BT-Drucksache 16/7227

Situation von irakischen Flüchtlingen in Deutschland und die Praxis des Asyl(widerrufs)verfahrens

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7227
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Sevim Dag˘delen, Jan Korte
und der Fraktion DIE LINKE.

Situation von irakischen Flüchtlingen in Deutschland
und die Praxis des Asyl(widerrufs)verfahrens

Bald nach der Verkündung des militärischen Siegs der US-Streitkräfte und ihrer
Verbündeten im Irak im April 2003 hat das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) begonnen, die Anerkennung der Asylberechtigung bzw.
der Flüchtlingseigenschaft von irakischen Staatsangehörigen in großem Um-
fang zu widerrufen. Begründet wurde dies zumeist damit, dass die ehemals dro-
hende Gefahr einer politischen Verfolgung durch das irakische Regime nach
dessen Sturz nicht mehr vorliege. Dass in diesen Widerrufsverfahren die allge-
meine Gefährdungslage und labile und unsichere Situation im Irak nicht berück-
sichtigt wurde/wird, steht nach Auffassung des Hohen Flüchtlingskommissars
der Vereinten Nationen (UNHCR) nicht im Einklang mit der Genfer Flücht-
lingskonvention. Mit dem Zuwanderungsgesetz wurde zum 1. Januar 2005 die
verpflichtende Prüfung eines Widerrufs drei Jahre nach der Anerkennung ge-
setzlich verankert – eine restriktive und Widerrufe begünstigende Bestimmung,
wie sie sich in keinem anderen europäischen Land finden lässt.

Unter anderem in Reaktion auf die massive öffentliche Kritik an dieser auch
vom Umfang her in der Europäischen Union einmaligen Widerrufspraxis wurde
diese mittlerweile zumindest in Bezug auf einzelne Gruppen irakischer Staats-
angehöriger eingeschränkt, wie aus einer Weisung des Bundesministeriums des
Innern (BMI) vom 15. Mai 2007 hervorgeht. Soweit darin noch auf eine „inlän-
dische Fluchtalternative“ in Nord-Irak Bezug genommen wird, ist dies ange-
sichts der drohenden Kriegsgefahr durch einen Einmarsch türkischer Truppen
und angesichts der verschärften Sicherheitslage nach Anschlägen und Übergriffen
durch militante islamistische Gruppen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Zu einer
Änderung seiner Entscheidungspraxis und vermehrten Flüchtlingsanerkennung
wurde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuletzt infolge
mehrerer Gerichtsurteile gezwungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Irakerinnen und Iraker leben in der Bundesrepublik Deutschland?
a) Wie viele davon sind als Asylberechtigte (Artikel 16a des Grundgeset-
zes – GG) anerkannt?

b) Wie viele davon sind als Flüchtlinge im Sinne von § 60 Abs.1 des Aufent-
haltsgesetzes (AufenthG) anerkannt?

c) Wie viele davon sind subsidiär Schutzberechtigte im Sinne von § 60
Abs. 2 bis 7 AufenthG?

Drucksache 16/7227 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

d) Wie viele von ihnen befinden sich noch im Asylverfahren?

e) Wie viele von ihnen verfügen lediglich über eine Duldung oder eine ande-
re Bescheinigung (z. B. Grenzübertrittsbescheinigung), weil tatsächliche
Gründe einer Abschiebung entgegenstehen (bitte nach Duldungen und an-
deren Bescheinigungen, sowie nach Bundesländern differenzieren)?

f) Wie viele von ihnen sind vollziehbar ausreisepflichtig, wie vielen wurde
die Abschiebung bereits angedroht (bitte nach Bundesländern differenzie-
ren)?

2. Welchen Aufenthaltsstatus haben die in der Bundesrepublik Deutschland le-
benden Irakerinnen und Iraker, und seit wann halten sie sich in der Bundes-
republik Deutschland auf?

Bitte nach Aufenthaltsstatus (Niederlassungserlaubnis, Aufenthaltserlaubnis,
Aufenthaltsbefugnis (alt), Duldung, Aufenthaltsgestattung, sonstige Beschei-
nigungen) sowie nach Bundesländern differenzieren.

