BT-Drucksache 16/73

Bundeswehreinsatz im Inland

Vom 18. November 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/73
16. Wahlperiode 18. 11. 2005

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Paul Schäfer (Köln) und der Fraktion DIE LINKE.

Bundeswehreinsatz im Inland

Presseberichten zufolge haben sich Politiker insbesondere der Unionsfraktio-
nen, darunter der designierte Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung, dafür
ausgesprochen, die Bundeswehr künftig auch im Inland einzusetzen. Bereits im
Juli 2005 hatte die designierte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) nach
Angaben des Nachrichtenmagazins „DER SPIEGEL“ den Einsatz der Bundes-
wehr zur Terrorabwehr gefordert (SPIEGEL-ONLINE vom 24. Juli 2005). Der
Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD sieht vor, den gesetzlichen Rege-
lungsbedarf hierfür zu prüfen. Politiker aus der SPD haben die Bereitschaft
signalisiert, eine Grundgesetzänderung zu prüfen.

Das Grundgesetz schränkt das Aufgabenspektrum der Bundeswehr auf die Lan-
desverteidigung ein, Einsätze im Inland sind bis auf wenige, in der Verfassung
definierte Ausnahmen nicht zulässig. Für Sicherungsaufgaben im Inland ist die
Bundeswehr daher bislang weder ausgebildet noch ausgerüstet. Nach den Ge-
waltausbrüchen, die es im März 2004 im Kosovo gab, wurden vom Bundes-
ministerium der Verteidigung Bemühungen unternommen, die Fähigkeiten der
Bundeswehr zur Durchführung von „Anti-riot“-Einsätzen zu steigern. Unter an-
derem wurden die deutschen KFOR-Einheiten mit Pfefferspray ausgestattet.
Derartige Maßnahmen führen das Militär an Aufgabenbereiche heran, bei denen
es sich um klassische Polizeiarbeit handelt.

Nach Meinung von Bundeswehrkritikern, wie sie anlässlich des Großen Zapfen-
streiches der Bundeswehr am 26. Oktober 2005 in Berlin geäußert wurde, ist es
auch eine Form von Bundeswehreinsatz im Innern, wenn zum Zwecke der
Durchführung von Militärzeremonien militärische Sicherheitsbereiche bzw.
Sondernutzungsbereiche eingerichtet werden, in denen der Bundeswehr das
Hausrecht übertragen wird. Von diesen Möglichkeiten hat die Bundeswehr im
Rahmen ihrer 50-Jahr-Veranstaltungen mehrfach Gebrauch gemacht.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Kooperationen bestehen zwischen Bundes- und Landespolizeistellen
und der Bundeswehr

a) zum Zwecke der Schulung von Bundeswehrsoldaten für Aufgaben der
Aufstandsbekämpfung,
b) zur materiellen Ausrüstung der Bundeswehr für Zwecke der Aufstands-
bekämpfung,

c) zur Abwehr terroristischer Bedrohungen?

2. a) Welche weiteren Kooperationen existieren zwischen Polizeistellen und
Bundeswehr?

b) Welche weiteren Kooperationen strebt die Bundesregierung an?

Drucksache 16/73 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, bei terroristischen Anschlägen
handle es sich um Naturkatastrophen?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, bei terroristischen Anschlägen
handle es sich um Unglücksfälle im Sinne des Artikels 35 Abs. 2 des Grund-
gesetzes?

5. Beabsichtigt die Bundesregierung, den Fall terroristischer Angriffe in den
Artikel 35 des Grundgesetzes aufzunehmen?

6. a) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass für den Einsatz der Bun-
deswehr im Bereich der Terrorismusbekämpfung im Inland eine Rechts-
grundlage existiert, und wenn ja, welche?

b) Wären damit auch Präventiveinsätze möglich, und wenn nein, welche
Gesetzesinitiativen müssten ergriffen werden, um eine solche Rechts-
grundlage herzustellen?

7. a) Wer sollte nach Ansicht der Bundesregierung die Führung eines Bundes-
wehreinsatzes im Inland zum Zweck der Terrorismusbekämpfung über-
nehmen?

b) Welche Einheiten sollten bzw. könnten dafür eingesetzt werden?

c) Welche taktischen, materiellen, schulischen und sonstigen Maßnahmen
müssten zur Herstellung entsprechender Fähigkeiten ergriffen werden?

8. Treffen Medienberichte zu, denen zufolge die Bundesregierung beabsich-
tigt, Bundeswehreinheiten für Sicherungsaufgaben während der Fußball-
weltmeisterschaft im Jahr 2006 einzusetzen, und wenn ja, auf welcher
Rechtsgrundlage soll dies geschehen?

9. Hat die Bundesregierung Überlegungen angestellt, ob ein Einsatz der Bun-
deswehr im Inland zur Terrorabwehr die Fähigkeit der Bundeswehr zur Er-
füllung ihrer übrigen Aufgaben behindern würde, und wenn ja, zu welchen
Schlüssen ist die Bundesregierung gekommen?

