. Zwar wären von
dieser Gruppe Anträge auf Wiedererlangung der türkischen Staatsangehörigkeit
gestellt worden. Die Einbürgerung sei jedoch nach geltendem türkischen Staats-
angehörigkeitsgesetz und der entsprechenden Durchführungsverordnung nicht
wirksam, da den Betroffenen kein Beschluss über ihre Einbürgerung zugestellt
worden sei. Die Zustellung ist aber nach einhelliger juristischer Meinung Bedin-
gung für die Rechtswirksamkeit von Verwaltungsakten. Das Gutachten kommt
zu dem Schluss: „Mangels Zustellung und Kenntnisnahme ist somit eine
Wiedereinbürgerung in die türkische Staatsangehörigkeit des betreffenden Per-
sonenkreises nicht erfolgt, ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ist nicht
eingetreten.“ Auch der § 38 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes, nach dem ehemalige
Deutsche spätestens sechs Monate, nachdem sie Kenntnis vom Verlust der deut-
schen Staatsangehörigkeit erhalten haben, einen Aufenthaltstitel beantragen
müssen, treffe für die benannte Gruppe folglich nicht zu.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bundesweit bekannt, in denen
Eingebürgerte durch den vermeintlichen Wiedererwerb einer ausländi-
schen Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren
haben?

Drucksache 16/74 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
b) Wie verteilen sich diese auf die einzelnen Bundesländer (bitte Aufstel-
lung)?

2. Aus welchen Herkunftsstaaten kommen die Betroffenen, und wie groß sind
die jeweiligen Gruppen nach Herkunftsstaaten (bitte Aufstellung)?

3. Wie viele Betroffene haben bislang einen neuen Aufenthaltsstatus bzw. -titel
erhalten?

a) Wie viele haben eine Duldung erhalten?

b) Wie viele haben eine Aufenthaltserlaubnis erhalten?

Auf welchen Zeitraum wurde diese befristet?

c) Wie viele haben eine Niederlassungserlaubnis erhalten?

d) Wie viele haben eine Neueinbürgerung beantragt und erhalten?

4. Fürchtet die Bundesregierung, dass Ausgebürgerte sich nun illegalisiert in
der Bundesrepublik Deutschland aufhalten?

5. Welche unterschiedlichen Praxen in den Bundesländern im Umgang mit
denjenigen, die aufgrund des vermeintlichen Wiedererwerbs einer auslän-
dischen Staatsangehörigkeit ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren
haben, sind der Bundesregierung bekannt?

6. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, politisch und juris-
tisch auf eine bundeseinheitliche Regelung hinzuwirken?

7. Hat die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister des Innern
das zitierte Gutachten des Rechtsanwalts Oliver Frank Schulz zur Kenntnis
genommen und geprüft?

8. Teilt die Bundesregierung das Ergebnis des zitierten Rechtsgutachtens, dass
der Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht rechtswirksam erfolgt
ist und somit auch nicht der Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft einge-
treten ist, und wenn nein, welche Rechtsansicht vertritt die Bundesregierung
in dieser Frage?

9. Welche Schritte hat die Bundesregierung eingeleitet, die es insbesondere
denjenigen ehemaligen deutschen Staatsangehörigen erleichtern, die deut-
sche Staatsangehörigkeit wiederzuerlangen, die schon lange in Deutschland
leben?

10. Ist eine Abschaffung des automatischen Verlusts der deutschen Staatsange-
hörigkeit bei Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft geplant?

11. Welche Vereinbarungen gibt es im Koalitionsvertrag zur Novellierung des
Staatsangehörigkeitsrechts?

12. Welche Mitgliedstaaten der EU sehen in ihrem Staatsangehörigkeitsrecht
die Möglichkeit der Mehrstaatigkeit vor?

Berlin, den 14. November 2005

Ulla Jelpke
Sevim Dagdelen
Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion
Kleine Anfrage
Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit

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