3. Wie viele Widerrufsverfahren bezüglich der Asylberechtigung, der Flücht-
lingsanerkennung oder der Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte in
Bezug auf irakische Flüchtlinge wurden seit dem 30. Juni 2006 eingeleitet,
wie viele endeten mit einem Widerruf (bitte nach Status und Monaten diffe-
renzieren), und wie viele dieser Widerrufe wurden bestandskräftig bzw. wie
viele Widerrufsverfahren sind bei den Gerichten derzeit anhängig?

4. Wie viele Neuzugänge von Klagen gegen Widerrufe gab es vom 1. Juli 2006
bis 31. Juni 2007 (insgesamt, aber bitte auch differenzieren nach den zehn
stärksten Herkunftsländern), und warum erfasst das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge nicht das Ergebnis dieser Verfahren (vgl. Bundestagsdruck-
sache 16/2419, Antwort zu Frage 13) bzw. wird dies gegebenenfalls zur bes-
seren Erfolgskontrolle noch geändert?

5. Wie viele Irakerinnen und Iraker verloren infolge von Widerrufsverfahren
seit dem 30. Juni 2006 ihre Niederlassungs- oder Aufenthaltserlaubnis (bitte
nach Status differenzieren), und wenn die Bundesregierung hierzu keine ge-
nauen Informationen hat, über welche sonstigen Erkenntnisse oder Schätzun-
gen verfügt sie diesbezüglich?

a) Wie viele Irakerinnen und Iraker, deren Asyl- oder Flüchtlingsstatus wi-
derrufen wurde, waren nach einem, zwei, drei bzw. fünf Jahren noch im
Besitz einer Niederlassungs- bzw. Aufenthaltserlaubnis?

b) Welche nach Buchstabe a erfragten Angaben lassen sich bezogen auf alle
Staatsangehörigen, deren Asyl- oder Flüchtlingsstatus widerrufen wurde,
machen (bitte auch differenzieren nach den 10 stärksten Herkunfts-
ländern)?

c) Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zur unterschiedlichen
Praxis der Bundesländer hinsichtlich der Erteilung einer Niederlassungs-
oder Aufenthaltserlaubnis nach einem Widerruf, welche Erlasse und Er-
fahrungswerte gibt es in den einzelnen Bundesländern und bundesweit
diesbezüglich?

d) Kann die Bundesregierung die Angaben von Vertretern der Bundesregie-
rung und der Koalitionsfraktionen in der Sitzung des Innenausschusses am
10. November dieses Jahres bestätigen, dass etwa 75 Prozent der von
einem Widerruf Betroffenen nach einem Jahr noch im Besitz einer Auf-
enthaltserlaubnis gewesen seien?

Falls ja, wieso konnte sie die entsprechende Frage auf Bundestagsdruck-
sache 16/2419, Antwort zu den Fragen 5 und 6, nicht beantworten?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7227

6. Weshalb und auf welcher Rechtsgrundlage wurde mit Schreiben des Bun-
desministeriums des Innern vom 15. Mai 2007 eine Ruhensregelung bezüg-
lich der Widerrufsverfahren bei bestimmten Personengruppen aus dem Irak
beschlossen?

a) Gibt es solche Regelungen auch in Bezug auf andere Länder und Per-
sonengruppen in vergleichbaren Situationen, wenn ja welche, wenn nein,
warum?

b) Wäre es aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtsklarheit nicht vor-
zuziehen, statt ad hoc Ausnahmeregelungen zu treffen, die gesetzlichen
Widerrufsbestimmungen entsprechend der wiederholt vorgetragenen
Empfehlung des UNHCR generell derart umzugestalten, dass beim
Widerruf der Asylanerkennung oder der Flüchtlingseigenschaft eine all-
gemeine Zumutbarkeitsprüfung gilt und auch allgemeine Gefahrenlagen
und unzumutbare Rückkehrbedingungen einem Widerruf entgegenstehen
(bitte detailliert begründen)?