10. a) Welche Tatsachen könnten nach Auffassung der Bundesregierung die
Annahme begründen, es stünde ein besonders schwerer Unglücksfall im
Sinne des § 13 Abs. 1 des Luftsicherheitsgesetzes bevor, der ggf. einen
Bundeswehreinsatz gegen ein Flugzeug rechtfertigen würde?

b) Wäre die Unterbrechung des Funkkontaktes, eine Entführung oder das
Abweichen vom vorgegebenen Flugkurs eine solche Tatsache?

11. a) Trifft es zu, dass die Bundesregierung die Verabschiedung eines „See-
sicherheitsgesetzes“ anstrebt, und wenn ja, was sollen die Inhalte dieses
Gesetzes sein?

b) Welche Umstände sind nach Meinung der Bundesregierung denkbar, die
einen bewaffneten Angriff der Bundeswehr auf zivile Schiffe legitimie-
ren würden?

12. a) Trifft es zu, dass der Große Zapfenstreich am 26. Oktober 2005 in Berlin
nicht als politische Veranstaltung im Sinne des Versammlungsgesetzes
angemeldet, sondern zu seiner Durchführung ein Antrag auf Sonder-
nutzung beim Bezirksamt Mitte von Berlin gestellt wurde?

b) Trifft es zu, dass der betroffene Bereich außerdem als militärischer
Sicherheitsbereich im Sinne des § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die
Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Be-
fugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte
sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) eingerichtet wurde?
c) Welche Überlegungen führten zu diesen Entscheidungen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/73

13. Treffen Medienberichte zu, dass die Bundeswehr im Vorfeld des Großen
Zapfenstreiches in Berlin Druck auf das Bezirksamt Mitte von Berlin aus-
geübt hat, um eine positive Bescheidung ihres Antrags auf Sondernutzung
zu erreichen?

14. a) Wie viele Große Zapfenstreiche und Feierliche Gelöbnisse wurden bis-
her in diesem Jahr außerhalb militärischer Liegenschaften durchgeführt?

b) Wie oft wurden die Ausstellungen „Unser Heer“, „Unsere Marine“,
„Unsere Luftwaffe“ gezeigt?

(Bitte jeweils Vergleichswerte für die Jahre ab 1990 angeben.)

15. Wie viele Bundeswehrsoldaten sowie Bundespolizisten kamen bei diesen
Veranstaltungen zum Einsatz?

16. Welche Kosten haben die Feierlichkeiten in Zusammenhang mit dem 50-
jährigen Jubiläum der Bundeswehr verursacht?

(Bitte aufschlüsseln nach Art der Veranstaltung und Durchführungsort.)

17. a) Wie oft und wo wurden zur Durchführung von Zapfenstreichen, Gelöb-
nissen und weiteren Veranstaltungen der Bundeswehr in diesem Jahr
Örtlichkeiten zu militärischen Sicherheitsbereichen im Sinne des § 2
Abs. 2 UZwGBw erklärt?

b) Wie oft wurden dazu Sondernutzungsrechte bei den örtlichen Behörden
beantragt?

18. Welches sind nach Ansicht der Bundesregierung über Manöver und sons-
tige, direkt in Zusammenhang mit der Landesverteidigung stehende Tätig-
keiten hinaus „dienstliche Aufgaben“ der Bundeswehr, die zur Einrichtung
militärischer Sicherheitsbereiche im Sinne des § 2 Abs. 2 UZwGBw berech-
tigen?

19. a) Gehören Veranstaltungen wie der Große Zapfenstreich nach Ansicht der
Bundesregierung zum Aufgabenbereich der Bundeswehr, wie er durch
das Grundgesetz vorgegeben wird, und wenn ja, trägt die Durchführung
eines Großen Zapfenstreiches nach Ansicht der Bundesregierung zur
Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland bei?

(Bitte begründen.)

b) Trifft es zu, dass das Wachbataillon der Bundeswehr bei Militärzeremo-
nien den 1935 in der Wehrmacht eingeführten Karabiner 98k führt, und
wenn ja, ist die Bundesregierung der Auffassung, das Präsentieren von
Wehrmachtskarabinern trage zur sachlichen Darstellung der Aufgaben
der Bundeswehr bei?

(Bitte begründen.)

20. a) Existiert nach Meinung der Bundesregierung eine Rechtsgrundlage für
den Einsatz von Feldjägern in Zivilkleidung, und wenn ja, welche?

b) Wurden im Rahmen von Großen Zapfenstreichen und ähnlichen Veran-
staltungen im Jahr 2005 Feldjäger in Zivil eingesetzt, und wenn ja, wo
und warum?

Geschah dies auch außerhalb der eingerichteten militärischen Sicher-
heitsbereiche bzw. Sondernutzungsbereiche?

Berlin, den 18. November 2005

Ulla Jelpke

Paul Schäfer (Köln)
Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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