Falls nein, wie wird dies begründet insbesondere auch in Hinblick auf die
mit Widerrufsverfahren verbundenen enormen psychischen Belastungen
für die Betroffenen, aber auch in Hinblick auf den personellen und büro-
kratischen Aufwand für Behörden und Gerichte in der Bundesrepublik
Deutschland – trotz im Ergebnis zumeist weiter andauerndem tatsäch-
lichen Aufenthalts der Betroffenen?

c) Gibt es oder plant die Bundesregierung Regelungen für diejenigen iraki-
schen Staatsangehörigen, deren Widerrufsverfahren aufgrund der Ruhens-
regelung vom Mai 2007 zwar nicht weiter betrieben wird, denen dessen
ungeachtet jedoch eine Einbürgerung ohne Aufgabe der bisherigen Staats-
angehörigkeit (wie bei anerkannten Flüchtlingen sonst üblich) für die
Dauer des ruhenden Verfahrens nicht möglich ist (vgl. § 73 Abs. 2c des
Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG), und wenn nein, warum nicht?

d) Gibt es oder plant die Bundesregierung Regelungen für diejenigen iraki-
schen Staatsangehörigen, deren Widerrufsverfahren aufgrund der Ruhens-
regelung vom Mai 2007 zwar nicht weiter betrieben wird, denen dessen
ungeachtet jedoch eine Aufenthaltsverfestigung für die Dauer des ruhen-
den Verfahrens nicht möglich ist, und wenn nein, warum nicht?

e) Gibt es oder plant die Bundesregierung Regelungen für diejenigen iraki-
schen Staatsangehörigen, deren Widerrufsverfahren aufgrund der Ruhens-
regelung vom Mai 2007 zwar nicht weiter betrieben wird, denen dessen
ungeachtet jedoch ein Familiennachzug für die Dauer des ruhenden Ver-
fahrens nicht möglich ist, und wenn nein, warum nicht?

f) Plant die Bundesregierung angesichts der verschärften Sicherheitslage
und Kriegsgefahr im Nord-Irak, die Ruhensregelung zumindest auf allein-
stehende kurdische Männer aus dem Nord-Irak, aber auch auf so genannte
„Straftäter“ oder „Gefährder“ (d. h. auf alle irakischen Flüchtlinge) auszu-
dehnen, und wenn nein, warum nicht?

g) Wie werden die Erlöschensbestimmungen nach Artikel 11 der Richtlinie
2004/83/EG in der Bundesrepublik Deutschland umgesetzt, und welche
Änderungen der bisherigen Rechtlage bzw. Widerrufspraxis ergeben sich
hieraus, insbesondere in Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit einer
Rückkehr (vgl. Artikel 11 Abs. 1e der Richtlinie)?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Entwicklungen
im Irak die Möglichkeit, abgelehnte irakische Asylbewerber und/oder iraki-
sche Staatsangehörige, deren Asylberechtigung, Flüchtlingsanerkennung

oder Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte widerrufen worden ist, in
absehbarer Zeit in den Irak abschieben zu können?

Drucksache 16/7227 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

8. Wie viele Irakerinnen und Iraker sind seit dem 30. Juni 2006 abgeschoben
worden,

a) in den Irak,

b) in Drittstaaten, und in welche jeweils,

c) wie viele von ihnen waren „Straftäter“, und welche genaueren Angaben
liegen über die Art der Straftaten und die Höhe der Verurteilungen vor,

d) wie viele von ihnen galten als „Gefährder“

(bitte nach Monaten und Bundesländern aufschlüsseln)?

9. Ist die Bundesregierung der Auffassung bzw. wie ist die diesbezügliche
Weisungslage und Entscheidungspraxis des BAMF, dass im Irak (gege-
benenfalls in welchen Regionen) Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1
oder 2 AufenthG für die gesamte Bevölkerung oder Bevölkerungsgruppen
drohen (bitte begründen), und wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, sich
für eine Abschiebestoppregelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG einzu-
setzen, wie es der § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG nahelegt (bitte begründen)?

a) Welche Schlussfolgerungen zieht das BAMF in seinen internen An-
weisungen und in seiner Entscheidungspraxis aus den Hinweisen des
UNHCR vom 26. September 2007 „zur Feststellung des internationalen
Schutzbedarfs irakischer Asylbewerber“, wonach die derzeitige Situa-
tion im Süd- und Zentral-Irak von „allgegenwärtiger, extremer Gewalt,
schwersten Menschenrechtsverletzungen sowie einem generellen Fehlen
von Recht und Ordnung gekennzeichnet“ (S. 1) sei und „grundsätzlich
alle irakischen Asylsuchenden aus diesen Gebieten als international
schutzbedürftig“ (nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder als
subsidiär Schutzberechtigte) anzuerkennen seien (S. 7)?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht das BAMF in seinen internen An-
weisungen und in seiner Entscheidungspraxis aus den Hinweisen des
UNHCR (a. a. O., S. 11 f.) zu der nur sehr eingeschränkten Zumutbarkeit
eines Verweises auf eine nord-irakische „interne Fluchtalternative“ – ins-
besondere in Hinblick auf die jüngere Entwicklung im Nord-Irak?

c) Wie werden die Vorgaben des Artikels 8 der Richtlinie 2004/83/EG des
Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie) zu internen Schutz-
möglichkeiten in den internen Anweisungen und der Entscheidungspra-
xis des BAMF konkret umgesetzt (allgemein und konkret in Bezug auf
irakische Asylsuchende)?

10. Wendet das BAMF im Allgemeinen, aber auch konkret gegenüber iraki-
schen Asylsuchenden, bei der Umsetzung des Artikels 15c der Richtlinie
2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (Qualifikationsrichtlinie) zur
Gewährung eines subsidiären Schutzes aufgrund willkürlicher Gewalt in
Kriegs- oder Bürgerkriegssituationen eine „Sperrwirkung“ bei allgemeinen
Gefahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(vgl. BVerwG 9 C 9.95, U. v. 17. Oktober 1995 = BVerwGE 99, 324) an,
und wie begründet sie dies?

a) Wenn ja, wie begründet sie dies insbesondere angesichts des eindeutigen
Wortlautes des Artikels 15c der Qualifikationsrichtlinie, der eine solche
Einschränkung nicht zulässt, und teilt sie die Auffassung, dass im Falle
eines solch eindeutigen Wortlautes mögliche andere Schlussfolgerungen
aus etwaigen Erwägungsgründen zurücktreten müssten (bitte begrün-
den)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7227

b) Wenn ja, warum und mit welchen Gründen hält sie eine Übertragung
der deutschen Rechtsprechung zur Sperrwirkung in § 53 Abs. 6 des
Ausländergesetzes (AuslG) bzw. § 60 Abs. 7 des Aufenthaltgesetzes
(AufenthG) auf die Auslegung der Qualifikationsrichtlinie für zulässig
angesichts des Umstandes, dass Artikel 15c der Richtlinie im Gegensatz
zu den genannten nationalen Bestimmungen gerade keinen ausdrückli-
chen Hinweis auf etwaig politisch zu erlassende Abschiebestoppregelun-
gen enthält (was aber ein Kernargument des Bundesverwaltungsgerichts
war)?

c) Ist es zutreffend, dass sich die Bundesregierung bei den Verhandlungen
zur Qualifikationsrichtlinie mit ihrem Wunsch, die deutsche Sperrrege-
lung auf die europäische Ebene zu übertragen, nicht durchsetzen konnte
(vgl. Reinhard Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung, Erläu-
terungen zur Richtlinie 2004/83/EG, Stand 12. Juni 2006, Teil 2: „Sub-
sidiärer Schutz“, Abschnitt 1, Kapitel 11, S. 92 Rdnr. 6)?

Wenn ja, wie kann es dann zulässig sein, diese Sperrregelung bei der
Umsetzung der Richtlinie doch wieder einzuführen?

Wenn nein, wie verliefen die Verhandlungen mit welchem Ergebnis aus
Sicht der Bundesregierung zu diesem Punkt, und warum wurde eine ent-
sprechende Sperrwirkung dann nicht direkt in Artikel 15c der Richtlinie
aufgenommen?

d) Wie ist die Begründung zu § 60 Abs. 7 AufenthG, wonach „eine Verlet-
zung der genannten Rechtsgüter […] gleichsam unausweichlich sein“
müsse, vereinbar mit dem Kommentar des UNHCR zu Artikel 15c der
Richtlinie 2004/83/EG bzw. dem Kommentar von Reinhard Marx
(a. a. O., Teil 2: „Subsidiärer Schutz“, S. 12), dass an die Wahrschein-
lichkeit der drohenden Gefährdung infolge willkürlicher Gewalt keine zu
hohen Anforderungen gestellt werden dürfen?

e) Aus welchen Gründen wurde die in den Referentenentwürfen zum EU-
Richtlinienumsetzungsgesetz vom 3. Januar 2006 und 13. März 2006 ge-
wählte Formulierung des § 60 Abs. 7 AufenthG, die dem Artikel 15c der
Qualifikationsrichtlinie annähernd entsprach, ursprünglich gewählt, und
weshalb fand sie dann keinen Eingang in die vom Kabinett beschlossene
Fassung des Gesetzes?

f) Weshalb gilt nach Auffassung der Bundesregierung die Begründung der
benannten Referentenentwürfe zu § 60 Abs. 7 AufenthG nicht (mehr),
wonach eine Schutzlücke bei fehlenden Abschiebestoppregelungen
ebenso vermieden werden sollte wie ein Rückgriff auf die komplizierten
Grundsätze der Rechtsprechung zur grundgesetzkonformen Auslegung
des § 60 Abs. 7 AufenthG unter Anwendung eines erhöhten Gefähr-
dungsmaßstabes?

g) Warum wird vom BAMF nicht erfasst, wie viele Asylsuchende einen
subsidiären Schutz wegen der Bedrohung durch willkürliche Gewalt in-
folge kriegerischer Konflikte entsprechend Artikel 15c der Qualifika-
tionsrichtlinie erhalten (vgl. Antwort zu Frage 9 in Drucksache 16/6252),
und wie will die Bundesregierung die Umsetzung der Qualifikations-
richtlinie evaluieren, wenn sie solche wesentlichen Daten nicht erfasst?

11. Sind der Bundesregierung die Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen
Dienstes (WD) des Deutschen Bundestages (G.z. 482-06 und 102-07) zur
Rechtslage und Praxis bei Widerruf und Rücknahme von Asyl- bzw. Flücht-
lingsstatus anhand ausgewählter EU-Staaten bekannt?

Drucksache 16/7227 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

a) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass es nach
diesen Ausarbeitungen des WD in keinem anderen Land der EU eine
vergleichbare Regelung im Widerrufsverfahren gibt wie die des § 73
Abs. 2a AsylVfG, die eine Pflicht zur Prüfung der Widerrufsvorausset-
zungen spätestens nach drei Jahren der Unanfechtbarkeit der Anerken-
nung vorsieht – insbesondere in Hinblick auf die viel beschworene euro-
päische „Harmonisierung“ des Asylsystems?

b) Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass es nach
den Ausarbeitungen des WD in keinem anderen Land der EU eine in
quantitativer Hinsicht vergleichbare Zahl von Widerrufen gibt wie in der
Bundesrepublik Deutschland (in mehreren Ländern gab es in den letzten
fünf Jahren sogar keinen einzigen Widerruf) – insbesondere in Hinblick
auf die viel beschworene europäische „Harmonisierung“ des Asylsys-
tems?

c) Hält die Bundesregierung an der europaweit einmalig strengen Widerruf-
spraxis und gesetzlichen Pflicht zur Prüfung eines Widerrufs nach drei
Jahren auch angesichts der besorgten Kritik des Menschenrechtskom-
missars des Europarats Thomas Hammarberg hieran, die der Kritik des
UNHCR entspricht, fest (vgl. Bericht des Menschenrechtskommissars
Thomas Hammarberg über seinen Besuch in der Bundesrepublik
Deutschland im Oktober 2006 (CommDH (2007)14), S. 36), und wenn
ja, mit welcher Begründung und welche Bedeutung misst sie überhaupt
den Empfehlungen und der Kritik des Menschenrechtskommissars bei?

12. Wie ist der Zugang von geduldeten Irakerinnen und Irakern, die in den ver-
gangen sechs bzw. acht Jahren zwischenzeitlich im Besitz einer Aufenthalts-
erlaubnis nach Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes waren (Aufenthalt aus
humanitären Gründen) zur gesetzlichen Altfallregelung nach § 104a und b
des Aufenthaltsgesetzes?

a) Gibt es Bundesländer (wenn ja, welche?), in denen irakische oder andere
(welche?) Staatsangehörige generell von der gesetzlichen Altfallrege-
lung ausgeschlossen sind, ist der Bundesregierung etwas über entspre-
chende Absichten einzelner Bundesländer bekannt, und wurde das Bun-
desministerium des Innern bereits um sein Einverständnis für solche
Ausschlussregelungen gefragt, wenn ja, von welchen Ländern, für wel-
che Staatsangehörige, und wie war die Antwort?

b) Welche anderen rechtlichen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung,
irakischen Staatsangehörigen, die infolge des Verlusts der Flüchtlings-
eigenschaft/der Asylanerkennung ihren Aufenthaltsstatus verloren haben,
eine Aufenthaltserlaubnis nach dem 5. Abschnitt des AufenthG zu ertei-
len?

13. Welche Initiativen, etwa einzelner Mitgliedstaaten, für ein Resettlement-
Programm der Europäischen Union für besonders schutzbedürftige iraki-
sche Flüchtlingen aus den Nachbarstaaten des Irak, wie vom UNHCR mehr-
fach gefordert, sind der Bundesregierung bekannt, wie verhält sich die Bun-
desregierung zu diesen Initiativen, und warum wurde sie bislang nicht selbst
initiativ, insbesondere in der Zeit ihrer EU-Ratspräsidentschaft?

a) Warum würde die Resettlement-Aufnahme von irakischen Flüchtlingen
nach Ansicht der Bundesregierung einen „Pull-Faktor“ für weitere
Flüchtlinge darstellen, wenn doch die Auswahl der im Resettlement-Ver-
fahren aufzunehmenden Flüchtlinge durch den UNHCR unter den in den
Nachbarländern des Irak lebenden Flüchtlingen getroffen würde?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/7227

b) Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung Nr. 12 des Euro-
päischen Parlaments (Entschließung vom 12. Juli 2007) an die Mitglied-
staaten und die internationale Gemeinschaft, „in erheblichem Maße zur
Wiederansiedlung“ im Sinne des UNHCR beizutragen, und welche Ini-
tiativen folgen hieraus?

c) Was ist aus den Bekundungen des ersten informellen Treffens der EU-In-
nenminister nach Verabschiedung des Haager Programms Ende Januar
2005 in Luxemburg geworden, künftig mehr so genannte Kontingent-
flüchtlinge aufnehmen zu wollen?

d) Wie verträgt sich das vom Parlamentarischen Staatssekretär beim Bun-
desminister des Inneren, Peter Altmaier, in der Innenausschusssitzung
vom 10. Oktober 2007 gezeichnete Bild, nicht die Bundesrepublik
Deutschland habe eine Resettlement-Aufnahme verhindert, sondern es
sei die Kommission, die bislang noch keinen entsprechenden Vorschlag
gemacht habe, mit der Meldung der Agentur AP (Associated Press) vom
20. April 2007, wonach der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang
Schäuble, die vom UNHCR und Menschenrechtsorganisationen gefor-
derte Aufnahme besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge abgelehnt habe
mit der Begründung, er sei der Meinung, „dass dieses Problem im We-
sentlichen in der Region gelöst werden muss“?

e) Wie verträgt sich die o. g. Äußerung des Bundesministers des Innern,
Dr. Wolfgang Schäuble, damit, dass der UNHCR eine Resettlement-Auf-
nahme gerade wegen der Überlastung und Überforderung „der Region“
fordert?

Berlin, den 12. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.